Der verantwortungsausschließende Notstand und verwandte Fälle Flashcards

1
Q

Was unterscheidet Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe?

A

Bei ersteren fehlt es an einer Schuldvoraussetzung bzw. an einem schuldbegründenden Merkmal. Entschuldigungsgründe hingegen führen zu einer Minderung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat. Der verminderte Schuldgrad erscheint dann nicht mehr strafwürdig.

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2
Q

Zwischen welchen Entschuldigungsgründen wird insbesondere unterschieden?

A

entschuldigender Notstand (§ 35 StGB), Notwehrüberschreitung (§ 33 StGB), übergesetzlicher Notstand/entschuldigende Pflichtenkollision, Gewissensnot, Handeln auf dienstliche Weisung

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3
Q

Auf welchen Grundgedanken bauen die Entschuldigungsgründe auf?

A

Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, Gedanke der Unrechts- und Schuldminderung, Gedanke der präventiven Bestrafungsnotwendigkeit

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4
Q

Was bringt der den Entschuldigungsgründen zugrundeliegende Grundgedanke der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zum Ausdruck?

A

In einer Notstandslage, in der der Täter die in § 35 StGB bezeichneten Rechtsgüter bedroht sieht, kann diesem aufgrund des besonderen Motivationsdrucks
(außergewöhnliche psychische Zwangslage) kein normgemäßes Verhalten zugemutet werden.

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5
Q

Was bringt der den Entschuldigungsgründen zugrundeliegende Gedanke der Unrechts- und Schuldminderung zum Ausdruck?

A

Unrechtsminderung: Der Erfolgsunwert der Tat wird durch den Wert des Guts, das der Täter durch
seine Tat zu schützen sucht, gemindert; der Handlungsunwert wird durch den Rettungszweck (oder Verteidigungszweck im Rahmen von § 33 StGB) herabgesetzt.

Schuldminderung: Der Schuldgehalt wird durch den außergewöhnlichen Motivationsdruck herabgesetzt. Der Motivationsdruck macht es dem Täter unmöglich, den Verbotsnormen des Strafgesetzes zu entsprechen. Schuldmindernd wirkt also der Umstand, dass sich der Täter nicht aus rechtsfeindlicher
Gesinnung gegen das Recht stellt. Ganz deutlich herabgesetzt ist die Schuld auch durch die asthenischen Affekte im Rahmen von § 33 StGB.

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6
Q

Was ist ein asthenischer Affekt?

A

Eine Gemütsbewegung (z.B. hochgradige Erregung, Furcht oder Schrecken), die zur Begehung einer Straftat geführt hat.

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7
Q

Was bringt der den Entschuldigungsgründen zugrundeliegende Gedanke der präventiven Bestrafungsnotwendigkeit zum Ausdruck?

A

Erklärt man das Bestehen von Entschuldigungsgründen mit dem Gedanken der präventiven Bestrafungsnotwendigkeit, so erklärt sich die Struktur des § 35 StGB in dem Sinne, dass die Gefahr zur Not auch hätte ertragen werden können und der Täter somit auch eine rechtmäßige Verhaltensalternative gehabt hätte.

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8
Q

Wann kann in einer Fallprüfung geprüft werden, ob die Tat eines Täters zu entschuldigen ist?

A

Wenn keine Rechtfertigung nach §§ 32, 34 StGB vorliegt

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9
Q

Welcher Wertungsunterschied geht aus der Trennung zwischen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen hervor?

A

Der gerechtfertigt agierende Täter handelt im
Einklang mit der Rechtsordnung, er hat zwar typisiertes Unrecht begangen (= tatbestandsmäßige Handlung), diese Indizwirkung der Unrechtsbegehung aber mittels der Rechtfertigung widerlegt. Für den von der Tat Betroffenen bedeutet dies, dass er sich nicht mittels Notwehr widersetzen darf, da ja kein rechtswidriger Angriff vorliegt. Dem „nur“ entschuldigt handelnden Täter gegenüber ist aber eine Notwehrhandlung erlaubt, da dieser ja rechtswidrig agiert

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10
Q

Warum ist der entschuldigende Notstand gegenüber dem rechtfertigenden Notstand hinsichtlich der notstandsfähigen Rechtsgüter enger?

A

Dies folgt aus dem Grundgedanken dieses Entschuldigungsgrundes, der eine außergewöhnliche Motivationslage voraussetzt. Eine solche kann regelmäßig nur bei den von § 35 StGB bezeichneten Rechtsgütern angenommen werden.

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11
Q

Welche gesetzlichen Voraussetzungen verlangt der entschuldigende Notstand?

A

Notstandslage, Rettungshandlung, Gefahrabwendungswille, Ausnahmeregelung nach § 35 I 2

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12
Q

Was muss beim entschuldigenden Notstand neben den gesetzlichen Voraussetzungen noch geprüft werden?

A

Zumutbarkeit der Gefahrhinnahme (§ 35 I 2)

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13
Q

Welche Rechtsgüter sind i.S.v. § 35 I StGB notstandsfähig?

A

Nur die im Paragraphen aufgezählten

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14
Q

Wie wird das Rechtsgut der “Freiheit” in § 35 I StGB verstanden?

A

Aufgrund der systematischen Auslegung: Körperbezogen so wie die anderen genannten Rechtsgüter

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15
Q

Welche Voraussetzungen gelten für die Notstandslage beim entschuldigenden Notstand?

A

Notstandsfähiges Rechtsgut, rettungsfähige Person, gegenwärtige Gefahr

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16
Q

Was ist eine “nahestehende Person” i.S.v. § 35 I StGB?

A

Teleologische Auslegung: Orientierung am Grundgedanken der Entschuldigungsgründe und dem besonderen Motivationsdruck zu orientieren. Eine nahestehende Person kann nur eine solche sein, bei der sich der Täter zum Zeitpunkt der Tat durch eine „besondere seelische Zwangslage“ motiviert gefühlt hat, im Wege der Notstandshilfe einzuschreiten

systematischen Auslegung wird gefordert: „Der Begriff der ‚nahestehenden Person‘ setzt, wie sich aus der Gleichstellung mit dem Angehörigen ergibt, das Bestehen eines auf eine gewisse Dauer angelegten zwischenmenschlichen Verhältnisses voraus, das ähnliche Solidaritätsgefühle wie (i.d.R.) unter Angehörigen hervorruft und das deshalb im Fall der Not auch zu einer vergleichbaren psychischen Zwangslage führt

17
Q

Wie ist der Begriff der “gegenwärtigen Gefahr” bei der Notstandslage im Rahmen des entschuldigenden Notstands auszulegen?

A

N. h. ist die Gegenwärtigkeit der Gefahr ist nach h.M. extensiv auszulegen – wie bei § 34 StGB –, so dass auch Dauergefahren erfasst sind. Daneben reichen auch bereits zukünftige Schadenseintritte aus, sofern sie nur durch sofortiges Handeln ohne weiteres Risiko abgewehrt werden können.

18
Q

Wann liegt Gefahrabwendungswille i.S.v. § 35 I 1 StGB vor?

A

Der Notstandstäter über die Kenntnis der entschuldigenden Voraussetzungen und den Willen verfügen, aufgrund dieser Gefahr für ein Rechtsgut zu handeln. Dabei muss der Gefahrabwendungswille allerdings nur ein Element der Motivationslage sein. Soweit der Notstandstäter daneben noch andere Ziele verfolgt, ist dies unschädlich.

19
Q

Welche Ausnahmeregelungen nennt § 35 I 2 StGB?

A

Gefahrverursachung, besonderes Rechtsverhältnis, weitere Zumutbarkeitsfälle

20
Q

Was ist bei der Gefahrverursachung als Zumutbarkeitsgrund i.S.v. § 35 i 2 StGB zu beachten?

A

Nach h.M. die bloße Verursachung der Gefahr noch kein Umstand, der zu einer Gefahrtragungspflicht führt, da die bloße Verursachung schuldindifferent ist.

Bedeutsam ist aber eine vorwerfbare Verursachung
der Gefahr, z.B. sich ohne Not in eine Gefahrensituation zu begeben

21
Q

Welche Kriterien bestimmen allgemein das Vorliegen eines besonderen Rechtsverhältnisses?

A
  • Pflichtenstellung muss gegenüber der Allgemeinheit bestehen.
  • berufliche Pflichtenstellungen

Durch das Erfordernis einer Pflichtenstellung ggü. der Allgemeinheit werden Schutzpflichten ausgeschlossen, die nur Einzelnen gegenüber bestehen (Obhutsgarantenpflichten der Eltern gegenüber Kindern).

Die Berufsbezogenheit der Pflichtenstellung wirkt sich auch dahingehend aus, dass die erhöhte Gefahrtragungspflicht nur für berufstypische Gefahren gilt.

22
Q

Was meint “Respektierung einer Gefahrtragungspflicht”?

A

Im Wege der Notstandshilfe darf keine Person gerettet werden, die in eine Notstandslage geraten ist, ihrerseits aber aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses gefahrtragungspflichtig ist

23
Q

Welche weiteren Zumutbarkeitsfälle ergeben sich auf dem Wege einer systematischen Auslegung aus § 35 I 2 StGB?

A

Obhutspflichten (i.S.v. § 12 StGB), sonstige Duldungspflichten (nach § 32 StGB gerechtfertigter Angriff), Unverhältnismäßigkeit/Disproportionalität

24
Q

Wann ist eine Dauergefahr gegenwärtig?

A

wenn der Schaden jederzeit eintreten kann, auch wenn die Möglichkeit offenbleibt, dass der Schadenseintritt noch einige Zeit auf sich warten lässt

25
Q

Welche Anforderungen werden an eine Rettungshandlung i.S.v. § 35 gestellt?

A

Geeignetheit, Erforderlichkeit (relativ mildestes Mittel)

26
Q

Was meint “Gefahrabwendungswille”?

A

Subjektives Entschuldigungselement: Hierzu muss der Notstandstäter über die Kenntnis der entschuldigenden Voraussetzungen und den Willen verfügen, aufgrund dieser Gefahr für ein Rechtsgut zu handeln

27
Q

Was gilt, wenn der Notstandshelfer die für einen Dritten bestehende Gefahr verursacht hat?

A

Für eine Anwendung des § 35 I 2 StGB und in der Folge für eine Versagung der Entschuldigung. Dem wird aber herrschend entgegengehalten, dass sich die besondere Motivationslage für den Betroffenen verschärft habe, da er bestrebt sei, seinen Fehler – Verursachen einer Gefahrenlage – zu beheben (Rengier AT § 26 Rn. 35); eine Entschuldigung erscheint daher vorzugswürdiger.

28
Q

Was gilt hinsichtlich der Entschuldigung eines Notstandshelfers, wenn die für einen Dritten bestehende Gefahr durch genannten Dritten verursacht wurde?

A

Es wird vorgebracht, dass der Entschuldigung des Notstandshelfers die geringere Schutzwürdigkeit der Rechtsgüter (= Notlage selbstverschuldet) entgegenstehe (vgl. MK/Müssig § 35 Rn. 57). Der Wortlaut des § 35 I 2 StGB spricht jedoch für die Entschuldigung des Notstandshelfers, weil dieser die Gefahr nicht „selbst“ verursacht hat. Zudem spielt es für den auf dem Notstandstäter lastenden Motivationsdruck keine Rolle, ob der Angehörige die Gefahr selbst verursacht hat (Bock AT S. 409). Letztere Auffassung verdient daher den Vorzug