Kapitel 16 - Soziale Bewegungsbeteiligung Flashcards
Soziale Bewegung
Stellt eine soziale Gruppe dar, deren Ziel es ist, gemeinschaftlich einen sozialen Wandel herbeizuführen (oder auch zu verhindern)
Die Träger oder Anhänger einer sozialen Bewegung handeln demnach nicht als Individuen, sondern als Mitglieder einer Gruppe bzw. eines Kollektivs
Soziale Bewegungsbeteiligung stellt daher eine Form (inter)gruppalen Verhaltens dar
Soziale Bewegung
Definition
Eine große Anzahl von Personen, die sich selbst als Gruppe definieren und von anderen so definiert werden
Ziel sozialer Bewegungen ist es, ein gemeinsames soziales oder politisches Problem zu lösen
Dabei setzen sie unterschiediche Formen des politischen Protests ein
Soziale Bewegungsbeteiligung
Nach innen gerichtete Aktivitäten vs. nach außen gerichtete Aktivitäten
Während sich nach innen gerichtete Aktivitäten der Bewegung an die eigenen Mitglieder oder Sympathisierende richten, zielen nach außen gerichtete Aktivitäten darauf ab, einen sozialen Wandel im Sinne der Ziele der Bewegung herbeizuführen (oder einen Wandel entgegen der Ziele zu verhindern)
Nach außen gerichtete Strategien lassen sich wiederum danach klassifizieren, ob sie eher moderat oder militant sind bzw. ob sie sich innerhalb oder außerhalb des gesellschaftlich definierten normativen Rahmens bewegen
Wie lässt sich die aktive Teilnahme an einer sozialen Bewegung anhand der Dimension Aufwand und Zeitdauer klassifizieren (Klandermans, 1997)
Die Partizipation kann:
- ein einmaliger Verhaltensakt sein, der wenig Aufwand oder Kosten beinhaltet
→z.B. eine Petition unterschreiben
- ein einmaliger Verhaltensakt sein, der jedoch sehr kostenspielig und risikoreich ist
→z.B. die Teilnahme an einer Sitzblickade oder eine unerlaubte Demonstration
- zeitlich unbegrenzt sein und wenig Kosten und Aufwand verursachen
→z.B. einen jährlichen Mitgliedsbeitrag an eine formale Organisation der Bewegung entrichten
- lang andauernd und aufwändig sein
→z.B. dauerhafte und zeitintensive ehrenamtliche Mitarbeit in der Bewegung
Das Vier-Stufen Modell sozialer Bewegungsbeteiligung (Kladermans et al.)
Nach Kladermans muss ein potentieller Bewegungsteilnehmer bis zur Teilnahme an Aktionen einer sozialen Bewegung die folgenden vier Stufen überwinden:
Er muss:
- Teil des Mobilisierungspotentials der sozialen Bewegung werden
- Ziel werden von Mobilisierungsversuchen
- Teilnahmemotivation entwickeln
- Teilnahmebarrieren überwinden
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Mobilisierungspotential
Eine Person wird als Teil des Mobilisierungspotentials betrachtet, wenn sie mit der entsprechenden sozialen Bewegung sympathisiert oder präziser, wenn sie mit deren Anhängern einen Collective Action Frame teilt
Collective Action Frame - Gamson
Nach Gamson ist ein Collective Action Frame ein System sozial geteilter Meinungen und Überzeugungen, die zur Interpretation der sozialen Problemsituation herangezogen werden und aus denen sich angemessene kollektive (Re-)Aktionen ableiten lassen
Gamson unterscheidet drei Komponenten des Collective Action Frame:
- Ungerechtigkeitskomponente
- Identitätskomponente
- Handlungskomponente
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
1) Eine Ungerechtigkeitskomponente, mittels derer persönliche Notlagen oder soziale Missstände als Ungerechtigkeit interpretiert werden können
2) Eine Identitätskomponente, welche die Kategorisierung und die Unterscheidung “wir” vs. “die” beinhaltet
3) Eine Handlungskomponente, die nahlelegt, dass sozialer Wandel möglich ist, mit welchen Mitteln er erreicht werden kann und dass die soziale Bewegung die Fähigkeit besitzt, diese Mittel erfolgreich anzuwenden
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Ungerechtigkeitskomponente
Soziale Diskriminierung, Benachteiligung oder Unterdrückung reflektieren Machtdifferenzen zwischen Gruppen
Die mächtige oder statushohe Gruppe hat Kontrolle über das Schicksal einer anderen Gruppe
Diese Dominanz wird durch die Entwicklung und Verbreitung von Ideologien gestützt, aufrechterhalten und verteidigt, welche die bestehende soziale Ordnung legitimieren
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Ungerechtigkeitskomponente
Theorien zur relativen Deprivation
Wie Theorien zur relativen Deprivation nahelegen, führt die Wahrnehmung, dass die eigene Gruppe weniger bekommt als das, worauf sie rechtmäßig Anspruch hat, zu Gefühlen fraternaler relativer Deprivation wie gruppenbasiertem Ärger, Wut oder Empörung
Diese Gefühle können auch aus der Art und Weise resultieren, wie gesellschaftliche Autoritäten mit sozialen Problemen umgehen
Eine als ungerecht wahrgenommene Behandlung durch Autoritäten kann Emotionen wie Wut und Empörung schüren, welche die Bereitschaft zu kollektivem Protest regelrecht energetisiert
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Ungerechtigkeitskomponente
Theorie zur relativen Deprivation
Self-Blame
Ärger, Wut und Empörung resultieren daraus, dass Fremdgruppen und deren Repräsentanten für die Situation der Eigengruppe verantwortlich gemacht werden
Zuschreibungen eigener Verantwortlichkeit (“Self-Balme”) führen hingegen zur Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse und gehen eher mit Selbstwertminderung und Resignation einher
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Identitätskomponente
Aus sozialpsychologischer Sicht stellt eine soziale geteilte Identität eine entscheidende Voraussetzung für kollektiven Protest dar
Die Identitätskomponente des Collective Action Frame bezieht sich auf die kollektive Definition dieses wir, die typischerweise in Abgrenzung zu einem die, nähmlich der gegnerischen politischen Partei erfolgt
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Identitätskomponente
Simon & Klandermans (2001) Prozesse der Politisierung sozial geteilter Identität
1) Wahrnehmung sozial geteilter Missstände
Die Gruppenmitglieder teilen die Auffassung, dass es sich bei der Benachteiligung nicht um individuelle, sondern um Formen kollektiver Benachteiligung handelt, die viele Mitgleider der Eigengruppe betreffen
2) Ursachenzuschreibung auf einen Gegner
Die Gruppenmitglieder identifizieren eine gegnerische politische Partei oder ein Feindbild
3) Triangulation der weiteren Gesellschaft
Die Gruppe weitet die Konfrontation mit der gegnerischen Partei in einem umfassenden Machtkampf aus, der die Gesellschaft insgesamt (oder gesellschaftliche Repräsentanten) dazu zwingt, Partei zu ergreiben
→Infolge dieser Prozesse gewinnt die soziale Identität zunehmend politische Bedeutung
Collective Action Frame - Gamson
Drei Komponenten
Handlungskomponente
Bezieht sich auf die Einschätzung der Möglichkeiten, kollektive Ziele durchzusetzen
Diese Einschätzung kann u.a. auf zwei unterschiedlichen Überzeugungen beruhen
1) Mitglieder sozial benachteiligter Gruppen müssen an die Veränderbarkeit der bestehenden Strukturen glauben, damit sie sich an kollektiven Protestaktionen beteiligen
2) Müssen sie von der Wirksamkeit kollektiven Handelns als Mittel sozialen Wandels überzeugt sein und der Ansicht sein, dass die soziale Bewegung die notwendigen Ressourcen besitzt, diese Mittel erfolgreich anzuwenden
Analog zur Selbstwirksamkeitserwartung auf der Ebene individuellen Verhaltens müssen Gruppen kollektive Wirksamkeitserwartungen ausbilden, um den Machtkampf mit den statushöheren Gruppen aufzunehmen
Damit sich diese Erwartungen entwickeln, sind empirische Evidenzen notwendig
→Als Empowerment bekannt
→kann sich teilweise über viele Jahre erstrecken
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Mobilisierungsversuche
Sympathie mit der sozialen Bewegung bzw. die Übernahme eines Collective Action Frame sind notwenige, aber keine hinreichenden Bedinugngen dafür, dass sich Menschen tatsächlich an Aktionen einer sozialen Bewegung beteiligen
Das Mobilisierungspotential bzw. die potentiell teilnehmende Person muss im Hinblick auf konkrete Aktionen aktiviert werden
Mobilisierungsversuche mit Hilfe von Massenmedien haben sich in der Regel als wenig effektiv erwiesen
Dagegen spielen Netzwerke, basierend auf persönlichen Kontakten im Rahmen von Freundschaftsbeziehungen oder auch Organisationen, eine weitaus wichtigere Rolle
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Mobilisierungsversuche
Rekrutierungsnetzwerke
Um Rekrutierungsnetzwerke auszubilden und zu aktivieren, muss eine soziale Bewegung Verbindungen zu anderen Organisationen knüpfen und bereits bestehende informelle und formelle Strukturen aufgreifen und sich zu eigen machen
Das Rekrutierungsnetzwerk einer sozialen Bewegung bestimmt die Reichweite der Mobilisierungsversuche
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Erwartungs-Wert-Theorie
Das ovn Klandermans für diese Stufe entwickelte Motivationsmodell beruht auf einer Kombination der Erwartungs-Wert Theroie (Feather, 1982) mit der Collective Action Theory (Olson, 1968)
Die Motivation oder Bereitschaft zur Teilnahme an Aktionen einer sozialen Bewegung wird in diesem Modell als eine Funktion der erwarteten Kosten und Nutzen der Teilnahme aufgefasst
Zentral ist die Unterscheidung zwischen kollektiven und selektiven Anreizen
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Erwartungs-Wert-Theorie
Kollektive Anreize
Kollektive Anreize beziehen sich auf das Ziel einer sozialen Bewegung
An dieser Stelle ist es wichtig festzuhalten, dass das Ziel einer sozialen Bewegung, wenn es erreicht wird, ein kollektives Gut darstellt
Der kollektive Nutzen als motivationaler Anreiz ist unzureichend, da Trittbrett-Fahrende nicht auszuschließen sind
Potentielle Trittbrett-Fahrende benötigen daher zusätzlich selektive Anreize
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Erwartungs-Wert-Theorie
Selektive Reize
Können in soziale bzw. nicht-soziale Kosten und Nutzen unterteilt werden
Zufolge lassen sich daher drei unterschiedliche Motive sozialer Bewegungsbeteiligung unterscheiden, von denen sich jedes auf unterschiedliche Typen erwarteter Kosten und Nutzen bezieht
1) Das kollektive Motiv
2) Das soziale bzw. normative Motiv
3) Das Belohnungsmotiv
→Klandermans nimmt an, dass sich alle drei Motive förderlich für die Teilnahmebereitschaft auswirken
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Das kollektive Motiv
Bezieht sich auf die kollektiven Ziele der sozialen Bewegung
Im Einklang mit dem Erwartungs-Wert-Ansätzen wird das kollektive Motiv konzipiert als die multiplikative Funktion des WErtes, den die potentiell teilnehmende Person dem kollektiven Ziel beimisst, und der subjektiven Wahrscheinlichkeit, dass das Ziel durch die kollektiven Aktionen der Bewegung erreicht werden kann
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Das kollektive Motiv
Subjektive Wahrscheinlichkeit
Die subjektive Wahrscheinlichkeit beruht auf drei unterschiedlichen Erwartungen:
1) der Erwartung, dass genügend andere Personen an der Aktion teilnehmen
2) der Erwartung, dass die Ziele erreicht werden können, wenn viele Personen an der Aktion teilnehmen
3) die Erwartung, dass die eigene Teilnahme die Erfolgsaussichten verbessert
Vier-Stufen Modell - Klandermans
Teilnahmemotivation
Das soziale bzw. normative Motiv
Das Motiv bezieht sich auf die erwarteten Reaktionen signifikanter Anderer auf die eigene Teilnahme an kollektiven Aktionen
Es ist konzipiert als die multiplikative Funktion der wahrgenommenen (positiven oder negativen) Qualität der erwarteten Reaktion und der persönlichen Bedeutung dieser Reaktion