ZPO I: Rechtskraft und Rechtshängigkeit Flashcards
Rechtsschutzbedürfnis
früher: materielle Rechtskrafttheorie
fehlt, wenn über den geltend gemachten Anspruch bereits rechtskräftig entschieden worden ist → rechtskräftiges Urteil gestaltet materiell-rechtliche Beziehungen zwischen den Parteien um
(-) versagt bei Feststellung absoluter Rechte
Rechtsschutzbedürfnis
h. M.: prozessuale Rechtskrafttheorie
Urteil lässt materielle Rechtskraft unverändert, aber bindet den Richter eines zukünftigen Prozesses
entgegenstehende Rechtskraft, § 322 I ZPO (+), wenn
- Identität der Streitgegenstände des ersten und zweiten Verfahrens oder
- Kläger mit zweitem Antrag das kontradiktorische Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Antrags verfolgt
Bestimmung des Streitgegenstandes: zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff
Streitgegenstand wird definiert durch den gestellten Antrag und den ihm zugrunde gelegten Sachverhalt
→ Zuordnung des Anspruchs zu einem Lebenssachverhalt
- unterschiedliche Anträge → verschiedene SG
- gleicher Antrag mit völlig verschiedenen Lebenssachverhalten → verschiedene SG
- P: gleicher Antrag + “nahezu” gleicher Lebenssachverhalt → soweit lediglich neue AGL für gleichen materiell-rechtlichen Anspruch: gleicher SG
kontradiktorisches Gegenteil
liegt immer dann vor, wenn die neue Klage die Wirkungen des rechtskräftigen Urteils zu beeinträchtigen vermag,
→ wie das unmittelbare Gegenteil der rechtskräftigen Entscheidung begehrt wird
→ weil zwar nicht das unmittelbare Gegenteil, aber doch eine mit dem rechtskräftigen Urteil anderweitig unvereinbare Rechtsfolge begehrt wird
→ verdeckte Teilklage
verdeckte Teilklage
Kläger klagt zunächst nur einen Teil seiner Ansprüche aus einem Lebenssachverhalt ein und macht dann später weitere Ansprüche geltend
str., ob zulässig, h. M.: (+)
Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes
keine Aufteilung in einzelne Schadensposten, Rechtskraft des Urteils umfasst grds. das gesamte Schmerzensgeld
aber § 767 II ZPO: nur insoweit, als die maßgeblichen Tatsachen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bereits existierten und daher hätten geltend gemacht werden können
Welche Feststellungen sind von der Rechtskraft umfasst?
§ 322 I ZPO: rechtskräftig entschieden wird nur die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch besteht (= Tenor), Begründung (und damit auch festgestellte Tatsachen / Rechtsverhältnisse) erwachsen nach ganz h. M. nicht in Rechtskraft
Streitgegenstand
= Anspruch im prozessualen Sinn
h. M.: Begehren der durch Klageantrag und Lebenssachverhalt bestimmten Entscheidung
→ vorgetragener Lebenssachverhalt dient dabei lediglich zur Identifikation des Anspruchs unter mehreren möglichen Ansprüchen zwischen den Parteien
→ materielle Rechtskraft umfasst nur den Streitgegenstand, sodass ein erneutes Verfahren über den gleichen Streitgegenstand nach § 322 ZPO grds. ausgeschlossen ist
Entscheidung über Gegenforderung nicht gem. § 322 II ZPO von Rechtskraft erfasst, wenn…
- Geltendmachung des Aufrechnungseinwandes prozessual unzulässig
- Gericht verneint Vorliegen einer wirksamen Aufrechnungserklärung gem. § 388 BGB
- Gericht bejaht Aufrechnungsverbot
- Gericht weist Klage wegen Nichtbestehens der Klageforderung ab
entgegenstehende Rechtskraft / Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils
(-) strafgerichtliches Verfahren hat anderen Gegenstand und Sinn und Zweck als Zivilverfahren:
- Strafanspruch des Staates ↔︎ Rechtsfolgen des mat. Zivilrechts
- unterschiedliche Verfahrens- und Beweislastregeln
→ rechtskräftiger Abschluss eines Strafverfahrens hindert Zivilprozess nur dann, wenn Adhäsionsverfahren gem. §§ 403 ff. StPO durchgeführt wurde
formelle Rechtskraft, §§ 705 ZPO, 19 EGZPO
Entscheidung kann nicht mehr mit regulären Rechtsmitteln angefochten werden
Reichweite materielle Rechtskraft, § 322 ZPO
abschließende und endgültige Klärung der Streitfrage, Befriedungsfunktion
- subj. Grenzen: grds. nur Parteien des Rechtsstreits gebunden
- inhaltliche Grenzen: nur Entscheidung über den Streitgegenstand erwächst in Rechtskraft = Tenor, nicht Tatsachen
→ tatsächliche und rechtliche Feststellungen in den Urteilsgründen binden spätere Verfahren nur, soweit der gegen diese Feststellungen gerichtete Angriff zugleich die im Tenor ausgesprochene Rechtsfolge in Frage stellt
- zeitliche Grenzen: Rechtskraft bezieht sich auf den Termin der letzten mündlichen Verhandlung
Wirkungen der mat. Rechtskraft
Unzulässigkeit einer neuen Klage mit dem gleichen Streitgegenstand: Prozesssperre
→ identischer Streitgegenstand
→ Minus ggü. dem früheren Streitgegenstand
→ kontradiktorisches Gegenteil
Tatbestandswirkung (Präjudizialität)
stellt die rechtskräftige Entscheidung in einem früheren Verfahren eine entscheidungserhebliche Vorfrage in einem späteren Verfahren zwischen den Parteien dar, ist das Gericht im späteren Verfahren an die rechtskräftigen Feststellungen gebunden
→ jede Beweiserhebung über den von der Rechtskraft umfassten Urteilsinhalt ist unzulässig
Aufrechnung zulässig → Klageabweisung? (entweder Anspruch besteht schon nicht oder durch Aufrechnung erloschen)
e. A.: Klageabweisungstheorie
bei zulässiger Aufrechnung in gleicher Höhe wird über die betreffende Klageforderung nicht mehr verhandelt, da Klage unter allen Umständen abgewiesen werden würde
Aufrechnung zulässig → Klageabweisung?
h. M.: Beweiserhebungstheorie
keine Abweisung
(+) dann wäre nicht klar, wie weit die Rechtskraftwirkung nach § 322 II ZPO die Gegenforderung erfasst → Parteien müssten erneut streiten, nicht prozessökonomischer
Anderkonto
Bankkonto, das ein verfügungsberechtigter Kontoinhaber für eine andere Person unterhält
Kontoberechtigter ist vollwertiger Rechtsinhaber, unterliegt aber im Innenverhältnis gegenüber dem wirtschaftlich berechtigten schuldrechtlichen Bindungen
Aufrechnungsverbot wegen der Bindung des Treugebers an fremde Interessen?
grds. (+), da Treuhänder verpflichtet, Treugut zur Verfügung des Treugebers zu halten und nur nach dessen Weisung zu verfügen → Interessenswahrungspflicht
Ausnahme nach h. M.: Ansprüche des Treuhänders aus dem konkreten Treuhandverhältnis, da dann Eigeninteressen des Treuhänders engen Bezug zum Treugut haben
→ Aufrechnungsverbot hinsichtlich aller Forderungen, die ihren Grund nicht im Treueverhältnis haben
prozessuale Vrss. der Aufrechnung
- Prozesshandlungsvoraussetzungen: Prozess- + Postulationsfähigkeit
- Sachurteilsvoraussetzungen nicht erforderlich, beziehen sich nur auf Zulässigkeit der Klage
- str.: entgegenstehende anderweitige Rechtshängigkeit
str. : Kann der Geltendmachung des Aufrechnungseinwandes die anderweitige Rechtshängigkeit des entsprechenden Streitgegenstands entgegengehalten werden?
e. A.: Aufrechnung führt zur Rechtshängigkeit der Gegenforderung als Streitgegenstand
(+) § 322 II ZPO: Urteil erlangt auch hinsichtlich der Entscheidung über die Gegenforderung Rechtskraft
(+) § 261 III Nr. 1 ZPO: mehrfache Inanspruchnahme der Gerichte soll verhindert werden, Gefahr divergierender Entscheidungen
(+) Schutz des Schuldners vor doppeltem Prozessrisiko
(+) Prozessaufrechnung kommt funktional der Widerklage sehr nah → hängt vom Zufall ab, ob Beklagter Widerklage erhebt oder Aufrechnung erklärt
str. : Kann der Geltendmachung des Aufrechnungseinwandes die anderweitige Rechtshängigkeit des entsprechenden Streitgegenstands entgegengehalten werden?
h. M.: keine Rechtshängigkeit der Gegenforderung als Streitgegenstand
(+) § 322 II ZPO geht fehl: daraus ergibt sich gerade, dass der Gesetzgeber nicht von einer Rechtshängigkeit der Gegenforderung ausgegangen ist, sonst wäre die anschließende Rechtskraft selbstverständlich gewesen
(+) Wortlaut § 261 I ZPO: Klage muss erhoben worden sein, Geltendmachung Aufrechnungseinwand lediglich Verteidigungsmittel
(+) Rechtshängigkeit würde Verteidigung des Beklagten unzumutbar erschweren
(+) doppelter Inanspruchnahme kann durch § 148 oder § 302 I ZPO vorgebeugt werden
(+) ebenso ZBR nah
Aufrechnung durch (verspätete) Erklärung in anderem Prozess erloschen?
Doppeltatbestand → grds. (+)
aber würde zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn prozessual unzulässig
→ prozessuale Unzulässigkeit des Aufrechnungseinwands führt zur Unwirksamkeit der im Prozess erklärten Aufrechnung
str.: dogmatische Begründung
e. A.: § 139 BGB analog
h. M.: Eventualaufrechnung
§ 261 III Nr. 1 ZPO: Ausnahme
entscheidend, dass Leistungs(wider)klage vor demselben Spruchkörper erhoben wird, da dann die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme der Justiz und die Gefahr divergierender Entscheidungen nicht droht