Depressionen TP Flashcards

1
Q

Zum Strukturbegriff (im OPD-2) Was bedeutet er?

A

 Struktur bedeutet die Verfügbarkeit über intrapsychische und interpersonell regulierende Funktionen, mit deren Hilfe eine Person
 ihr inneres Gleichgewicht und
 ihre Beziehungsfähigkeit nach außen sicherstellt.
 „Bei strukturbedingten Störungen steht die fehlende Verfügbarkeit oder eine nicht hinreichende Entwicklung von grundlegenden seelischen „Werkzeugen“ im Vordergrund.“

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2
Q

Vier Grundlegende Komponenten der Entstehung von strukturbedingten Störungen

A
  1. Ungünstige Entwicklungsbedingungen
  2. Aktueller Auslöser bzw Wegfall bisheriger kompensation oder Abwehr
  3. Aktuell Wirksames strukturelles Defizit
  4. Symptome
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3
Q

Es geht um das psychodynamische Zusammenspiel zwischen?

A

 zwischen dem
zentralen frühen Konflikt, dem depressiven Grundkonflikt
 und den sehr unterschiedlichen psychischen Verarbeitungen, die das konflikthafte Grundthema im Laufe der Lebensentwicklung erfahren kann.

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4
Q

Modus der Verarbeitung

A

psychische Anpassungen an frühere, defizitäre Gegebenheiten
Muster, die ein Mensch ausgebildet hat, um mit seinen strukturellen Defiziten oder seinen konfliktbedingten Einschränkungen und Erlebnissen im Leben klar zu kommen, bzw. diese auszugleichen

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5
Q

Es sind die …., die unter einer Belastungssituation des erwachsenen Lebens zusammenbrechen und die Symptombil- dung einleiten.

A

Es sind die Bewältigungsformen, die unter einer Belastungssituation des erwachsenen Lebens zusammenbrechen und die Symptombil- dung einleiten.

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6
Q

Formen der Verarbeitung: (6)

Was passiert bei Zusammenbruch der jeweiligen Verarbeitung?

A
  • altruistisch überfürsorgliche Verarbeitung
  • narzisstische Verarbeitung
  • schizoide Verarbeitung
  • oral-regressive Verarbeitung
  • philobatische Verarbeitung
  • Verarbeitung durch Humor oder Kreativität

bei Zusammenbruch der jeweiligen Verarbeitung resultieren:

Depression, Selbstzerstörung, Suizid, Sucht, Abhängigkeit

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7
Q
  • Frühe Phase der Selbstobjektdifferenzierung.
A

Das verlorene Objekt hat mehr den Charakter des Medialen, Atmosphärischen, des Teilobjekts.
Das frühverlassene oder zu wenig geförderte Selbst will beim Objekt in medialer Gestalt Ruhe finden, sich sicher fühlen, körperlich entspannen, Unlust und Schmerzen an das starke beruhigende Objekt abgeben können, Harmonie erleben.

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8
Q
  • Reifere Phase der Selbstobjektdifferenzierung
A

Das verlorene Objekt hat mehr den Charakter eines personalen Gesamtobjekts.
Das frühverlassene Objekt ersehnt Geborgenheit, Fülle, Sicherheit, Sättigung, Lebendigkeit, Selbstwert durch die Nähe des wichtigen Objektes, das nun personale Züge hat.

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9
Q

intra-psychische Dynamik: Objektverlangen und Bedürfnisunterdrückung

A

Objektverlangen:
- Starkes Verlangen nach einem Idealobjekt, dieses haben wollen und das verlangen ausdrücken dürfen, durch ggf. Fordern, Einklagen, Klammern

Bedürfnisunterdrückung:
- Unmöglichkeit oder Verbot sich mit der eigenen Bedürftigkeit an das Idealobjekt zu wenden –> Bedürfnis muss unterdrückt werden, mitsamt den dazugehörigen Affekten

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10
Q

inter-personelle Dynamik: Sehnsucht nach dem idealisierten Anderen und Verinnerlichte enttäuschte Erfahrung

A

Sehnsucht nach dem idealisierten Anderen
- Bedürfnis, ein ideales Objekt zur Verfügung zu haben, das Objekt. ganz zu haben

Verinnerlichte enttäuschte Erfahrung
- dass der andere Unerreichbar bleibt, deshalb Impulse auftauchende Objekte zu entwerten und entstehende Beziehungen zu zerstören
ODER
- dieselbe Person - da unerreichbar - als negatives Objekt zu entwerten oder zu beschädigen

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11
Q

Das selbst hat weniger vom Objekt als es braucht oder es braucht mehr als es bekommen kann
Drei „Grundkomponenten“ des depressiven Grundkonflikts

A

 Objektsehnsucht (objektal und medial)
 Objektenttäuschung
 Verzweiflung des Selbst

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12
Q

Diese Aufgliederung ist letztlich künstlich; das Erleben
ist das Ganzheitliche einer Beziehungsgestalt:

A

Das Subjekt wendet sich mit basalen Bedürfnissen
an das Objekt, fühlt sich abgewiesen oder verlassen und reagiert mit schmerzlicher Enttäuschung.

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13
Q

Auswirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung
Für das psychoanalytische Vorgehen ist es charak- teristisch, äußerlich sichtbare klinische Phäno- mene auf ….. hin zu untersuchen.Das be- inhaltet stets auch?

A

Für das psychoanalytische Vorgehen ist es charak- teristisch, äußerlich sichtbare klinische Phäno- mene auf ihren unbewussten psychodynamischen Hintergrund und auf ihre psychogenetische Ent- wicklungsgeschichte hin zu untersuchen. Das be- inhaltet stets auch einen gewissen Reduktionis- mus, da sehr unterschiedliches Geschehen auf die gleichen Grundprinzipien oder Grundkonflikte zurückgeführt werden.

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14
Q

Im klassischen psychoanalytischen Modell resul- tierte die Konfliktspannung aus der Tatsache, dass?
In dem beschriebenen beziehungspsychologi- schen Modell entspringt die Konfliktspannung aus?

A

Im klassischen psychoanalytischen Modell resul- tierte die Konfliktspannung aus der Tatsache, dass ein zentral wichtiger Triebwunsch unerfüllt blieb und verdrängt wurde, weil seine Befriedigung ver- boten, tabuiert oder mit Strafandrohungen belegt war. In dem beschriebenen beziehungspsychologi- schen Modell entspringt die Konfliktspannung aus dem Widerstreit entgegengesetzter Beziehungs- wünsche und den jeweils damit verbundenen Risi- ken der Enttäuschung, Kränkung oder Bedrohung des Selbst durch die Objekte.

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15
Q

Was sind die Ursachen, die unter einer Belastungssituation des Erwachse- nenlebens zusammenbrechen und die Symptom- bildung einleiten.

A

Es sind diese Bewältigungsformen, die unter einer Belastungssituation des Erwachse- nenlebens zusammenbrechen und die Symptom- bildung einleiten.

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16
Q

Psychodynamisch wesentlich sind der Spannungs- zustand zwischen?

A

Psychodynamisch wesentlich sind der Spannungs- zustand zwischen einer frühen, verloren gegange- nen Intention der depressiven Objektsehnsucht, einer frühen emotional belastenden Erfahrung mit dieser Intention, die depressive Objektenttäu- schung und der Bewältigungsstil, mit dessen Hilfe ein Kompromiss gefunden wurde, der dem Selbst eine gewisse Autonomie und einen gewissen Wert zuweist und der einen bestimmten Umgang mit den Objekten ermöglicht.

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17
Q

Eine große Bedeutung für das Verständnis des Krankheitsgeschehens ist das Modell der?

A

Eine große Bedeutung für das Verständnis des Krankheitsgeschehens ist das Modell der Verarbeitung des frühen Grund- konflikts. Es sind die Bewältigungsformen, die unter einer Belastungssituation des erwachsenen Lebens zusammenbrechen und die Symptombil- dung einleiten.

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18
Q

Frühe Entwicklungsstufen des Selbst und der Objektbeziehungen: Was führt zur Störung?

A

Was zur Störung führt, ist ganz allgemein gesprochen ein mangelndes Zueinanderpassen des kindlichen Selbst und seines erwachsenen Objekts:

Das Selbst hat weniger vom Objekt als es braucht, oder es braucht mehr als es bekommen kann.

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19
Q

Ob ein Säugling durch die Alkoholabhängigkeit oder die psychische Erkrankung seiner Eltern nicht angemessen versorgt werden kann, ob äußere soziale und ökonomische Notfälle seine Betreuung erschweren, ob Krankheit des Kindes oder Miss- handlungen durch die Eltern die Ursache der frü- hen Beziehungsstörung abgeben, stets sind die Auswirkungen für das noch unreife Selbst des Kin-des und seine Objektvorstellungen kategorial die gleichen: Es resultiert?

A

Es resultiert ein Defizit an Sicherheit des Selbst in der Bindung an wichtige Objekte

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20
Q

Zunächst erscheint es sinnvoll, zu unterschei- den, ob die Störung in einer frühen oder einer rei- feren Phase der Selbst-Objekt-Differenzierung ein- gewirkt hat. So können wir zwei Ausgestaltungen des depressiven Grundkonflikts unterscheiden, je nachdem, ob

A

das verlorene Objekt mehr den Cha- rakter des Medialen, Atmosphärischen, des Teil- objekts oder den Charakter des personalen Ge- samtobjekts aufweist

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21
Q

In welchem Verhältnis stehen der Grundkonflikt der Nähe und der depressive Grundkonflikt?

A

Das Einschwingen in eine tragfähige Beziehung ist die Entwicklungsaufgabe der ersten Lebensmo- nate. Der Aufbau einer personalen Objektreprä- sentanz stellt das Entwicklungsziel des ersten Lebensjahres dar. Es handelt sich somit um zwei eng miteinander verwobene Entwicklungsstufen der frühen Objektbeziehung. Der Grundkonflikt der Nähe betont die Aspekte Kommunikation, Bezogenheit, Näheerleben, Miteinandersein. Der depressive Grundkonflikt zentriert auf Geborgen- heit, Versorgung, Sicherheit, Tröstung durch ein Objekt, das dem bedürftigen Selbst verlässlich zur Verfügung steht.

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22
Q

Frühe Entwicklungsstufen des Selbst und der Objektbeziehungen: (6)

A
  1. Noch weitgehend ungetrennt sind Ich und Nicht-Ich, Selbst und Objekt, Innen und Außen. Die frühen Vorformen von Selbst und Objekt werden noch nicht objekthaft, sondern als Medium erlebt, d. h. grenzenlos, zeitlos, atmosphärisch, verschmolzen.
  2. Frühe Selbst-Objekt-Differenzierung:
    In der medialen Einheit werden erste Konturen von Selbst und Objekt erlernbar.
  3. Fortgeschrittene Selbst-Objekt-Differenzierung:
    Selbst und Objekt werden als getrennt erlebt, doch erfährt das Selbst Geborgenheit, Sicherheit und Lebendigkeit durch die Nähe des Objekts.
  4. Beginnende Autonomiephase:
    Das Selbst erprobt seine Eigenständigkeit durch Entfernung von dem Objekt und Wiederannäherung.
  5. Höhepunkt der Autonomiephase:
    „Ich kann, was ich will“; das Selbst im Hochgefühl seiner motorischen, sprachlichen und denkerischen Fähigkeiten, in Identifikation und Aus- einandersetzung mit dem ebenso großartigen Objekt.
  6. Das Selbst verfügt über eine psychosexuell und sozial eindeutige Iden- tität; aus dieser Position heraus vollzieht es seine Bindungen von und Identifizierungen mit den gleich- und gegengeschlechtlichen Personen seines familiären Beziehungssystems (reife Triangulierung)
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23
Q

Depressiver Grundkonflikt MEDIAL

A
  • Das früh verlassene oder zu wenig geförderte Selbst erlebt sich als schutzlos, verletzlich, ausgeliefert, bedroht, erregt, verwirrt; es ersehnt das frühe gute Objekt in seiner medialen Gestalt, d.h. weniger personifi- ziert als atmosphärisch; es will dort Ruhe finden, sich sicher fühlen, körperlich entspannt, Unlust und Schmerzen an das starke beruhigende Objekt abgeben können, Harmonie erleben.
  • Von besonde- rer Bedeutung ist dabei die orale Tönung des Erle- bens.
  • Vom erwachsenen Menschen werden diese auf eine frühe Erlebniswelt gerichteten Bedürf- nisse als unerfüllbar abgewehrt und verdrängt; die frühe Verzweiflung und Erregung bleibt gleichfalls in unbewussten Erinnerungsspuren erhalten. Die Art der Abwehr und das Gemisch von früher Ob- jektsehnsucht und objektbezogener Verzweiflung bestimmen das spätere klinische Bild.
  • Freilich ste- hen die frühen Objekte nicht nur für das Bedürfnis, ihnen nahe zu sein und von ihnen versorgt zu wer- den. Die spezifischen Interaktionen zwischen dem Baby und seinen Betreuungspersonen sind zu- gleich die Grundlage der strukturellen Entwick- lung, d.h. der Entfaltung der Affektivität, des Affektausdrucks, der Affektregulierung und der frühen Kommunikation.
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24
Q

Depressiver Grundkonflikt OBJEKTAL

A
  • Das zu früh verlassene oder zu wenig geförderte oder unvollständig vom Objekt gelöste Selbst erlebt sich als leer, unlebendig, unwert; es ersehnt Geborgen- heit, Fülle, Sicherheit, Sättigung, Lebendigkeit, Selbstwert durch die Nähe des wichtigen Objektes, das nun personale Züge hat.
  • Objektbedürftigkeit und Objektsuche haben den Charakter des Objekt- hungers; daneben existiert der verzweifelt hilflose Hass gegen das enttäuschende Objekt. Beim erwachsenen Menschen werden diese auf eine frühe Erlebniswelt bezogenen Bedürfnisse auf vielfältige Weise abgewehrt.
  • Die Art der Abwehr und das Gemisch von depressiver Objektsuche und Objektenttäuschung bestimmen das spätere kli- nische Bild. Auch hier spielt der Aufbau strukturel- ler Funktionen in der frühen emotionalen Bindung eine maßgebliche Rolle für die Persönlichkeitsent- wicklung bzw. für eventuell spätere strukturelle Störungen.
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25
Q

Familienerfahrungen. In einem empirischen Ver- gleich von depressiven Patienten mit Gesunden (Söldner 1994) werden die depressiven Patienten durch folgende Familienerfahrungen charakteri-siert, die zusammengenommen das Nicht-zu- einander-Finden von Kind und Eltern im Sinne einer tragfähigen emotionalen Bindung beschrei- ben:

A

● von der Mutter nicht erwünscht
● Mutter kühl, lieblos, zurückweisend
● mangelnde Toleranz/Resonanz von Mutter und
Vater bei kindlichen Äußerungen
● Mutter und Vater beschäftigen sich nicht spiele-
risch/anregend mit Patient
● mangelndes Verständnis/Eingehen auf die kind-
liche Welt
● Patient erlebt gemeinsame familiäre Unterneh-
mungen als unangenehm
● Mutter hat häufig keine Zeit für Patient
mangelndes Verständnis des Vaters bei Kummer
● in der Familie kein Austausch von Zärtlichkeit
● Patient vermisst generell Zärtlichkeit
● Patient hat Sehnsucht nach mehr Zärtlichkeit
von der Mutter
mangelnde Geborgenheit/liebevolle Zuwendung
● Eltern in der Erziehung uneinig
von Mutter und Vater generell nicht anerkannt
● von Mutter und Vater nicht anerkannt wegen
Angepasstheit/Unauffälligkeit
● von Vater nicht gelobt wegen Leistungen/Intelli-
genz
● Vater fördert nur bestimmte Fähigkeiten/Leis-
tungen des Patienten
● Ehe der Eltern nicht gut
● Eltern in ihrem Wesen erheblich voneinander
verschieden
● Angst vor Mutter und/oder Vater
● strebt von daheim fort, läuft öfter weg
sehr verschlossen, erzählt spontan kaum etwas
● Patient bewundert nicht Vaters Intelligenz/Wis-sen/Fähigkeit
Patient zeigt nicht direkt seine Wut bei Strafen
● bei Kontaktaufnahme mit anderen Kindernscheu, gehemmt
● Tagträume handeln nicht von Freiheit/Aben-
teuer/Selbstständigkeit

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26
Q

Auswirkungen auf das Leben des Erwachsenen: Anfangspunkt der psychischen Entwicklungsprozesse und anschließendes Hauptaugenmerk

A

In unserer Darstel- lung markieren wir gewissermaßen den Anfangs- punkt und den aktuellen Endpunkt einer Entwick- lung. Den Anfangspunkt bildet die früh erworbene depressive Disposition mit ihren im Unbewussten dynamisch wirksam bleibenden Bedürfnissen und Affekten. Wir richten das Hauptaugenmerk dann jedoch auf die individuell sehr unterschiedlichen Möglichkeiten der weiteren Entwicklung, in wel- cher der einzelne Mensch seine frühen Bezie- hungserfahrungen verarbeitet.

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27
Q

Beide Aspekte gemeinsam bilden den psycho- dynamisch wichtigen Befund: Im Vordergrund steht:

A

Beide Aspekte gemeinsam bilden den psycho- dynamisch wichtigen Befund: Im Vordergrund steht ein spezifischer Lebensstil im Umgang mit den Objekten und dem Erleben des Selbst; diesen Stil verstehen wir als Antwort, als Verarbeitung oder Bewältigung eines frühen Konflikts, der in der diagnostischen Begegnung mit dem Patienten zunächst nur in Umrissen erkennbar ist, der sich aber dann in der therapeutischen Bearbeitung deutlich offenbart.

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28
Q

Objektsehnsucht: Die psychodynamische Gemein- samkeit aller Störungen dieser Gruppe

A

Die psychodynamische Gemein- samkeit aller Störungen dieser Gruppe, auch wenn sie unterschiedliche klinische Bilder ausprägen, ist die Sehnsucht nach dem frühen wichtigen Objekt, sei es in einer eher medialen oder objektalen Gestalt.

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29
Q

Objektsehnsucht im objektalen Sinne: Was für eine Person wird gesucht und welche Aufgaben hat sie zu erfüllen?

A

Im objektalen Sinne wird eine Person gesucht, die dem Selbst alles Gute bringt, die es liebt, bestä- tigt, bewundert, seine Wünsche erfüllt, ihm Sicherheit und Geborgenheit schenkt und ihm zugleich autonomes, auch egoistisches Handeln gestattet. Aufgabe des guten Objekts ist es nicht nur, dem Selbst das Gute zur Verfügung zu stellen, sondern auch das Negative, das in ihm aufkommt – körperliche Unlust, Erregung, Schmerz, Verzweif- lung, Angst – verlässlich aufzufangen, auszuhalten, zu besänftigen und es damit für das wenig tragfä- hige Selbst erträglich zu machen. Durch die har- monische Gemeinsamkeit mit einem solchen Men- schen erhofft er sich Glück und Zufriedenheit, aus der Sicherheit des Geliebt- und Bewundertwer- dens sollen sein Selbstwertgefühl und seine Lebendigkeit gespeist werden.

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30
Q

Objektsehnsucht im medialen Sinne:

A

Ist das gesuchte frühe Objekt noch nicht personifiziert, sondern eher medial-atmosphärisch, dann gewinnen die ersehnten Personen übermenschliche Züge (ein Gott, eine Göttin, ein Engel, eine gute Fee usw.), oder es wird „etwas“ ersehnt, das sich schwer in Worte fassen lässt – das Glück, die Erfüllung, die Erlösung, das absolut Gute.

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31
Q

Objektsehnsucht: Es liegt auf der Hand, dass auf der Suche nach solchen Idealen eher Enttäuschungen als Erfüllun- gen erreicht werden, ist doch bereits die Aus- gangssituation dieser Entwicklung die Enttäu- schung am frühen Objekt gewesen:

A

Das frühe Objekt war – aus welchen Gründen auch immer – nicht verfügbar, äußerlich oder innerlich abwe- send, außerstande, in jene frühe Form der Kom- munikation einzutreten, die das Neugeborene oder Kleinkind benötigt hätte, um ein sicheres Gefühl zu bekommen für die Existenz und kom- munikative Kompetenz seiner Selbst, für die Exis- tenz und zuverlässig liebevolle Zugewandtheit des guten Objekts und für die Erfahrung, dass Unlust und schmerzliche Verzweif lung von einem starken Objekt aufgefangen und getragen werden.

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32
Q

Objektenttäuschung.

A

Die Enttäuschung am Objekt ist somit neben der Sehnsucht nach dem Objekt die zweite gemeinsame Grundlinie. In der Enttäuschung mischen sich Trauer und Wut zu einem zählebigen Affekt; Anklage und Vorwurf, Hass und Racheimpulse, Bereitschaft zu Erregung und destruktiver Aggressivität gehören zu seinen Bestandteilen ebenso wie die Trauer über das Verlassensein, das Zu-kurz-gekommen-Sein, das Nicht-genug-Bekommen. Erregung und Verzweif- lung, die von keinem guten Objekt aufgefangen wurden, blieben unverarbeitet und „unverdaut“.

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33
Q

Verzweiflung des Selbst. Die dritte Gemein- samkeit betrifft die Verzweiflung des Selbst, das sich mit massiven Zweifeln plagt:

A

Zweifel am eige- nen Wert, vor allem an seiner Liebenswertheit, am Wert seiner Leistung und all seines Tuns. Daneben stehen Gefühle der Nichtigkeit, der Leere, Kälte, Unlebendigkeit, Unechtheit sowie das Erleben, von inneren und äußeren Ereignissen überrollt und aus dem Gleichgewicht geworfen zu werden, die Selbstkontrolle zu verlieren, aufkommende nega- tive Gefühle der Gekränktheit, der Missstimmung, des Ärgers, der Verzweiflung, des Alleinseins nicht aushalten zu können. Auch dieser Bereich wird nicht in voller Breite bewusst erlebt, sondern ist unter einer mehr oder weniger haltbaren Verdrän- gungsdecke verborgen.

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34
Q

Ausgehend von der Situation, dass das bedürftige Selbst in seiner Objektsuche enttäuscht und mit sei- nen negativen Affekten allein gelassen ist, sind un- terschiedliche Persönlichkeitsentwicklungen denk- bar, die später zu unterschiedlichen Störungen führen; oder umgekehrt formuliert:

A

Wir können viele Störungen des Erwachsenen auf diese eine frühkindliche Ausgangssituation zurückbeziehen. Freilich lassen sich nicht nur Störungen auf diese Thematik münzen; die Sehnsucht nach dem ver- lorenen guten Objekt ist den meisten Menschen bekannt. Darüber hinaus bedeuten viele Ausnah- mezustände des Lebens – von der Verliebtheit bis zum faszinierenden Naturerlebnis – so etwas wie die Begegnung mit dem frühen Objekt; es sind Zustände, die als regressiv bezeichnet werden, ohne dass damit eine Wertung vorgenommen wird, denn ohne den Rhythmus von Progression und Regression ist eine persönliche Reifungs-entwicklung nicht denkbar. Vor allem im Zusam- menhang mit Prozessen der Kreativität spielt das vorübergehende Eintauchen in regressive Erlebnis- welten eine wichtige Rolle.

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35
Q

Wie bei allen klinischen Themen stehen wir auch bei den frühen Objektbeziehungen und ihren Störungen vor einem Kontinuum, das vom alltäg- lich Normalen bis zum schwer Gestörten reicht. Die beiden Extrempunkte lassen sich leicht aus- machen, die Grenze zwischen beiden muss zwangs- läufig …. bleiben.

A

Wie bei allen klinischen Themen stehen wir auch bei den frühen Objektbeziehungen und ihren Störungen vor einem Kontinuum, das vom alltäg- lich Normalen bis zum schwer Gestörten reicht. Die beiden Extrempunkte lassen sich leicht aus- machen, die Grenze zwischen beiden muss zwangs- läufig unscharf bleiben.

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36
Q

Zusammenspiel von Konflikt und Struktur: Konfliktaspekte: Woher entnimmt der depressive Grundkonflikt seine motivatonale Kraft?

A

Ganz offensichtlich handelt es sich beim depressiven Grundkonflikt nicht um einen typischen neurotischen Konflikt, der sich innerhalb einer ausgereiften Persönlichkeitsstruk- tur unbewusst zwischen verschiedenen Substruk- turen zugespitzt hat (z. B. zwischen Triebimpulsen und einer Über-Ich-gesteuerten Abwehr).

Der depressive Grundkonflikt entnimmt seine motiva- tionale Kraft nicht aus einer Triebregung, sondern aus einem interpersonellen Bedürfnis, nämlich dem Wunsch nach Geborgenheit, Nähe, Aufgeho- bensein bei einem starken Objekt.

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37
Q

Zusammenspiel von Konflikt und Struktur: Konfliktaspekte: Die Konfliktpole bestehen zwischen:

A

Die Konfliktpole bestehen zwischen dem Wunsch einerseits, das abwesende oder verloren gegan- gene Objekt durch Klagen umzustimmen und zurückzugewinnen, und auf der anderen Seite dem Verbot, der Unmöglichkeit oder Aussichtslosig- keit, einen solchen Klageappell artikulieren zu dürfen. Die Videofilme der Bindungsforscher ma- chen unübersehbar deutlich, wie das kleine Kind die Suche nach und die Klage um das verlorene Objekt unter bestimmten Umständen beiseite zu schieben lernt und an die Stelle dieser Eindeutig- keit eine ambivalente oder ängstlich-vermeidende Objektorientierung entwickelt.

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38
Q

Was ist konflikthaft am depressiven Grundkonflikt?

A

Dem starken Verlangen nach dem Idealobjekt durch Fordern. Einklagen, Klammern Ausdruck verleihen

VERSUS

Unmöglichkeit oder Verbot sich mit der eigenen Bedürftigkeit an das Idealobjekt zu wenden

und

Bedürfnis ein ideales Objekt zur Verfügung zu haben

VERSUS

Impulse, auftauchende Objekte zu entwerten und entstehende Beziehung zu zerstören

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39
Q

Konfliktkerne des depressivem Grundkonflikts

A
  1. Das Objektverlangen haben und ausdrücken zu dürfen versus dieses Bedürfnis unterdrücken zu müssen mitsamt den zugehörigen Affekten, dieses Themas bildet einen Konfliktkern des depressiven Grundkonflikts.
  2. Ein zweiter Konfliktaspekt resultiert aus der Tat- sache, dass auf der einen Seite die Sehnsucht nach dem idealisierten wichtigen anderen existiert (die Sehnsucht, im anderen Erlösung, Erfüllung, Gebor- genheit, Bestätigung, Beruhigung etc. zu erfahren) und dass auf der anderen Seite sich die enttäu- schende Erfahrung etabliert hat, dass der andere unerreichbar bleibt, woraus einerseits Trauer und Verlassenheitsempfindung und andererseits ag- gressiv entwertende und vorwurfsvolle Impulse resultieren.
    Dieser zweite Konfliktaspekt stellt einen Ambivalenzkonflikt dar zwischen dem Wunsch, das gute Objekt ganz zu haben und dieselbe Person – da unerreichbar – als negatives Objekt zu ent- werten oder zu beschädigen.
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40
Q

Wenn der erstgenannte Konfliktanteil für die intrapsychische Dynamik, d. h. für das subjektive Erleben, von besonderer Bedeutung ist, so ist der zweite Aspekt für die interpersonelle Dynamik, d. h. für das Beziehungsverhalten ausschlaggebend. Hier liegen einander ausschließende Einstellungen dicht nebeneinander, die geeignet sind, Beziehun- gen dysfunktional zu gestalten:

A

Suche nach Gebor- genheit und Vorwegnahme des Verlassenwerdens, Zuneigung und Entwertung, Hoffnung und Hoff- nungslosigkeit.

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41
Q

Struktureller Aspekt: Die Art und Weise, wie die Objektvorstellungen gestaltet sind, verweist, um in OPD-Begriffen zu sprechen, auf ein mäßig oder gering integriertes Strukturniveau. Das Bild des Gegenübers ist schwarz-weiß gezeichnet:

A

Es be-steht die Hoffnung, dass die anderen sich als mäch- tige Helfer erweisen, die in eine dyadisch-wohl- wollende Beziehung zum Patienten eintreten. Dem steht die enttäuschende Gewissheit gegenüber, die anderen interessieren sich nicht, sie wenden sich ab, bleiben unerreichbar. Eine empathische Einfüh- lung in den anderen gibt es kaum, so wenig wie es im Erleben des Patienten andere gibt, die sich ihm wirklich verstehend annähern.

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42
Q

Struktureller Aspekt: Objektbezogene Af- fekte, die auf innere Verbundenheit hinweisen wie Dankbarkeit, Fürsorglichkeit, Trauer bestehen nur gering ausgeprägt. Entsprechend schwierig ist:
Dies führt zu:

A

Objektbezogene Af- fekte, die auf innere Verbundenheit hinweisen wie Dankbarkeit, Fürsorglichkeit, Trauer bestehen nur gering ausgeprägt. Entsprechend schwierig ist die Verständigung mit anderen gestaltet. Der reflektierte Einblick in das eigene Ich ist erschwert, die Bandbreite der eigenen Affekte erscheint gering, die Leitaffekte von Kränkung und Enttäuschung scheinen alles zu überfluten. Heftige Impulse lassen sich nur schwer ins eigene Ich integrieren. Aggressivität erscheint in Gestalt von Autoaggression oder Angegriffenwerden durch feindselige andere.

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43
Q

Verbindung von Konflikt und Struktur: So lässt sich anhand des depressiven Grundkonflikts die in der Arbeitsgruppe OPD oft gestellte Frage beantworten, auf welche Weise Konflikt und Struktur miteinander verwoben sind:

Auf einer frühen Ebene, in der das Bild vom anderen noch nicht objekthaft gestaltet, sondern medial ist, um welchen Konflikt könnte es sich da handeln?

Was bedeutet der Verlust dieses medialen Objektes?

A

Auf einer frühen Ebene, in der das Bild vom anderen noch nicht objekthaft gestaltet, sondern medial ist, dürfte es sich im OPD-Sinne um einen Individua- tions-Abhängigkeits-Konflikt handeln. Hier ist der andere derart wichtig, dass er über die Existenz und die Existenzberechtigung des Selbst entscheidet.

Der Verlust dieses medialen Objekts bedeutet den Verlust von Beziehung schlechthin, auch den Verlust der Beziehung zum eigenen Selbst. Auf einer reiferen Stufe der Objektkonstituierung dür- fen wir im OPD-Sinne einen Versorgungs-Autarkie- Konflikt annehmen. Hier ist das Gegenüber deut- lich objektal gestaltet. Es geht nicht um die Bezie- hung schlechthin, sondern um die Verfügbarkeit des versorgenden Objekts bzw. die betonte Unab-hängigkeit von solchen Versorgungsansprüchen

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44
Q

Der depressive Grundkonflikt beschreibt im Sinne des OPD-Systems Aspekte der beiden Konflikte:

A

Der depressive Grundkonflikt beschreibt im Sinne des OPD-Systems Aspekte der beiden Konflikte Abhängigkeit/Autonomie und Versor- gung/Autarkie in Verbindung mit strukturellen Auffälligkeiten (mäßig bis gering integriertes Strukturniveau).

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45
Q

Verarbeitung
▶ Enttäuschung:

A

Um eine Ord- nung der klinischen Bilder erstellen zu können, ist es erforderlich, zwei Aspekte zu beachten. Der erste Aspekt betrifft die relative Reife der frühen Objektbeziehung. Es ist zu unterscheiden, ob die Struktur des Objekts mehr objektal oder mehr medial erscheint und ob die Struktur des Selbst bereits konsolidiert oder noch nicht sicher abge- grenzt, verletzlich, schutzlos ist. Entsprechend unterschiedlich sind die objektgerichteten Sehn- süchte und die Affekte im Zusammenhang mit der Enttäuschung.

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46
Q

Verarbeitung
▶ Selbstheilung:

A

Der zweite Aspekt betrifft die Folgeentwicklun- gen. Der depressive Grundkonflikt tritt in der oben beschriebenen Form so gut wie niemals offen zu- tage. Er ist dem bewussten Erleben nicht zugäng- lich, weil Erinnerungen an derart frühe Entwick- lungsstufen kaum als Bilder und erst recht nicht in Sprachsymbolen repräsentiert sind; es handelt sich, wie in der Therapie ersichtlich wird, um kör- pernahe affektive, atmosphärisch nonverbale Ge- stimmtheiten und Bedürftigkeiten, die ihrerseits durch Abwehr beiseite gehalten sind. Was sich aber gut beobachten lässt, ist die Persönlichkeits- entwicklung, die als Verarbeitung des frühen Kon- flikts stattgefunden hat. Angesichts der problema- tischen frühen Erfahrungen, die das Selbst mit den Objekten gemacht hat, entwickelt es einen be- stimmten Stil der Selbstorganisation und des Umgangs mit den Objekten.

Diese Verarbeitung stellt gewissermaßen einen Selbstheilungsversuch dar. Nach der frühen Trau- matisierung galt es, die zentralen Persönlichkeits- bereiche zu stabilisieren: Das zu früh verlassene und dadurch verunsicherte und gekränkte Selbst musste Wege suchen, seine eigenständige Existenz und seinen Wert zu sichern; in der Beziehung zu den Objekten musste das Selbst angesichts wider- sprüchlicher Einstellungen – starker Sehnsüchteund gleichzeitiger Angst sowie Enttäuschung ge- genüber den Objekten – einen gangbaren Bezie- hungsmodus entwickeln. Allerdings ist es schwer möglich, beiden Zielen gleichzeitig in vollem Um- fang gerecht zu werden; eine befriedigende Lösung auf der einen Seite wird Einschränkungen auf der anderen Seite mit sich bringen (Beispiel: enge Objektbindung zu Lasten der Selbstständig- keit oder forcierte Unabhängigkeit durch Verzicht auf Objektnähe).

47
Q

Verarbeitungsformen. Die unterschiedlichen Formen der Verarbeitung des depressiven Grundkonfliktes sind es, die:

A

Die unterschiedlichen Formen der Verarbeitung des depressiven Grundkonfliktes sind es, die das subjektive Erleben und das sichtbare Verhalten prägen und die in ihrer Konstanz als Charakterhal- tungen imponieren. Sie sind gleich bedeutend mit der prämorbiden Persönlichkeitsstruktur, können jedoch in bestimmten Ausprägungen als subjektiv- leidvoll erlebt werden und damit Symptomwert besitzen.

48
Q

▶ Zusammenbruch der Bewältigung. Die eigent- liche Erkrankung resultiert dann, wenn:
Die vom Ich ausgehenden Ver- arbeitungsweisen (die Abwehr oder die Bewälti- gung) bestimmen:
Diese Unterscheidung hat wichtige therapeutische Konsequenzen:

A

Die eigent- liche Erkrankung resultiert dann, wenn die Ver- arbeitung nicht mehr aufrechterhalten werden kann und zusammenbricht. Hier ist es wie bei allen Neurosen: Die vom Ich ausgehenden Ver- arbeitungsweisen (die Abwehr oder die Bewälti- gung) bestimmen die Form des klinischen Bildes, während der zugrunde liegende Konflikt (in die- sem Fall die enttäuschte Objektsuche) das Material dazu liefert. Diese Unterscheidung hat wichtige therapeutische Konsequenzen: Das therapeutische Verständnis für die Psychodynamik bezieht sich auf den Grundkonflikt, wie er aus der Lebens- geschichte des Patienten sichtbar und in der Über- tragungs-Gegenübertragungs-Beziehung aktuali- siert wird; der praktische therapeutische Ansatz jedoch wendet sich zunächst an den Verarbei- tungsstil, also an das Ich, weil hier die kreativen Kräfte der Persönlichkeit entwickelt und einge- setzt wurden. Erst später im Therapieverlauf rich- ten sich die Interventionen auch auf die Themen des Grundkonflikts.

49
Q

Kann eine Person mehrere Formen der Verarbeitung erkennen lassen?

A

Ja

50
Q

Altruistische Verarbeitung
- ▶ Charakteristika.

A

Auf relativ hohem Funktions- niveau, d. h. mit vergleichsweise reifen Selbst- und Objektvorstellungen, wird in dieser Bewältigungs- form der depressiven Gefahr des Alleingelassen- werdens und Wertlosseins begegnet.

  • Dieser Modus spielt deshalb eine besondere Rolle, weil er in der sozialen Bewertung als eindeutig positiv erscheint; es handelt sich um Menschen, die sich in verantwortungsvoller und pflichtbewusster Weise um die ihnen Nahestehenden – Partner,Kinder, Angehörige, Freunde – kümmern und dabei eigene Interessen und Bedürfnisse weit- gehend zurückstellen.

Ihre altruistische Hilfs- bereitschaft, ihre Sorge und Aufmerksamkeit für andere, das Sich-verantwortlich-Fühlen für deren Wohlergehen reicht jedoch, wie das Präfix „über“- (fürsorglich) andeuten soll, über die mittlere Norm guter Eltern oder treu sorgender Ehegatten hinaus.

51
Q

Altruistische Verarbeitung: Die Sorge um den anderen hat keine Entspre- chung in der Sorge um sich selbst, das Altruistische reicht bis zur?
Das wird erst recht deutlich, wenn wir die Aggressionsverarbeitung betrachten:

A

Die Sorge um den anderen hat keine Entspre- chung in der Sorge um sich selbst, das Altruistische reicht bis zur Selbstverleugnung und Selbstaufopfe- rung und lässt darin neurotische Züge erkennen.

Diese werden erst recht deutlich, wenn wir die Aggressionsverarbeitung betrachten: Die Verpflich- tung, gut und fürsorglich zu sein, schließt aggres- sive Fantasien und Handlungen gegen andere aus; Befürchtungen, sich egoistisch oder gar feindselig verhalten zu halten, mobilisieren Schuldgefühle, Selbstvorwürfe und Wiedergutmachungshandlun- gen. Stets herrscht das Bemühen, das Beziehungs- klima harmonisch, liebevoll und freundlich zu ge- stalten (was freilich auf Dauer nicht immer gelingen kann).

52
Q

Altruistische Verarbeitung: Strenges Über Ich und zwanghafte Seite:

A

Hinter alledem ist eine deutlich zwanghafte Seite und ein strenges Über-Ich zu erkennen. Intrapsychisch herrscht ein strenges „Du-musst“ oder „Du-darfst-nicht“; aber auch die zwischen- menschlichen Beziehungen werden mit einer gewissen Rigidität geregelt und kontrolliert: Alles hat seine gute Ordnung.

53
Q

Altruistische Verarbeitung: Neurosenpsychologisch ließe sich sagen, dass die depressive Thematik zwanghaft bewältigt wird. Dabei werden die zentralen Themen des depressiven Grundkonflikts teils abgewehrt, teils kompromisshaft befriedigt:

A

Neurosenpsychologisch ließe sich sagen, dass die depressive Thematik zwanghaft bewältigt wird. Dabei werden die zentralen Themen des
depressiven Grundkonflikts teils abgewehrt, teils kompromisshaft befriedigt: Die ersehnte, posi- tive und konstante Objektbeziehung wird erreicht, wenngleich unter großen eigenen Anstrengun- gen und Verzichtsleistungen; alle Objektent-täuschungen und jegliche aggressiven Impulse werden aus der forciert liebevollen Beziehung herausgehalten oder durch Reaktionsbildung in Fürsorglichkeit verwandelt; die basalen Selbst- wertzweifel werden durch die neu erlangte Unentbehrlichkeit für andere ausgeglichen.

54
Q

Altruistische Verarbeitung: Paardynamische Betrachtung.

A

Sie zeigt, dass nicht immer das altruistisch-fürsorgliche Moment so deutlich im Vordergrund steht. Das Bemühen um garantierte Objektnähe kann auch zur anklam- mernden Bindung führen. Der Partner scheint geradezu ein Ersatz für das eigene, wenig entfal- tete Selbst, er hat das, was dem anderen fehlt; der Patient versucht als Teil seines Partners zu leben oder über ihn an wichtigen Bereichen des Lebens teilzunehmen. Die Bedürfnisse, die er selber nicht leben kann, projiziert er auf den anderen und identifiziert sich dort mit ihm.

55
Q

Altruistische Verarbeitung: Die anklammernde und identifikatorische Bin- dung kann vielleicht nach außen das Bild harmo- nischer Geschlossenheit vermitteln, innerhalb der Paarbeziehung können jedoch unterschwellige oder offene Spannungen herrschen:

A

Unter Umständen verschleiert der abhängige Teil seine Objektbe- dürftigkeit dadurch, dass er den Partner kritisiert, angreift, entwertet oder ihm seine Enttäuschun- gen anträgt, so dass der vermeintlich stärkere Teil sich angesichts der ihm angetragenen Mutterüber- tragung keineswegs in seiner Haut wohl fühlt; er ist seinerseits die Verbindung eingegangen in dem Versuch, selber stark zu sein für einen bedürftigen anderen und erlebt nun, dass er auf die Dauer nicht das gute, sondern das enttäuschende Objekt seines Partners darstellt. Daraus wird ersichtlich, dass seine Stärke nur geborgt war. Auch er hatte versucht, altruistisch für den anderen zur Ver- fügung zu stehen und seine eigene Bedürftigkeit zurückzustellen. In diesem Fall – der eher die Regel als die Ausnahme darstellt – partizipieren beide Partner am gleichen unbewussten Grundkonflikt.

56
Q

Altruistische Verarbeitung: Symptombildung: Die Symptombildung der al- truistisch überfürsorglichen Verarbeitung stellt eine Art Erschöpfungsreaktion dar:

A

Die oder der Betreffende hat immer alles für andere gegeben (und natürlich selbst nie etwas bekommen). Wenn es nun geschieht, dass die Kinder groß werden und aus dem Haus gehen, der Partner sich inner- lich distanziert, krank wird oder gar stirbt, oder wenn aus anderen Gründen die Rolle des unent- behrlichen Helfers nicht mehr erfüllt werden kann (z.B. im Falle eigener körperlicher Erkrankung), dann erfolgt eine Dekompensation, die für den Betreffenden selbst und für alle anderen überra- schend und unverständlich erscheint.

Derjenige, der jahrelang dafür bekannt war, dass er die Sor- gen aller anderen entgegennimmt und mit trägt, ist selber plötzlich stimmungsmäßig niederge- schlagen, hilflos am Weinen, körperlich erschöpft und ängstlich verzweifelt.

Derjenige, der bisher allen anderen zu helfen versuchte, erlebt nun die eigene Hilflosigkeit, versucht sie meist zu verber- gen und sie niemanden sehen zu lassen in der Vor- stellung, dass ihm doch niemand helfen kann. Es entwickelt sich also ein depressives Syndrom , gegen das der Erkrankte meist unter Selbstvorwürfen anzu- kämpfen versucht. Seine Bemühungen, sich zu- sammenzureißen und die Kontrolle über sich wie- derzugewinnen, sind unterhöhlt von resignativen Ohnmachtsgefühlen und gelegentlichen, oft müh- sam verborgenen Zusammenbrüchen der Affekt- kontrolle.

57
Q

Altruistische Verarbeitung: Angesichts der engen Objektverbundenheit des Patienten wundert es nicht, dass die Symptomatik auch bald ihre interaktionelle Wirkung entfaltet;

A

Angesichts der engen Objektverbundenheit des Patienten wundert es nicht, dass die Symptomatik auch bald ihre interaktionelle Wirkung entfaltet; die Angehörigen bringen dem Depressiven Rück- sicht und Anteilnahme entgegen und legen ihm nahe, sich zu schonen und zu erholen; die Fürsorg- lichkeit, die der Erkrankte früher den anderen zukommen ließ und die er nun selbst erfährt, erfüllt ihn zugleich mit Schuldgefühlen, weil er sich verpflichtet fühlt, anderen etwas zu geben, statt selbst etwas zu nehmen. Überhaupt spielt das Thema der Schuld und der Schuldzuweisung unter- schwellig eine wichtige Rolle in der interaktionel- len Atmosphäre.

58
Q

Altruistische Verarbeitung: Eine enge Objektbindung entwickelt sich auch vom Patienten an die behandelnden Ärzte, zumal dann, wenn sich Züge der Somatisierung in das depressive Geschehen mischen:

A

Zu den vitalen Beeinträchtigungen des Schlafens oder Essens kön- nen wechselnde funktionelle Organbeschwerden, Schmerzzustände oder ein Syndrom vegetativer Polysymptomatik und allgemeiner vegetativer Er- schöpfung hinzutreten.

59
Q

Altruistische Verarbeitung: Therapeutische Gesichtspunkte: Ähnlich verantwortungsbewusst, wie sie sich gegenüber ihren Familienangehörigen verhalten, arbeiten diese Patienten auch in der Psychotherapie sehr verlässlich mit, sie sind ko- operativ, umgänglich, dankbar und somit schein- bar die idealen Therapiepatienten. Wenn es trotz- dem bei fortgeschrittener Behandlung nicht recht weitergeht oder der Versuch der Therapiebeendi- gung auf Schwierigkeiten stößt, dann lässt sich das mit dem hier beschriebenen Konzept erklären:

A

Es reicht eben nicht aus, einem scheinbar altruisti- schen Menschen etwas gesunden Egoismus ver- mitteln, einem im engen Pflichtenkreis Lebenden zur Bewegungsfähigkeit und Autonomie verhelfen zu wollen, wenn sich dahinter unbewusste regres- sive Tendenzen der depressiven Objektsuche und niemals ausgesprochene Empfindungen der Objekt- enttäuschung, des Ärgers und der Wut verbergen.

60
Q

Altruistische Verarbeitung: Therapeutische Gesichtspunkte: Bei einem Teil der Patienten erweist sich dieser regressive Sog im Therapieverlauf als überra- schend stark. In immer neuen Symptomklagen und unterschwelligen Anklagen gegen enttäu- schende Partner und Mitmenschen verfallen sie in die Position des:

A

Bei einem Teil der Patienten erweist sich dieser regressive Sog im Therapieverlauf als überra- schend stark. In immer neuen Symptomklagen und unterschwelligen Anklagen gegen enttäu- schende Partner und Mitmenschen verfallen sie in die Position des Zu-kurz-Gekommenen und des Opfers, des Hilflosen, der nur klagen und anklagen kann und darin eine gewisse masochistisch ge- tönte Genugtuung erfährt.

61
Q

Altruistische Verarbeitung: Therapeutische Gesichtspunkte: Ein anderer Teil der Patienten mit einem ur- sprünglich altruistisch objektnahen Verarbeitungs- modus versucht gerade im Gegenteil, möglichst rasch wieder in eine starke Position zu gelangen:

A

Ein anderer Teil der Patienten mit einem ur- sprünglich altruistisch objektnahen Verarbeitungs- modus versucht gerade im Gegenteil, möglichst rasch wieder in eine starke Position zu gelangen. Er vermittelt in den initialen diagnostischen Kon- takten, dass eine kurze Zeit der Behandlung oder wenige Sitzungen ausreichen, um ihn wieder zur alten Autonomie und Stabilität zu verhelfen. Hier ist offenbar die Angst vor der Wiederbelebung alter Bedürftigkeit und Objektabhängigkeit so groß, dass sie mit Entschiedenheit abgewehrt wird. Ein Therapeut sollte diese Entscheidung akzeptieren und „mit der Abwehr gehen“, ohne den Patienten in die Richtung des Hinter-der- Abwehr-Liegenden drängen zu wollen.

62
Q

Narzisstische Verarbeitung
▶ Charakteristika.

A

Ein zweiter, ebenfalls auf rela- tiv hohem Funktionsniveau stattfindender Bewälti- gungsversuch der depressiven Objektabhängigkeit ist der Weg in die narzisstische Objektunabhängig- keit.

Das Selbst identifiziert sich mehr und mehr mit seinen eigenen Idealvorstellungen; es ent- wickelt den Anspruch, etwas Besonderes zu sein, sich aus der Masse herauszuheben, es schafft all- mählich eine Aura von Grandiosität und Exklusivi- tät und letztlich so etwas wie den Anspruch auf Allwissenheit und Allmächtigkeit.

Die meist nicht offen eingestandenen, aber doch unübersehbaren Größenansprüche färben das Verhältnis zu den Objekten. Einerseits wird von ihnen die laufende Zufuhr von Bewunderung und Anerkennung er- wartet, die als narzisstische Zufuhr die überhöhten Ansprüche des Selbstwerterlebens befriedigen und ständig anklingende Selbstwertzweifel beschwich- tigen sollen. Zum anderen werden die Objekte ha- bituell entwertet. Der Betreffende verachtet alles, was „menschelt“ („ich bin von lauter Idioten um- geben, es gibt so viel debiles Menschenmaterial auf der Welt, mit solchem Grobzeug will ich mich gar nicht erst abgeben“).

Der Narzisst schafft auf diese Weise eine Atmosphäre des kämpferischen Rivali- sierens. Stets geht es darum, wer etwas besserkann, wer es am besten macht, wer der Größte oder die Schönste ist.

63
Q

Narzisstische Verarbeitung: Auch Partnerbeziehungen können durch diese kämpferisch-rivalisierende Atmosphäre gekenn-zeichnet sein und dabei die Züge einer sadistisch- masochistischen Quälbeziehung entwickeln.

A

Die aggressiv-quälerische, das Objekt verletzende und erniedrigende Tendenz verfolgt nicht primär eineaggressive Triebbefriedigung, sondern steht im Dienst der narzisstischen Objektdistanzierung und Selbstaufwertung. Manchmal gelingt narzisstischen Partnern eine Stabilisierung ihrer Beziehung da- durch, dass sie sich gegenseitig narzisstisch stabi- lisieren: Bei dem „schönen Paar“ erlebt es der Ein- zelne als Selbstbestätigung, dass nicht nur er selbst attraktiv ist, sondern dass er sich mit einem ebenso attraktiven Partner schmücken kann.

64
Q

Narzisstische Verarbeitung: Narzisstische Strukturen bleiben so lange im Gleichgewicht, wie die Umwelt mitmacht, d. h. ihnen die dringend benötigte narzisstische Grati- fikation gewährt. Daran wird sichtbar, dass:

A

Narzisstische Strukturen bleiben so lange im Gleichgewicht, wie die Umwelt mitmacht, d. h. ihnen die dringend benötigte narzisstische Grati- fikation gewährt. Daran wird sichtbar, dass der Patient mit einer narzisstischen Bewältigung kei- neswegs in satter Selbstgenügsamkeit lebt. Viel- mehr findet er sich in der ständigen Sorge, keine Anerkennung zu finden und in die völlige Bedeu- tungslosigkeit abzurutschen. Eine Nichtbestäti- gung, aber erst recht Kritik erlebt er als schweren Angriff, der ihn in wütende Gekränktheit, aber auch in unterschwellige Angst versetzen kann.

65
Q

Narzisstische Verarbeitung: Der leidvolle Aspekt des Narzisstischen wird gemeinhin zu wenig beachtet:

A

Was nach außen als das glanzvolle Leben eines mächtigen, prominen- ten oder angesehenen Menschen erscheint, ist im subjektiven Erleben des Betreffenden gefärbt von empfindlicher Gereiztheit, von Sorge um das Nicht- beachtet-Werden und vor allem von ständiger Anstrengung, die es kostet, das Besondere zu schaf- fen.

Dieses Besondere kann im äußeren körper- lichen Bereich gesucht werden, im guten Aus- sehen, im perfekten modischen Angezogensein, in der sportlich-durchtrainierten Körpergestaltung; der narzisstische Anspruch kann sich auf den intel- lektuellen Leistungsbereich erstrecken, auf die Fähigkeit, alles verstandesmäßig zu durchdringen, alles erklären zu können, alles philosophisch zu konzeptualisieren usw.; das Bemühen kann sich auf die Etablierung von Machtpositionen richten, die beispielsweise im beruflichen Bereich die Ver- fügungsgewalt über möglichst viele abhängige und möglichst willige Gefolgsleute garantieren; schließlich kann auch die Zugehörigkeit zu mög- lichst vielen „wichtigen“, elitär anspruchsvollen sozialen Gruppierungen und Gemeinschaften zur narzisstischen Aufwertung verwendet werden.

66
Q

Narzisstische Verarbeitung: In der Regel kommen narzisstische Patienten jedoch nicht zur Psychotherapie, solange?

A

In der Regel kommen narzisstische Patienten jedoch nicht zur Psychotherapie, solange der Be- wältigungsmodus tragfähig bleibt.

67
Q

Narzisstische Verarbeitung: Symptombildung:

A

Ähnlich wie bei der Dekom- pensation des altruistisch-fürsorglichen Bewälti-gungsmusters sehen wir auch bei der narzisstischen Verarbeitungsform eine allmähliche Erschöpfung, die dann irgendwann in einen krisenhaften Zu- sammenbruch münden kann.

Die Erschöpfungen und Krisen erfolgen häufig in der Lebensmitte, wenn Partnerschaften wiederholt zerbrochen sind oder definitiv nicht zu erlangen waren, wenn der berufliche Fortschritt stagniert, wenn durch geis- tige und körperliche Alterungsprozesse jene Spann- kraft und ästhetische Ausstrahlung verloren geht, die dem narzisstischen Anspruch bisher zur Gel- tung verholfen hatten.

Der Kampf um Macht und Anerkennung muss immer verbissener und mit größeren Intrigen geführt werden, momentane Fitness muss durch Stimulanzien oder Alkohol erlangt werden, Schlaf und Entspannung stellen sich nur mithilfe von Tranquilizern und Narkotika ein, Schönheitsoperationen sollen den Körper, der seine jugendliche Frische verliert, wiederherstel- len.

68
Q

Narzisstische Verarbeitung: Stagnationen und Rückschläge werden wie erlebt und können was mobilisieren? Wut Projektion:

A

Stagnationen und Rückschläge werden als schwere Angriffe, als völlige Entwertung, als Negierung aller eigenen Ansprüche erlebt und können heftige Affektausbrüche mobilisieren. Die eigene Wut wird auf vermeintliche Angreifer und Intriganten pro- jiziert, die hochkeimenden Selbstwertzweifel füh- ren zu entwertenden Rundumschlägen gegen alle Rivalen.

69
Q

Narzisstische Verarbeitung: Paranoid anmutende Befürchtungen des Patienten vermischen sich mit:

A

Paranoid anmutende Befürchtungen des Patienten, die anderen wollten ihm am Zeug fli- cken, vermischen sich mit Realbefürchtungen be- züglich all jener „krummen Sachen“, die das sich idealisierende Selbst, von keinem Über-Ich ge- warnt oder kontrolliert, im Laufe der Jahre insze- niert hat.

70
Q

Narzisstische Verarbeitung: Aus der Gemeinde der Bewunderer wer- den schadenfrohe Schaulustige:

A

Aus der Gemeinde der Bewunderer wer- den schadenfrohe Schaulustige, denn „das Volk sieht es gerne, wenn die Mächtigen straucheln“. So sind dann auch die Spalten der Regenbogenpresse voll von Berichten über die Nervenzusammenbrü- che der Filmdivas, die Ehekrisen der Adeligen, die Korruptionsskandale von Firmenchefs und die Alkoholexzesse von Schauspielern. Die meisten Psychotherapiepatienten in einer narzisstischen Krise sind keine Königskinder oder Filmstars. Die Tragödie spielt sich auf bescheidenerem Niveau, aber doch in eben der beschriebenen Atmosphäre ab.

71
Q

Narzisstische Verarbeitung: Aus der Beschreibung der Krise wird schon ersichtlich, dass das klinische Bild nicht die stille oder klagsame Depression ist, sondern:

A

Aus der Beschreibung der Krise wird schon ersichtlich, dass das klinische Bild nicht die stille oder klagsame Depression ist, sondern eher die dramatische Verzweiflung, bei der sich vor allem die narzisstische Kränkungswut in selbstzerstöre- rischen Impulsen manifestiert. Henseler hat die Suizidalität als narzisstische Krise anschau- lich beschrieben.

72
Q

Narzisstische Verarbeitung: Die in lärmenden Krisen dekompensierte nar- zisstische Struktur mündet unter Umständen in eine:

A

Die in lärmenden Krisen dekompensierte nar- zisstische Struktur mündet unter Umständen in eine chronische Entwicklung des enttäuschten Rückzugs der Selbstentwertung und Selbstzerstö- rung, wobei Themen der Abhängigkeit und Sucht eine bedeutsame Rolle spielen.

73
Q

Narzisstische Verarbeitung: Soziogenese und Verstärkungsmechanismen. Einen wichtigen Hinweis liefern die Daten zur Soziogenese:

A

Die meisten narzisstisch strukturier- ten Patienten sind durchaus nicht mit dem „golde- nen Löffel im Mund“ geboren worden, vielmehr stammen sie überdurchschnittlich häufig aus so- zial belasteten Familien mit großer Geschwister- zahl und geringer Konstanz der frühen Betreuung. Sie haben jedoch bereits früh auf diese belastete Situation weniger depressiv als aggressiv reagiert, indem sie versuchten, sich kämpferisch rivalisie-rend gegen die Übrigen durchzusetzen und sich eine besondere Stellung zu erobern.

74
Q

Narzisstische Verarbeitung: Die kasuistische Erfahrung mit narzisstischen Patienten lässt ein Weiteres erkennen: Um als Aus- weg aus einer emotional defizitären Situation den Versuch einer narzisstischen Selbstidealisierung machen zu können, bedarf es

A

Die kasuistische Erfahrung mit narzisstischen Patienten lässt ein Weiteres erkennen: Um als Aus- weg aus einer emotional defizitären Situation den Versuch einer narzisstischen Selbstidealisierung machen zu können, bedarf es zum einen irgend- welcher Eigenschaften oder Begabungen, die den Kristallisationspunkt der späteren narzisstischen Entwicklung bilden. Zur Voraussetzung einer sol- chen Entwicklung gehört es, dass ein Mitglied der engeren oder weiteren Familie diese narzisstische Hoffnung („aus dir wird etwas ganz Besonderes“) nährt und fördert. Entsprechend den gesellschaft- lichen Rollenklischees werden kleine Mädchen auf ihr Aussehen, ihre niedliche Erscheinung und ihre Fähigkeiten, sich körperlich darzustellen (als kleine Sängerin, Eisprinzessin usw.) hin narzisstisch ver- stärkt, während kleine Jungen eher für ihre ge- scheiten Äußerungen, ihre kreativen Produktio- nen, ihre künstlerischen Begabungen narzisstisch belohnt werden.

75
Q

Narzisstische Verarbeitung: Therapeutische Beziehung

A

Es zeigte sich, dass die Patienten mit dekompensier- ter narzisstischer Struktur eine überdurchschnitt- lich stark ausgeprägte Symptomatik in den unter- schiedlichen körperlichen und psychischen Berei- chen aufweisen und darüber intensiv klagen. Sie sehen selbst wenige Ansätze zur Konfliktlösung und lassen eine überdurchschnittlich negative Ein- stellung zu den jeweiligen Therapeuten erkennen. Diese wiederum antworteten mit prognostischen Zweifeln und negativen Gegenübertragungsreak- tionen; dadurch erhöht sich die Wahrscheinlich- keit, dass therapeutische Beziehungen zerbrechen oder gar nicht erst zustande kommen. Auch die Partnerbeziehungen dieser Patienten waren zu 67 % misslungen, d. h., sie waren getrennt oder ge- schieden oder waren keine Partnerschaft einge- gangen.

76
Q

Narzisstische Verarbeitung: Therapeutische Gesichtspunkte.

A

Es liegt auf der Hand, dass eine narzisstische Persönlichkeitsstruk- tur, solange sie nicht unter massiver Symptom- bildung dekompensiert ist, psychotherapeutisch schwer erreicht werden kann.

Es bleibt jedoch die Tatsache, dass ein Patient, der bemüht ist, an der eigenen Selbstidealisierung festzuhalten und der von sei- nem Gegenüber (auch dem Therapeuten) anerken- nende Bewunderung erwartet (und ihn gleich- zeitig abwertet und disqualifiziert), ein relativ schwieriges Beziehungsangebot macht, das auch beim Therapeuten zu massiven negativen Gegen- übertragungsregungen führt.

Wenn der Betreffende zusätzlich über gesellschaftliches Ansehen, Geld und Macht verfügt und es gewohnt ist, in seinen Mitmenschen die jederzeit käuflichen, nützlichen Idioten zu sehen, treten Therapieschwierig- keiten auf

77
Q

Narzisstische Verarbeitung: Therapeutische Hoffnungen knüpfen sich an die positiven Seiten der narzisstischen Bewältigung. In die narzisstische Charakterabwehr eingebaut sind durchaus auch jene Fähigkeiten und Talente, die diesen Menschen auszeichnen:

A

Wer sich sein gan- zes Leben lang bemüht hat, irgendeine Sache he- rausragend gut zu machen, entwickelt dabei auch Fähigkeiten, die er im Leben gebrauchen kann und die außerhalb des zwanghaft-narzisstischen Rah- mens durchaus auch Gegenstand seines Interesses bleiben können.

78
Q

Narzisstische Verarbeitung : Narzisstische Stabilisierung

A

Unsere Untersuchungen zur Psychotherapieergeb- nisforschung haben gezeigt, dass narzisstische Strukturen auch in ambulanter Langzeitpsycho- therapie durchaus nicht immer aufgelöst werden, sondern dass das Behandlungsergebnis bei einem Teil der Patienten gerade durch eine gewisse nar- zisstische Stabilisierung gekennzeichnet ist.

79
Q

Schizoide Verarbeitung
- ▶ Charakteristika

A

Die altruistische Verarbeitung des depressiven Verlassenheitsthemas führt se- kundär zu enger Objektbindung. Die narzisstische Verarbeitung bedeutet den Ausweg in die eigene Großartigkeit und versucht sich dadurch zumin- dest die Bewunderung der Objekte zu erhalten.

Die nun zu besprechende schizoide Verarbei- tung rückt noch weiter von den Objekten ab, indem sie diese systematisch meidet. Es wird kein trau- rig-enttäuschter Rückzug von den vergeblich er- sehnten Objekten erlebt, eher wird der Anschein kühler Desinteressiertheit erweckt.

Dahinter wird spürbar, dass die gefährliche, ängstigende Seite der Objekte den Anlass gibt, sie zu umgehen oder sie auszublenden, so als existierten sie gar nicht.

The- rapeutische Verläufe lehren freilich, dass hinter der ängstlichen Vermeidung der negativen Objekte die Sehnsucht nach positiven Objekterfahrungen, und zwar in ihrer frühen, eher medialen als objek- talen Form bereitliegt.

80
Q

Schizoide Verarbeitung: Da menschliche Begegnun- gen im alltäglichen Leben unvermeidbar sind, ver- sucht die schizoide Verarbeitung zweierlei:

A

die Vermeidung des Kontakts schlechthin und den emotionalen Rückzug im unvermeidlichen Kontakt. Der letztgenannte Punkt ist es, der das Wesen der schizoiden Verarbeitung ausmacht; es ist die re- flektorische Zurücknahme von nonverbalen Bezie- hungssignalen, zum Beispiel durch Reduzierung des Blickkontakts, die Einschränkung der Stimm- modulation, die Unbezogenheit von Gestik und Körperhaltung. Die Reduzierung der kommunika- tiven Signale bewirkt Distanzierung durch Nicht- verstehen-Können. Der schizoide Patient versteht selbst nicht und wird nicht verstanden, weil die emotionale Brücke zum anderen abgebrochen ist.

81
Q

Schizoide Verarbeitung: Die schizoide Beziehungsstörung kann psychodynamisch unter Abwehraspekten als ….. verstanden werden, oder?

A

Die schizoide Beziehungsstörung kann psychodynamisch unter Abwehraspekten als emotiona- ler Rückzug zum Schutz vor ängstigenden Bezie- hungserfahrungen verstanden werden – oder unter strukturellen Gesichtspunkten als Aus-druck einer nicht ausreichend entwickelten Fähigkeit zur emotionalen Kontaktaufnahme und der dabei erforderlichen Affekttoleranzsehen. Die Entscheidung darüber lässt sich oft erst im Behandlungsverlauf treffen.

82
Q

Schizoide Verarbeitung: Allerdings bewirkt die habituelle Beziehungsver- meidung nicht nur Schutz vor den unliebsamen Einflüssen anderer Menschen oder die Möglich- keit, sich – von ihnen ungestört – mit den eigenen inneren Themen beschäftigen zu können:
Beispiel:

A

sie wird stets auch mehr oder weniger deutlich als Mangel an sozialer Kompetenz und somit subjektiv leidvoll erfahren. So erlebt beispielsweise der schizoide Jugendliche unter dem Druck erotisch-sexueller Bedürfnisse sein Unvermögen, sich einer mögli- chen Partnerin so zu nähern, dass er sie für sich gewinnen kann. Wenn er im Erwachsenenalter dann doch eine dauerhafte Verbindung, zum Bei- spiel eine Ehe, eingegangen ist, spürt er die blei- bende Fremdheit, die Unfähigkeit, sich emotional mitzuteilen und die Schwierigkeit zu verstehen, was die Partnerin gefühlshaft erlebt und warum sie sich so oder anders verhält. Dabei mangelt es keineswegs am Bemühen, sich auf den Partner ein- zustellen; manche Schizoide entwickeln sich zu ausgezeichneten Beobachtern, die mit feinen Wahr- nehmungsantennen verborgene Empfindungen des anderen registrieren. Nur fällt es ihnen schwer, diese Wahrnehmungen in einen Beziehungskon- text einzufügen. Vielmehr erschrecken sie ihr Gegenüber durch distanzverletzende Feststellun- gen oder sie befremden durch ihre abwegigen, psychologisch konstruierten Erklärungsversuche.

83
Q

Schizoide Verarbeitung: So bilden der Eindruck von außen und das sub- jektive innere Erleben einen starken Kontrast: Der Schizoide wirkt in seinem Verhalten und seinem subjektiven Erleben:

A

Der Schizoide wirkt in seinem Verhalten unter Um- ständen kühl, intellektuell, abweisend, arrogant, desinteressiert oder aber bei seinen Annäherungs- versuchen viel zu engagiert, distanzlos, schwer zu verstehen.

Sein subjektives Erleben ist dagegen ein anderes. Zwar genießt er in Maßen die zurück- gezogene Beschäftigung mit sich selbst, mit seinen Gedanken, Theorien, Büchern, Hobbys etc., doch steht er meist unter ängstlicher Anspannung, die er auch durchaus körperlich erlebt. Er spürt speziell im Kontakt mit Menschen, dass etwas mit ihm geschieht, das er selbst nicht steuern kann.

84
Q

Schizoide Verarbeitung: Wenn die Rede vom Ich, das nicht Herr im eigenen Hause ist, zutrifft, dann in diesem Fall ganz besonders:

A

Der Schizoide ist sich nie sicher, nicht in der sozia- len Welt und nicht im eigenen Körper, auch nicht in seiner eigenen Gedankenwelt, überall können bedrohliche Entwicklungen ablaufen, die Anlass zu Sorge oder heftiger Angst geben. Gedanken haken sich fest und müssen zwanghaft durchgegrübelt werden, leibliche Sensationen werden ängstlich beobachtet und geben den Anstoß zu skurril- hypochondrischen Überzeugungen. Beziehungs- situationen und das Verhalten anderer Menschen werden im Blick auf darin enthaltene Angriffe misstrauisch kontrolliert und in sensitiv-paranoid anmutende Erklärungen gebracht. Ständig auf der Hut sein müssen, angespannt sein, überall Gefahr, Angriff, Kränkung fürchten – wie ließe sich das Fehlen des viel zitierten Urvertrauens besser illus- trieren?

85
Q

Schizoide Verarbeitung: Es liegt auf der Hand, dass ein Selbst, das die Objektwelt so ungewiss erlebt, auch sich selbst nicht als kohärent und abgegrenzt empfinden kann. Es ist weniger der Selbstwert, der bedroht erscheint als vielmehr die Existenz des Selbst:

A

„Bin ich das, der da denkt oder handelt? Wer oder was bin ich eigentlich? Was will ich selbst?“ Diese basale Form der Selbstzweifel, die häufig auch zu einer großen Unsicherheit der psychosexuellendentität führt, kann sich in krisenhaften Situatio- nen zu heftigen Angstattacken steigern.

86
Q

Schizoide Verarbeitung: Auslöser

A

Symptomaus- lösende Belastungen bergen jene Situationen in sich, die einen zwangsläufigen, sozial notwendigen Kontakt zu anderen Menschen erfordern, so etwa die Notwendigkeit, in der Schule oder im Studium Referate zu halten oder im Beruf Gruppenkontakte zu pflegen.

Ganz besonders belastet sind freilich Kontakte, die aufgrund eigener innere Bedürfnisse, beispielsweise bei sexueller Attraktion oder Ver- liebtheit, intensiviert werden. Es ist die emotionale Nähe eines anderen Menschen, welche die Gefahr mit sich bringt, dass die für das schizoide Selbst notwendige Sicherheitsdistanz verletzt wird und das strukturell wenig kohärente Selbst sich in Gefahr fühlt.

87
Q

Schizoide Verarbeitung: Symptombildung

A

Die Symptombildung bei der Gefährdung oder beim Zusammenbruch der schizoiden Distanzierung ist ein spezifischer Zustand, in dem die eigene Per- son, der eigene Körper und die gesamte Umwelt auf beängstigende Weise verändert erlebt werden (Derealisation, Depersonalisation).

Das Fremdwer- den dieser eigentlich vertrauten Bereiche des eige- nen Lebens geht einher mit unbehaglich-ängst- lichen Gefühlen, die sich bis zur erregten Angst steigern können, in der Befürchtung, sich selbst zu verlieren, verrückt zu werden, den Weltuntergang in der eigenen Person zu erfahren.

Hinter mancher Panikattacke verbirgt sich eine solche schizoide Selbstverlustangst. Der Patient wird durch diese Zustände häufig zu großer Aktivität getrieben, sei es im Handeln oder im Denken. Auf beide Weisen versucht er, irgendwo wieder einen festen Halte- punkt zu finden.

88
Q

Schizoide Verarbeitung: Anders als bei der narzisstischen Krise sehen wir hier eigentlich keinen völligen Zusammenbruch der schizoiden Verarbeitung, sondern lediglich ihre vor- übergehende Labilisierung und Wiederherstellungs- versuche:

A

Anders als bei der narzisstischen Krise sehen wir hier eigentlich keinen völligen Zusammenbruch der schizoiden Verarbeitung, sondern lediglich ihre vor- übergehende Labilisierung und Wiederherstellungs- versuche. Die schizoide Haltung selber ist es, die von einer bestimmten Ausprägung an Symptom- wert besitzt und häufig auf dem Umweg über so- ziales Scheitern als subjektiv leidvoll erlebt wird.

89
Q

Schizoide Verarbeitung: Chronifizierte Symptomentwicklungen und hypochondrische entwicklung

A

Chronifizierte Symptomentwicklungen zeigen am ehesten Verfestigungen der schizoiden Haltung, ver- mischt mit vielfältiger neurotischer Symptomatik, so etwa mit ausgeprägten phobischen Entwicklun- gen, die nun allen Formen des sozialen Kontaktes gelten (Soziophobie). In der hypochondrischen Ent- wicklung findet der Patient einen Fixpunkt an einer bestimmten Körperstelle oder Organfunktion, dieer fortan mit größter Aufmerksamkeit beobachtet und kontrolliert und die seinen Ängsten vor einer bedrohlichen Entwicklung ein festes Thema gibt.

90
Q

Schizoide Verarbeitung: Eine weitere Zuspitzung erfährt diese Dynamik in der Dysmorphophobie:

A

Eine weitere Zuspitzung erfährt diese Dynamik in der Dysmorphophobie, der Überzeugung, dass ein bestimmtes Körperteil hässlich oder fehlgestal- tet sei und operativ verändert werden müsse. An die Stelle äußerer sozialer Beziehungen ist auch hier die intensive Beschäftigung mit dem Körper als Objekt getreten, wobei ein ständiger, freilich aussichtsloser Kampf darum geführt wird, aus einem negativen Körperobjekt ein gutes Körper- objekt zu schaffen (z.B. aus einer hässlichen Brust eine schöne Brust zu modellieren). Die Überzeu- gung und Entschlossenheit, mit der manche Pa- tienten solche Ziele verfolgen, bleibt dem Außen- beobachter oft unverständlich und erscheint in ihrer Ausgestaltung fast wahnhaft.

91
Q

Schizoide Verarbeitung: Therapeutische Gesichtspunkte: Was erfordert die psychotherapeutische Behandlung?

A

Die psychothe- rapeutische Behandlung schizoider Störungen er- fordert zunächst die Beachtung struktureller As- pekte. Sie versucht dem geschwächten Ich die Verfügung über die intentionale Funktion wieder- zuvermitteln, indem sie beispielsweise im Rahmen einer interaktionellen Behandlungstechnik die emo- tionale Ausrichtung des Ichs auf das Objekt, die Abwendung vom Objekt und die Rückwendung auf das Selbst in besonderer Weise beachtet, so dass der Patient diese Funktion in der direkten Patient-The- rapeut-Beziehung spüren lernt und einüben kann.

92
Q

Schizoide Verarbeitung: Zum einen gilt es zu respektieren, dass ein sei- ner Grenzen unsicheres Selbst das primäre Objekt ersehnt und zugleich jedes sich nähernde Objekt mit Angst und Misstrauen kontrolliert. Es kann die gefährliche Situation der Objektnähe nur durch:

A

Zum einen gilt es zu respektieren, dass ein sei- ner Grenzen unsicheres Selbst das primäre Objekt ersehnt und zugleich jedes sich nähernde Objekt mit Angst und Misstrauen kontrolliert. Es kann die gefährliche Situation der Objektnähe nur durch Notmaßnahme intentionaler Abschaltung (ein un- bewusstes Ich-bin-nicht-mehr-da) meistern. Daher braucht es selbst Distanz im Sinne der Wahrung seiner Grenzen und der autonomen Verfügung über sich selbst.

93
Q

Shizoide Verarbeitung: Therapeutisch werden solche Interven- tionen bevorzugt, welche?

A

Therapeutisch werden solche Interven- tionen bevorzugt, welche die Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und sichere Abgegrenztheit des Ichs oder Selbst unterstützen (ich-stärkende Interventionen). Damit stellt sich der Therapeut gewissermaßen auf die Seite der Abwehr, die er als für den Patienten wohlbegründet akzeptiert. Deu- tungen, die hinter die Abwehr leuchten, müssen zunächst vermieden werden, weil sie die Angst des Patienten vor dem zudringlichen Objekt nur bestätigen und den Selbstschutz der schizoiden Abwehr verstärken.

94
Q

Schizoide Verarbeitung: Wenn auf diese Weise im initialen therapeuti- schen Kontakt das Selbst eine gewisse Beruhigung und Stabilisierung erfahren hat und der Patient seine misstrauisch-sensitive Haltung gegenüber dem Therapeuten zurücknehmen kann – er bleibt weiter auf Distanz, aber er „fremdelt“ weniger –, dann darf der Therapeut in einem zweiten Schritt beginnen, den Patienten zu spiegeln:

A

Er teilt ihm manche seiner Wahrnehmungen mit („mir fällt heute bei Ihnen auf …, ich sehe jetzt gerade, dass Sie …“). Diese Mitteilungen ohne jede Interpreta- tion („was das wohl zu bedeuten hat?“) und erst recht ohne Bewertung (ob das richtig oder falsch ist) stellen eine vorsichtige Kontaktaufnahme zwi- schen zwei getrennten Subjekten dar. Zugleich aktivieren sie aber auch die Eigenwahrnehmung des Patienten, vor allem bezüglich seines körper- lichen Ausdrucks und eröffnen damit Bereiche des Erlebens im eigenen körperlichen und psychisch emotionalen Selbst wie auch in der Interaktion.

95
Q

Schizoide Verarbeitung: Der Patient, der sich kühl-distanziert oder ängst- lich-zurückgezogen gefühlt hatte, spürt plötzlich Formen der emotionalen Ausrichtung auf die Ob- jektwelt und den Therapeuten:

A

Er erlebt basale Intentionen (der Hinwendung oder der Abkehr) oder weiterentwickelte Intentionen der Neugier, der aggressiven Annäherung oder des weichen An- lehnens. Diese Revitalisierung eingefrorener Inten- tionen spielt in den körperorientierten Psychothe- rapien sowie in der Gestalttherapie eine zentrale Rolle, sie erweist sich aber auch in einer struktur- bezogenen Psychotherapie als sehr hilfreich. Nach- dem auf diese Weise eine strukturelle Stabilisie- rung erzielt und die schizoide Bewältigung gelockert werden konnte, steht in weiteren Behandlungs- abschnitten wieder das depressive Kernthema selbst an.

96
Q

Oral Regressive Verarbeitung: Was unterscheidet diese Verarbeitung von den anderen?

A

In den bisherigen Bewältigungsversuchen der de- pressiven Grundthematik überwogen progressive Vorgänge, durch die der depressiven Verlorenheit aktiv begegnet wurde. Als oral-regressive Verarbei- tung bezeichnen wir einen Selbstheilungsversuch, der die Grenzen vom sozial Adaptiven zum Patho- logischen oft schon in jungen Jahren und meist mehr oder weniger schleichend überschreitet. Hier ist es nicht so, dass eine bis dahin betont sta- bile Persönlichkeitsstruktur krisenhaft dekompen-siert und überraschend Symptome entwickelt, vielmehr kündigt sich die Problematik meist lange an, sie nimmt allmählich zu, und oft wird erst im Nachhinein deutlich, dass inzwischen ein schwie- riger oder desolater Zustand eingetreten ist, aus dem der Patient aus eigener Kraft nicht mehr herausfindet, die Abhängigkeit oder Sucht.

97
Q

Oral-Regressive Verarbeitung: Es handelt sich also um einen Bewältigungsver- such, der selbst rasch?

A

Es handelt sich also um einen Bewältigungsver- such, der selbst rasch zur Krankheit wird.

98
Q

Es wurde schon gesagt, dass die früher beschrie- benen Bewältigungsformen eher aktiv die äußere Situation zu verändern versuchen. Worum geht es in den anderen Bewältigungsformen?

A

Im altruistisch- überfürsorglichen Modus geht es um das Bemü- hen, sich nützlich zu machen; im narzisstischen Muster liegt die Intention zu gefallen und zu domi- nieren; die schizoide Technik zielt darauf ab, den Objekten auszuweichen.

99
Q

Die oral-regressive Verarbeitungsweise verän-dert nicht die äußere Beziehung zu den Objekten, sondern:

A

Die oral-regressive Verarbeitungsweise verän-dert nicht die äußere Beziehung zu den Objekten, sondern beschränkt sich darauf, die eigene innere Situation, die Stimmungslage zu verän-dern.

Die Charakterisierung als oral-regressiv soll ausdrücken, dass nicht im Sinne einer akti- ven oralen Appetenz ein „Stück aus der Welt abgebissen“ und sich zueigen gemacht wird (wobei das Zielobjekt wichtig wäre), sondern dass etwas – egal was – zugeführt wird, wenn es nur vorübergehend satt macht und beruhigt.

100
Q

Oral Regressive Verarbeitung: Klinisch extrem ausgeprägt sehen wir diese Ob- jektunbezogenheit in den Essanfällen der Bulimi- kerinnen oder der Mitteleinnahme der Polytoxiko- manen:

A

Klinisch extrem ausgeprägt sehen wir diese Ob- jektunbezogenheit in den Essanfällen der Bulimi- kerinnen oder der Mitteleinnahme der Polytoxiko- manen. Beiden kommt es nicht darauf an, was sie zu sich nehmen, sondern dass es geschieht. Es be- steht also die Möglichkeit, durch die Aneignung oder orale Aufnahme von scheinbar beliebigen Ob- jekten das eigene Wohlbefinden momentan zu sta- bilisieren. Der Hunger, der so gestillt wird, ist ein depressiver Objekthunger in einer frühen Ausprä- gung, in der das Objekt noch wenig personal, son- dern eher als Substanz, als Medium erlebt wird.

101
Q

Oral Regressive Verarbeitung: Es sind vor allem zwei Gründe, die Menschen drängen, auf diese Weise die eigene Gestimmtheit zu modulieren:

A

Zum einen ist es die tiefe Hoff- nungslosigkeit, die Realwelt aktiv so ändern zu können, dass man des Guten teilhaftig wird; zum anderen vermag das Selbst die Realwelt, so wie sie ist, nicht zu ertragen. Es erlebt sie (und sich selbst) als unerträglich leer und langweilig oder auch als zurücksetzend und kränkend.

102
Q

Oral regressive Verarbeitung: Hier spielt das strukturelle Moment der fehlen- den Affekttoleranz eine bedeutsame Rolle. Bei vor- liegenden strukturellen Einschränkungen kann das ubiquitäre Angebot von Alkohol und Drogen die Möglichkeit eröffnen, negative Affekte und Stimmungen kurzerhand in eine euphorische Ver- fassung umzuwandeln, allerdings mit dem Risiko, dass:

A

Hier spielt das strukturelle Moment der fehlen- den Affekttoleranz eine bedeutsame Rolle. Bei vor- liegenden strukturellen Einschränkungen kann das ubiquitäre Angebot von Alkohol und Drogen die Möglichkeit eröffnen, negative Affekte und Stimmungen kurzerhand in eine euphorische Ver- fassung umzuwandeln, allerdings mit dem Risiko, dass diese spezielle Form der äußeren Affektregu- lierung, die Umwandlung schmerzlich dyspho- rischer Gefühle in ein rauschhaftes Erleben, so verlockend ist, dass sie nach einiger Zeit unent-behrlich wird und in eine psychische und körper- liche Abhängigkeit einmündet: der Beginn einer Suchtentwicklung, die letztlich das psychische Selbst, den Körper und die sozialen Bezüge zu zer- stören droht.

103
Q

Philobatische Verarbeitung: Diese Form der Verarbeitung hat für sich allein einen ….. Symptomwert.

A

Diese Form der Verarbeitung hat für sich allein einen geringeren Symptomwert. Es ist jedoch für das therapeutische Verständnis von manchen Per- sönlichkeitsstrukturen wichtig, sie vor Augen zu haben.

104
Q

Philobatische Verarbeitung: Unterschiede zu den anderen Verarbeitungsformen:

A

Der Philobat ist nicht auf den Beifall der Mitwelt angewiesen wie der Narzisst, er betreibt keine ängstliche Objektvermeidung wie der Schizoide und bemüht sich nicht altruistisch um andere Menschen; er ist auf Objekte nicht besonders ausgerichtet, aber auch nicht beson- ders abgewandt, doch ist seine Aufmerksamkeit mit großer Intensität auf andere Ziele gerichtet, und zwar auf bestimmte Handlungen und Leis- tungen, die zu verwirklichen für ihn immer wichtiger werden. Die positiven Gefühle, die er erlebt, wenn er sein Ziel erreicht, können in ihrer Intensität bis zum rauschhaften Glücks- gefühl wachsen. Es ist eigentlich diese Technik, sich selbst – wenn auch im Extremfall unter großen Anstrengungen und Risiken – in ein positi- ves Gefühl zu versetzen, das die philobatische Verarbeitungsform charakterisiert.

105
Q

Philobatische Verarbeitung: Anders als bei der Befriedigung von sozialen Be- dürfnissen oder von Triebwünschen erfährt hier der Betreffende eine momentane:

A

Anders als bei der Befriedigung von sozialen Be- dürfnissen oder von Triebwünschen erfährt hier der Betreffende eine momentane Hochstimmung, die ihn für einige Zeit aus der Welt heraushebt. Die- ses Erleben wird durch die Kontrasterfahrung ver- stärkt, dass Anstrengungen, Angst und Frustration überwunden werden müssen, um sich endlich in das Glücksgefühl fallen lassen zu können. In sei- nem grenzenlosen Hochgefühl erinnert der Zu- stand zuweilen an submanische Zustände. Zu- gleich sind auch rauschhafte Elemente erkennbar, und wie bei vielen Rauscherfahrungen kann der Wunsch nach Wiederholung und Steigerung der Intensität sich zu etwas Süchtigem entwickeln.

106
Q

Philobatische Verarbeitung: Betrachten wir schließlich den Verlauf einer sol- chen Entwicklung, so zeigt sich nicht selten ein tragischer Ausgang:

A

Der Philobat kann von dem Gegenstand seines Interesses nicht mehr lassen. Immer häufiger sucht er dessen faszinierende Nähe, immer größere Risiken nimmt er in Kauf, um seinem Faszinosum nahe zu sein, und so über- rascht es nicht zu hören, dass er dabei den Tod gefunden hat, der Kletterer in seinen geliebten Bergen, der Taucher in der Tiefe, der Flieger beim Sturz aus der Höhe, der Vulkanforscher bei der Beobachtung eines Vulkanausbruchs usw.

107
Q

Philobatische Verarbeitung: Die süchtige und selbstzerstörerische Seite ist be- reits aus der oral-regressiven Verarbeitung des depressiven Grundkonflikts bekannt, jedoch ist hier:

A

Die süchtige und selbstzerstörerische Seite ist be- reits aus der oral-regressiven Verarbeitung des depressiven Grundkonflikts bekannt, jedoch ist hier an die Stelle der depressiv-ohnmächtigen oder ängstlich-angespannten Empfindung das manifor- me Hochgefühl getreten, das sich als eine Abwehr des Depressiven zu erkennen gibt.

108
Q

Philobatische Verarbeitung: Was hat es mit dem spezifischen philobatischen Glücksgefühl auf sich?

A

Ein bekannter Bergsteiger beschreibt sein Gipfelglück als das Erleben von Leere, Zeitlosigkeit, Frieden, Harmonie, heiterer Gleichgültigkeit, eine Art Nirwana. Zunächst hat es den Anschein, dass der Philobat ganz auf sich gestellt und „mutterseelenallein“ in einem lebens- feindlichen Element, in großer Höhe oder dunkler Tiefe weilt, nachdem er sich, um dorthin zu gelan- gen, extremen körperlichen Anstrengungen und heftigen Emotionen aussetzen musste und dabei auch die Nähe des Todes erfuhr. Im Zustand der völligen Erschöpfung erlebt er nicht die Einsamkeit und Verlassenheit, sondern ein narzisstisches Glück: „Ich fühle mich grandios, weil ich das Unmögliche möglich gemacht habe.“ Unter Ver- leugnung der realen Lebensgefahr fühlt er sich „zeitlos“, „unverletzlich“, „unsterblich“, „eins mit dem Universum“, so dass der leibliche Tod, wenn er jetzt einträte, keine Zerstörung, sondern die Erfüllung des Lebens darstellte.

109
Q

Philobatische Verarbeitung: Der Philobat in seinem narzisstischen Glücks- gefühl ist gar nicht so allein, wie es die objektlosen Räume um ihn vermuten lassen:

A

Vielmehr wird er eins mit einem medialen Objekt, also einem frühen, noch nicht personalen, grenzenlos großen Objekt, das ihn aufnimmt und mit dem er verschmilzt, wobei sein abgegrenztes Ich zugunsten eines gren- zenlosen Wir aufgegeben wird. Dieser Beziehungs- modus bedeutet also das Einswerden mit dem frü- hen Objekt, das seine Objektnatur verbirgt, weil es medial gestaltet ist. Die Schilderung solcher Zu- stände erinnert an Befindlichkeiten, wie sie durch intensive Meditation erreicht werden können. Auch hier geht das Erleben der Ich-Losigkeit in die Empfindung über bzw. außerhalb von Zeit und Raum mit dem Ganzen zu verschmelzen.

110
Q

Philobatische Verarbeitung: Wenn wir uns diesen regressiven Beziehungs- modus vergegenwärtigen, wird auch klar, dass sich ein Teil der naturliebenden Menschen Erwartun- gen des Wohlbefindens und der Befriedigung an das frühe Objekt Natur richtet, selbst aber?

A

Wenn wir uns diesen regressiven Beziehungs- modus vergegenwärtigen, wird auch klar, dass sich ein Teil der naturliebenden Menschen Erwartun- gen des Wohlbefindens und der Befriedigung an das frühe Objekt Natur richtet, selbst aber keinerlei Rücksicht auf die Natur nimmt, sowenig wie ein Säugling sich um das Wohlbefinden der Mutter kümmern muss. An dieser Stelle hat die philobati- sche Verarbeitung gewissermaßen gesellschaftli- chen Symptomwert.

111
Q

Philobatische Verarbeitung: Variante der Suizidalität?

A

Ansonsten zeigt diese Verarbeitungsform weni- ger krisenhafte Einbrüche als andere. Das Risiko, dass das rauschhafte Erleben einen andeutungs- weise süchtigen Charakter gewinnt und die gestei- gerten Risiken schließlich Lebensgefahr mit sich bringen, wurde oben schon beschrieben. Wenn man so will, handelt es sich hier um eine Variante der Suizidalität, wobei der Tod in der Verschmel- zung mit dem faszinierenden Objekt seinen Schre- cken verloren hat.

112
Q

Bewältigung durch Humor:Diese Dimension menschlichen Verhaltens besteht in der Möglichkeit des Selbst, schmerzliche Erfah- rungen wodurch zu bewältigen?

A
  • Diese Dimension menschlichen Verhaltens besteht in der Möglichkeit des Selbst, schmerzliche Erfah- rungen durch ironische Distanzierung oder hu-morvolle Verfremdung zu bewältigen. Man lacht darüber, weil man nicht darüber weinen möchte. Es ist hier nicht der Platz, die psychoanalytische Diskussion des Witzes oder des Humors zu referie- ren, es soll lediglich auf diese Bewältigungsmög- lichkeit aufmerksam gemacht werden, die zu- nächst scheinbar wenig Bezug zum Thema hat. Wenn wir uns jedoch Cartoons ansehen oder Witze anhören, dann wird unübersehbar deutlich, dass hier eine Fülle von deprimierenden Ereignis- sen, verzweifelten Situationen und ängstigenden Erfahrungen durch eben jene humoristische Wen- dung in eine Aussage verwandelt wurde, über die man lachen muss.
113
Q

Bewältigung durch Humor: Galgenhumor

A

Die Menschen, die professionell Lustiges herstel- len, beispielsweise Cartoons zeichnen, sind meis- tens keine hypomanischen Witzbolde, sondern eher ernste Naturen. Es gibt sicher eine breite Palette von Humor, von einer reifen Heiterkeit bis zu einem witzelnden Verleugnen aller ernsthaften Themen, und doch ist bei allen der Versuch zu fin- den, das Schwierige von seiner heiteren Seite zu nehmen, vor allem auch in dem entsprechenden interaktionellen Angebot, „du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, ich lache selber darü- ber“. Der „Galgenhumor“ zeigt diesen Zug in seiner verzweifelten Variante, die es auch noch mit Hei- terkeit versucht, wenn der Strick schon um den Hals gelegt ist. Sprichwörtlich ist die Traurigkeit der Clowns, die professionell Lustigkeit verbreiten. Der Humor zur Abwehr depressiver Thematik ist nicht selten ein schwarzer Humor, der speziell die destruktiven, schrecklich ängstigenden und depri- mierenden Themen zum Gegenstand nimmt: Auf der Beerdigung sagt ein Mann zum anderen; „Ich war schrecklich schockiert als ich von seinem Tod erfuhr, ich dachte nämlich, er sei schon vor fünf Jahren gestorben.“

114
Q

Bewältigung durch Humor: Wie kläglich der Selbstheilungsversuch durch Humor beim Ausbruch wirklicher Depression ver- sagt, zeigen die Beobachtungen von Kraus (1977) an depressiven Patienten:

A

Nicht nur, dass ihnen das Lachen vergangen ist, sie verstehen anschei- nend nicht, was an einem Witz lustig sein soll, sie nehmen den Text konkretistisch und sind außer- stande, den spielerisch-assoziativen Bedeutungs- wechsel vorzunehmen, der die Situation plötzlich in einem heiteren Licht erscheinen lässt.