Anosognosie Flashcards
Karnath, Thier (2012)
Anosognosie
= das durch eine Hirnschädigung bedingte pathologische Nichterkennen von neurologischen Störungen (Kortikale Blindheit, Hemianopsie, Halbseitenlähmung, kortikale Taubheit)
Anosognosie der kortikalen Blindheit (Anton-Syndrom)
Pat. ist nicht bewusst, dass sie blind sind.
Ursache: Embolie aus A. basilaris in beide Aa. cerebri posteriores
Läsion: Okzipitallappen beider Hemisphären (genau wie bei kortikal blinden Pat. ohne Anosognosie)
Anosognosie der Halbseitenblindheit (Hemianopsie)
Pat. ist nicht bewusst, dass sie einen kontraläsionalen halbseitigen Gesichtsfeldausfall haben.
Relativ häufige Kombination (62% aller Hemianoptiker haben auch eine Anosognosie, dann größerer Läsionsort)
Lokalisation: Hintere Sehbahn und primärer visueller Kortex im Okzipitallappen (kein Unterschied zwischen links- und rechtshemisphärischer Läsion)
Anosognosie der Halbseitenlähmung (Hemiplegie, unvollständig Hemiparese)
Pat. ist nicht bewusst, dass sie halbseitig (teilweise) gelähmt sind.
ca. 10% der Patienten mit Hemiplegie nach Schlaganfall haben auch Anosognosie, häufiger nach rechtshemisphärischer Läsion (aber evtl. Artefakt, da Versprachlichung nach linkshemisphärischer Läsion schwieriger → Wada-Test regelt: gleiche Patienten, 89% rechts, 49% links verneinen offensichtliche Schwäche der rechtsseitigen Extremitäten)
Lokalisation: groß, frontotemporal, rechts, im Versorgungsgebiet der A. cerebri media
Überzufällig oft rechte Inselregion, kleine Läsion reicht schon für Fremdheitsgefühl + Nichterkennen → Inselregion = Interozeption (Wahrnehmung des eigenen Körpers und den Bewegungen der Extremitäten (sense of agency) und der Zugehörigkeit (sense of ownership), zentraler Teil des neuronalen Netzwerks)
Anosodiaphorie
Anosognosie der Halbseitenlähmung
Pathologische Indifferenz ggü. der Erkrankung (benennen die Lähmung zwar, aber behandeln sie als “Lappalie”)
Disturbed sense of agency
bei Anosognosie der Halbseitenlähmung
= Überzeugung, die gelähmte Seite genauso zu bewegen wie die gesunde Seite
Disturbed sense of ownership
bei Anosognosie der Halbseitenlähmung
= Störung der wahrgenommenen Zugehörigkeit der betroffenen Extremität zum eigenen Körper
92% der Patienten mit Anosognosie + Hemiplegie
Unterschiedliche Schweregrade
- Zuordnung zu einer konkreten anderen Person
(z. B. Untersucher, Lebenspartner, Bettnachbar):
* Somatoparaphrenie* - Zuordnung zu keiner konkreten, aber anderen Person: Asomatognosie
Wada-Test
Feststellung der sprachdominanten Hemisphäre (z.B. vor neurochirurgischen Eingriffen)
- Barbiturat nacheinander in linke und rechte A. carotis interna
- Kurz anhaltende Anästhesie der Hemisphäre (Pat. bleibt wach)
- Lähmung der kontralateralen Extremitäten
- Benennstörungen + vorübergehendes Verstummen (speech arrest) bei Anästhesie der sprachdominanten Hemisphäre
Selektivität der Anosognosie
Pathologisches Nichterkennen kann selektiv nur für eines von mehreren Defiziten bestehen, die nach einem Schlaganfall gleichzeitig auftreten
Erklärungshypothesen
-
Gestörte Informationsaufnahme und -weiterleitung
Sensibilitätsverlust + Unvermögen die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zu richten + Neglect + Diskonnektion von intra- und interhemisphärischen Verbindungen -
Gestörte neuronale Bewusstseinssysteme
Schädigung des Conscious Awareness Systems zum bewussten Erleben der Außenwelt durch mentale Abbildung -
Gestörte motorische Planungs- und Kontrollprozesse
Feedforward-Hypothese: Lähmung kann nur durch Bewegungsversuch entdeckt werden, wird aber nicht initiiert
Erweiterte-Feedback-Hypothese: nicht Bewegung selbst, sondern erwartete Bewegungskonsequenz relevant, Diskrepanz wird aber nicht wahrgenommen
Erklärungstheorien
-
Psychologisch-psychodynamisch
Intellektuelle Beeinträchtigung und Konfusion + Abwehrmechanismus zur Anpassung an veränderte Bedingungen durch “stimmige” Interpretation der Problematik + ausgeprägte Verweigerungshaltung zur Realität als grundlegende Persönlichkeitseigenschaft -
Entdeckungstheorie
Defizit der Selbstbeobachtung und Selbstdiagnose entscheidend, Behinderung muss erst “aktiv entdeckt” werden