VL Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen Flashcards
Was ist das Problem bei der Wahrheitsfindung ?
= Oft ist die Aussage von mutmaßlichen Geschädigten im
Strafverfahren das einzige Beweismittel, vor allem bei fraglichen Sexualdelikten
• Was tun bei Aussage-gegen-Aussage Konstellationen?
In dubio pro reo
= „Im Zweifel für den Angeklagten“
• Artikel 6 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer
Schuld als unschuldig.“
• Grundsatz, den das Gericht zu befolgen hat, wenn
- > nach abgeschlossener Beweiswürdigung keine volle Überzeugung gewonnen wurde
- > noch Zweifel an der Schuld bestehen
- > Die Argumentation einer Verurteilung muss „folgerichtig, lückenlos und frei von Widersprüchen“ sein
Glaubhaftigkeit im Strafprozess
• Grundsätzlich: Beurteilung der Glaubhaftigkeit ureigenste Kompetenz des Gerichts
• Beauftragung rechtspsychologischer Sachverständiger nur in Ausnahmefällen (bei Zweifeln des Gerichts)
- > aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsgutachten am häufigsten bei Aussagen von Kindern über in Frage
stehende sexuelle Missbrauchserlebnisse oder bei Aussagen von Frauen über in Frage stehende Vergewaltigungs- bzw. sexuelle Nötigungserfahrungen eingeholt werde
Glaubwürdigkeitsattribution
= Prozess der Eindrucksbildung, bei dem eine
subjektive Zuschreibung von Glaubwürdigkeit der Aussage eines Senders durch einen Empfänger erfolgt, welche nicht auf systematische Verhaltensanalyse beruht
- > Subjektive Einschätzung aufgrund
• Äußerem Erscheinungsbild (Kleidungsstil)
• Nonverbalen Verhalten (Nervosität)
• Kontextinformationen (z.B. Aussagemotivation)
• Vorinformationen (z.B. Reputation)
= > Glaunwürdigkeit ist also eine Personaleeigenschaft
Fazit zur Glaubhaftigkeit im Strafprozess
= eine allgemeine Glaubwürdigkeit im Sinne einer stabilen personalen
Persönlichkeitsdisposition gibt es nicht!
- > „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…“
- > Bei der Begutachtung der Glaubhaftigkeit wird eine Aussage vor dem
Hintergrund wissenschaftlicher, psychologischer Erkenntnisse (z.B.
Wahrnehmung, Gedächtnis, Entwicklung, Psychopathologie) auf ihren
Realitätsgehalt untersucht
Annahme der Aussagepsychologie
= zeugenschaftlichen Aussagen handelt es sich um Gedächtnisleistungen!
Allgemeines Wissen im Gedächtnis Wo?
= Semantisches Gedächtnis
- > Dinge die wir wissen ohne zu erinnern es gelernt zu haben
- > Stabiler (Werden wir immer Wissen)
Eigenen Erinnerungen wo im Gedächnis ?
= Episodisches Geächtnis
- > Erlebnisbasierte Erinnerungen
- > Detaillreicher bei markanten Erlebnissen
• Frei erfundene Aussagen haben ihre Basis im semantischen Gedächtnis
• Aussagen werden vor dem Hintergrund „kognitiver Schemata“ konzipiert
• Kognitive Schemata sind abstrakte Wissensstrukturen, die Vorannahmen über
Gegenstände, Menschen und Situationen enthalten.
• Sie repräsentieren Cluster von Wissen und leiten Aufmerksamkeit,
Erwartungen, Interpretationen und Inferenzen
bei der Wahrnehmung, Verarbeitung und Rekonstruktion
von Informationen.
• Schemata enthalten gewissermaßen eine Zusammenfassung
der Eigenschaften, die typischerweise in einem
Exemplar des jeweiligen Gegenstandsbereichs vorkommen
= Merkmale frei erfundener Aussagen
• Das autobiografische Gedächtnis – eine Sonderform des episodischen
Gedächtnisses – ist dadurch gekennzeichnet, dass über einen zeitlichen und
räumlichen Bezug hinaus ein Ich-Bezug besteht
• Erfahrene Episoden erlangen persönliche Bedeutung
• Emotional bedeutsame Ereignisse werden detaillierter,
kontextuell eingebundener und lebhafter erinnert
• Individuelle Durchzeichnung
• Beteiligte sind nicht „austauschbar“
• was geschehen ist, wer etwas erlebt hat, wieso es zu
dem Ereignis kam und was das Ereignis für die
Zeug:innen konkret bedeutet
= Merkmale des episodischen Gedächtnisses
Aussagen über tatsächlich erlebte Ereignisse
unterscheiden sich von erfundenen Aussagen derselben Person durch eine überlegene
inhaltliche Qualität
• Falschaussage als Leistungsprodukt:
• Eine Falschaussage plausibel konstruieren
• Diese ggf. spontan ergänzen
• Sich die selbst produzierte Information merken
• Keine Informationen erwähnen, die den Zuhörer skeptisch werden lassen
• Die eigene Wirkung sowie die Wirkung der Aussage auf den Rezipienten kontrollieren
= Die Undeutsch Hypothese
- > „CognitiveloadTheory
Grundlagen der Glaubhaftigkeitsbegutachtung
= Leitfrage: Könnte dieser Zeuge mit den gegebenen individuellen Voraussetzungen unter den gegebenen Befragungsumständen und unter Berücksichtigung der im konkreten Fall möglichen Einflüsse von Dritten diese spezifische Aussage machen, ohne dass sie auf einem realen Erlebnishintergrund basiert? (Volbert, 1995)
• Es ist zu prüfen, ob die in Frage stehende Aussage anders als durch einen tatsächlichen Erlebnishintergrund zustande gekommen sein kann.
• Der Rückgriff des BGH auf das wissenschaftstheoretische und teststatistische
Prinzip der Nullhypothesenprüfung stellt implizit eine Erinnerung an die juristische Selbstverständlichkeit der Unschuldsvermutung dar.
• Rationale Prüfstrategien bei Glaubhaftigkeitsbegutachtungen beinhalten keine
Diskreditierung von Opferzeugen durch Formulierung zu hoher Ansprüche an ihre Aussagen, sie ermöglichen vielmehr in einer Vielzahl von Fällen die Feststellung einer höheren Wahrscheinlichkeit für die Erlebnishypothese im Vergleich zu den Unwahrhypothesen
• Im professionellen Kontext sollte selbstverständlich immer eine möglichst objektive Betrachtung der Sachlage sowie eine unvoreingenommene Befragung angestrebt werden
• Aber: Häufig wird das bloße Hervorbringen der Idee, die Aussage einer Zeugin oder eines Zeuge im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens neutral zu prüfen, als moralisch verwerflich angesehen, da offenbar das moralische Bedürfnis besteht, Opfern von Sexualdelikten grundsätzlich Glauben zu schenken
• „We have entered the era of the victim, and we must avoid disregarding their point of view just as much as making it the be-all and the end-all of any political, legal, or intellectual consideration.“
= Die Bedeutung der Rechtspsychologie
Die drei Säulen der Glaubhaftigkeitsbegutachtung
- Aussagetüchtigkeit = > dieser Zeuge mit den gegebenen individuellen
Voraussetzungen (was kann die zeugin Kognitiv leisten?)
2.Aussagenqualität = > unter den gegebenen Befragungsumständen und unter Berücksichtigung der im konkreten Fall möglichen Einflüsse von Dritten ( Von Wem?, Suggestion) - Aussagenzuverlässigkeit = > diese spezifische Aussage machen,
„Lügenhypothese“
= Die Aussage ist das Produkt einer
bewussten Falschaussage
- > Der Zeuge weiß um die
Falschheit der Aussage
- bei Dreiklang -> Aussagequalität kann diese verwerfen
„Suggestionshypothese“
= Die Aussage ist das Produkt fremd oder autosuggestiver Einflüsse
- > Der Zeuge hält seine Aussage subjektiv für wahr
- Bei Dreiklang - > Aussagezuverlässigkeit kann verwerfen
• Analyse der Aussagepersönlichkeit („Aussagetüchtigkeit“)
• Analyse der Aussagegenese („Aussagezuverlässigkeit“)
• Analyse der Aussagequalität („Aussagequalität“)
= Erhebung- und Analysebereiche
Aussagetüchtigkeit
= Weist der Zeuge die kognitiven und psychischen
Voraussetzungen auf, die zur Erstattung einer gerichtverwertbaren Aussage erforderlich sind?
• Kognitiv: Wahrnehmung, Erinnerung, Sprache, Aufmerksamkeit etc.
• Psychisch: Störungen, die die Realitätswahrnehmung betreffen
• Allgemeine und spezielle Aussagetüchtigkeit als conditio sine qua non (= „Bedingung, ohne die nicht“)
• D.h. ohne Aussagetüchtigkeit ist der Begutachtungsprozess beendet
• Adäquate Situationswahrnehmung
• Speicherung über einen längeren Zeitraum
• Sprachliches Ausdrucksvermögen
= Grundvoraussetzungen bei der Allgemeine Aussagetüchtigkeit
- > Wahrnehmung, Speicherung und Abrufen
-
• Konzentrationsfähigkeit
• Fähigkeit, eine für Dritte nachvollziehbare Schilderung zu produzieren
• Angemessenes Quellenmonitoring
• Weitgehend selbstständiger Abruf
• Basale Beherrschung relevanter kommunikativer Kompetenzen
= Spezifische Voraussetzung für die forensische Befragungssituation
- Aussagetüchtigkeit
• Konzentrationsfähigkeit
• Fähigkeit, eine für Dritte nachvollziehbare Schilderung zu produzieren
• Angemessenes Quellenmonitoring
• Weitgehend selbstständiger Abruf
• Basale Beherrschung relevanter kommunikativer Kompetenzen
= Spezifische Voraussetzung für die forensische Befragungssituation
- Allgemeine Aussagetüchtigkeit
Aussagetüchtigkeit ist kein stabiles überdauerndes Konstrukt! Es wird für
jede mutmaßliche Tatsituation einzeln erhoben (ähnlich der Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit). Eine Person kann unter Umständen für einen
Sachverhalt als aussagetüchtig gelten, während sie für einen anderen
Sachverhalt keine ausreichende Aussagetüchtigkeit besitzt
= Spezielle Aussagetüchtigkeit
• Alkoholisierung
• Substanzmittelkonsum
• Bewusstseinsverlust
= Spezielle Aussagetüchtigkeit die geprüft werden
Worauf bezieht sich die Aussagetüchtigkeit?
= Aussagetüchtigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person,
• einen spezifischen Sachverhalt zuverlässig wahrzunehmen,
• diesen in der zwischen dem Geschehen und der Befragung liegenden Zeit
im Gedächtnis zu behalten,
• das Ereignis angemessen abzurufen,
• die Geschehnisse in einer Befragungssituation verbal wiederzugeben und
• Erlebtes von anders generierten Vorstellungen zu unterscheiden.