soziale phobie Flashcards
einleitung
• Anspannung vor Leistungssituationen, ängstliche Gedanken über den Verlauf von
Interaktionen und deren Ausgang (z.B. bei Kontakt mit Fremden oder Autoritätspersonen)
oder Lampenfieber vor Auftritten oder sportlichen Events normal und manchmal sogar gut
• Wenn Ängste und Befürchtungen vor oder in sozialen Situationen so stark werden, dass sie
die Lebensführung deutlich einschränken und berufliches und/oder soziales Leben darunter
leidet, können Voraussetzungen einer sozialen Phobie erfüllt sein
• Im DSM-5 neuerdings als soziale Angststörung bezeichnet
Darstellung der Störung
Kernmerkmal:
- intensive Angst, in sozialen Situationen durch bestimmte Verhaltensweisen oder
- durch erwartetes Sichtbarwerden von körperlichen Symptomen peinlich oder ungeschickt zu wirken.
/ übertriebene und irrationale Angst vor negativer Bewertung durch andere
Von einer sozialen Phobie spricht man, wenn dauerhaft oder häufig wiederkehrend eine
übertriebene Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen oder Leistungssituationen besteht,
bei denen Interaktion mit anderen Menschen stattfindet.
Dysfunktionale Gedanken
Dysfunktionale Gedanken
- Durch Erwartung negativer Bewertung durch andere charakterisierbar (z.B.
negative, automatisch auftretende Gedanken über eigene Person,
überhöhende Vergleiche mit anderen)
- Hängen mit perfektionistischen Anforderungen an eigene Person und
gleichzeitig vorhandenem Insuffizienzempfinden zusammen
- Beispiele: „Ich bin dumm und ungeschickt und die anderen werden das
merken“, „Ich werde keine zweite Chance haben, einen guten Eindruck zu
machen“, „Ich werde unsicher sein und die anderen werden es merken“,
„Andere sind klüger, attraktiver und selbstsicherer als ich“ usw.
o Körperliche Symptome
- Oft die Befürchtung, dass diese für andere sichtbar sind
- Erröten, Zittern, Schwitzen, Atemnot, Hitzewallungen, Schwindelgefühle,
Harn- oder Stuhldrang, Blutdruckabfall usw - Symptome ähnlich zu Panikattacken
Spezifische Verhaltensweisen (Funktion: Anspannung reduzieren, empfundene soziale Bedrohung vermindern und damit Schutz vor Versagen erreichen):
- Vermeidungs- oder Fluchtverhalten
- Sicherheitsverhaltensweisen (z.B. sich im Restaurant so setzen, dass man
nicht gesehen wird) - Ungeschicktes bzw. wenig kompetentes Verhalten (z.B. kein oder scheuer
Blickkontakt, Schweigen, Stottern, Stammeln usw.)
Epidemiologie und verlauf
• Verglichen mit anderen Angststörungen oder affektiven Störungen in der Häufigkeit eher
untergeordnete Rolle
• Systematische epidemiologische Studien zeigen aber, dass nach Depressionen und
Alkoholabhängigkeit die soziale Phobie am dritthäufigsten ist
• Weit schwankende Prävalenzen nach Diagnostik mit DSM-III-R/DSM-IV (Lieb & Müller, 2002)
o Unterschiedliche Diagnosekriterien und Erhebungsmethoden
o Auch abhängig von Stichprobengewinnung und Alterszusammensetzung
• Lebenszeitprävalenz von 4-12 % (Median 6,6 %) in der EU nach Fehm et al. (2005)
• Jahresprävalenz von 2-4 %
• Jährliche Inzidenzrate somit bei 1% (aber neu auftretende Fälle bei > 25-Jährigen selten)
• Geschlechterverhältnis von 1,5:1 (Frau:Mann) bzw. 1,5-2fach
o Bei klinischen Stichproben und schweren, generalisierten Sozialphobien aber keine
Geschlechterunterschiede
o Mögliche Erklärung: da Männer einem größeren Druck unterliegen, sich
durchsetzungsfähig und selbstsicher zu präsentieren, könnte sich höhere
Behandlungsmotivation entwickeln
• In westlichen Kulturen sind soziale Phobien häufiger als in Südost-Asien (ansonsten eher
keine kulturellen Unterschiede)
• Bei Personen, die in 1960er Jahren geboren wurden, ist kumulierte Lebenszeitinzidenz im
Vergleich zu älteren Kohorten deutlich angestiegen
• Erstmaliges Auftreten besonders oft im (oft frühen) Jugendalter oder spätestens im jungen
Erwachsenenalter
o Bei generalisierten Sozialphobien meist früher mit 11-13 Jahren
Ko-Prävalenz/Komorbidität
Soziale Phobie hat hier besonders große Bedeutung
• Nur Minderheit aller Betroffenen mit sozialer Phobie weist keine weitere Störung auf
• In klinischen Stichproben tritt sie mit bis zu 60% zusätzlich auf
• Besonders hohe Komorbidität mit:
o Affektiven Störungen
o Spezifischen Phobien
o Essstörungen (in unterschiedl. Studien bis 60%)
o Agoraphobie (45%)
• Niedrigere Komorbiditäten mit:
o Substanzmittelmissbrauch bzw. -abhängigkeit (13-18%)
• Schweregrad sozialer Phobie bei komorbid vorhandenen Störungen meist besonders hoch
• Vermutung, dass soziale Phobie affektiven oder Substanzabhängigkeit vorausgeht à als
Folge der sozialen Phobie und die Einschränkungen dadurch werden Depressionen verursacht
oder Menschen versuchen, sich mit Substanzen selbst zu behandeln
• Soziale Phobie außerdem assoziiert mit:
o Frühem Verlassen der Schule und höheres Risiko für Arbeitslosigkeit
o Berufstätige arbeiten signifikant auf Positionen unterhalb ihrer Qualifikation
o Im Störungsverlauf kann es außerdem zu Eskalation der sozialen Dysfunktionen und
Behinderung kommen
Verlauf:
- Verlauf i.d.R. chronisch (in epidemiologischen Studien von mehreren Jahrzehnten berichtet)
• Bei prospektiven Langzeitstudien weist jedoch nur geringer Teil ein Vollbild der sozialen
Phobie über mehrere Messzeitpunkte hinweg auf
F40.1 Soziale Phobie
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• Verlauf am besten durch Oszillation der Symptomatik um die Grenze aus diagnostischen Kriterien beschrieben (auch unterhalb der Schwelle können soziale Ängste mit deutlichen Beeinträchtigungen und Leiden verbunden sein)
Ätiologie
• Genetische Vulnerabilität
o Erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit (ca. 3-fach) innerhalb der Familie; besonders
für generalisierte Form der Sozialphobie (aber gegenüber den Umwelteffekten sind
genetische Effekte eher moderat); gibt auch Hinweise, dass weniger die soziale
Phobie innerhalb der Familie an sich, sondern grundsätzlich das Vorliegen psychischer
Störungen für einen großen Teil familiärer Assoziationen verantwortlich ist
o Vermutlich erbliche Disposition zur Verhaltenshemmung (behavioral inhibition) bei
Kindern, die zur Entwicklung einer sozialen Phobie im Jugend- bzw.
Erwachsenenalter führen kann
- Als Temperament charakterisiert: bei Kleinkindern Weinen und Reizbarkeit,
Schüchternheit und Furchtsamkeit von 2-5 Jahren, Vorsicht, geringeres
Explorationsverhalten und Rückzug im frühen Schulalter
- Eher furchtsame Reaktionen in neuen Situationen bei hoher autonomer
physiologischer Erregung
Äthiologie
• Biologische Vulnerabilität
o Leichtere kardiovaskuläre Erregbarkeit, Hellhäutigkeit, Tendenz zum Erröten
o Social inhibition und anderer vererbbare Temperamentfaktoren
o 30-50% vererbt
äthiologie
Weitere Einflussfaktoren nach Rapee und Spence (2004):
o Eltern-Kind-Beziehung und Erziehungsstile (sichere Beziehung und warmer, wenig
autoritärer Erziehungsstil als protektive Faktoren; elterliche Überbehütung und Kritik
und soziale Zurückweisung als Risikofaktoren)
o Einfluss von Gleichaltrigen (peers)
o Einzelne oder gehäufte negative Ereignisse in der Lebensgeschichte
- Siehe Zwei-Faktoren-Theorie (Mowrer, 1960): schwerwiegende,
unangenehme Erfahrungen in sozialen Situationen können soziale Phobie
auslösen (z.B. Hänseleien, sehr beschämendes Versagen in
Leistungssituationen) à daraufhin Angstreaktionen (klass. Konditioniert) à
operante Konditionierung relevant für Aufrechterhaltung (häufig
Vermeidungsverhalten oder Sicherheitsverhaltensweisen) im Sinne einer
negativen Verstärkung
äthiologie
o Kulturelle Faktoren
• Preparedness: soziale Angst und Unterwürfigkeit oder Vorsicht im Kontakt mit aggressiven,
kritischen oder ablehnenden Personen als evolutionärer Vorteil u. sinnvolle Reaktion
o Auch als eventuell unterlegenes Mitglied einer sozialen Gruppe wird man dann eher
nicht ausgeschlossen à man kann so eher an den Ressourcen der Gesellschaft
teilhaben, Partnerschaft und eigene Familie gründen
o Zurückhaltendes Verhalten kann außerdem sinnvoll in Abwehr von Aggressivität sein
• Weitere positive Aspekte sozialer Ängstlichkeit: ausgeprägte interpersonelle Sensibilität und
Empathie; rücksichtsvolles, auf Wohl der Gesellschaft ausgerichtetes Verhalten
F40.1 Soziale Phobie
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• Remissionsrate für nicht behandelte Personen niedrig (vergl. mit anderen Angststörungen)
• erhöhtes Risiko für ungünstigen, chronischen Verlauf bei:
o Frühem Störungsbeginn
o erhöhtem Schweregrad der Beeinträchtigung
o Vorliegen einer selbstunsicher-vermeidenden PS
• Vorliegen einer sozialen Phobie als Risiko für Entwicklung anderer psychischer Störungen
Störungsmodell der sozialen Phobie
Hypothetisch angenommene Zusammenhänge und empirisch belegte Befunde über Entstehung
sozialer Ängste im kompetenz- und performanzorientierten Störungsmodell enthalten:
Symptome der Angst umfassen verschiedene Reaktionsbereiche:
A) Negative Gedanken, die mit starker Angst einhergehen
- Interpretation der sozialen Situation als Gefahr (sich lächerlich machen, ausgeschlossen sein)
- Kognitive Besonderheiten bei Sozialphobikern:
a) übertrieben hohe Standards für eigenes Auftreten (auch im sozialpsychologischen
Modell der sozialen Phobie nach Leary und Kowalski (1995) als zentrale Variable) à
man möchte besonders guten Eindruck machen, aber sieht sich selbst nicht in der
Lage, diese hohen Anforderungen zu erfüllen
b) konditionale Überzeugungen über ungünstige/katastrophale Konsequenzen des
eigenen Verhaltens oder von Entscheidungen
c) unkonditionale (eher dauerhafte) negative und abwertende Überzeugungen über
eigene Person
kognitive Faktoren
Kognitive Faktoren:
• nach kognitivem Modell psychischer Störungen werden dysfunktionale Annahmen in
spezifischen Situationen oder der Antizipation dieser ausgelöst à negative Interpretationen
einer (sozialen) Situation durch kognitive Schemata (Grundannahmen) bedingt (Beck, 1979)
• kognitive Schemata nicht als bewusste Filter
• im Sinne von Beck und Kollegen beziehen sich wichtigste Schemata auf die Sicht der eigenen
Person oder von anderen Menschen
o Sicht der eigenen Person: „Ich bin ungeschickt“, „Ich bin minderwertig“
o Sicht anderer Menschen: „andere sind kritisch und demütigend“, „andere sind
überlegen“
-> Schemata in sozialen Situationen so aktiviert, dass Situation als (sozial) bedrohlich interpretiert
wird und mit Angst einhergeht; außerdem starke Aufmerksamkeitslenkung auf
a) die eigene Person und eigene als minderwertig/peinlich wahrgenommene Attribute,
Verhaltensweisen und körperliche Symptome (diese sollen unbedingt verborgen werden, um
auf andere nicht schwach oder versagend zu wirken)
b) die selektive Fokussierung der Aufmerksamkeit auf sozial bedrohliche Reize
c) ungünstige gedankliche Rückblicke und nachträgliche negative Bewertungen von erlebten
sozialen Situationen („post-mortem processing“, nach Cklark & Ehlers, 2002)* à Menschen
überlegen sich hinterher oft grübelnd, wie sie sich besser hätten verhalten sollen, reihen
Erlebnisse in Serie von Misserfolgserwartungen und sozial ungeschicktes Verhalten ein à
verstärkt negative Wahrnehmung zukünftiger Situationen wird wahrscheinlicher
Bsp.: Frau kocht aufwändiges Menü für gemeinsamen Abend mit Freunden und weint bitterlich, nachdem Gäste
gegangen sind und geht den ganzen Abend noch einmal durch: Hat alles geschmeckt? Mussten Gäste zu lange
auf nächsten Gang warten? Sie hätte sich mehr einbringen sollen! Bestimmt haben die Gäste sie nur als
Hausfrau mit wenig Allgemeinbildung wahrgenommen!