[Sem] Soziale Kohäsion - Dragolov et al. 2016 Flashcards
Was bezeichnet “soziale Kohäsion”?
“Social glue”, gesellschaftlicher Zusammenhalt
kein Automatismus in D
Was sind positive Wirkungen sozialer Kohäsion?
weniger grievances und geringere horizontale Ungleichheiten zwischen Gruppen
- niedrigeschwelligeres (= früheres) Konfliktmanagement
- bessere sozioökonomische Performanz (gerechtere Ressourcenverteilung)
- größere Resilienz gegenüber ökonomischen Krisen
- breitere Unterstützung für politische Entscheidungen
Was sind negative Wirkungen sozialer Kohäsion?
- gesellschaftliche Spaltungsprozesse: Bindungen innerhalb von (ethnischen/ religiösen) Gruppen schwächen den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt
- politische Regressionsprozesse: Autokratien können von gesellschaftlicher Einigkeit genauso profitieren wie Demokratien (Autokratisierungsprozesse whr., meist höher Zusammenhalt, weil stützen einen Herrscher)
Was beschreibt die nordamerikanische Begriffstradition der sozialen Kohäsion?
Subnationale Einheiten, wie Ethnien oder Kleingruppen
Empirisch ausgerichtet:
group cohesion als die – im Vergleich zu Mitgliedern der out-group – stärkere reziproke Verbundenheit zwischen den Mitgliedern der in-group und als ein daraus resultierendes Gefühl der Zusammengehörigkeit
- In-Group sind alle die, die in soziologischer Hinsicht gleich sind
Was bezeichnet die europäische Tradition der sozialen Kohäsion?
Normativ aufgeladen: faire Güterverteilung und hohes Maß sozialer Inklusion als Voraussetzung für soziale Kohäsion (OECD 2011), Dragolov et al 2016)
–> kritische Betrachtung der normativen Aufladung: das wirklich für soziale Kohäsion nötig?
Definition soziale Kohäsion Dragolav et. (2016)
- Horizontal: Social relations - untereinander, soziale Teilhabe (Netzwerke, Vertrauen, Akzeptieren andere Lifestyles)
- Diagonal: Focus on the common good - Individuum in Verbindung mit Gruppenmitgliedern (Verantwortlich gegenüber anderen, folgen fundamentalen Regeln)
- Vertical: connectedness - Vertrauen Bevölkerung gegenüber Eliten (Verbunden mit Nation, Vertrauen in soziale und politische Institutionen, Glaube, dass Güter fair verteilt)
–> neun Unterkategorien, davon fünf normative Positionierung (z.B. faire Güterverteilung)
Drei Dimensionen der sozialen Kohäsion
Horizontale Dimension: 1. Netzwerk vertrauensvoller Verbindungen (nordamerikanische Tradition)
Diagonale Dimension: Inklusives und kollaboratives Verhalten (europäische Tradition)
Vertikale Dimension: Verbindung Bevölkerung und Amtsträger*innen
(Szreter und Woolock 2004)
Soziales Kapital (Putnam)
“Soziales Kapital ist die Dichte und Qualität vertrauensvoller sozialer
Beziehungsnetzwerke”
(Verbesserungsvorschlag zu sozialer Kohäsion)
Was sind die zwei Formen sozialen Kapitals?
Nach Gittell und Vidal 1998, Putnam 2008)
Bonding social capital:
Starke Bande zwischen den Mitgliedern der in-group, d.h. zu soziologisch ähnlichen Individuen
Bridging social capital:
Starke Verbindungen zu Mitgliedern der out-group bzw. zu unähnlichen Personen
- kann beides hoch sein
- wenn nur bonding hoch ist und zwei Gruppen existieren, entsteht Polarisierung
Wie kann durch soziale Kohäsion Spaltung entstehen?
Nach innen gerichtete Kohärenz: “within-group togetherness” und nah außen gerichtete Differenz “outgroup-otherness” gehören zusammen und können zusammen zu sozialer Spaltung führen:
Guppeninterne Verbundenheit in den Gruppen bei Misstrauen zwischen den Gruppen - “Freund- Feind” Differenzierung
Um Spaltung zu vermeiden: Interaktionen die “broad und shallow” (statt deep and narrow) in der Gesellschaft sind
-> vlt am besten mehr bridging capital und weniger Kohäsion, damit mehr gesamtgesellschaftlicher Zusammenhalt
Problem, dass bei Messung sozialer Kohäsion auftreten kann?
–> Kohäsionsradar misst nur bonding und nicht briding capital, also nur gruppenspezifischen Zusammenhalt, dadurch zu hohe Einstufung der sozialen Kohäsion (Bsp. Singhalesen und Tamilen in Sri Lanka)
–> durch getretennte Messung des soziales Kapitals kann soziale Kohäsion realistischer dargestellt werden
Was ist der Minimalkonsens beim Konzept der sozialen Kohäsion?
= social clue, der Gesellschaft zusammenhält, in dem er den ihr innewohnenden Fliehkräften entgegenwirkt (Durkheim)
Problem mit Konzept von Dragolov et al 2016
- Schon innerhalb einer Dimension Ungereimtheiten und Normativität - kann empirisch und normativ nicht einfach so mischen
- Zusammenhalt kann auch auf Kosten anderer hoch sein - nicht normatives Konzept, also Vorsicht, auch gerade, weil kohäsive Gruppen keine Integration und die hier als normativ wichtig gesehen wird
Was ist das Problem der europäisch normativen Perpektive und die Befunde der nordamerikanischen dazu
Berücksichtigung sozialer Inklusion und Akzeptanz sozialer Diversität als notwendige Bedingungen für soziale Kohäsion?
- Kohäsion und Inklusion gehören häufig nicht zusammen, sondern stehen einander gegenüber - geschlossene Gruppen haben eine höhere Kohäsion
Empirischer Befund der „nordamerikanischen“ Position:
- In Gruppen, die offen für neue Mitglieder sind, ist eine hohe Kohäsion gerade besonders unwahrscheinlich (Ziller 1965, Forsyth 2009):
- Offenen Gruppen fehlt die enge interne Verbundenheit – im Gegensatz zu „geschlossenen“ Gruppen sind sie auf Dauer mit der Integration neuer Mitglieder befasst
- Zugleich ist bestehenden Mitgliedern bewusst, dass sie ihren Platz in der Gruppe verlieren können
- Abwägung Kohäsion gegen Inklusion? Da oft widerstreitende Dynamiken; schwierig in einem Konzept
→ Soziale Kohäsion sollte nicht als Sammelbegriff für alles normative Erstrebenswerte in der Gesellschaft verwendet werden
Fallbeispiel Sri Lanka
- Zwei große ethnische Gruppen: Singhalesen und Tamilen
- Hoher Grad an Polarisierung seit 1930er Jahren, Bürgerkrieg 1983-2009
- Hohes Maß an bonding capital → within-group togetherness
- Geringes Maß an bridging capital → out-group otherness
- Auf Platz 6 des “Social Cohesion Radar” wegen Messfehler
→ Der „Radar“ misst bei Sri Lanka nicht gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt (in-group togetherness), sondern gruppenspezifische Kohärenz (Messfehler)
→ Alternative: Messung der Differenz zwischen bonding capital und bridging capital in gerichteten Dyaden (z.B. Singhalesen vs. Tamilen, Tamilen vs. Singhalesen) - wie sehr Vertrauen zu andere Ethischen Gruppe explizit nachfragen