Kapitel 16 - Soziale Bewegungsbeteiligung Flashcards
Soziale Bewegung
Stellt eine soziale Gruppe dar, deren Ziel es ist, gemeinschaftlich einen sozialen Wandel herbeizuführen (oder auch zu verhindern)
Die Träger oder Anhänger einer sozialen Bewegung handeln demnach nicht als Individuen, sondern als Mitglieder einer Gruppe bzw. eines Kollektivs
Soziale Bewegungsbeteiligung stellt daher eine Form (inter)gruppalen Verhaltens dar
Soziale Bewegung
Definition
Eine große Anzahl von Personen, die sich selbst als Gruppe definieren und von anderen so definiert werden
Ziel sozialer Bewegungen ist es, ein gemeinsames soziales oder politisches Problem zu lösen
Dabei setzen sie unterschiediche Formen des politischen Protests ein
Soziale Bewegungsbeteiligung
Nach innen gerichtete Aktivitäten vs. nach außen gerichtete Aktivitäten
Während sich nach innen gerichtete Aktivitäten der Bewegung an die eigenen Mitglieder oder Sympathisierende richten, zielen nach außen gerichtete Aktivitäten darauf ab, einen sozialen Wandel im Sinne der Ziele der Bewegung herbeizuführen (oder einen Wandel entgegen der Ziele zu verhindern)
Nach außen gerichtete Strategien lassen sich wiederum danach klassifizieren, ob sie eher moderat oder militant sind bzw. ob sie sich innerhalb oder außerhalb des gesellschaftlich definierten normativen Rahmens bewegen
Wie lässt sich die aktive Teilnahme an einer sozialen Bewegung anhand der Dimension Aufwand und Zeitdauer klassifizieren (Klandermans, 1997)
Die Partizipation kann:
- ein einmaliger Verhaltensakt sein, der wenig Aufwand oder Kosten beinhaltet
→z.B. eine Petition unterschreiben
- ein einmaliger Verhaltensakt sein, der jedoch sehr kostenspielig und risikoreich ist
→z.B. die Teilnahme an einer Sitzblickade oder eine unerlaubte Demonstration
- zeitlich unbegrenzt sein und wenig Kosten und Aufwand verursachen
→z.B. einen jährlichen Mitgliedsbeitrag an eine formale Organisation der Bewegung entrichten
- lang andauernd und aufwändig sein
→z.B. dauerhafte und zeitintensive ehrenamtliche Mitarbeit in der Bewegung
Das Vier-Stufen Modell sozialer Bewegungsbeteiligung (Kladermans et al.)
Nach Kladermans muss ein potentieller Bewegungsteilnehmer bis zur Teilnahme an Aktionen einer sozialen Bewegung die folgenden vier Stufen überwinden:
Er muss:
- Teil des Mobilisierungspotentials der sozialen Bewegung werden
- Ziel werden von Mobilisierungsversuchen
- Teilnahmemotivation entwickeln
- Teilnahmebarrieren überwinden
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Mobilisierungspotential
Eine Person wird als Teil des Mobilisierungspotentials betrachtet, wenn sie mit der entsprechenden sozialen Bewegung sympathisiert oder präziser, wenn sie mit deren Anhängern einen Collective Action Frame teilt
Collective Action Frame - Gamson
Nach Gamson ist ein Collective Action Frame ein System sozial geteilter Meinungen und Überzeugungen, die zur Interpretation der sozialen Problemsituation herangezogen werden und aus denen sich angemessene kollektive (Re-)Aktionen ableiten lassen
Gamson unterscheidet drei Komponenten des Collective Action Frame:
- Ungerechtigkeitskomponente
- Identitätskomponente
- Handlungskomponente
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
1) Eine Ungerechtigkeitskomponente, mittels derer persönliche Notlagen oder soziale Missstände als Ungerechtigkeit interpretiert werden können
2) Eine Identitätskomponente, welche die Kategorisierung und die Unterscheidung “wir” vs. “die” beinhaltet
3) Eine Handlungskomponente, die nahlelegt, dass sozialer Wandel möglich ist, mit welchen Mitteln er erreicht werden kann und dass die soziale Bewegung die Fähigkeit besitzt, diese Mittel erfolgreich anzuwenden
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Ungerechtigkeitskomponente
Soziale Diskriminierung, Benachteiligung oder Unterdrückung reflektieren Machtdifferenzen zwischen Gruppen
Die mächtige oder statushohe Gruppe hat Kontrolle über das Schicksal einer anderen Gruppe
Diese Dominanz wird durch die Entwicklung und Verbreitung von Ideologien gestützt, aufrechterhalten und verteidigt, welche die bestehende soziale Ordnung legitimieren
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Ungerechtigkeitskomponente
Theorien zur relativen Deprivation
Wie Theorien zur relativen Deprivation nahelegen, führt die Wahrnehmung, dass die eigene Gruppe weniger bekommt als das, worauf sie rechtmäßig Anspruch hat, zu Gefühlen fraternaler relativer Deprivation wie gruppenbasiertem Ärger, Wut oder Empörung
Diese Gefühle können auch aus der Art und Weise resultieren, wie gesellschaftliche Autoritäten mit sozialen Problemen umgehen
Eine als ungerecht wahrgenommene Behandlung durch Autoritäten kann Emotionen wie Wut und Empörung schüren, welche die Bereitschaft zu kollektivem Protest regelrecht energetisiert
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Ungerechtigkeitskomponente
Theorie zur relativen Deprivation
Self-Blame
Ärger, Wut und Empörung resultieren daraus, dass Fremdgruppen und deren Repräsentanten für die Situation der Eigengruppe verantwortlich gemacht werden
Zuschreibungen eigener Verantwortlichkeit (“Self-Balme”) führen hingegen zur Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse und gehen eher mit Selbstwertminderung und Resignation einher
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Identitätskomponente
Aus sozialpsychologischer Sicht stellt eine soziale geteilte Identität eine entscheidende Voraussetzung für kollektiven Protest dar
Die Identitätskomponente des Collective Action Frame bezieht sich auf die kollektive Definition dieses wir, die typischerweise in Abgrenzung zu einem die, nähmlich der gegnerischen politischen Partei erfolgt
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Identitätskomponente
Simon & Klandermans (2001) Prozesse der Politisierung sozial geteilter Identität
1) Wahrnehmung sozial geteilter Missstände
Die Gruppenmitglieder teilen die Auffassung, dass es sich bei der Benachteiligung nicht um individuelle, sondern um Formen kollektiver Benachteiligung handelt, die viele Mitgleider der Eigengruppe betreffen
2) Ursachenzuschreibung auf einen Gegner
Die Gruppenmitglieder identifizieren eine gegnerische politische Partei oder ein Feindbild
3) Triangulation der weiteren Gesellschaft
Die Gruppe weitet die Konfrontation mit der gegnerischen Partei in einem umfassenden Machtkampf aus, der die Gesellschaft insgesamt (oder gesellschaftliche Repräsentanten) dazu zwingt, Partei zu ergreiben
→Infolge dieser Prozesse gewinnt die soziale Identität zunehmend politische Bedeutung
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Handlungskomponente
Bezieht sich auf die Einschätzung der Möglichkeiten, kollektive Ziele durchzusetzen
Diese Einschätzung kann u.a. auf zwei unterschiedlichen Überzeugungen beruhen
1) Mitglieder sozial benachteiligter Gruppen müssen an die Veränderbarkeit der bestehenden Strukturen glauben, damit sie sich an kollektiven Protestaktionen beteiligen
2) Müssen sie von der Wirksamkeit kollektiven Handelns als Mittel sozialen Wandels überzeugt sein und der Ansicht sein, dass die soziale Bewegung die notwendigen Ressourcen besitzt, diese Mittel erfolgreich anzuwenden
Analog zur Selbstwirksamkeitserwartung auf der Ebene individuellen Verhaltens müssen Gruppen kollektive Wirksamkeitserwartungen ausbilden, um den Machtkampf mit den statushöheren Gruppen aufzunehmen
Damit sich diese Erwartungen entwickeln, sind empirische Evidenzen notwendig
→Als Empowerment bekannt
→kann sich teilweise über viele Jahre erstrecken
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Mobilisierungsversuche
Sympathie mit der sozialen Bewegung bzw. die Übernahme eines Collective Action Frame sind notwenige, aber keine hinreichenden Bedinugngen dafür, dass sich Menschen tatsächlich an Aktionen einer sozialen Bewegung beteiligen
Das Mobilisierungspotential bzw. die potentiell teilnehmende Person muss im Hinblick auf konkrete Aktionen aktiviert werden
Mobilisierungsversuche mit Hilfe von Massenmedien haben sich in der Regel als wenig effektiv erwiesen
Dagegen spielen Netzwerke, basierend auf persönlichen Kontakten im Rahmen von Freundschaftsbeziehungen oder auch Organisationen, eine weitaus wichtigere Rolle
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Mobilisierungsversuche
Rekrutierungsnetzwerke
Um Rekrutierungsnetzwerke auszubilden und zu aktivieren, muss eine soziale Bewegung Verbindungen zu anderen Organisationen knüpfen und bereits bestehende informelle und formelle Strukturen aufgreifen und sich zu eigen machen
Das Rekrutierungsnetzwerk einer sozialen Bewegung bestimmt die Reichweite der Mobilisierungsversuche
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Erwartungs-Wert-Theorie
Das ovn Klandermans für diese Stufe entwickelte Motivationsmodell beruht auf einer Kombination der Erwartungs-Wert Theroie (Feather, 1982) mit der Collective Action Theory (Olson, 1968)
Die Motivation oder Bereitschaft zur Teilnahme an Aktionen einer sozialen Bewegung wird in diesem Modell als eine Funktion der erwarteten Kosten und Nutzen der Teilnahme aufgefasst
Zentral ist die Unterscheidung zwischen kollektiven und selektiven Anreizen
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Erwartungs-Wert-Theorie
Kollektive Anreize
Kollektive Anreize beziehen sich auf das Ziel einer sozialen Bewegung
An dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass das Ziel einer sozialen Bewegung, wenn es erreicht wird, ein kollektives Gut darstellt
Der kollektive Nutzen als motivationaler Anreiz ist unzureichend, da Trittbrett-Fahrende nicht auszuschließen sind
Potentielle Trittbrett-Fahrende benötigen daher zusätzlich selektive Anreize
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Erwartungs-Wert-Theorie
Selektive Reize
Können in soziale bzw. nicht-soziale Kosten und Nutzen unterteilt werden
Zufolge lassen sich daher drei unterschiedliche Motive sozialer Bewegungsbeteiligung unterscheiden, von denen sich jedes auf unterschiedliche Typen erwarteter Kosten und Nutzen bezieht
1) Das kollektive Motiv
2) Das soziale bzw. normative Motiv
3) Das Belohnungsmotiv
→Klandermans nimmt an, dass sich alle drei Motive förderlich für die Teilnahmebereitschaft auswirken
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Das kollektive Motiv
Bezieht sich auf die kollektiven Ziele der sozialen Bewegung
Im Einklang mit dem Erwartungs-Wert-Ansätzen wird das kollektive Motiv konzipiert als die multiplikative Funktion des WErtes, den die potentiell teilnehmende Person dem kollektiven Ziel beimisst, und der subjektiven Wahrscheinlichkeit, dass das Ziel durch die kollektiven Aktionen der Bewegung erreicht werden kann
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Das kollektive Motiv
Subjektive Wahrscheinlichkeit
Die subjektive Wahrscheinlichkeit beruht auf drei unterschiedlichen Erwartungen:
1) der Erwartung, dass genügend andere Personen an der Aktion teilnehmen
2) der Erwartung, dass die Ziele erreicht werden können, wenn viele Personen an der Aktion teilnehmen
3) die Erwartung, dass die eigene Teilnahme die Erfolgsaussichten verbessert
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Das soziale bzw. normative Motiv
Das Motiv bezieht sich auf die erwarteten Reaktionen signifikanter Anderer auf die eigene Teilnahme an kollektiven Aktionen
Es ist konzipiert als die multiplikative Funktion der wahrgenommenen (positiven oder negativen) Qualität der erwarteten Reaktion und der persönlichen Bedeutung dieser Reaktion
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Das Belohnungmotiv
Dieses Motiv bezieht sich schließlich auf die selektiven Anreize im Sinne von eher materiellen Kosten und Nutzen
Wie im Falle des kollektiven und des sozialen Motivs ist das Belohnungmotiv als die multiplikative Funktion des Wertes, den der potentielle Befragte diesen Kosten und Nutzen beimisst und der subjektiven Wahrscheinlichkeit, dass diese Kosten und Nutzen tatsächlich aus der Teilnahme resultieren, konzipiert
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Studien
Im Laufe der letzten Jahrzehnte konnte die Bedeutung dieser drei Motive für die soziale Bewegungsbeteiligung in einer Vielzahl von empirischen Studien in unterschiedlichen sozialen Bewegungskontexten nachgewiesen werden
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmebarrieren
Die Motivation oder Bereitschaft, an kollektiven Aktionen teilzunehmen, ist allerdings immer noch keine hinreichende Bedingung für die tatsächliche Teilnahme
Die Verhaltensbereitschaft hat allerdings nur dann einen Einfluss auf die tatsächliche Ausübung des Verhaltens, wenn dieses unter willentlicher Kontrolle steht
Hindernisse und Barrieren, die jenseits der Kontrollmöglichkeiten eines potentiellen Teilnehmenden liegen, können ihn an der tatsächlichen Bewegungsteilnahme hindern
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmebarrienen
Verhaltenskontrolle
Ob eine potentiell teilnehmende Person als tatsächlich an einer kollektiven Protestaktion der Bewegung teilnimmt, hängt davon ab, wie sie auf derartige Barrieren reagiert bzw. ob sie annimmt , sie verfüge über die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen, um die Barrieren überwindern zu können
→Verhaltenskontrolle
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Belege
Klandermans und Oegema (1987( haben ihr Modell u.a. anhand einer Untersuchung der Teilnahme an Aktionen der niederländischen Friedensbewegung empirisch belegt
Wie die Ergebnisse zeigten, passierten nicht einmal fünf Prozent der Personen, die noch auf Stufe 1 mit der Friedensbewegung sympathisierten, die vierte Stufe und nahmen tatsächlich an einer Friedensdemonstration teil, die 1983 in Den Haag stattfand
Soziale Identifikation und Emotion
Kritik an dem Klandermans’schen Modell
Die kritin innerhalb der sozialen Bewegungsforschung richtet sich vor allem gegen die Konzeption der potentiell teilnehmenden Personen als individuellen Kosten-Nutzen-Analytiker, wobei insbesonder die Vernachlässigung der Einflüsse von Gruppenprozessen auf die Entscheidungsprozesse kritisiert wird
Tatsächlich stößt der Kosten-Nutzen-Ansatz auch bei der Erklärung einer Reihe von Phänomenen, die im Kontext sozialer Bewegungsbeteiligung zu beobachten sind, an seine Grenzen
Der Soziale Identitätsansatz zur sozialen Bewegungsbeteiligung
Inklusivitätsgrad
Menschliches Sozialverhalten hängt diesem Ansatz zufolge in entscheidendem Maße davon ab, ob sich Personen in einem bestimmten sozialen Kontext im Sinne ihrer personalen Identität (“Ich”) definieren, oder im Sinne einer kollektiven Identität (“Wir”)
Ein entscheidender Unterschied zwischen diesen beiden (idealtypischen) Varianten der Selbstdefinition liegt in ihrem sozialen Inklusivitätsgrad
Wärhend die individuelle Identität eine Selbstdefinition auf der Basis individueller Eigenschaften und Interessen widerspiegelt, beruht die kollektive Identität einer Person auf ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe
Dem sozialen Identitätsansatz zufolge wird das Erleben und Verhalten einer Person in dem Maße im Sinne einer bestimmten Gruppenmitgliedschaft beeinflusst, in dem die soziale Identität relativ zur personalen Identität phänomenal in den Vordergrund tritt
Determinanten der Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität
sozial-kontextuelle Faktoren, die dazu beitragen, dass sich Menschen im Sinne ihrer sozialen Identität definieren
soziale Realität des Intergruppenkonflikts
Eine Klasse dieser Faktoren bezieht sich unmittelbar auf die soziale Realität des Intergruppenkonflikts
Wahrnehmungen eines gemeinsamen Gruppenschicksals und einer gemeinsamen gegnerischen Partei tragen zur Akzentruierung der Differenzierung zwischen “uns” und “denen” bei und stärken dadurch das Bewusstsein der Gruppenangehörigen, wer sie sind und zu wem sie gehören
Determinanten der Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität
sozial-kontextuelle Faktoren, die dazu beitragen, dass sich Menschen im Sinne ihrer sozialen Identität definieren
wahrgenommenen soziostrukturellen Charakteristika
Eine andere Klasse von Faktoren bezieht sich auf die wahrgenommenen soziostrukturellen Charakteristika, die die Intergruppenbeziehung definieren
Determinanten der Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität
Illegitimität & Instabilität
Die Theorie der sozialen Identität postuliert, dass die Selbstdefinition im Sinne einer sozialen Identität gestärkt wird, wenn die Gruppengrenzen undurchlässig sind und der niedrige Status der Eigengruppe als illegitim und instabil wahrgenommen wird
Die Wahrnehmung undurchlässiger Gruppengrenzen bei gleichzeitig wahrgenommener Illegitimität und Instabilität der Intergruppenbeziehung fördert auch die Überzeugung, die einzige Möglichkeit, den eigenen negativen Status zu verändern, bestehe darin, mit anderen Gruppenmitgliedern gemeinsam zu handeln, was wiederum die Beteiligung an kollektiven Protestaktionen fördert
Soziale Identität als Determinante der Teilnahmemotivation
soziale Identitätsprozesse auf allen Stufen des Modells von Klandermans
Verschiedene Autor*innen haben argumentiert, dass soziale Identitätsprozesse auf allen Stufen des Modells von Klandermans (1997) von Bedeutung sind
Soziale Bewegungen konstituieren sich häufig aus den Mitgliedern bereits bestehender Gruppen oder sozialer Kategorien
Die sollte insbesondere die Generierung und Verbreitung von “collective action frames” erleichtern
Soziale Identität als Determinante der Teilnahmemotivation
kollektive Identität
Da Personen, die sich stark mit ihrer Gruppe identifizieren, eher bereit sind, sich von Mitgliedern ihrer Eigengruppe überzeugen zu lassen, sollte eine starke kollektive Ideantität auch die wahrscheinlichkeit des Erfolgs von Mobilisierungsversuchen seitens der Initiatioren einer sozialen Bewegung erhöhen
Überdies ist anzunehmen, dass Personen, die sich stark kollektiv identifizieren, selbst eine aktive Rolle in der Mobilisierung übernehmen
Soziale Identität als Determinante der Teilnahmemotivation
Wie und warum wirkt sich die Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität auf die Motivation zur Teilnahme aus?
1) Beeinflussung von Kalkulationsprozessen
2) Internalisierung von Gruppenzielen
Soziale Identität als Determinante der Teilnahmemotivation
Wie und warum wirkt sich die Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität auf die Motivation zur Teilnahme aus?
Beeinflussung von Kalkulationsprozessen
Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität beeinflusst die oben diskutierten Kosten-Nutzen-Kalkulationsprozesse
In dem Maße, in dem sich die Personen im Sinne ihrer sozialen Identität definieren, sollten solche Kosten und Nutzen im Kalkulationsprozess besonders ins Gewicht fallen, die mit der Gruppenzugehörigkeit in Verbindung stehen, während Kosten und Nutzen, die mit individuellen Motiven und Präferenzen in Verbindung stehen, an Gewicht verlieren sollten
→Studien legen nahe, dass stark identifizierte Gruppenmitglieder sich selbst dann zugunsten der Gruppenziele engagieren, wenn dieses Verhalten mit individuellen Kosten für sie verbunden ist
Soziale Identität als Determinante der Teilnahmemotivation
Wie und warum wirkt sich die Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität auf die Motivation zur Teilnahme aus?
Internalisierung von Gruppenzielen
Selbstdefinition im Sinne sozialer Identität kann auch eigenständige Motivationsprozesse in Gang setzen, die dann wiederum unabhängig von Kosten-Nutzen-Kalkulationen operieren
In diesem Zusammenhang sind zwei unterschiedliche Prozesse von Bedeutung
Der soziale Identitätsansatz legt nahe, dass die Übernahme einer sozialen Identität mit der Internalisierung von Normen, Werten und Zielen der Gruppe einhergeht
Gruppenspezifische Normen, Werte und Ziele werden in die eigene Identitätsdefinition aufgenommen und werden dadurch für das eigene Verhalten verbindlich; dies führt dazu, dass sich Gruppenmitglieder im Sinne der Gruppe verhalten und sich aktiv für deren Ziele engagieren
Soziale Identität als Determinante der Teilnahmemotivation
Empirische Befunde
Die Bedeutung sozialer Identitätsprozesse für die soziale Bewegungsbeteiligung wurde in den vergangenen Jahren in einer Reihe von Feldstudien in unterschiedlichen sozialen Bewegungskontexten bestätigt
Das Zwei-Wege Modell sozialer Bewegungsbeteiligung
Befunde von Feldstudien
Sowohl die Indikatoren des Kalkulationsprozesses à la Klandermans als auch die Indikatoren der sozialne Identitätsprozesse (Identifikation mit der Bewegung) trugen unabhängig voneinander zur Vorhersage der Teilnahmebereitschaft bzw. der tatsächlichen Teilnahme bei
→”Wenn ich weiß, wer ich bin, weiß ich auch, was ich zu tun habe, unabhängig von den unmittelbaren Kosten und Nutzen.”
Studien liefern auch Belege dafür, dass der Effekt sozialer Identifikation mit der Bewegung auf die Teilnahmemotivation auf einer Internalisierung der Gruppenziele bzw. einer daraus resultierenden inneren Verpflichtung zur aktiven Partizipation beruht
Gruppenbasierte Emotionen
Befunde von Meta-Analyse
Legen nahe, dass Gefühle gruppenbasierter Ungerechtigkeit einen Effekt auf die Teilnahmemotivation haben, der über die Einflüsse von Kosten-Nutzen-Kalkulations- und Identifikationsprozessen hinausgeht
Zudem scheinen gruppenbasierte Gefühle von Ungerechtigkeit die Politisierung von sozialer Identität zu begünstigen
Es ist darauf hinzuweisen, dass Ungerechtigkeitsgefühle, moralische Empörung oder Ärger nur eine Klasse von Emotionen sind, die in der Forschung zu den Determinanten sozialer Bewegungsbeteiligung und kollektiven Handeln untersucht wird
Eine andere Klasse bezieht sich auf Empfindungen von Schuld und Scham, die aus der Wahrnehmung eines kollektiven historischen Fehlverhaltens der Eigengruppe resultieren
Biografische Faktoren und individuelle Differenzen
Faktoren, die die Übernahme eines Collective Action Frames oder einer politisierten sozialen Identität begünstigen
- Familiärer Hintergrund
- Sozioökonomischer Status und Bildungsgrad
- Politische Selbstwirksamkeitserwartung
Biografische Faktoren und individuelle Differenzen
Faktoren, die die Übernahme eines Collective Action Frames oder einer politisierten sozialen Identität begünstigen
Familiärer Hintergrund
Forschungsarbeiten zu Untrschieden zwischen sozialpolitischen Aktivisten und politisch inaktiven Personen weisen auf die Bedeutung von politischen Sozialisationserfahrungen innerhalb der Herkunftsfamilie hin
Insbesondere eine (links)liberale Orientierung innerhalb der Familie scheint offenbar eine spötere sozialpolitische Partizipation zu begünstigen
Vermutlich erhöht eine solche Orientierung die Wahrscheinlichkeit, dass den Kindern gruppen- oder klassenorientierte (statt individuumsorientierte) Erklärungen für soziale Missstände vermittelt werden, was wiederum die Übernahme von gruppenbezogenen Collective Action Frames erhöht
Biografische Faktoren und individuelle Differenzen
Faktoren, die die Übernahme eines Collective Action Frames oder einer politisierten sozialen Identität begünstigen
Sozioökonomischer Status und Bildungsgrad
Einer der konsistentesten Befunde im Hinblick auf das soziodemographische Profil politisch aktiver Personen ist, dass diese typischerweise aus ökonomisch eher privilegierten Verhältnissen kommen und einen höheren Bildungsgrad aufweisen als politisch weniger aktive Personen
Biografische Faktoren und individuelle Differenzen
Faktoren, die die Übernahme eines Collective Action Frames oder einer politisierten sozialen Identität begünstigen
Politische Selbstwirksamkeitserwartung
Personen mit einer hohen Ausprägung politischer Selbstwirksamkeitserwartung sind davon überzeugt, dass sie durch ihr eigenes Handeln Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse haben und dass es von daher einen Unterschied macht, ob man sich engagiert oder nicht
Diese Form der Selbstwirksamkeitserwartung ist mit Überzeugungen im Sinne der Handlungskomponente des Collective Action Frames assoziiert
Biografische Faktoren und individuelle Differenzen
Zusammenfassend kann man festhalten, dass bestimmte biographische Faktoren und individuelle Differenzen es begünstigen, dass Personen Eingang in das Mobilisierungspotential einer Bewegung finden bzw. bestimmte Überzeugungen im SInne des Collective Action Frames übernehmen
Ob sie dann aber tatsächlich aktiv an konkreten Aktionen der Bewegung teilnehmen, hängt im Weiteren davon ab, ob sie die Stufen zur aktiven Partizipation überwinden
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Aus sozialpsychologischer Sicht lässt sich Radikalisierung als ein Prozess verstehen, an dessen Ende eine Person bereit ist, radikale, d.h. außerhalb akzeptierter sozialer Normen und moralischder Weise liegende Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen einzusetzen
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Das Streben nach Bedeutung und Sinn
Kruglanski et al.’s Ansatz
Drückt sich Radikaliserung auf der Ebene des Individuum als eine Form extremen Commitments aus
Der radikalisierte Mensch fühlt sich gegenüber bestimmten Zielen extrem verpflichtet, was zu Lasten eines Commitments gegenüber anderen Zielen, Werten und Bedürfnissen geht
Der motivationspsychologische Teil des Ansatzes von Kruglanski et al. befasst sich mit den individuellen Zielen oder Gründen dafür, sich zu radikalisieren
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Das Streben nach Bedeutung und Sinn
Kruglanski et al.’s Ansatz
Zentrales gemeinsames Motiv von radikalisierten Menschen
Kruglanski et al. fanden, dass ein zentrales gemeinsames Motiv von radikalisierten Menschen in dem Streben nach Bedeutung besteht
Mitglieder radikaler Gruppierungen sind durch das fundamentale menschliche Bedürfnis nach einer sinnvollen und bedeutsamen Existenz motiviert - sie streben danach, jemand zu sein, der einen Beitrag leistet, der einen Unterschied macht, der in den Augen anderer Personen wichtig ist
→Ein besonders wichtiger Faktor, der seinen Ursprung in der sozialen Lebenswelt der Person aht, ist die wahrgenommene Bedrohung des Verlusts einer emotional bedeutsamen sozialen Identität
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Das Streben nach Bedeutung und Sinn
Kruglanski et al.’s Ansatz
Bedrohung einer bedeutungsstifenden sozialen Identiät
Die wahrgenommene Bedrohung einer bedeutungsstiftenden sozialen Identität ist keine notwendige Bedingung dafür, sich einer radikalen Gruppe anzuschließen
Eine radikale Gruppe selbst bietet auch von sich aus Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Bedeutung und Sinn zu befriedigen
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Gruppenanrrative
Auf der Ebene der Gruppe besteht ein besonders relevanter Faktor in der Akzeptanz eines radikale Mittel rechtfertigenden Gruppennarratives
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Gruppenanrrative
Komponenten eines radikale Mittel rechtfertigenden Gruppennarratives nach Kruglanski & Webber (2014)
1) Das Narrativ liefert den Gruppenmitgliedern Interpretationen für die Situation ihrer Gruppe im Sinne von Ungerechtigkeit oder Leid
2) Das Gruppennarativ liefert auch Informationen über gemeinsame Feinde, die für das Leiden der Gruppe verantwortlich sind
Feindliche Personen können von außen oder auch vom Inneren kommen
3) Radikalisierende Gruppennarrative besitzen eine handlungsleitende Funktion, in dem sie effektvie und moralisch angemessene Lösungen für die Probleme der Eigengruppe aufzeigen
Zentrales Ziel ist, dass Mittel und Wege, die unter anderen Umständen innerhalb der eigenen Gruppe als illegal oder unmoralisch angesehen würden, im Licht der aktuellen Umstände als moralisch angemessen dargestellt werden
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Gruppenanrrative
Rethorische Strategien für radikalisierende Gruppennarrative nach Kruglanski und Webber (2014)
1) unterstreicht die Notwendigkeit von Gewalt
Die entsprechenden Argumenten basieren auf der Annahme, dass es sich bei den Eigenschaften der feindlichen Personen, die für das Leid der Eigengruppe verantwortlich sind, um internale und stabile natürlcihe oder kulturell bedingte Wesensmerkmale handelt
2) unterstreicht die Legitmität von Gewalt mit dem Hinweis, dass unter bestimmten Umständen die Anwendung von Gewalt allgemein akzeptiert ist
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Gruppensozialisation
Menschen akzeptieren Gruppennarrative nicht blindlings, sondern sie akzeptieren solche, die anschlussfähig zu in ihrer Gruppe bereits vorherrschenden Überzeugungen sind
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Gruppensozialisation
Akzeptanz von radikalisierenden Narrativen
Wird durch die Identifikation mit Gruppen gesteigert, da durch diesen Prozess die Bereitschaft des Individuums steigt, soziale Einflussversuche von anderen Gruppenmitgliedern zu akzeptieren
→Häufig rekrutieren radikale Gruppen neue Mitglieder in Phasen, in denen diese in Lebenskrisen stecken, oder sie aus anderen Gründen besonders empfänglich für das sind, was Gruppen bieten
→Gemeinschaft, Wertschätzung, Unterstützung
In dem Maße in dem die sozialen Beziehungen zur Gruppe enger werden, sind die neuen Mitglieder der Gruppe auch empfänglicher dafür, ideologische Botschaften von anderen Gruppenmitgliedern zu akzeptieren
Hier spielen sowohl informationaler als auch normativer Einfluss zusammen
→Einerseits stellen andere Gruppenmitglieder vertrauenswürdige Informationsquellen dar, andererseits wird abweichendes Verhalten oder das Infragestellen des Narrativs auch sozial sanktioniert
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Gruppensozialisation
Sozialisation in einer radikalen Gruppen
Vollzieht sich häufig als ein schleichender Prozess, der zu einer zunehmenden Intensivierung des Commitments des Individuums gegenüber der Gruppe führt
Die Sozialpsychologie der Radikalisierung
Gruppensozialisation
Zeitliche Abfolge
Kruglanski et al. gehen davon aus, dass die drei genannten Faktoren (Bedürfnis nach Bedeutung, Akzeptanz von radikalisierenden Gruppennarrativen, Gruppensozialisation) in unterschiedlicher zeitlicher Abfolge zur Radikalisierung beitragen können, wodurch sich unterschiedliche Wege der Radikalisierung ergeben
→Einerseits ist es möglich, dass der Prozess mit dem zunächst unverfänglichen und beiläufigen sozialen Kontakt mit Mitgliedern der Gruppierung beginnt
Andernfalls steht das Erleben der Bedrohung der sozialen Identität am Anfagn, die zur bewussten Such nach Kontakt führt
In wieder einem anderen Fall ist es die Akzeptanz der Gruppenideologie, die dazu führt, dass sich Menschen einer radikalen Gruppe anschließen