Soziale Phobie Flashcards

1
Q

Soziale Phobie: Darstellung der Störung

A

Kernmerkmal = intensive Angst, in sozialen Situationen durch bestimmte Verhaltensweisen oder durch das erwartete Sichtbarwerden von körperlichen Symptomen peinlich oder ungeschickt zu wirken, zu versagen, oder von anderen negativ bewertet oder abgelehnt zu werden

⇒ erhebliche Einschränkungen hinsichtlich der Lebensführung und Genussfähigkeit in privaten und beruflichen Bereichen

Wesentliche Merkmale:

  1. dysfunktionale Gedanken* z.B. negativ, katastrophisierend
  2. körperliche Symptome z.B. Herzklopfen, Erröten, Schwitzen, Zittern, Atemnot, Übelkeit, Schwindel, Harndrang → kann einer Panikattacke ähneln
  3. spezifische Verhaltendweisen z.B. Vermeidungs- oder Fluchtverhalten, Sicherheitsverhalten, ungeschicktes bzw. wenig kompetentes Interaktionsverhalten (z.B. distanziert, schweigsam, kein Blickkontakt, Stottern), um Anspannung und soziale Bedrohung zu reduzieren und Schutz vor Versagen zu erhöhen

*Dysunktionale Kognitionen = hauptsächlich die Erwartung negativer Bewertung durch andere:

  • ungünstige, die eigene Person abwertende und andere überhöhende Vergleiche
  • perfektionistische Anforderungen an die eigene Person bei gleichzeitig vorhandenem Insuffizienzempfinden
  • Befürchtung, dass körperliche Reaktionen von anderen beobachtet werden können
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2
Q

Soziale Phobie: Epidemiologie

A
  • dritthäufigste psychische Störung nach Depressionen und Alkoholabhängigkeit
  • spielt als Indexdiagnose im Versorgungskontext eine geringere Rolle hinsichtlich der Häufigkeit
  • weit schwankende Prävalenzzahlen
  • Lebenszeit: 4 - 12% (Median 6,6%)
  • Jahresprävalenz: 2 - 4%
  • Jährliche Inzidenz: 1%
  • Fälle nach dem 25. Lebensjahr eher selten
  • Risiko für Frauen 1,5 x höher als für Männer (in klinischen Stichproben und bei schweren, generalisierten Verläufen aber kaum Geschlechterunterschiede bzgl. Häufigkeit)
  • in Südostasien seltener als in westlichen Kulturen
  • Kohortenstudien: kumulierte Lebenszeitinzidenz bei in den 1960ern geborenen Personen im Vergleich zu älteren Kohorten deutlich angestiegen
  • erstmaliges Auftreten im (oft frühen) Jugendalter oder spätestens im jungen Erwachsenenalter; bei generalisierten sozialen Phobien teilweise deutlich früher zwischen dem 11. und 13. Lebensjahr
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3
Q

Soziale Phobie: Ko-Prävalenz

A

besonders große Bedeutung als zusätzlich auftretende Störung bei anderen psychischen Störungen: 60%

besonders hohe Komorbidität (Ko-Prävalenz) bei affektiven Störungen, spezifischen Phobien und Essstörungen (jeweils bis zu 60%); und bei Agoraphobie (bis 45%)

etwas niedriger bei Substanzmittelmissbrauch/-abhängigkeit (13-18%)

Schweregrad sozialer Phobien ist bei ko-prävalent vorhandenen Störungen meist besonders hoch

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4
Q

Soziale Phobie: Ätiologie

A

erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit innerhalb von Familien (etwa 3-fach erhöhtes Risiko); v.a. generalisierte Form

hereditäre, soziale und Umweltfaktoren relevant

biologische Vulnerabilitätsfaktoren: leichtere kardiovaskuläre Erregbarkeit, Hellhäutigkeit, Tendenz zum Erröten

vermutlich erbliche Disposition zur Verhaltenshemmung (behaviorale Inhibition)

Zwei-Faktoren-Theorie (Mowrer): unangenehme Erfahrung in sozialen Situationan als Auslöser (z.B. Mobbing, Versagen in Leistungssituationen) für Angstreaktion in vergleichbaren Situationen, Aufrechterhaltung durch Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten (= negative Verstärkung)

Ansonsten unterschiedliche Befunde zu:

  • Eltern-Kind-Beziehung (protektiv: sichere Beziehung)
  • Erziehungsstile (protektiv: emotionale Wärme, geringe autoritäre Kontrolle)
  • Einfluss von Gleichaltrigen
  • einzelne oder gehäufte negative Lebensereignisse
  • soziale Kompetenzen
  • kulturelle Faktoren
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5
Q

Soziale Phobie: Verhaltenshemmung/Behaviorale Inhibition

A
  • Weinen und Reizbarkeit im Kleinkindalter
  • Schüchternheit und Furchtsamkeit mit 2 - 5 Jahren
  • Vorsicht, Rückzug und geringes Explorationsverhalten im frühen Schulalter
  • gehemmt und zurückhaltend in neuen Situationen bei vergleichsweise hoher autonomer physiologischer Aktivierung
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6
Q

Soziale Phobie: Preparedness

A

Evolutionärer Vorteil sozialer Ängste durch Unterwürfigkeit/Vorsicht im Kontakt mit aggressiven, kritischen oder ablehnenden Personen

Adaption an Dominanzhierarchien in Gruppen zum Verbleib in der Gruppe → Erhöhung der Wahrscheinlichkeit an Ressourcen teilhaben und eine Familie gründen zu können

Zurückhaltendes Verhalten in sozialen Kontexten kann eine sinnvolle Abwehr von Aggressivität sein

ausgeprägte interpersonelle Sensibilität und Empathie sowie rücksichtsvolles Verhalten als positive Aspekte sozialer Ängstlichkeit

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7
Q

Soziale Phobie: Verlauf

A

niedrige Remissionsrate für nicht behandelte Personen, unbehandelt meist chronischer Verlauf

Risiko für Chronizität wird außerdem erhöht durch

  • frühen Beginn
  • erhöhten Schweregrad
  • selbstunsicher-vermeidende PS

Vorliegen einer sozialen Phobie stellt deutliches Risiko für Entwicklung anderer psychischer Störungen dar, v.a. für Depressionen, weitere Angststörungen und Suchtmittelmissbrauch oder -abhängigkeit (v.a. Alkohol und Nikotin)

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8
Q

Soziale Phobie: Störungsmodell

A
  • Kompetenz- und performanzorientiertes Störungsmodell
    Soziale Situation und gedankliche Antizipation als (soziale) Gefahr = auslösende Bedingungen für sozial-ängstliches Verhalten (z.B. Angst sich lächerlich zu machen, ausgeschlossen oder abgelehnt zu werden)
    • Symptome umfassen negative Gedanken/Kognitionen (durch Lebens- und Lerngeschichte, z.B. Modelle, Erziehung, instabile Beziehungen und Charakter, z.B. schüchtern) einhergehend mit starken Angstgefühlen, körperliche Reaktionen (Erröten, Zittern, Schwitzen etc., biologische Vulnerabilität) und (non)verbales motorisches Verhalten (“soziale Performanz”, also konkretes Verhalten in sozialen Situationen, Sicherheits- und Vermeidungsverhalten)
    • Wichtig: Physiologische Symptome sind die gleichen wie bei anderen Angststörungen, wichtig ist, dass sie bei Sozialphobikern eine Relevanz für soziale Interaktionen haben (wollen Reaktionen um jeden Preis vor anderen verbergen)
    • 3 Faktoren (motorisch-sprachlich, physiologisch, kognitiv) beeinflussen sich wechselseitig negativ und setzen Aufschaukelungsprozess in Gang, der Angstsymptome verstärkt (“Teufelskreis”)
  • Modell der sozialen Phobie von Leary & Kowalski
    Ängste treten auf, wenn Person sich nicht in der Lage sieht bestimmte (positive) Erwartungen zu erfüllen und diese Diskrepanz auf ihre mangelnde soziale Kompetenz zurückführt
  • Kognitives Modell psychischer Störungen
    Kognitive Schemata als nicht bewusste “Filter”, durch die soziale Situationen als (sozial) bedrohlich interpretiert werden und daher mit Angst einhergehen; übersteigerte Selbstaufmerksamkeit für negatives Schema der eigenen Person (ungeschickt, dumm, minderwertig) und “Überlegenheitsschema” anderer Personen (intelligent, kompetent, kritisch) sowie Fokussierung auf sozial bedrohliche Reize → wirkt sich negativ auf soziale Performanz aus, da Konzentration stark auf die inneren Angstprozesse gelenkt wird
    • Ungünstige gedankliche Rückblicke und post-mortem processing (nachträglich negative Bewertung von erlebten sozialen Situationen) verstärken negative Antizipation bzgl. ähnlicher zukünftiger Situationen
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9
Q

Soziale Phobie: Kognitive Besonderheiten

A
  1. übertrieben hohe Standards für das eigene Auftreten in sozialen Situationen
  2. konditionale Überzeugungen (d.h.speziell in sozialen Situationen auftretende) über ungünstige oder katastrophale Konsequenzen des eigenen Verhaltens oder der eigenen Erscheinung (z.B. Angst sich zu blamieren, weil man Mandarinen statt Orangen mit zur Party bringt, danke Caro)
  3. unkonditionale (d.h. eher dauerhaft vorhandene) negative und abwertende Überzeugungen über die eigene Person
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10
Q

Soziale Phobie: Diagnostische Kriterien nach DSM-5

A

Kriterien für die soziale Angststörung (soziale Phobie)
nach DSM-5 (F40.1):

A. Ausgeprägte Furcht oder Angst vor einer oder mehreren
sozialen Situationen, in denen die Person von anderen
Personen beurteilt werden könnte
. Beispiele hierfür sind
soziale Interaktionen (z. B. Gespräche mit anderen, Treffen mit unbekannten Personen), beobachtet zu werden (z. B. beim Essen oder Trinken) und vor anderen Leistungen zu erbringen (z. B. eine Rede halten).
Beachte: Bei Kindern muss die Angst gegenüber Gleichaltrigen und nicht nur in der Interaktion mit Erwachsenen auftreten.

B. Betroffene befürchten, dass sie sich in einer Weise verhalten könnten oder Symptome der Angst offenbaren,
die von anderen negativ bewertet werden
(d. h., die
beschämend oder peinlich sind, zu Zurückweisung
führen oder andere Personen kränken).

C. Die sozialen Situationen rufen fast immer eine Furchtoder Angstreaktion hervor.
Beachte: Bei Kindern kann sich die Furcht oder Angst
durch Weinen, Wutanfälle, Erstarren, Anklammern,
Zurückweichen oder die Unfähigkeit, in sozialen Situationen zu sprechen, ausdrücken.

D. Die sozialen Situationen werden vermieden oder unter
intensiver Furcht oder Angst ertragen.

E. Die Furcht oder Angst geht über das Ausmaß der
tatsächlichen Bedrohung durch die soziale Situation hinaus und ist im soziokulturellen Kontext unverhältnismäßig.

F. Furcht, Angst oder Vermeidung ist andauernd; typischerweise über 6 Monate oder länger.

G. Die Furcht, Angst oder Vermeidung verursacht in
klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen
Funktionsbereichen.

H. Die Furcht, Angst oder Vermeidung ist nicht Folge der
physiologischen Wirkung einer Substanz (z. B. Substanz
mit Missbrauchspotenzial, medikamentöse Wirkstoffe)
oder eines medizinischen Krankheitsfaktors.

I. Die Furcht, Angst oder Vermeidung kann nicht besser
durch die Symptome einer anderen psychischen Stö-
rung erklärt werden
, wie z. B. Panikstörung, körperdysmorphe Störung oder Autismus-Spektrum-Störung.

J. Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor (z. B. Morbus
Parkinson, Adipositas, eine Entstellung durch Verbrennung oder Verletzung) vorliegt, so steht die Furcht, Angst oder Vermeidung nicht damit im Zusammenhang oder geht deutlich darüber hinaus.

Bestimme, ob:
»Nur in Leistungssituationen«: zu verwenden, wenn die
soziale Angststörung ausschließlich auf das Sprechen
vor anderen bzw. das Erbringen von Leistungen vor anderen (oder in der Öffentlichkeit) beschränkt ist.

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11
Q

Soziale Phobie: Diagnostische Kriterien nach ICD-10

A

Kriterien für die soziale Phobie (F40.1) nach ICD-10

A. Entweder (1) oder (2):
1. deutliche Furcht, im Zentrum der Aufmerksamkeit
zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu
verhalten;

2. deutliche Vermeidung, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, oder von Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten.
Diese Ängste treten in sozialen Situationen auf, wie
Essen und Sprechen in der Öffentlichkeit, Begegnung
von Bekannten in der Öffentlichkeit, Hinzukommen
oder Teilnahme an kleinen Gruppen, wie z. B. bei
Partys, Treffen oder in Klassenräumen.

B. Mindestens 2 Angstsymptome in den gefürchteten
Situationen mindestens einmal seit Auftreten der Stö-
rung
, wie in F40.0, Kriterium B, definiert, sowie zusätzlich mindestens eins der folgenden Symptome:
1. Erröten oder Zittern,
2. Angst zu erbrechen,
3. Miktions- oder Defäktionsdrang bzw. Angst davor

C. Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten. Einsicht, dass die
Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben
und unvernünftig sind.

D. Die Symptome beschränken sich vornehmlich auf die
gefürchtete Situation oder auf die Gedanken an diese.

E. Ausschlussvorbehalt: Die Symptome der Kriterien A und
B sind nicht bedingt durch Wahn, Halluzinationen oder
andere Symptome der Störungsgruppen organische
psychische Störungen (F0), Schizophrenie und verwandte Störungen (F2), affektive Störungen (F3) oder
eine Zwangsstörung (F42) und sind nicht Folge von
kulturell akzeptierten Anschauungen.

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12
Q

Soziale Phobie: Unterschiede zwischen DSM-5 und ICD-10

A
  • Auf der Grundlage empirischer Untersuchungen wurde in der 5. Fassung des DSM der Begriff »Soziale Angststörung« statt »Soziale Phobie« verwendet.
  • Nach den Kriterien der ICD-10 werden, im Unterschied zum DSM, eine Reihe typischer Situationen spezifiziert, in denen soziale Ängste auftreten. Weiterhin wird im ICD-10 mindestens eines der folgenden physiologischen Symptome verlangt:
    • Erröten oder Zittern,
    • Angst zu erbrechen oder
    • Stuhl- oder Harndrang bzw. die Angst davor.
  • In beiden Klassifikationssystemen muss bei der betroffenen Person die Einsicht vorhanden sein, dass die Ängste übertrieben und/oder unvernünftig sind; Ausschlusskriterien sind u. a. organisch bedingte Störungen, psychotische und wahnhafte Störungen.
  • Eine Besonderheit ist die Spezifikation »nur in Leistungssituationen«. Diese gibt es zwar im DSM-5, nicht jedoch nach den Kriterien der ICD-10.
    • unterschieden wird dabei noch die Art der gefürchteten Leistungssituation: interaction type (Soziale Angst vom Interaktionstyp; fremde ansprechen, Small-Talk in Gruppen) und performance type (Leistungsbezogene soziale Ängste; öffentliches Sprechen, Essen, Trinken etc.)
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13
Q

Soziale Phobie: Kategoriale Diagnostik

A

Fachliteratur unterscheidet:

  • distinkte Formen (z.B. Sprechen in der Öffentlichkeit, Kontakt mit Personen des anderen Geschlechts)
  • generalisierte soziale Phobie (Ängste in vielen unterschiedlichen sozialen Situationen)
  • ängstlich-vermeidende PS (DSM-5 “selbstunsichere PS”), meist nur als Zusatzdiagnose einer generalisierten sozialen Phobie
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14
Q

Soziale Phobie: Diagnostische Verfahren

A
  • Interviews/Checklisten
    • strukturierte oder standardisierte Interviews (z.B. SKID, DIPS, CIDI/DIA-X)
    • Checklistenverfahren (z.B. IDCL)
    • für selbstunsicher-vermeidende PS: SCID-5-PD
  • Psychometrische Verfahren
    • Den Ausprägungs- bzw. Schweregrad sozialer Ängste erfassen unterschiedlich spezifische psychometrische Instrumente, die auch als Screeninginstrumente eingesetzt werden. Je nach Konzept legen sie den Schwerpunkt auf kognitive oder verhaltensbezogene Aspekte bzw. auf die diagnostischen Kriterien und
      kommen als Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren zum Einsatz.
    • Tab. 3.1 listet wichtige Verfahren auf, die in deutscher
      Sprache zur Verfügung stehen
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15
Q

Soziale Phobie: Differenzialdiagnostik

A
  • Eine zusätzliche soziale Phobie kann nur dann diagnostiziert werden, wenn die Angstsymptome, die sich auf die soziale Situation beziehen, (auch) unabhängig von der weiteren Störung (z. B. einer Agoraphobie, einer Zwangsstörung, einer Essstörung oder einer affektiven Störung) auftreten, d. h., durch die soziale Situation oder die Antizipation der sozialen Situation ausgelöst werden
  • Differentialdiagnostik kann schwierig sein, da sich viele Merkmale mit anderen Angst- und affektiven Störungen überschneiden (z.B. Reaktionen, die einem Panikanfall gleichen, Antriebslosigkeit etc.)
  • Unterscheidung von angstauslösenden Bedingungen und charakteristische Kognitionen sind daher besonders zu berücksichtigen
    • Angst bei Panikstörung wegen befürchtetem Versagen eigener Körperfunktionen, bei Agroaphobie vor charakteristischen Situationen (eingeschlossen sein, Menschenmengen, ÖPNV), Kontrollverlust und Hilflosigkeit
    • soziale Ängste können sich auch nur im Kontext einer Depression zeigen, dann in Form von Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstabwertungen → keine zusätzliche Diagnose einer sozialen Phobie
    • sozialphobische Symptome häufig auch als Sekundärsymptomatik bei Schizophrenien
    • oder körperdysmorphen Störungen (Rückzug, Scham, Selbstabwertung), aber Betroffene beschäftigen sich zwanghaft und intensiv mit dem selbst so erlebten entstellten körperlichen Aussehen
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16
Q

Soziale Phobie: Ängstlich-vermeidende bzw. selbstunsichere PS

A
  • Ob die Unterscheidung der sozialen Phobie von der ängstlich-vermeidenden/selbstunsicheren PS sinnvoll ist, wird in der Fachliteratur oft angezweifelt
  • starke Überlappung der Bestimmungsmerkmale
  • gibt nahezu keine Person, die lediglich die Kriterien für eine der beiden Diagnosen erfüllen
  • unterschiedliche Formen sozialer Ängste und Phobien können in Abhängigkeit von der Stärke der Befürchtungen und der damit verbundenen Einschränkungen teilweise als Kontinuum betrachtet werden:
    • Schüchternheit und soziale Ängstlichkeit im Normalbereich
    • distinkte Formen sozialer Angst (z.B. Prüfungsangst, Angst öffentlich zu sprechen)
    • starke generalisierte Phobie ggf. mit zusätzlich vorliegenden Kriterien der ängstlich-vermeidenden bzw. selbstunsicheren PS
    • ABER: Sozialphobiker beschreiben sich nicht durchgängig als schüchtern, während Personen mit selbstunsicherer PS sehr geringe soziale Kompetenzen aufweisen, diese jedoch oft als ich-synton empfinden
  • FAZIT: Schüchternheit, soziale Zurückgezogenheit, Scham, Verlegenheit und Unsicherheit in sozialen Kontakten (Selbstunsicherheit) oder auch vorübergehende leistungsbezogene Ängste (z. B. Prüfungsangst) können normale, nicht pathologische Formen sozialer Angst sein. Die Kriterien einer sozialen Phobie sind nur dann erfüllt, wenn zusätzlich zu den Ängsten ein starker subjektiver Leidensdruck besteht und die Lebensführung durch die Ängste deutlich eingeschränkt ist.
  • Unterschieden werden soziale Phobien hinsichtlich
    a. ihres Inhalts in Interaktionsängste und leistungsbezogene Versagensängste und
    b. ihres Schwere- und Generalisierungsgrades in distinkte
    (umschriebene) soziale Phobien und generalisierte soziale Phobien bzw. soziale Phobien bei gleichzeitigem
    Vorliegen einer ängstlich-vermeidenden (bzw. selbstunsicheren) Persönlichkeit(-sstörung).
17
Q

Soziale Phobie: Grundlagen der Gesprächsführung

A
  • Kontakte zu neuen, fremden Personen sind für Sozialphobiker belastend → auch zu Therapeuten
  • Empfinden Minderwertigkeit, Scham und Angst vom Therapeuten negativ bewertet zu werden; interpretieren positives Feedback als “unecht”/”rollenkonform”
  • Patienten oft verschlossen, wortkarg, wirken abweisend, stellen keinen Blickkontakt her → allgemeine Regeln der verhaltenstherapeutischen Gesprächsführung sind hier besonders wichtig; vor allem:
    • Normalisieren/Entpathologisieren des Verhaltens
    • Antizipieren und Verbalisieren der Ängste
    • Interaktionsangebote machen
18
Q

Soziale Phobie: Gesprächsführung mit Sozialphobikern

A
  • Normalisieren und Entpathologisieren des Verhaltens
    • vor allem am Anfang ganz wichtig
    • “Patienten, die mit solchen Ängsten zu mir kommen, erleben vor allem in den ersten Sitzungen das gleiche, was sie aus der Begegnung mit anderen Menschen kennen. Daher ist es absolut normal und verständlich, wenn Sie sich zurückhalten und weniger sprechen.”
  • Antizipieren und Verbalisieren der Ängste
    • “Wenn ich Sie jetzt lobe, werden Sie mir das möglicherweise nicht abkaufen. Das ist bei Personen mit sozialen Ängsten oft so. Ich gebe Ihnen jetzt trotzdem Rückmeldung und bin gespannt, wie sie diese annehmen können:”
  • Interaktionsangebote
  • Sachliche Informationen und Fallbeispiele
    • störungsbezogene Informationen (“in der Psychologie sprechen wir von…”)
    • Beispiele (“ich hatte mal eine Patientin…kennen Sie so etwas auch?”)
  • Strukturieren des Gesprächs und transparentes therapeutisches Verhalten
    • erklären, wie die Sitzung und die Therapie aufgebaut sind
    • bestimmte Gesprächs- und Interventionstechniken erläutern
  • Systemimmanenz und geleitetes Entdecken
    • Systemimmanente Gesprächsführung: Therapeuten antizipieren die Reaktionen des Patienten auf der Grundlage der bisherigen Kenntnis der Problematik
    • Hilfestellungen zum Explorieren der “inneren Logik” der Erlebens- und Verhaltensweisen durch gezieltes Fragen statt Vorgabe der Lösungen oder Argumente
    • z.B. “Bitte beobachten Sie, wie gut Sie mein Lob annehmen können und als wie ehrlich Sie es einstufen. Nutzen Sie eine Bewertungsskala für Ehrlichkeit von 0 - 100.”
19
Q

Soziale Phobie: Behandlungsmodule und Interventionstechniken

A

Kombination von einzelnen oder allen der folgenden Interventionsmethoden:

  1. Psychoedukation: Darstellung des Störungsmodells und individuelle Validierung
  2. Kognitive Techniken: Identifikation und Modifikation dysfunktionaler Gedanken/kognitiver Verzerrungen
  3. Rollenspiele und Verhaltensexperimente
    • z.B. berechtigte Forderungen stellen/Forderungen ablehnen (um Hilfe bitten, Nähe ablehnen etc.), interpersonelle Kontakte (z.B. Smalltalk, jemanden in der Öffentlichkeit ansprechen, im Mittelpunkt stehen), Umgang mit Widerspruch und Kritik, Leistungssituationen (z.B. Vorstellungsgespräch, Vortrag, Prüfung)
    • anschließend individuelle Validierung (Passt das Verhalten zu mir? Zu meinem Ziel?) und soziale Validierung (Angemessenheit für soziale Situationen)
  4. Rollenspiele mit Video-Feedback
    • ermöglichen Beobachterperspektive und Verbesserung der eigenen sozialen Performanz
  5. Konfrontationsverfahren in vivo
    • zur Widerlegung der übersteigerten negativen Annahmen über die Folgen der Situation und des eigenen Verhaltens
  6. Förderung der sozialen Performanz
  7. Förderung der Selbstsicherheit über positive Selbstverbalisation
    • z.B. Spiegelübung (etwas positives an sich selbst finden und vor der Gruppe aussprechen)
    • wichtig: Äußerungen müssen authentisch sein
  8. ggf. Entspannungstechniken

Zum Transfer der Übungen und Inhalte auf den Alltag
der Patienten gehören als wichtiger Teil der Intervention
nahezu immer therapeutische Hausaufgaben

20
Q

Soziale Phobie: Evidenzbasierte Behandlungen

A
  • substantielle bis sehr gute Effekte für KVT
  • individuelle kognitiv-behaviorale Behandlungen sind Gruppenbehandlungen leicht überlegen
  • auch positive Befunde für psychodynamische Therapie, Acceptance and Commitment Therapy und interpersonelle Therapie; alle etwas geringere Effektstärken als KVT
  • internetbasierte Therapie (kein Face-to-Face Kontakt zu Therapeuten) funktioniert bei sozialen Angststörungen auch sehr gut; kann bei gegebener Qualität eine Alternative für Patienten in gering versorgten Gebieten sein
  • beste Erfolge durch Kombination kognitiver Verfahren und in-vivo-Konfrontation; im Vergleich zu rein kognitiven Verfahren oder zu sozialen Kompetenztrainings
  • Effekte für die meisten Patienten auch nach Behandlungsende stabil, teilweise sogar weitere Verbesserungen im Katamnesezeitraum
  • ebenfalls positive Befunde für Pat. mit generalisierten sozialen Phobien und zusätzlicher selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung
  • KVT kurzfristig und langfristig wirksamer als pharmakologische Therapien; NICE Behandlungsleitlinien empfehlen Pharmakotherapie mit selektiven Seretonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) nur, wenn KVT nicht verfügbar ist oder verweigert wird