Maßstäbe des Verwaltungshandelns Flashcards
Gesetzesbindung der Verwaltung
- wegen Art. 20 Abs. 3 GG wichtigster Maßstab des Verwaltungshandelns: Rechtmäßigkeit (Legalitätsprinzip)
- zentrale verfassungsrechtliche Maßstäbe/Maßstabsmittler:
- Vorrang des Gesetzes
- Vorbehalt des Gesetzes
- Ausfluss der beiden verfassungsrechtlichen Grundprinzipien:
- Gesetz als unverzichtbares Medium der Vermittlung demokratischer Legitimation
- Gesetz als unverzichtbares Medium rechtsstaatlicher Vorhersehbarkeit und Klarheit, Distanz und Allgemeinheit, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit
- Gesetz
- als Schranke des Verwaltungshandelns
- als Auftrag des Verwaltungshandelns
- als Ermächtigung der Verwaltung
Verrechtlichung außerrechtlicher Maßstäbe
- Recht als spezifisches soziales Steuerungsmedium zur Durchsetzung/Imple-mentierung „außerrechtlicher“ Maßstäbe/Wertsetzungen
- vielfach spezialgesetzlich verrechtlicht, d.h. zu Bedingungen der Recht-mäßigkeit - kurz: zu Recht - erhoben (durch Verweisungs-/Rezeptions-begriffe), damit Recht(mäßigkeit)smaßstab
Gesetzesabhängigkeit & Eigenständigkeit der Verwaltung
Gesetzesbindung bedeutet nicht, dass
- das Verwaltungshandeln zur Gänze („zu 100 %“) durch das Gesetz bestimmt und die Gesetzesanwendung ein rein logisch-deduktiver Akt wäre (subsumtions-positivistischer Irrtum)
- die Verwaltung keinerlei Selbständigkeit im Prozess der Rechtskonkretisierung und -individualisierung besäße
- Entscheidungsfreiräume der Verwaltung („Ermessen“) die seltene Ausnahme darstellten
Steuerung der Verwaltung durch das Gesetz
- ist in praxi niemals eine Vollsteuerung, sondern lässt der Verwaltung stets einen mehr oder minder großen Entscheidungsfreiraum
- ist nicht die einzige Form Steuerung der Verwaltung durch Recht (s.a. Verfassung, RVO, Unionsrecht u.ä.), wenn auch eine ganz herausgehobene
- vollzieht sich in einem gestuft-arbeitsteiligen Prozess, der auf jeder Stufe mit der Kombination von Fremd- und Eigensteuerung (Fremd- und Eigenprogrammierung) arbeitet
Fremd- und Eigenprogrammierung
- auf allen Ebenen der Rechtserzeugung finden sich immer beide: Fremd- und Eigenprogrammierungsanteile („doppeltes Rechtsantlitz“)
-> der Unterschied zwischen den Ebenen (Verfassungsgesetzgeber, Gesetz-geber, Regierung, Verwaltung usf.) und den korrespondierenden Rechts-quellen (Verfassung, Gesetz, RVO, VA usf.) - besteht nicht im Ob von Fremdprogrammierung oder Eigenprogrammierung und auch nicht im Ob der Kombination (keine qualitative Frage)
- sondern im Wie der Kombination (quantitative Frage):
• Faustformel: Je „politischer“, je stärker staatsleitend, je allgemeiner die Staatsgewalt, desto geringere Fremdprogrammierung und desto größere Eigenprogrammierung
• umgekehrt: Je stärker der Vollzugscharakter hervor- und der politische Charakter zurücktritt, desto höherer Fremdprogrammierungs- und desto geringerer Eigenprogrammierungsanteil
herrschende Lehre zu administrativen Entscheidungsfreiräumen
- administrative Entscheidungsfreiräume = Verwaltungshandeln jenseits/ außerhalb der Rechts-(Verfassungs-, Gesetzes- etc.)Bindung
- zentrale Bausteine:
1. Tatbestand (“wenn”)
-> mit Beurteilungsspielraum
-> ohne Beurteilungsspielraum (“gebundene Verwaltung”)
2. Rechtsfolge (“dann”): Ermessensspielraum
Zentrale Thesen der herrschenden Lehre zu administrativen Entscheidungsfreiräumen
- Gebundene Verwaltung und Ermessensverwaltung stellen kategorial unterschiedliche Modalitäten des Verwaltungshandeln dar
- Bei „gebundener Verwaltung“ (Regelfall) sind die Rechtsanwendung der Verwaltung und jene des Verwaltungsgerichts strukturell gleich. Dem Gericht steht die verbindliche (Letzt-)Entscheidung zu
- Beurteilungsspielraum und Ermessen(sspielraum) sind zu trennen. Der Beurteilungsspielraum stellt einen (seltenen) Unterfall des unbestimmten Rechtsbegriffes dar
- Bei „Lockerungen der Gesetzesbindung“ durch Einräumung eines Ermessensspielraums oder eines Beurteilungsspielraumes (Ausnahme) ist auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle gelockert (Kehrseitentheorie)
- Im Umfang der Lockerung von gesetzlicher Bindung und gerichtlicher Kontrolle steht der Verwaltung das Letztentscheidungsrecht zu
Einräumung von Ermessen
- Kraft Gesetzes (muss nicht Parlamentsgesetz sein; Frage des VdG)
- i.d.R. am Wortlaut der EGL zu erkennen:
• positive Indizien: „kann“, „darf“, „ist befugt“, „hat das Recht“, „nach pflichtgemäßem Ermessen“
• negative Indizien: „muss“, „darf nicht (versagt werden, wenn)“, „ist verpflichtet“, „hat zu tun“, „ist zu erteilen“
• „soll“: i.d.R. sog. „intendiertes Ermessen“
• Wortlaut aber nur widerlegliches Indiz (Vorsicht mit Kompetenz-„kann“!)
• Wortlaut auch kein notwendiges Indiz, auch sonstige Auslegungsindizien sind heranzuziehen
Ermessensfehler
- Ermessensüberschreitung:
- > Verwaltung wählt RF aus, die nicht zu den gesetzlich zugelassenen zählt
- > Wahl unzulässiger RF
- Ermessensunterschreitung:
- > Verwaltung verkennt, dass ihr Ermessen eingeräumt ist & stellt keine entsprechenden Überlegungen an
- > keine RF-Wahl
- Ermessensmissbrauch:
-> Verwaltung wählt zwar zulässige RF, aber mit Erwägungen, die nicht dem Zweck der Ermes-senseinräumung entsprechen
-> unzulässige Begründung der RF-Wahl
Gesetzesbindung und richterliche Kontrolle der Verwaltung
Rolle der Rechtsprechung:
- Überwachung der administrativen Gesetzesbindung, d.h. der Rechtmäßigkeit administrativen Handelns auf Klage hin
- D.h. an sich (soweit gesetzlich nichts Abweichendes geregelt!):
(1) Kontrolle der Beachtung der Gesetzesbindung (Rechtmäßigkeit) zu 100 % (Fremdprogrammierung!)
(2) aber auch nicht mehr, insb. nicht Kontrolle der Zweckmäßigkeit, d.h. nicht Kontrolle des Verwaltungshandelns unter jedem rechtmäßigkeits-übersteigenden (insoweit „zu 100 %“) Aspekt (Selbstprogrammierung!)
Doppelwertigkeit der administrativen Gesetzesbindung:
- gegenüber dem Gesetzgeber
-> KONKRETISIERUNGS-KOMPETENZ = keine 100 %ige Programmierung durch Gesetz (“Ermessen 1”)
- gegenüber dem (Verwaltungs-)Gericht
-> LETZTKONKRETISIERUNGS-KOMPETENZ
= Befugnis, den gesetzlichen Konkretisierungsfreiraum autoritativ auszufüllen (“Ermessen 2”)
Rechtmäßigkeitsanforderungen an die Ermessensausübung
- Ermächtigungsgrundlage: Zutreffende Erfassung durch Auslegung?
- Tatsachen: Zutreffende Erfassung des Sachverhalts?
- Verfahren: Einhaltung der Verfahrensschritte (rechtliches Gehör usf.)?
- Auswahl der Rechtsfolge: Hat überhaupt Rechtsfolgen-Auswahl stattgefunden? Zulässige Rechtsfolge ausgewählt?
- Begründung der Auswahlentscheidung: Mit zulässigen Erwägungen?
- insb.: Zweckdirigierung durch Verfassungsrecht
• Grds. der Verhältnismäßigkeit
• Gleichheitsgrundsatz
• sonstige grundrechtliche Wertsetzungen - zunehmend wichtiger: Zwecksetzungen kraft EU-Rechts
• Diskriminierungsverbot(e)
• effet utile
„Ermessensreduzierung auf Null“
- Soweit ausnahmsweise jede andere „Ermessens“-Entscheidung fehlerhaft wäre, liegt eine sog. Ermessensschrumpfung/-reduzierung auf Null vor.
- Aus Sicht der handelnden Verwaltung liegt in concreto kein Ermessen vor: es handelt sich um eine „gebundene“ Entscheidung.
- Der Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung ( Bescheidungsurteil) verdichtet sich zu einem Anspruch auf die einzig fehlerfreie Entscheidung ( Vornahmeurteil).
- insb. induziert durch
-> Freiheitsgrundrechte
-> Gleichheitssatz (insbes. sog. Selbstbindung der Verwaltung gem. Art. 3 I GG)
-> EU-Recht (Diskriminierungsverbote & effet utile)