Die Notwehr Flashcards

1
Q

Als was wird Notwehr charakterisiert?

A

als Rechtfertigungsgrund

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2
Q

Wie begründet die herrschende Meinung die Notwehr?

A

dualistisch

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3
Q

Welche zwei Prinzipien liegen der Notwehr nach herrschender Meinung zugrunde?

A

Selbstverteidigungsprinzip, Rechtsbewährungsprinzip

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4
Q

Was besagt das Selbstverteidigungsprinzip?

A

In der Notsituation ist es jedem erlaubt, seine Rechtsgüter selbst zu verteidigen.

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5
Q

Was besagt das Rechtsbewährungsprinzip?

A

In der Notlage ist der Angegriffene immer auch Repräsentant des Rechts und dessen aktueller Verteidiger gegen das Unrecht.

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6
Q

Welche Voraussetzungen braucht es für Notwehr?

A

Notwehrlage, Notwehrhandlung, subjektives Rechtfertigungselement

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7
Q

Was ist eine Notwehrlage?

A

Das Vorliegen eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs

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8
Q

Was ist ein Angriff?

A

Ein Angriff ist jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung eines notwehrfähigen Rechtsguts (Wessels/Beulke/Satzger AT Rn. 494; Rengier AT § 18 Rn. 6 ff.; Hinweis: Es muss dabei kein Straftatbestand verwirklicht werden).

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9
Q

Warum gelten Tierangriffe im juristischen Sinne nicht als Angriffe?

A

Tiere unterscheiden sich insofern vom Menschen, als nur Menschen taugliche Adressaten von Rechtsnormen sind und auch nur Menschen gegenüber das Recht bewährt werden muss (vgl. KK 263), wenn sich diese durch rechtswidriges Verhalten ins Unrecht setzen (Kühl AT § 7 Rn. 26). Das Verhalten von Tieren kann daher nicht Gegenstand eines Rechtswidrigkeitsurteils sein
(LK/Rönnau/Hohn § 32 Rn. 99)

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10
Q

Kann Unterlassen als Angriff gewertet werden?

A

Nach h.M. stellt ein Unterlassen einen Angriff dar, wenn im Unterlassen ein Verstoß gegen eine Garantenpflicht i.S.d. § 13 StGB liegt.

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11
Q

Welche Rechtsgüter sind notwehrfähig?

A

Zu den notwehrfähigen Rechtsgütern zählen alle Individualrechtsgüter und sonstigen rechtlich geschützten Interessen (wie der Gemeingebrauch beim Kampf um die Parklücke; vgl. sogleich KK 277).
Rechtsgüter der Allgemeinheit (z.B. Vertrauen in die Unbestechlichkeit des Beamtenapparates) sind
dagegen grds. nicht notwehrfähig, denn der Staat kann sich regelmäßig selbst helfen und Staatsnothilfe
ist die absolute Ausnahme des Art. 20 IV GG.

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12
Q

Muss der Verteidiger immer der Angegriffene sein?

A

Angegriffener und Verteidiger müssen nicht identisch sein (Fälle der Nothilfe). Die Nothilfe richtet sich grundsätzlich nach den gleichen Kriterien wie die Notwehr. Darüber hinaus ist aber erforderlich, dass der Angegriffene mit der Verteidigung zumindest mutmaßlich einverstanden ist.

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13
Q

Wann ist ein Angriff rechtswidrig?

A

Der Angriff ist rechtswidrig, wenn er nicht von einer Erlaubnisnorm gedeckt ist (Kindhäuser/Zimmermann AT § 16 Rn. 21; lesenswert BGH NStZ 2012, 144).

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14
Q

Kann ein rechtswidriger Angriff auch dann vorliegen, wenn er aus objektiv pflichtgemäßen Verhalten folgt? (Bsp.: Verkehrsunfall bei Beachtung aller Verkehrsregeln)

A

Nach h.M. (Roxin/Greco AT I § 15 Rn. 14; Stratenwerth/Kuhlen § 9 Rn. 73; Sch/Sch/Perron/Eisele § 32 Rn. 21) liegt in einem obj. pflichtgemäßen Verhalten kein rechtswidriger Angriff.

Nach einer Mindermeinung (Jescheck/Weigend S. 341) ergibt sich die Rechtswidrigkeit dagegen schon
daraus, dass der Angriff ein rechtlich geschütztes Gut bedroht. (ABER: kein Handlungsunwert, darum keine Rechtswidrigkeit (nur Verwirklichung eines erlaubten Risikos) und der Angegriffene ist nicht schutzlos, da Gegenwehr über § 34 StGB möglich)

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15
Q

Wie ist die Frage zu beantworten, ob ein Angreifer schuldhaft handeln muss?

A

+ Rechtsbewährungsprinzip tritt bei Schuldlosigkeit in den Hintergrund, da Rechtsordnung nicht bewusst in Frage gestellt wird
+ Nur dem schuldhaft Handelnden können die vollen Kosten des Konflikts – Folgen der Verteidigungshandlung – aufgebürdet werden

  • Der Wortlaut des § 32 II StGB verlangt nur einen rechtswidrigen, keinen schuldhaften Angriff.
  • Rechtsnormen gelten auch gegenüber schuldlos Handelnden, so dass das Rechtsbewährungsprinzip durchaus eingreift.
  • Eine sachgerechte Einschränkung der Notwehr gegen schuldlos handelnde Personen ist auf der Ebene der Gebotenheit möglich.

–> herrschende Meinung geht davon aus, dass Schuldhaftigkeit keine Voraussetzung der Notwehr ist

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16
Q

Wann ist ein Angriff “gegenwärtig”?

A

Gegenwärtig ist ein Angriff, der im Sinne einer akut bedrohlichen Lage unmittelbar bevorsteht, gerade
stattfindet oder noch fortdauert

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17
Q

Was meint “antizipierte” Notwehr?

A

Fälle der selbstständig wirkenden Abwehrvorrichtungen diskutiert. Hierunter fällt etwa das Aufstellen von elektrischen Zäunen oder gar die Installation von Selbstschussanlagen, um das eigene Grundstück vor Einbrechern zu schützen.

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18
Q

Welche Aspekte müssen hinsichtlich der Notwehrhandlung geprüft werden?

A

Geeignetheit, Erforderlichkeit, Gebotenheit

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19
Q

Was bedeutet “Geeignetheit”?

A

Die Maßnahme ist grundsätzlich dazu in der Lage, den Angriff entweder ganz zu beenden oder ihm wenigstens ein Hindernis in den Weg zu legen. Auch Verteidigungshandlungen, die den Angriff lediglich abmildern, sind dabei als geeignet anzusehen.

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20
Q

Was bedeutet “Erforderlichkeit”?

A

Erforderlich ist diejenige Verteidigungshandlung, die (zur Angriffsabwehr geeignet ist und dabei, vgl. oben) das relativ mildeste der in Betracht kommenden Verteidigungsmittel ist

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21
Q

Von welchem Standpunkt werden die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung beurteilt?

A

Auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung, sog. „objektive ex-ante-Betrachtung“. Es kommt also darauf an, welche Maßnahmen ein verständiger Beobachter im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung unter den Gegebenheiten der Notwehrlage zur sicheren Abwehr des Angriffs für notwendig erachten würde. Wegen der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen nach Auffassung des BGH an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden

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22
Q

Was ist das mildeste Mittel?

A

Das mildeste Mittel ist jenes, das bei gleicher Wirksamkeit den geringsten Schaden anrichtet (vgl. zum
Ganzen Wessels/Beulke/Satzger AT Rn. 511).

23
Q

Auf was kommt es bei der Bewertung der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung maßgeblich an?

A

Auf die konkrete Kampfeslage (BGHSt 27, 336)

24
Q

Wozu dient das Kriterium der Gebotenheit einer Notwehrhandlung?

A

Der sozialethischen Restriktion der Notwehr und die Gebotenheit ermöglicht es, zu berücksichtigen, dass es Fälle gibt, in denen trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen des § 32 II StGB die das Notwehrrecht tragenden Prinzipien in den Hintergrund treten und eine Verletzung des Angreifers nicht mehr zu legitimieren vermögen.

25
Q

Bei welchen Fallgruppen kommt das Kriterium der Gebotenheit zum Tragen?

A

Bagatellangriffe, krasses und unerträgliches Missverständnis, Einschränkung durch Art. 2 I EMRK, Garantenbeziehungen, Angriffe erkennbar schuldlos Handelnder, Notwehr gegen selbst provozierte Angriffe, Abwehrprovokation, Notwehr gegen erpresserische Angriffe, Rettungsfolter als Nothilfe (?)

26
Q

Was versteht man unter Bagatellangriffen?

A

Das Notwehrrecht besteht zunächst nur eingeschränkt für Verhaltensweisen, die an der Grenze des sozial
Adäquaten liegen und nur zu unerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen führen (Bsp.: Vordrängeln, Schubser im Gedränge, o.ä.)

Grund: Das Rechtsbewährungsprinzip tritt bei minimalen Beeinträchtigungen in den Hintergrund.

27
Q

Was versteht man unter einem krassen und unerträglichen Missverhältnis zwischen Angriff und Notwehrhandlung?

A

Bei einem krassen und unerträglichen Missverhältnis zwischen verteidigtem und angegriffenem Rechtsgut ist die Ausübung des Notwehrrechts rechtsmissbräuchlich und deshalb ausgeschlossen

Grund: Das Recht will nicht um einen Preis verteidigt werden, der zum drohenden Schaden völlig außer Verhältnis steht. Das Rechtsbewährungsprinzip tritt dementsprechend auch hier zurück.

28
Q

Welches Problem besteht mit der Fallgruppe “krasses und unerträgliches Missverhältnis zwischen Angriff und Notwehrhandlung?

A

Dabei ist jedoch zu beachten, dass diese Fallgruppe sehr restriktiv zu handhaben ist. Denn bei vorschnellem
Abstellen auf diese Fallgruppe läuft man Gefahr, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 32 StGB einzuführen, die dem Notwehrrecht – anders als bei § 34 StGB – gerade fremd ist

29
Q

Welche Rolle spielt Art. 2 I EMRK im Rahmen der Gebotenheit der Notwehr?

A

Art. 2 I EMRK verbietet die absichtliche Tötung eines Menschen. Art. 2 II a) EMRK lässt die Tötung nur zu,
wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen. Teilweise (Frister GA 1985, 553; Sch/Sch/Perron/Eisele § 32 Rn. 62) wird daraus die Konsequenz gezogen,
Tötungshandlungen zur Verteidigung von Sachwerten seien nicht zu rechtfertigen.

30
Q

Welche Argumente lassen sich in Bezug auf die Anwendung von Art. 2 I EMRK auf die Gebotenheit einer Notwehrhandlung vorbringen?

A
  • Die EMRK bindet nur Staatsorgane, nicht aber Private.

+ Es ist nicht einzusehen, warum ein Privatmann kraft Notwehrrechts zu größeren Eingriffen befugt sein soll als der Staat. Dies wäre ein Wertungswiderspruch.

  • Kein Wertungswiderspruch – das Handeln des Staates kann durchaus stärkeren Bindungen unterliegen als das Handeln Privater (unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte)

–> Nach h.M. (SK/Hoyer § 32 Rn. 108; Rengier AT § 18 Rn. 60; Fischer StGB § 32 Rn. 40) schränkt Art. 2 II a) EMRK das Notwehrrecht bei der Tötung des Angreifers zur Verteidigung von Sachwerten dagegen in keiner Weise ein.

31
Q

Welche Rolle spielen Garantenbeziehungen hinsichtlich der Gebotenheit von Notwehrhandlungen?

A

Innerhalb von Garantenbeziehungen (insb. Personen mit engen familiären Beziehungen und v.a. unter Eheleuten) wurde eine Einschränkung des Notwehrrechts erwogen (BGH NJW 1984, 986).

Grund: Es besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem Recht zur Selbstverteidigung und der Garantenstellung, die es gebietet, Schaden voneinander abzuhalten (§ 13 StGB).

32
Q

Wann kommt eine Beschränkung des Notwehrrechts aufgrund einer Garantenstellung in Betracht?

A

Nur bei leichteren körperlichen Angriffen, denn das Näheverhältnis zwischen Angreifer und Angegriffenen darf nicht dazu führen, dass der Angegriffene schwere körperliche Misshandlungen oder gar den eigenen Tod dulden muss. Richtigerweise wird man bereits bei einem zerrütteten Verhältnis mit Gewaltanwendung eine Garantenstellung verneinen (BGH NStZ 1994, 581).

33
Q

Welche Rolle spielt die Fallgruppe “Angriffe erkennbar schuldlos Handelnder” in Bezug auf das Kriterium der Gebotenheit der Notwehr?

A

Es besteht nur ein eingeschränktes Notwehrrecht nach h.M. (BGHSt 42, 97; Wessels/Beulke/Satzger AT
Rn. 529; Roxin/Greco AT I § 15 Rn. 61 ff.):

  • i.d.R. ist dem Angriff auszuweichen.
  • wenn Ausweichen nicht möglich: Schutzwehr (d.h. defensive Verteidigung)
  • Sodann Trutzwehr (d.h. die aktive Gegenwehr) unter größtmöglicher Schonung des Angreifers zulässig.
Grund: Der schuldlos Handelnde greift die Geltung der Rechtsordnung nicht in dem Maße an, wie ein
schuldhaft Handelnder (vgl. §§ 19 ff. StGB), so dass sich das Recht nicht in gleicher Weise bewähren muss.
34
Q

Was gilt für die für das Kriterium der Gebotenheit bei Fällen der Notwehr gegen selbst provozierte Angriffe?

A

Das Notwehrrecht unterliegt bei provozierten Notwehrlagen sozialethischen Einschränkungen. Handelt es sich bei der Provokationshandlung selbst um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff,
so befindet sich der Provozierte in einer Notwehrlage mit der Folge, dass dem Provozierenden – mangels
rechtswidrigen Angriffs – überhaupt kein Notwehrrecht zusteht.

Fehlt es aber für den Provozierten an der Notwehrlage, etwa weil der Angriff des Provozierenden nicht mehr gegenwärtig ist, befindet sich der Provozierende grundsätzlich in einer Notwehrsituation. Es stellt sich
aber die Frage, ob seine Notwehrrechte nicht aufgrund seiner vorangegangenen Provokation eingeschränkt
werden müssen.

35
Q

Welche beiden Unterfallgruppen lassen sich bei der Notwehr gegen selbst provozierte Angriffe unterscheiden, sofern sich der Angreifer nicht selbst in einer Notwehrlage befindet?

A

Absichtsprovokation und sonst vorwerfbar herbeigeführten Notwehrlage

36
Q

Was ist eine Absichtsprovokation?

A

Von einer Absichtsprovokation spricht man, wenn es dem Täter gerade darum geht, einen Angriff auf sich selbst zu provozieren, um den so gereizten Angreifer dann unter dem Deckmantel der Notwehr verletzen zu können. Ein Angriff wird also zielstrebig herausgefordert.

37
Q

Wie sind Fälle der Absichtsprovokation zu lösen?

A

Nach h.M. handelt der Täter in einem solchen Fall rechtsmissbräuchlich und kann sich daher gar nicht auf Notwehr berufen: Er ist wegen vorsätzlicher
Tatbegehung strafbar

Nach a.A. besteht ein eingeschränktes Notwehrrecht: I.d.R. hat der Provokateur auszuweichen und muss auch leichtere Verletzungen hinnehmen. Ist ein Ausweichen unmöglich, hat er sich auf Schutzwehr zu beschränken. Trutzwehr bleibt nur als ultima ratio zulässig.

38
Q

Was fällt in die Fallgruppe der “sonst verschuldeten Notwehrlagen”?

A

fasst Fälle zusammen, in denen es dem Täter zwar
nicht darauf ankam, den Angreifer zum Angriff zu provozieren, der Täter den Angriff aber gleichwohl in
vorwerfbarer Weise heraufbeschworen hat.

39
Q

Welche Qualitäten des Vorverhaltens bei “sonst verschuldeten Notwehrlagen” gibt es?

A

rechtswidrig, rechtmäßig

40
Q

Was folgt aus rechtswidrigem Vorverhalten für die Fallgruppe der “sonst verschuldeten Notwehrlagen”?

A

Dass rechtswidriges Vorverhalten das Notwehrrecht einschränkt, ist konsentiert. Umstritten ist dagegen,
wie diese Einschränkung vorzunehmen ist:

  • Denkbar – jedoch im Ergebnis nicht überzeugend (s.o.) – wäre zunächst wieder die Lösung über die
    Rechtsfigur der actio illicita in causa.
  • Die h.M. beschränkt das Notwehrrecht in drei Stufen: I.d.R. muss der Provozierende ausweichen; wenn Ausweichen unmöglich, dann Schutzwehr; schließlich Trutzwehr als ultima ratio. Je schwerer und ggf. rechtswidriger die Provokation war, desto mehr ist der Angegriffene verpflichtet, gefährliche Konstellationen zu vermeiden (BGHSt 39, 374).
41
Q

Was folgt aus rechtmäßigem Vorverhalten für die Fallgruppe der “sonst verschuldeten Notwehrlagen”?

A

Unstreitig: Notwehrrecht steht demjenigen uneingeschränkt zur Seite, der sich rechtmäßig und sozialadäquat verhält.

Streitig ist, wie sich rechtmäßiges, aber sozialwidriges Vorverhalten auswirkt:

e.A.: rechtmäßiges Vorverhalten führt nie zu einer Einschränkung des Notwehrrechts, denn erst bei einem rechtswidrigen Vorverhalten verlässt der Täter den Boden des Rechts, weshalb es ihm nicht mehr uneingeschränkt zur Seite stehen kann.

h. M. (insb. Rspr.): Notwehrrecht bei rechtmäßigem, aber nicht
sozialadäquaten Verhalten eingeschränkt, dann also, wenn der Verteidiger gegenüber dem Angreifer ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalls den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt (BGH HRRS 18 Nr. 919, Rn. 11). In diesen Fällen ist vorrangig auszuweichen und Schutzwehr zu üben. Zur lebensgefährlichen Trutzwehr darf nur übergegangen werden, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind (BGH HRRS 18 Nr. 919, Rn. 11 m.w.N.). Voraussetzung ist allerdings, dass zwischen dem provozierenden Vorverhalten und dem dadurch ausgelösten Angriffsverhalten ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht (BGH NStZ 2016, 84 [85 f.]; NStZ 2019, 263 [264]).

Kritik: Das Kriterium der „Sozialwidrigkeit“ ist zu unbestimmt. Nur die Kategorien rechtmäßig/rechtswidrig erlauben eine klare rechtliche Bewertung.

42
Q

Was unterscheidet die Fallgruppe “Abwehrprovokation” von Fällen selbst provozierter Angriffe?

A

Es liegt eine Notwehrlage ohne das Zutun des Angegriffenen vor. Allerdings hat sich der Angegriffene in Erwartung des Angriffs mit erheblichen Abwehrmitteln bewaffnet, die ihm ansonsten nicht zur Verfügung stünden und die der Angegriffene aber in der konkreten Situation unter Beachtung des Grundsatzes der Erforderlichkeit auch einsetzen kann.

43
Q

Wie beurteilt die h. M. die Fallgruppe der “Abwehrprovokation”?

A

Sie erkennt sie nicht an.

+ Verteidiger steht daher vor der Wahl einer eventuell unzureichenden Verteidigung oder eines Risikos, sich
selbst strafbar zu machen.

+ Die Anerkennung der Fallgruppe würde die Prinzipien der Notwehr auf den Kopf stellen: Nicht dem Verteidiger, sondern dem Angreifer muss das Risiko überzogener Verteidigungsmittel zugeordnet werden.

44
Q

Was gilt für das Notwehrrecht in Fällen bloßer Schweigegelderpressung?

A

Erkennt man eine Notwehrlage an, kann diese u.U. nur durch Tötung des Erpressers effektiv abgewendet werden. Da diese letzte Konsequenz als unangemessen erscheint, gehen weite Teile der Literatur von einer Einschränkung des Notwehrrechts des Erpressten dahingehend aus, dass er in einem solchen Fall nur die Beweismittel des Erpressers beseitigen darf. Rechtfertigungsfähig sind somit v.a. Delikte wie z.B. §§ 123, 303 StGB. Nicht vom Notwehrrecht gedeckt sind aber Delikte gegen den Körper oder gar das Leben des Erpressers

45
Q

Welche Gründe können für eine Einschränkung des Notwehrrechts in Fällen von bloßer Schutzgelderpressung vorgebracht werden?

A

+ Der in Notwehr Handelnde hat selbst Unrecht begangen und verteidigt das Recht daher nur bedingt.

+ Erpresser und Erpresster sollen keinen Privatkrieg führen: Der Erpresste ist gezwungen, „im Dunkeln“ zu agieren, um sein Geheimnis nicht öffentlich werden zu lassen. Aus Sicht der Öffentlichkeit kann sich das Recht daher hier nicht bewähren.

+ Der in Notwehr Handelnde ist nur bedingt schutzwürdig, zumal § 154c II StPO ein Absehen seiner Bestrafung im Hinblick auf die mit der Aufdeckung bedrohte Straftat ermöglicht.

46
Q

Was gilt für das Notwehrrecht in Fällen von Schutzgelderpressung?

A

Der BGH dachte zunächst an eine Notwehreinschränkung, ließ die Frage letztlich jedoch offen. Er verneinte eine Einschränkung bei erpresserischen Angriffen jedenfalls dann, „wenn der Angriff des Erpressers auf die Willensentschließungsfreiheit zugleich in einen gegenwärtigen Angriff auf das Vermögen übergeht, mit weiteren Übelsandrohungen verstärkt wird und der Angreifer im Angesicht des Opfers dabei ist, mit aktuell realisierbaren – auch konkludenten – Drohungen gegen Sachwerte und etwa auch die körperliche Integrität des Opfers seinen Angriff auf das Vermögen zu vollenden und zu beenden“ (BGH NJW 2003, 1955, 1959). Demnach ist schon bei einer „gemischten“ Drohkulisse, bei der der Erpresser nicht allein mit Enthüllungen droht, sondern sich auch anschickt, gegen sein Opfer oder dessen Sachen Gewalt zu üben, ein
uneingeschränktes Notwehrrecht gegeben

47
Q

Kann Rettungsfolter als Nothilfe betrachtet werden?

A

Nach zutreffender h.M. ist Rettungsfolter strafrechtlich zu ahnden und insb. nicht durch Nothilfe gerechtfertigt. Sowohl aus deutschen (Art. 1 I, Art. 104 I S.2 GG; § 136 StPO, § 343 StGB) als auch aus internationalen Vorschriften (u.a. Art. 3 EMRK, § 7 I Nr. 5 VStGB) ergebe sich ein unverrückbares Folterverbot, das sich auch in Ausnahmefällen nicht teleologisch einschränken ließe. Folternden Einzelpersonen müsse der Rückgriff auf die Rechtfertigungsgründe des StGB versagt werden. Das Grundprinzip des Rechtsbewährungsinteresses komme nicht zur Geltung, wenn sich der Notwehrtäter eines rechtlich ausnahmslos verbotenen Mittels bediene.

Teilweise (Erb Jura 2005; Jerouschek/Kölbel JZ 2003, 613, 619 f.) wird Rettungsfolter als Nothilfe eingestuft und für gerechtfertigt gehalten. § 32 StGB erlaube gegenüber dem Entführer als Angreifer grundsätzlich jedes Vorgehen, das zur Abwendung des Angriffs
erforderlich sei. § 32 StGB enthalte gerade weder eine Interessenabwägung noch Angemessenheitsklausel und differenziere nicht danach, ob ein Privatmann oder Amtsträger handele. Das Folterverbot aus Art. 1 I GG verbiete es lediglich dem Staat, Folter durch polizeirechtliche Regelungen hoheitlich
anzuordnen. Vereinzelt (Brugger JZ 2000, 168 ff.) wird daraus der Schluss gezogen, das Folterverbot in Ausnahmefällen hinter der Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Würde des Entführten zurücktreten zu lassen. Diesem Gedanken erteilte der EGMR eine unmissverständliche Absage.

48
Q

Kann sich ein Hoheitsträger bei der Amtsausübung auf die Notwehrregeln berufen?

A

Teil der Lehre schließt jede Berufung auf Notwehr
aus:

+ Sonst besteht die Gefahr des Unterlaufens spezieller Vorschriften des PolG, die die Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns und den Lebens- und Gesundheitsschutz der Bürger gewährleisten.#
- Die erzwungene Unmöglichkeit des allein effektiven Schutzes durch den Einsatz einer Schusswaffe könnte als Versagen des Staates beurteilt werden und private Reaktionen (Bürgerwehren) begünstigen. Kriminalpolitisch ist das aber unerwünscht.

Andere (LK/Zieschang § 34 Rn. 6) differenzieren zwischen Notwehr und Nothilfe: Geht es um den Selbstschutz des angegriffenen Hoheitsträgers, ist die Berufung auf Notwehr zugelassen, während sie bei der Nothilfe unzulässig ist. Beim Selbstschutz ist Straffreiheit wegen Notwehr eher vertretbar als bei Nothilfe, wo die Berufung zur Umgehung der Vorschriften über den Schusswaffengebrauch führen kann.

Nach einer Kompromisslösung (MK/Erb § 32 Rn. 189 ff.) beseitigt §32 StGB nur die Strafbarkeit, hat aber keinen Einfluss auf die polizeirechtliche (Un-)Zulässigkeit, so dass insbesondere die Möglichkeit disziplinarischer Ahndung bestehen bleibt.
+ Sachgerechtes Ergebnis: Der Täter ist strafrechtlich gerechtfertigt, polizeirechtlich bleibt das Verhalten aber mit allen Konsequenzen rechtswidrig.
- Einheit der Rechtsordnung schließt es denklogisch aus, ein Verhalten als strafrechtlich erlaubt und zugleich als öffentlich-rechtlich rechtswidrig einzustufen.

49
Q

Welche Mittel sind bei der Erforderlichkeitsprüfung im Zuge der Notwehrprüfung nicht zu beachten?

A
  1. Verteidigungsmittel, deren Abwehrerfolg ungewiss ist, da sich der Verteidigende nicht auf sie verlassen muss (BGH NStZ-RR 2007, 199; BGH NStZ 2019, 136).
  2. Flucht ist kein in Betracht kommendes Mittel, da das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht
    und der Angegriffene auch für den Bestand der Rechtsordnung eintritt (BGH NJW 2013, 2133 [2136 f.]).
50
Q

Was gilt für obrigkeitliche Hilfe hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Notwehrhandlung?

A

Obrigkeitliche Hilfe ist in Anspruch zu nehmen, soweit sie rechtzeitig erreichbar ist und somit effektiven Schutz vor dem Angriff gewährt (BGHSt 39, 133).

51
Q

Welchen Abstufungen unterliegt der Einsatz von Waffen oder lebensgefährlichen Gegenständen im Rahmen einer Notwehrhandlung? (Teil der Erforderlichkeitsprüfung)

A

Lebensgefährliche Abwehrmittel (insb. Waffen) dürfen grundsätzlich nur abgestuft eingesetzt werden (BGH NStZ 2019, 136; NStZ 2019, 598 [599]): Zunächst ist der Einsatz i.d.R. anzudrohen. Sodann ist, falls möglich, auf einen bloßen Verletzungserfolg zu zielen. Tötung des Angreifers als ultima ratio zulässig.

52
Q

Wie ist die Abstufung beim notwehrrechtlichen Einsatz lebensgefährlicher Abwehrmittel zu bewerten?

A

Bei dieser Abstufung handelt es sich nicht um eine „starre Regel“ (MK/Erb § 32 Rn. 167). Maßgeblich ist der Einzelfall. U. U. ist auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe durch Notwehr gerechtfertigt.

Weniger gefährliche Einsatzformen i.d.R. nur dann zwingend, wenn sie unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann (BGH NStZ 2019, 598 [599]).

53
Q

Prüfungsschema Notwehr?

A
  1. Notwehrlage (Angriff, gegenwärtig, rechtswidrig)
  2. Notwehrhandlung (Geeignetheit/Erforderlichkeit, Gebotenheit)
  3. subjektives Rechtfertigungselement (Kenntnis, Verteidigungswille)