Klassifikation und Diagnostik (Teil 2) Flashcards
Die wichtigsten Aufgaben der klinisch- psychologischen Diagnostik
Beschreibung
- Qualitative und quantitative Beschreibung der vorliegenden (psychischen) Störung —> Symptome, Häufigkeit, Intensität, Dauer, Bedingungen und Faktoren, die Symptome beeinflussen
Die wichtigsten Aufgaben der klinischen Diagnostik
Klassifikation
- Klassifikation der psychischen Störung —> Reduktion von Informationen für besseren Austausch sowie durch Klassifikationssysteme erhaltende therapierelevante Hinweise für Interventionsmethoden
Die wichtigsten Aufgaben der klinischen Diagnostik
Exploration
- Exploration von besonderen lebensgeschichtlichen Bedingungen bei der Entstehung und dem bisherigen Verlauf der Störungàfür individuelle Planung der Behandlung
Die wichtigsten Aufgaben der klinischen Diagnostik
Verlaufsdiagnostik
- Beobachtung des Verlaufs der Intervention und der Veränderung des Symptomatik (adaptive Diagnostik, Verlaufsdiagnostik)àerster Ist-Zustand behält nicht unveränderte Gültigkeit
Die wichtigsten Aufgaben der klinischen Diagnostik
Therapie-Evaluation
- Überprüfung des Therapieerfolgs (Qualitätssicherung) à Überprüfung des Ergebnis der Behandlung nach möglichst objektiven Kriterien, im Interesse der Therapeutinnen und Klientinnen
Diagnostische Ansätze und Methoden
Ansätze und Methoden für Erfüllen der Aufgaben der klinisch- psychologischen Diagnostik, Unterteilung in zwei Gruppierungen:
„Aspekt“, der beobachtet wird (Modalität)
—> Zentrale Aspekte menschlichen Erlebens und Verhaltens
‒ Körperliche Aspekte (z.B. physiologische Erregung)
‒ Gedanken und Gefühle (kognitiv- emotionale Ebene; z.B. Hoffnungslosigkeit, Angst)
‒ Verhalten (motorisch und sprachlich; z.B. Vermeiden einer Situation, die Angst macht)
Eingesetzte diagnostische Methode
—> Das (offene) diagnostische Gespräch
—> Strukturierte und standardisierte klinisch-
psychologische Interviews (z.B. zur Klassifikation) ÒFragebogen- und Testverfahrung (z.B. für
personenbezogene Informationen, Symptomatik) Ò Beobachtungsmethoden (z.B. Häufigkeit von
Verhalten)
—> Psychophysiologische und biologische
Verfahrungen (z.B. Messen von Muskelspannung)
Verfahren zur Klassifikation psychischer Störungen
—> Internationale Diagnose Checklisten für ICD-10 und DSM-IV (IDCL; Hiller et al., 1995)
—> Internationale Diagnose Checklisten für Persönlichkeitsstörungen (IDCL-P; Bronisch et al.,
1995),
—> Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse I (SKID-I; Wittchen et al., 1997),
—> Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV, Achse II (SKID-II; Fydrich et al., 1997),
—> Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen (DIPS; Margraf et al., 1994; als Kurzversion: »Mini-DIPS«; Margraf, 1994),
—> Composite International Diagnostic Interview (CIDI; Wittchen et al., 1997)
Symptombelastung: Die Symptom-Checkliste mit 90 Items
– Standard (SCL 90-R) Franke, 2014
—> Erfassung subjektiver Beeinträchtigungen durch körperliche und psychische Symptome innerhalb der letzten sieben Tage
—> Anwendungsbereiche: Screening, Eingangsdiagnostik, Verlaufsmessung, Veränderungsmessung, Therapieevaluation
—> 83 der 90 Items werden zu 9 Skalen zusammengefasst, 7 der Items gehen als Zusatzinformation in die Berechnung der drei globalen Kennwerte ein
Die Symptom-Checkliste mit 90 Items - Standard
(SCL 90-S; Franke, 2014) Franke, 1995 –> Skalen
—> Skalen: jede Skala erfasst dimensionale Übergänge von „normaler“ alltäglicher
Symptombelastung bis zur psychopathologisch relevanten Symptomatik
1. Somatisierung
2. Zwanghaftigkeit
3. Unsicherheit im Sozialkontakt 4. Depressivität
5. Ängstlichkeit
6. Aggressivität/Feindseligkeit 7. Phobische Angst
8. Paranoides Denken
9. Psychotizismus
—> Die 9 Skalen der Symptomcheckliste lassen sich in drei globale Kennwerte umwandeln:
‒ GSI: Global Severity Index: Indikator für die psychische Belastung
‒ PSDI: Positiv Symptom Distress Index: Intensität der Belastung
‒ PST: Positiv Symptom Total: Anzahl der Items, bei denen
eine Belastung vorliegt
—> Reliabilität:
* Interne Konsistenz: .79-.97 (stationäre
Psychiatriepatientinnen), .51-.94 (normale Personen)
* Retest-Reliabilität: 1 Woche (ambulante Psychiatriepatientinnen):
.78 -.90
Depressivität Beck-Depressionsinventar (BDI-II)
—> BDI – 1961, Schwere der Depression, 21 Items, Revision 1978
—> Erfassung subjektiv-kognitiver Aspekte globaler Depressivität, BDI-II
speziell auf die DSM-IV-Kriterien bezogen
—> 21 Aussagen mit Punktwerten jeweils von 0-3 (je höher der Wert,
desto stärker die Depression)
—> Sowohl Intensität als auch Symptome der Depression werden
erfasst: Traurige Stimmung, Pessimismus, Versagergefühle, Unbefriedigtsein, Schuldgefühle, Selbstbestrafungsgedanken, Selbsthass, Selbstvorwürfe, Weinen, Reizbarkeit, Sozialer Rückzug, Unentschlossenheit, Körperbild, Arbeitsstörungen, Schlafstörungen, Ermüdbarkeit, Appetitverlust, Gewichtsverlust, Hypochondrie, Sexuelles Interesse
Beck-Depressionsinventar (BDI-II)
—> Beispiel zu „Schuldgefühle“:
—> Cut-Off-Werte:
‒ 0 Ich habe keine Schuldgefühle
‒ 1 Ich habe häufig Schuldgefühle
‒ 2 Ich habe fast immer Schuldgefühle
‒ 3 Ich habe immer Schuldgefühle
—> Cut-Off-Werte: 0-8 nicht depressiv, 9-13 minimal depressiv, 14-19 milde depressiv, 20-28 mittel-schwer-depressiv und 29-63 schwer- depressiv —> je höher der wert desto wahrscheinlicher depressiv! Nicht zwangsläufig
—> Reliabilität
‒ Interne Konsistenz: .93. / Retest: .86-.92
—> Aufgrund seiner guten psychometrischen Qualitäten, seiner Kürze und der mit den Items erfassten breiten Symptombereiche, wird der BDI als vergleichsweise bestes Selbsteinschätzungsverfahren zur Erfassung der Schwere einer Depression bezeichnet
Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-D)
—> Screening, Fallidentifikation, Schweregrad, Behandlungserfolg
—> Selbstbeurteilungsfragebogen
—> erfasst werden die häufigste psychischen Störungen: somato-forme
Störungen, depressiver Störungen, Angststörungen, Essstörungen und
Alkoholmissbrauch
—> diagnostische Kriterien nach DSM-IV, hohe Passbarkeit zu DSM-V
—> Versionen: Komplettversion (10 Minuten), Kurzform (3 Minuten),
Ultrakurzform (PHQ-2 + GHD-2), einzelne Module
—> Einzelne Module: z.B. PHQ-9: Depression, GAD-7: generalisierte
Angststörung, PHQ-15: Schweregrad somatischer Symptome
—> Vielfältige Angaben zu den Gütekriterien und zur Sensitivität und
Spezifität
—> Nutzungsberechtigung: frei und kostenlos erhältlich, muss bei der
Publikation der generierten Daten korrekt zitiert sein
Screening psychischer Beschwerden
möglichst wenig schaden erzeugen aber alle erwischen die betroffen sind
—> spart zeit und Geld
—> Nachteile: hohe Ökonomie wird erkauft
WHO-5-Fragebogen: Beschreibung und Auswertung
—> Beschreibung
‒ Kurzscreening zur Erfassung der Lebensqualität.
‒ Ursprüngliche Entwicklung zur Behandlung von Patienten mit Diabetes.
‒ Hohe Sensitivität für depressive Erkrankungen.
—> Auswertung
‒ Die Items werden summiert. Bei einem Rohwert < 13 ist ein weiterführenderdiagnostischerProzesszuAbklärungeiner Depression indiziert.
‒ Zur Therapieverlaufskontrolle können Prozentwerte berechnet werden (Summenwert * 4).
Eigenschaften von Screenings
—> Ein Screening ist die vermutete Identifizierung einer unerkannten Erkrankung oder Störung durch die Anwendung von Tests, Untersuchungen oder anderer Prozeduren, die schnell durchgeführt werden können.
—> Screening-Tests unterscheiden Personen, die wahrscheinlich eine Erkrankung haben, von Personen, die wahrscheinlich keine haben.
—> „Ein Screening-Test ist nicht dazu bestimmt, diagnostisch zu sein.“
Klassifikation: Cut-Off-Werte
—> Ein Cut-Off-Wert klassifiziert in „unauffällig“ und „auffällig“.
—> Der Vergleich erfolgt mit einer konkreten Bezugsgruppe (z.B. gleiche Altersgruppe) und
—> Orientiert sich an der Ausprägung eines konkreten Kriteriums (z.B. Ausprägung von Problemverhalten)
Gütekriterien
Ein gutes Screeningverfahren zeichnet sich durch hohe Sensitivität bei gleichzeitig hoher Spezifität aus
—>Sensitivität = Trefferquote = 𝑅𝑃 𝐹𝑁+𝑅𝑃
—>1-Sensitivität = Verpasserquote = 𝐹𝑁 ! Beta-Fehler 𝐹𝑁+𝑅𝑃
—>Spezifität=(korrekte)Ablehnungsquote = 𝑅𝑁 𝐹𝑃+𝑅𝑁
—>1-Spezifität = Quote falscher Alarme = 𝐹𝑃 ! Alpha-Fehler
Beispiel Diagnostik bei Substanzkonsum
Substanz Alkohol:
Diagnostik der Alkoholabhängigkeit
Zielsetzungen im Überblick:
1. Screening-Verfahren (Verdachtsdiagnose)
Identifizierung von Personen mit Alkoholabhängigkeit, Alkoholmissbrauch sowie von Personen mit riskantem Alkoholkonsum
2. Feststellung einer Alkoholabhängigkeit
Zur Absicherung einer Verdachtsdiagnose
3. Differentialdiagnostik
Schweregrad, typologische Besonderheiten, differentielle Indikation und Therapieplanung
4. Symptombelastung und psychiatrische Komorbidität
Differentielle Indikation und Therapieplanung
5. Qualitätssicherung
Beispiel: Screening-Verfahren CAGE-Test (Cut down, Annoyed, Guilty, Eyeopener)
—> Zielsetzung: Identifizierung Personen mit Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch
—> Selbstbeurteilungsfragebogen mit vier Items:
1. Waren Sie der Meinung, dass Sie Ihr Trinken einschränken sollten?
2. Ärgert es Sie, dass andere Ihr Trinken kritisierten?
3. Fühlten Sie sich schlecht oder schuldig wegen des Trinkens?
4. Tranken Sie als erstes am Morgen, um Ihre Nerven zu stärken oder einen Kater loszuwerden (“Augenöffner”)?
—> Güte:
- Sensitivität 85% (richtig klassifizierte Alkoholiker)
Spezifität 89% (richtig klassifizierte Nicht-Alkoholiker)
Feststellung einer Alkoholabhängigkeit
- Strukturierte Interviews
- z.B. Strukturiertes Klinisches Interview für DSM-IV (SKID I)
- Suchtmodul * Fragebögen
- z.B. Münchener Alkoholismustest (MALT)
‒ Zielsetzung: Screening-Test zur Identifizierung von Alkoholabhängigen und zur Absicherung einer Verdachtsdiagnose
—> Selbstbeurteilungsteil (MALT-S): 24 Items Fremdbeurteilungsteil (MALT-F): 7 Items
–> 0-5 Punkte: unauffällig
6-10 Punkte: Verdacht auf Alkoholismus bzw. Alkoholgefährdung
11-52 Punkte: Alkoholismus
—> Güte: hohe Spezifität, geringe Sensitivität
Differentialdiagnostik
—>Differentialdiagnostisches Problem:
Viele Störungen oder Krankheiten produzieren ähnliche oder gleiche Syndrome oder Symptome, d.h. dass viele Symptome unterschiedliche Syndrome bedeuten oder anzeigen können. Wie können wir also sicher stellen, dass ein Symptom oder Syndrom eine diese Störung oder Krankheit anzeigt und nicht jene oder eine andere?
—>ausgerichtet auf die Abgrenzung und Identifizierung einer bestimmten Krankheit innerhalb einer Gruppe symptomatisch ähnlicher (oder z.T. sogar übereinstimmender) Krankheiten
Differentialdiagnostik
Skala zur Erfassung der Schwere der Alkoholabhängigkeit (SESA)
—>Zielsetzung: Bestimmung der Schwere einer bestehenden Alkoholabhängigkeit auf der Basis des Abhängigkeitssyndroms
—>Selbstbeurteilungsfragebogen, der aus zwei Teilen besteht: - Gesamtskala mit 28 Items (sieben Subskalen)
- Subskala „Wiederauftreten des Syndroms nach Abstinenz“
mit fünf Items
—>Güte: Cronbach‘s-Alpha: .71-.95; Vergleiche mit SCAN und CIDI, Zusammenhänge mit MALT, Trinkmengen und Folgeerkrankungen
Verbindung von Diagnostik und Intervention
—>Der praktischer Wert der Diagnostik zeigt sich aus den ableitbaren Handlungsanweisungen
—>Unterscheidung in selektive Indikation (Zuordnungsproblem, Selektionsstrategie) und adaptive Indikation (Anpassung der therapeutischen Intervention an den Einzelfall/ therapeutischen Prozess, Modifikationsstrategie)
—> Aufgaben der Indikation (hierarchische Entscheidung folgender Aspekte): Psychotherapie-IndikationàBehandlungsbezogene Indikation —> Adaptive oder prozessuale Indikation
—> Sowohl Zuordnung von zentralen Problem/ Symptomatiken zu Behandlungsansätzen als auch Passung zwischen Therapeutin und Klientin zur Indikationsstellung von Relevanz
Take Home Message
1. Die zentralen Aufgaben der Diagnostik sind …, …., …., …. und ….
2. Es gibt eine Vielzahl klinisch-diagnostischer Verfahren. Strukturierte Interviews werden (meist) zur …. Diagnostik herangezogen, „Klinische“ Fragebögen (meist) zur …. Diagnostik.
3. Beispiele für strukturierte Interviews sind das … bzw. …. und … für …
4. Typische klinische Fragebögen sind SCL-90-S, BDI-II, PHQ-9 uvm.
5. Screenings unterscheiden sich in Umfang und Aussage von … Fragebögen –hier sind …. und …. zentrale Gütemaße, auch im Umgang mit der Interpretation der Testwerte.
Take Home Message
1. Die zentralen Aufgaben der Diagnostik sind Beschreibung, Klassifikation, Exploration, Verlaufsdiagnostik und Therapie-Evaluation.
2. Es gibt eine Vielzahl klinisch-diagnostischer Verfahren. Strukturierte Interviews werden (meist) zur kategorialen Diagnostik herangezogen, „Klinische“ Fragebögen (meist) zur dimensionalen Diagnostik.
3. Beispiele für strukturierte Interviews sind das SKID-I/II bzw. SCID 5-CV/PD und DIPS für DSM-5
4. Typische klinische Fragebögen sind SCL-90-S, BDI-II, PHQ-9 uvm.
5. Screenings unterscheiden sich in Umfang und Aussage von dimensionalen Fragebögen –hier sind Sensitivität und Spezifität zentrale Gütemaße, auch im Umgang mit der Interpretation der Testwerte.
Ansätze zur Unterscheidung von psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter
Allgemein lassen sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen unterschei- den:
(a) der kategoriale und (b) der dimensionale Klassifikationsansatz.
- Beim kategorialen Klassifikationsansatz wird davon ausgegangen, dass die einzel- nen Störungsbilder mehr oder weniger klar voneinander abgrenzbar sind. Es gibt eine Reihe von Störungskategorien, wobei die Zuordnung des Erlebens und Verhaltens der Kinder zu den Kategorien nach definierten Regeln erfolgt. Man spricht hierbei auch von einem qualitativen Klassifikationsansatz, da hier distinkte Kategorien einander gegenübergestellt werden. Quantitative Abstufungen sind nicht vorgesehen, da eine Zugehörigkeit zu einer Kategorie entweder vorliegt oder nicht vorliegt.
- Anders ist dies bei einem dimensiona- len Klassifikationsansatz. Hier werden bei entwicklungspsychopathologisch relevanten Dimensionen (wie dem Ausmaß der Ängstlichkeit oder der Depressivität) quantitative Abstufungen vorgenommen. Durch den Ver- gleich mit Normwerten lässt sich erkennen, ob Auffälligkeiten vorliegen. Wenn mehrere Dimensionen erfasst werden, können auch individuelle Profile in den Blick genommen werden.
Kategoriale Klassigikationsansätze
Bei kategorialen Klassifikationsans ̈atzen geht es darum, ein bestimmtes Muster an Symptomen nach definierten Kriterien bestimmten Störungs- kategorien zuzuordnen.
Das ICD-Klassifikationssystem : Der kategoriale Klassifikationsansatz steht von seiner Denkweise her in der Tradition mit?
- Der kategoriale Klassifikationsansatz steht von seiner Denkweise her in der Tradition medizinischer Krankheitsmodelle. So wie eine körperliche Erkrankung (wie beispielsweise ein Herzinfarkt) entweder vorliegt oder nicht vorliegt und – wenn sie vorliegt – mit bestimmten Symptomen einhergeht, werden auch psy- chische Störungen und ihre Symptome voneinander abgegrenzt. Dieser Grund- gedanke wird besonders deutlich an dem ICD-Klassifikationssystem. Es handelt sich hierbei um die Internationale Klassifikation der Krankheiten (International Classification of Diseases). Das System ermöglicht eine Klassifikation aller Erkran- kungen, wobei psychische Störungen lediglich einen Teilbereich bilden.
Aufteilung des ICD 10:
Das ICD-System liegt derzeit noch in der zehnten Fassung vor, wobei die Einführung der elften Fassung in absehbarer Zeit erwartet wird und die neuen Codierungen bis 2022 umgesetzt werden sollen (Reed et al., 2019). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die derzeit gültige ICD-10. Die ICD ist nach Kapiteln von A bis Z unterteilt. Der Teilbereich, der sich auf psychische Störungen bezieht, ist das Kapitel F. Alle psychischen Störungen werden von F 0 bis F 9 klassifiziert. Die ICD-10 erlaubt etwa 1000 Unterscheidungen innerhalb dieses Teilbereichs. Die Störungen mit Beginn in Kindheit und Jugend finden sich im Abschnitt F 9. Nach dem Multiaxialen Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters (MAS), das auf der Basis der ICD-10 entwickelt wurde, lassen sich dabei die folgenden sechs Achsen unterscheiden
Die 6 Achsen des ICD 10:
” Achse 1: Klinisch psychiatrisches Syndrom
“ Achse 2: Umschriebene Entwicklungsstörung
“ Achse 3: Intelligenzniveau
“ Achse 4: Körperliche Symptomatik
“ Achse 5: Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände
“ Achse 6: Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus
ICD 10: Achsen1 bis 3:
- Auf der ersten Achse wird die Art der vorliegenden Störung klassifiziert (wie beispielsweise hyperkinetische Störung, Störung des Sozialverhal- tens oder emotionale Störung des Kindesalters ). Hier kommt das gesamte Störungs- spektrum infrage – mit Ausnahme der umschriebenen Entwicklungsstörungen sowie des Intelligenzniveaus, die auf den Achsen 2 und 3 beschrieben werden. Unter die umschriebenen Entwicklungsstörungen fallen dabei Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache, Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten (Lese- Rechtschreib-Störung und Dyskalkulie) und Entwicklungsstörungen der motori- schen Funktionen.
- Da diese Entwicklungsstörungen nur einzelne Entwicklungs- funktionen betreffen, werden sie auf der zweiten Achse als umschriebene Entwick- lungsstörungen aufgeführt.
- Auf Achse 3 wird das Intelligenzniveau beschrieben, wobei hier insbesondere die Frage nach einer möglichen Intelligenzminderung von Bedeutung ist.
ICD 10: Achsen 4 bis 6.
- Auf Achse 4 werden körperliche Symptome aufgeführt. Hierdurch können sich Hinweise auf körperliche Verursachungen für die psychischen Störun- gen ergeben. Weiterhin können sich Hinweise auf psychosomatische Bezüge ergeben.
- Achse 5 beschreibt die aktuellen psychosozialen Umstände, die mit dem Auftreten einer Störung verbunden sind. Hierunter fallen beispielsweise kritische Lebensereig- nisse oder familiäre Bedingungen, die mit der Störung verknüpft sein können.
- Auf Achse 6 erfolgt ein Globalurteil der psychosozialen Anpassung eines betroffenen Kindes oder Jugendlichen. Es handelt sich um ein Urteil auf einer abgestuften Skala, die von einer persistenten Gefährdung der eigenen oder anderer Personen und starken sozialen Beeinträchtigungen bis hin zu einer sehr guten psychosozialen Anpassung mit guten Sozialkontakten und angemessenen Interessen und Aktivitäten reicht.
ICD 10: Kombinationsdiagnosen.
- Mit der ICD-10 können mehrere Diagnosen gleichzeitig vergeben werden, wobei dann die Hauptdiagnose vorangestellt wird und die weiteren Diagnosen folgen (Komorbidität).
- Charakteristisch für die ICD-10 ist die Möglichkeit von Kombinationsdiagnosen: Störungen, die im Entwicklungs- verlauf eines Kindes häufig zu einem Zeitpunkt gemeinsam auftreten, können als eine kombinierte Diagnose vergeben werden (anstatt von zwei unabhängig neben- einanderstehenden Einzeldiagnosen). Die ICD-10 berücksichtigt hier bereits spe- zielle Entwicklungspfade , indem sie eine Störungskategorie vorgibt für Störungen, die oft gemeinsam auftreten. Ein Beispiel dafür ist die hyperkinetische Störung, auf die im weiteren Entwicklungsverlauf nicht selten eine Störung des Sozialverhaltens folgt (z. B. mit oppositionellem Trotzverhalten). Hier wird dann als kombinierte Störung die hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens vergeben.
Änderungen und Neuerungen in der ICD-11:
- Ein Ziel war die Minimierung willkürlicher oder auch zufälliger Unter- schiede zum DSM-5, wobei berechtigte konzeptuelle Unterschiede weiterhin vor- kommen.
- Die Einordnung der Störungen mit Beginn in Kindheit und Jugend wird es nicht mehr geben, die Störungen werden eher nach ihrer Symptomatik gruppiert. So wird beispielsweise die emotionale Störung mit Trennungsangst in der ICD-11 nun der Sektion Angststörungen zugeordnet.
- Eine weitere Veränderung betrifft die Erweiterung um kulturelle Einflüsse auf die Diagnosegruppen der ICD-11. Schließ- lich ist eine weitere markante Änderung der Einbezug eines dimensionalen Ansatzes. So können zum Beispiel statt diagnostischer Subtypen jetzt dimensionale Marker (dimensional qualifiers) vergeben werden. Dieses Vorgehen soll der Erkenntnis Rechnung tragen, dass viele psychische Störungen besser entlang von Symptomdi- mensionen beschrieben werden können, als Eingruppierungen in diskrete Katego- rien vorzunehmen.
Neuerungen ICD 11: Für die psychischen Störungen, die im Rahmen von Kindheit und Jugend besondere Relevanz haben, sind insbesondere die Einführung folgender neuer Kategorien relevant:
die komplexe posttraumatische Belastungsstörung, die Fütter- und Essstörungen mit vermeidender/restriktiver Nahrungsaufnahme, die Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit, die verlängerte Trauerstörung und die Störung im Zusammenhang mit (Computer-)Spielen
Das DSM-Klassifikationssystem : Merkmale des DSM
Ein weiteres Klassifikationssystem, das sich ausschließlich auf psychische Störun- gen bezieht, liegt mit dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen vor. Das DSM liegt mittlerweile in der fünften Fassung (DSM-5) vor, die seit 2015 auch in deutscher Sprache zur Verfügung steht. Die aktuelle Fassung des DSM-Systems ähnelt dem ICD-System, kommt jedoch ohne Beschreibungsachsen aus und ist in 22 Störungs- kategorien untergliedert. Viele Störungen, die bereits im Kindes- und Jugendalter erstmals auftreten, sind dabei unter der Oberkategorie der Störungen der neuro- nalen und mentalen Entwicklung zusammengefasst. Dazu gehören intellektuelle Beeinträchtigungen, Kommunikationsstörungen, Autismus-Spektrum-Störun- gen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen, spezifische Lernstörun- gen, motorische Störungen, Tic-Störungen sowie andere Störungen der neurona- len und mentalen Entwicklung. Einige Störungen, die ebenfalls bereits im Kindes- und Jugendalter in Erscheinung treten, wurden dagegen wegen ihrer inhaltlich- strukturellen Passung anderen Störungskategorien zugeordnet. Dies gilt beispiels- weise für Fütter- und Essstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter, die in die allgemeine Kategorie Fütter- und Essstörungen integriert wurden. Ähnliches gilt für die Störung mit Trennungsangst und den Selektiven Mutismus, die der allgemeinen Kategorie der Angststörungen zugeordnet wurden. Ähnlich wurde die Störung des Sozialverhaltens den Disruptiven, Impulskontroll- und Sozial- verhaltensstörungen, die Enuresis und Enkopresis den Ausscheidungsstörungen sowie die Bindungsstörungen den Trauma-/belastungsbezogenen Störungen zu- geordnet. Die inhaltlich-strukturelle Systematik erhielt dabei Vorrang vor einer entwicklungspsychologischen Orientierung, die beispielsweise bei der Einordnung den typischen Entstehungszeitpunkt im Entwicklungsverlauf bzw. Abweichungen davon in stärkerem Maße berücksichtigt hätte.