Suizidalität Flashcards

1
Q

Suizid

A

Tod aufgrund eines intentionalen, selbstschädigenden Verhaltens, das mit einem gewissen Maß an Absicht zu sterben assoziiert war

3 Bestimmungsmerkmale

  1. Die Person ist tot
  2. Das Verhalten der Person selbst führte zum Tod
  3. Die Person hatte - in gewissem Ausmaß - die Absicht, ihren eigenen Tod herbeizuführen. Eine entsprechende Intention wird entweder erschlossen oder wurde explizit zum Ausdruck gebracht
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2
Q

Suizidversuch

A

Auf die eigene Person gerichtetes, potenziell selbstverletzendes Verhalten, das nicht zum Tod führte, aber mit einem gewissen Maß an Absicht zu sterben assoziiert war

3 Bestimmungsmerkmale

  1. Die Person hatte - in gewissem Maße - die Absicht, ihren eigenen Tod herbeizuführen. Diese Absicht wird entweder erschlossen oder wurde explizit zum Ausdruck gebracht
  2. Es wurde ein Verhalten gezeigt, das das Potenzial zur Selbstschädigung hatte bzw. von dem die Person dachte, dass es dieses Potenzial hat
  3. Eine Verletzung oder Schädigung kann, aber muss nicht eingetreten sein
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3
Q

Unterbrochene und abgebrochene Suizidversuche

A

Die Ausführung eines auf die eigene Person gerichteten, potenziell selbstverletzenden Verhaltens, das mit einem gewissen Maß an Absicht zu sterben assoziiert ist und das entweder durch eine andere Person unterbrochen/verhindert wurde oder von der Person selber abgebrochen wurde, bevor es zu einer Schädigung oder einer potenziellen Schädigung gekommen ist

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4
Q

Selbstverletzendes Verhalten

A

Auf Basis der dem Verhalten zugrunde liegenden Intention werden 3 Klassen von Verhaltensmustern differenziert

  1. nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten
  2. unbestimmtes selbstverletzendes Verhalten
  3. suizidales Verhalten (Suizid, Suizidversuch, unterbrochener/abgebrochener Suizidversuch)
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5
Q

Epidemologie

A

Suizide

  • Suizidrate Deutschland: 12,1 (weltweit mittlerer Bereich)
  • Suizidrate weltweit: 11,4
  • Alle 40 Sekunden
  • Weltweit 1,4% aller Todesfälle
  • Männer in Deutschland 2 - 3 Mal so häufig wie Frauen
  • Geschlechterübergreifend meistens durch Erhängen
  • 15 - 29-jährige: Weltweit zweithäufigste Todesursache

Suizidversuche

  • übersteigen die Zahl der Suizide um ein Vielfaches
  • 10 - 40 Suizidversuche auf einen Suizid
  • Lebenszeitprävalenz in Deutschland: 1,7%
  • Häufiger Frauen
  • Häufiger junge Menschen

Suizidgedanken und -pläne

  • Deutschland: 9,7% Gedanken
  • Deutschöand: 2,2% Pläne
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6
Q

Diagnostische Kriterien suizidale Verhaltensstörung nach DSM-5

A

L. Die Person hat innerhalb der letzten 24 Monate einen Suizidversuch unternommen.

M. Die Tat erfüllt nicht die Kriterien für nicht-suizidale Selbstverletzungen - d.h. sie beinhaltet keine Selbstverletzungen, die der Körperoberfläche zum Zweck der Entlastung von negativen Gefühlen, von einem kognitiven Zustand oder zur Herbeiführung eines positiven Gefühls zugefügt werden

N. Die Diagnose bezieht sich nicht auf Suizidgedanken oder Suizidvorbereitungen

O. Die Tat wurde nicht während eines Delirs oder eines Zustandes der Verwirrtheit initiiert

P. Die Tat wurde nicht ausschließlich aufgrund eines politischen oder religiösen Ziels ausgeführt

Bestimme, ob:

  • aktuell (< 12 Monate seit dem letzten Suizidversuch)
  • oder frühremittiert (12 - 24 Monate seit dem letzten SV)
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7
Q

Suizidversuch

A

= ein selbstinitiierter Verhaltensablauf einer Person, die zum Zeitpunkt der Initiierung annimmt, dass der Ablauf der Handlung zu ihrem eigenen Tod führt.

Der Zeitpunkt der Initiierung ist der Zeitpunkt, an dem das Verhalten eingetreten ist, das die Anwendung der Methode beinhaltet.

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8
Q

Risikofaktoren: Individuum

A
  • Psychische Erkrankungen (90%)
    • Affektive Störungen, Schizophrenie, substanzbezogene Störungen (insb. Alkoholabhängigkeit), Persönlichkeitsstörungen (insb. Borderline), psychotische Störungen
  • Vorangegangene Suizidversuche (2 - 11%)
    • höchstes Suizidrisiko im 1. Jahr nach dem Versuch
  • Suizide in der Herkunftsfamilie
    • familiäre Häufung = Hinweis auf genetische Komponente suizidalen Verhaltens
    • Suizide eineiiger Zwillinge > zweieiiger Zwillinge
    • Herkunftsfamilie > Adoptivfamilie
  • Schädlicher Alkoholkonsum
  • Arbeitsplatzverlust, finanzieller Verluste
  • Hoffnungslosigkeit
  • Chronische Schmerzen
  • Genetische und biologische Faktoren
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9
Q

Risikofaktoren: Beziehungen

A
  • Soziale Isolation und fehlende soziale Unterstützung
  • Beziehungskonflikte, -zerwürfnisse und -verluste
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10
Q

Schutzfaktoren

A
  • Soziale Unterstützung
  • Persönliche Problemlösefähigkeiten
  • Positiver Attributionsstil
  • Positiver Selbstwert
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11
Q

Suizide im Kontext psychischer Erkrankungen

A
  • Unipolare affektive Störung: 12 - 15% (schwere Dep.)
    • Bei Beginn und Abklingen einer depressiven Episode, bei erhöhter Symptomschwere, insb. bei Gewichts- und Appetitverlust, Schlafstörungen und Schuldgefühlen
  • Bipolare affektive Störung: 10 - 15% (stationäre Pat.)
      1. Jahr nach Erkrankungsbeginn, komorbider Substanzmissbrauch, v.a. während depressiven Episoden, seltener in gemischten oder manischen Episoden
  • Alkoholabhängigkeit: 7%
    • stark ausgeprägtes Suchtverhalten, medizinische Folgeprobleme, längere Erkrankungsdauer, komorbider Drogenmissbrauch, Depressionen; Suizidrate alkoholabhängiger Frauen gegenüber Frauen der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht
  • Borderline-PS: 4 - 4,8%
    • Selbstverletzungen, Depressionen, Impulsivität, Aggressivität, frühkindlicher Missbrauch, komorbide antisoziale PS, Alkohol- und Drogenabhängigkeit; Suizide meist erst im späteren Verlauf der Erkrankung und nach einer Reihe unwirksamer Behandlungsversuche
  • Schizophrenie: 1,8 - 5,6%
      1. Jahr nach Erkrankungsbeginn, höherer IQ und Bildungsstand, Depressivität, komorbider Drogenmissbrauch, evtl. Rolle positiver psychotischer Symptomatik
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12
Q

Kognitives Modell suizidaler Handlungen

(Wenzel und Beck, 2008)

A
  • Dispositionelle Vulnerabilitätsfaktoren (z.B. Impulsivität, Problemlösedefizite, Perfektionismus) führen allein oder in Interaktion mit externen Stressoren bzw. psychischen Erkrankungen zur Aktivierung suizidrelevanter Schemata
  • Suizidrelevante Schemata:
    • Habituelle Hoffnungslosigkeit; “trait hopelessness”(assoziiert mit geplantem suizidalen Verhalten)
    • Unaushaltbarkeitsüberzeugungen; “unbearability” (assoziiert mit impulsiv umgesetzten Suizid(versuch)en)
  • Nach Schemaaktivierung wechselseitiger Aufschaukelungsprozess aus:
    • Akuter Hoffnunslosigkeit; “state hopelessness”
    • Selektiver Aufmerksamkeit für suizidrelevante Stimuli (Inhibitionsschwierigkeiten)
    • Attentionaler Fixation auf Suizid als einzige Lösung für bestehende Probleme
  • Zunehmende Hoffnungslosigkeit erhöht Wahrscheinlichkeit für suizidale Gedanken
  • Suizidale Gedanken führen in Abhängigkeit ihrer Dauer, Schwere und Intensität zum Überschreiten eines individuellen Schwellenwertes zu suizidalen Handlungen
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13
Q

Interpersonale Theorie suizidalen Verhaltens

(Joiner, 2005)

A
  • Gemeinsames Auftreten zweier psychischer Zustände assoziiert mit dem Wunsch, sich das Leben zu nehmen
  1. Wahrnehmung, nicht Teil einer wertgeschätzten Gruppe zu sein; “thwarted belongingness”
  2. Eindruck, für andere eine Belastung darzustellen; “perceived burdensomeness”
  • Suizidales Verhalten resultiert aber nur, wenn der Wunsch zu sterben einhergeht mit einer erworbenden Befähigung sich das Leben zu nehmen; “aquired capability”
  • Nur Personen, die eine erhöhte Toleranz für physischen Schmerz und einer herabgesetzte Angst vor dem Tod haben, besitzen die Fähigkeit, sich zu suizidieren
  • Furchtlosigkeit vor Schmerz und Tod durch Habituationserfahrungen in Reaktion auf wiederholte Exposition mit körperlich schmerzhaften und/oder angsteinflößenden Erlebnissen (z.B. Selbstverletzungen, Suizidversuche, Missbrauchserfahrungen, Kriegseinsätze)
  • Qualitativer Unterschied zwischen Faktoren, die Suizidgedanken bedingen und solchen, die zu Suiziden führen: Nicht quantitative Zunahme an Hoffnungslosigkeit entscheidend (wie im kognitiven Modell), sondern die erworbene Furchtlosigkeit vor Schmerz und Tod
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14
Q

Risikoeinschätzung

A
  • Vermutung suizidaler Gefährdung direkt, offen und mit konkreten Worten ansprechen
  • Abklärung von Art und Ausmaß der Suizidgedanken und suizidalen Verhaltensweisen in Bezug auf verschiedene Zeiträume; z.B. strukturiert durch “Chronological Assessment of Suicide Events” (CASE)
    Wichtig: sollte Gesprächscharakter haben, nicht Interview- oder Checklistencharakter!
    1. Aktuelle Suizidalität
    2. Suizidales Verhalten in vergangenen 2 Monaten zur Einschätzung der Stabilität bzw. Fluktuation, Intensität und Dauer suizidaler Gedanken in der Vergangenheit
    3. Vergangene Suizidhandlungen (aus Zeitgründen Beschränkung auf schwersten und letzten Suizidversuch)
    4. Unmittelbar bevorstehendes suizidales Erleben und Verhalten
  • Abklärung des Vorliegens verschiedener Risikofaktoren (Hoffnungslosigkeit, soziale Isolation, Alkohol- und Drogenkonsum)
  • Exploration: Suizidmotiv, aktuelle Lebensbedingungen, aktueller Krisenanlass, potenzielle Schutzfaktoren (wie ist Pat. bislang mit Suizidgedanken umgegangen, was hat bisher von Selbsttötung abgehalten, gibt es Leute, die Bescheid wissen und unterstützend sind?)
  • Bei inkonsistenter Informationslage unbedingt Angehörige und Mitbehandler kontaktieren und um Gefährdungseinschätzung bitten
  • Einschätzung des aktuellen Suizidrisikos durch Gewichtung der vorliegenden Risiko- und Schutzfaktoren
  • Vom empirisch fundierten klinischen Urteil abhängig, gibt keine allgemeingültige “Formel” zur Risikoberechnung
  • Schweregradskontinuum (Rudd et al., 2001) kann zur Orientierung genutzt werden
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15
Q

Fragen zur Abklärung des Suizidrisikos

A
  1. Exploration aktueller Suizidalität: “Viele Menschen würden in Ihrer Situation am Sinn des Lebens zweifeln oder es für das Beste halten, nicht mehr zu leben. Wie ist das bei Ihnen?”
  • Häufigkeit, Dauer und Auslöser aktueller Suizidgedanken
  • Spezifität der Gedanken und konkrete Planung
  • Verfügbarkeit der Mittel
  • Vorbereitungen und Probehandlungen
  • Entschlossenheit/Distanz zu suizidalen Impulsen (z.B. “Wo stehen Sie auf einer Skala von 0 - 10?”)
  1. Exploration suizidalen Verhaltens in den vergangenen 2 Monaten: “Während der letzten 6 - 8 Wochen, wie viel Zeit haben Sie da - an schlechten Tagen - darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen? Eher 90% des Tages oder 70% des Tages?” etc.
  2. Exploration vergangener Suizidhandlungen: “Haben Sie schon versucht, sich das Leben zu nehmen? Wie oft?”
  • Letzter Suizidversuch
  • Schwerster Suizidversuch
  • Selbstverletzungen
  1. Exploration unmittelbarer Suizidalität: “Wie sieht es eigentlich mit suizidalen Gedanken aus, während wir gerade miteinander reden? Und wenn Sie jetzt die Praxis verlassen, was denken Sie, passiert mit Ihrem Wunsch zu sterben?”
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16
Q

Schweregradskontinuum suizidaler Krisen

A

Leicht

Geringe Häufigkeit, Dauer und Intensität von Suizidgedanken, keine Planung, keine Absicht, leichtgradige Symptombelastung, gute Selbstkontrolle, wenige Risikofaktoren, protektive Faktoren vorhanden

Moderat

Regelmäßige Suizidgedanken von beschränkter Intensität und Dauer, geringe Planung, keine Absicht, gute Selbstkontrolle, wenige Risikofaktoren, protektive Faktoren vorhanden

Stark

Regelmäßige, intensive und andauernde Suizidgedanken, spezifische Planung, keine subjektive Absicht (aber objektive Hinweise auf Absichtsbildung, z.B. Wahl letaler Methode, die verfügbar ist, vorbereitende Verhaltensweisen), Hinweise auf eingeschränkte Selbstkontrolle, bedeutsame Symptombelastung, viele Risikofaktoren und wenig (wenn überhaupt) protektive Faktoren vorhanden

Extrem

Regelmäßige, intensive und andauernde Suizidgedanken, spezifische Planung, subjektive und objektivierbare Absicht, eingeschränkte Selbstkontrolle, bedeutsame Symptombelastung, viele Risikofaktoren, keine protektiven Faktoren vorhanden

17
Q

Phasen der Krisenintervention

A
  1. Beziehung herstellen
  2. Risikoabschätzung
  3. Zeit gewinnen - Reflexion anregen (Personen in ambivalenten Zuständen tendieren zur Sichtweise, über die sie sich selber reden hören: erst Gründe für Sterben explorieren (lassen), dann Gründe für Leben salient machen, Notwendigkeit des Suizids in Frage stellen)
  4. Selbstkontrolle fördern (Zugang zu letalen Suizidmitteln begrenzen, Notfallplan, Antisuizidvertrag)
  5. Entscheidung über das Behandlungssetting treffen (ambulant, teilstationär, stationär, offen vs. geschützt)
18
Q

Therapeutische Aufarbeitung suizidaler Krisen

A
  • Abklärung suizidalen Erlebens und Verhaltens hat grundsätzlich Vorrang vor allen anderen therapeutischen Aufgaben
  • Langfristige Kontaktangebote - über die Behandlung hinaus - scheinen suizidpräventiv bedeutsam zu sein
  • Empfehlung der Aufarbeitung suizidaler Krisen über die kurzfristige Krisenintervention hinaus
  • “Kognitive Therapie suizidaler Handlungen”
    • Kurzzeittherapie (ca. 10 Sitzungen)
    • 4 Phasen (Phase 1 ist die kurzfristige Intervention)
    1. Risikoabschätzung und Krisenintervention (z.B. “Attempted Suicide Short Intervention Program; ASSIP”; 3 - 4 Sitzungen zur Abklärung der Hintergründe einer suizidalen Krise)
    2. Sorgfältige Kettenanalyse suizidaler Krisen (aktuell und lebenszeitlich) und Erstellung eines kognitiven Fallkonzepts
    3. Anwendung kognitiv-verhaltenstherapeutischer Standardmethoden (verhaltensbezogene Strategien, Emotionsregualtionsstrategien und kognitive Strategien)
    4. Prävention zukünftiger suizidaler Handlungen durch Imaginationsübungen (“Relapse Prevention Task”)
19
Q

Medikamentöse Behandlung

A

Passagere Akutbehandlung (< 14 Tage) mit einem ausreichend hoch dosierten Benzodiazepin kann erwogen werden

  • Antidepressiva sollten zur speziellen Behandlung akuter Suizidalität nicht eingsetzt werden
  • Signifikante Senkung der Rate von Suiziden und Suizidversuchen durch Lithiumbehandlung nachgewiesen
  • Grundsätzlich muss eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile vorausgehen
  • Engmaschige Verlaufskontrolle (auch weil diverse Psychopharmaka als Suizidmittel eingesetzt werden)