Panikstörung und agoraphobie Flashcards
Einleitung
- beide Störungen machen in der klinischen Praxis Großteil der Angstpatienten aus (Anxiolytika sind die meistverordneten Psychopharmaka)
- beide Störungsbilder zeigen langfristig ungünstigen Verlauf, nur selten Spontanremission
- ohne Behandlung für Betroffene und Angehörige zumeist massive Beeinträchtigung der Lebensqualität, Folgeprobleme führen oft zu Abwärtsspirale mit komorbiden Depressionen, Substanzabhängigkeit und Suizidalität
- praktisches Behandlungsproblem besteht darin, dass sich Panikanfälle oft hinter rein körperlichen Präsentationen verstecken -> falsche Diagnostik und Behandlung, erhebliche differenzialdiagnostische Kosten, Dauermedikation und suboptimale Behandlung mit folgender Chronifizierung
Darstellung der Störung
Phänomenologie Panikstörung
- zeitlich umgrenzte Episoden akuter Angst = Panikattacken, Angstanfälle, Panikanfälle
- plötzliches z. T. als spontan erlebtes Einsetzen der Symptome
- keine offensichtliche Verbindung zu externalen Stimuli, keine Verbindung mit realer Gefahr
- vordergründige Beschwerden v. a. körperliche Symptome wie Herzklopfen, Herzrasen, Atemnot, Schindel, Benommenheit, Schwitzen, Brustschmerzen, Druck- und Engegefühl in der Brust
- üblicherweise kognitive Symptome wie Angst zu sterben, Angst verrückt zu werden, Angst die Kontrolle zu verlieren
- ausgeprägtes Hilfesuchendes Verhalten wie Notarzt rufen, Angehörige um Hilfe bitten, Beruhigungsmittel einnehmen, bei Anfällen an öffentlichen Orten üblicherweise Fluchtverhalten
Phänomenologie Agoraphobie
- Typisch ist Angst vor der Angst, Angst eines Anfalls unter Bedingungen, denen der/die Betroffene nicht entkommen kann
- Die meisten P. von Panikanfällen entwickeln daher Vermeidungsverhalten
- Sie beginnen Ort zu vermeiden, an denen Panikanfälle aufgetreten waren oder an denen Flucht schwierig oder peinlich wäre
- Vermeidungsverhalten kann eng umgrenzt sein oder sich stark generalisieren, Betroffene können dann ohne Begleitung das Haus nicht mehr verlassen
- Seltener: kein offenes Vermeidungsverhalten, sondern ertragen der gefürchteten Situation unter starker Angst
- DSM-V gibt Vielzahl an Situationen an, die P. meiden oder fürchten
- dazu gehören: öffentliche Orte und Menschenansammlungen, alleine außer Haus sein, in einer Menschenmenge sein, in einer Schlange stehen, auf einer Brücke sein, mit Bus/Zug/Auto fahren
- Gemeinsamkeit der Situationen: sie wären alle schwer zu verlassen und es stünde keine Hilfe zur Verfügung
- es werden vor allem Orte als bedrohlich erlebt, die eine Entfernung vom „sicheren“ Orten (wie zu Hause) oder eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit bedeuten
- meist werden die gefürchteten Orte in Begleitung besser ertragen
- wichtig sind auch Sicherheitssignale, z. B. Mittragen von Medikamenten, Telefonnummern können zur Angstreduktion benutzt werden
- Agoraphobie ohne Panikstörung: haben keine Angst vor Panikanfall, sondern davor, ohnmächtig zu werden oder Kontrolle über Darmtätigkeit zu verlieren
• Epidemiologie
- Insgesamt hohe Prävalenzen für die Panikstörung und Agoraphobie
- Panikstörung Lebenszeitprävalenz zwischen 0.5 % und 4.7 %
- Agoraphobie Lebenszeitprävalenz zwischen 0.9 % und 7.8 %
- Einzelne Panikstörungen ohne volle Erfüllung der Diagnosekriterien, Lebenszeitpräv. 13-15 %
- Bei Frauen sind Angststörungen die häufigste psychische Störung
- Bei Männern nach Abhängigkeitssyndromen die zweithäufigste Psychische Störung
- Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer, Frauenanteil ist umso größer je größer phobische Komponente der Störung ist
Komorbidität
hohe Komorbidität mit anderen Angststörungen + Depressionen + somatoformen Störungen + Abhängigkeitsstörungen
affektive störung 74%
medikamentenmisbrauch 28%
Alkoholmisbrauch 50%
beginn der Störung
- Beginn der Panikstörung meist im jungen Erwachsenenalter (Mitte 20), Beginn der Agoraphobie in manchen Studien einige Jahre später
- Panikattacken sind ein sensibler diagnostischer Marker für spätere Angst- und depressive Störungen: 90 % aller Personen mit Panikattacken entwickeln im weiteren Verlauf eine Angst oder depressive Störung, jeder Zweite eine Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie
- Bei Männern 2. Gipfel des Erstauftretens jenseits des 40. Lebensjahres
- Generell kann 1. Panikanfall sowohl in früher Kindheit als auch im späten Erwachsenenalter liegen
- Tw. Beleg von Panikanfällen und Agoraphobien im Kinder- und Jugendalter, ähnliche Verteilung der Geschlechter, der Symptome und der Komorbidität wie im Erw.-Alter
Verlauf, wie viele ereignisse, wie siehts mit der krankenkasse aus?
- ungünstiger Verlauf, nur 14,3 % erleben Spontanremission
- Häufige Folgeprobleme sind affektive Störungen + Alkohol- und Medikamentenmissbrauch (fehlgeschlagener Selbstbehandlungsversuch)
- starke psychosoziale Beeinträchtigung und hohes Inanspruchnahmeverhalten im Gesundheitssystem
- bei 80% der P. erfolgt kurz vor Beginn der Panikstörung gehäuft schwerwiegende Lebensereignisse, Großteil > 1 Lebensereignis
- häufigste Ereignisse: Tod oder plötzliche, schwere Erkrankung von nahen Angehörigen oder Freunden, Erkrankung oder akute Gefahr des Patienten, Schwangerschaft und Geburt
- Risikofaktor Familienstand, häufiges Erstauftreten nach Trennung, Scheidung, Tod
- bei behandelten Personen mit Remission sehr häufig Rückfälle: Follow-up-Zeitraum von 3 Jahren: erneutes Auftreten von Paniksymptomen lag bei 65 % für Frauen und bei 39 % für Männer
- Panikstörung mit Agoraphobie hat eine deutlich schlechtere Prognose als Panikstörung ohne Agoraphobie
• Diagnostik
- Zentrale Befürchtungen
- • Zentrale Befürchtungen während des Anfalls sollten zur differenzialdiagnostischen Abgrenzung erhoben werden (Panikanfall vs Angstanfall) - Komorbidität
- Vieleicht zuerst die depression behandeln nicht die Panikstörung - Somatische Differenzierung
- momentane Medikamenteneinnahme, Organische Differenzialdiagnose - Problemanalyse
- für individuelle Ausgestaltung der Therapie
- Welche Bedingunden lösen, verschlimmern, veriingern die ängste aus?
- Konfrontationstherapie (ist wichtig) sollte unabhängig von Problemanalyse in der Therapieplanung priorisiert werden - Fragebögen
- speziell für Agoraphobie und Panik 3 Instrumente von Chambless und Mitarbeitern (Fragebogen zu körperbezogenen Ängsten, Kognitionen und Vermeidung, Ehlers et al., 1993)
- alle 3 Skalen eignen sich für Diagnostik und auch für Therapieplanung und Evaluation - Tagebücher
• standardisierte Tagebücher, vom Patienten geführt, vom Erstgespräch bis Ende der Therapie
• Erfassung von Ängsten und Umgebungsbedingungen, Überblick über Aktivitäten (Vermeidung)
• viele Ängste treten in Zusammenhang mit bestimmten Aktivitäten oder Situationen auf
• ohne sorgfältige Selbstbeobachtung solcher Zusammenhänge für P. nicht erkennbar - Hyperventilationstest
• wichtige Rolle beim Auslösen und Verstärken von Angstzuständen
• P. nehmen oft nicht wahr, dass sie hyperventilieren
• Test besteht aus 2 Minuten tiefen und schnellem Atmen
• vorher Abklärung von organischen Komplikationen (Epileptiker patholog. EEG-Werte möglich)
• Ätiologische Modelle
Psychophysiologisches Modell der Panikstörung (Teufelskreis der Aufschaukelung)
- entwickelt als Reaktion auf ursprünglich rein „biologische“ Modelle der Panikstörung
- zentrale Annahme kognitiver Modelle: Panikanfälle entstehen durch positive Rückkopplung zwischen körperlichen Symptomen, deren Assoziation mit Gefahr und der daraus resultierenden Angstreaktion
- Panikreaktion ist eine besonders intensive Form der Angst, kein qualit. Unterschied zu anderen Angstreaktionen
- Panikanfall beginnt mit einer physiologischen (Herzklopfen, Schwitzen) oder einer psychischen (Gedankenrasen, Konzentrationsprobleme) Veränderung
- Ursachen zuerst unspezifisch (Koffeinkonsum, körperliche Anstrengung)
- betroffene Person nimmt Veränderung wahr und assoziiert sie mit Gefahr
- Auf wahrgenommene Bedrohung wird mit Angst oder Panik reagiert
- es kommt zu weiteren physiologischen Veränderungen, körperlichen oder kognitiven Symptomen
- diese Symptome werden wiederum wahrgenommen und mit Gefahr assoziiert
- Steigerung der Angst, schnell ablaufender Rückkopplungsprozess mit mehreren Wiederholungen
Reduktion der Angst
- Panikanfall kann auf 2 Arten beendet werden a) wahrgenommene Verfügbarkeit von Bewältigungsressourcen (z.B. Hilfesuchen und Vermeidungsverhalten, flaches Atmen, Ablenkung auf externe Reize, Reattribution von Körperempfindungen); b) automatisch einsetzende negative Rückkopplungsprozesse (z.B. Habituation, Ermüdung, respiratorischer Reflex bei Hyperventilation)
- beide Arten wirken auf alle Komponenten des Modells
- Versagen von Bewältigungsversuchen führt zu erneutem Angstanstieg
Psychophysiologisches Modell der Panikstörung (Teufelskreis der Aufschaukelung)
Einflussgrößen auf den Aufschaukelungsprozess
- Einfluss von angstmodulierenden Faktoren auf die Rückkoppelungsprozesse im Modell
- kurzfristige Wirkung: momentane psychische und physiologische Zustände (generelles Angstniveau, intensive positive und negative affektive Zustände, körperliche Erschöpfung, hormonelle Schwankungen) + momentane situative Faktoren (Hitze, körperliche Aktivität, Veränderung der Körperposition, Drogen, Abwesenheit von Sicherheitssignalen)
- längerfristige Wirkung: langanhaltende schwierige Lebenssituationen, belastende Lebensereignisse, Reaktionen andere auf Symptome und Einstufung als gefährlich)
- längerfristig wirken auch Persönlichkeitsdispositionen, die sich im Verlauf der Störung stärker ausprägen können: Aufmerksamkeitszuwendung auf Gefahrenreize, bessere Interozeptionsfähigkeit, Sorge vor weiteren Panikanfällen, kognitive Stile mit Einfluss auf die Assoziation von körperlichen oder psychischen Veränderungen mit Gefahr
Psychophysiologisches Modell der Panikstörung (Teufelskreis der Aufschaukelung
Empirische Befunde
- Modell ist bisher gut belegt, so zeigen Studien zu automatischen kognitiven Verarbeitungsprozessen, dass Panikpatienten wiederholt die selektive Aufmerksamkeit auf Reize zuwenden, die mit körperlichen Gefahren assoziiert sind
- Beleg der positiven Rückkopplung: bei Vorspiegelung eines abrupten Anstiegs der Herzfrequenz reagieren nur Panikpatienten mit einem Anstieg subjektiver Angst und Aufregung
- weniger gut geklärt ist Genese des ersten Panikanfalls, Familien- und Zwillingsstudien zeigen familiäre Häufungen, jedoch keine spezifische genetische Transmission, eher unspezifische genetische Vulnerabilität für emotionale Störungen allgemein, später Ausformung durch Umweltfaktoren; Kinder von Panikpatienten haben gemeinsame kognitive Merkmale mit den Eltern (z. B. panikrelevante Symptome als bedrohlicher wahrgenommen
Hyperventilationstheorie
- vermutet Hyperventilation als Ursache für Panikanfälle, Annahme einer erhöhten Vulnerabilität von chronisch hyperventilierenden Personen
- konnte nicht belegt werden, aber wichtige Rolle von kognitiven Faktoren
- Hyperventilation erzeugt subjektive und physiologische Angstreaktionen, können durch spezifische Instruktionen erzeugt bzw. beseitigt werden therap. Ansatz
Therapie
- Leitfrage: Stehen die Panikanfälle oder das agoraphobische Vermeidungsverhalten im Vordergrund?
- Angstpatienten mit plötzlich auftretenden Panikanfällen, bei denen Vermeidung sekundär: kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm
- Angstpatienten mit agoraphobischem Vermeidungsverhalten, haben aufgrund von Vermeidung meist keine Panikanfälle mehr: Konfrontationsbehandlung
- Kombination von Panikanfällen mit Vermeidungsverhalten: Kombi der beiden Ansätze, Beginn mit dem Beschwerdekomplex der stärker ausgeprägt ist und bei dem schneller Erfolgserlebnis zu erwarten ist
- Komorbidität mit Depression: zeitliche Abfolge der Beschwerdekomplexe wichtig; wenn Depression eine Folgeerscheinung der Angst ist, dann sollte Angst zuerst behandelt werden; wenn Angst immer nur in depressiven Phasen auftritt, dann ist Depressionsbehandlung vorzuziehen
- Komorbidität mit 2 gleich schweren Erkrankungen: Beginn mit dem Beschwerdekomplex, der für P. am meisten beeinträchtigend ist, ggf. mit Angstbehandlung zuerst beginnen, da hohe Erfolgsaussichten in vergleichsweise kurzer Zeit 😊
Behandlung von Panikanfällen
- direkte Behandlung erst seit neuestem im Zentrum des Interesses (zuvor Fokus auf Zwänge und Phobien)
- selbst bei Agoraphobikern wurden die Panikanfälle wenig beachtet
- seit 10 Jahre jedoch gute Erfolge mit der gezielten Behandlung
- Kombination von konfrontativen mit kognitiven Ansätzen
- a) Konfrontation mit internen Reizen (besonders körperlichen Symptomen) + Vermittlung von Strategien zur Bewältigung von Angst
- b) in Kombi mit kognitiven Methoden, die auf veränderte Interpretation der Angstsymptome abzielen
- Verfahren sind geeignet für Patienten mit Panikstörung ohne phobisches Vermeidungsverhalten, auch sinnvoll für Th. mit agoraphobischen P. mit spontanen Panikanfällen (Rückfällen bei Agoraphobikern sind meistens mit ein oder mehreren Panikanfällen begleitet)