Verfahrensgrundsätze Flashcards
Dispositionsmaxime
In der Dispositionsmaxime zeigt sich die prozessuale Seite der Privatautonomie. Sie besagt, dass die Parteien bzw. Prozessbeteiligten das Recht zur Verfügung über den Prozess als Ganzes haben; sie können also frei über den Prozess disponieren. Die Dispositionsmaxime gilt neben dem Zivilprozess auch im Verwaltungsprozess.
Der Zivilprozess beginnt nur auf Antrag einer Partei und wird durch die Anträge der Parteien bestimmt. Die Gerichte sind gemäß § 308 Abs. 1 ZPO an die Anträge gebunden, sie dürfen keiner Partei mehr zusprechen als beantragt (ne ultra petita). Der Zivilprozess kann durch die Parteien jederzeit beendet werden (beispielsweise durch Verzicht, Anerkenntnis, Klagerücknahme, Erledigungserklärung, Prozessvergleich). Den Gegenbegriff zur Dispositionsmaxime bildet das Offizialprinzip, das im Strafrecht gilt.
Verhandlungsgrundsatz/Beibringungsgrundsatz
Die Parteien müssen (im Zivilprozess!) alle streitentscheidenden Tatsachen selbst beibringen und beweisen. Eine Einschränkung erfährt der Verhandlungsgrundsatz durch die gerichtliche Frage- und Aufklärungspflicht (auch richterliche Hinweispflicht genannt), vgl. §§ 139 Abs. 1, 136 Abs. 1, Abs. 3 ZPO.
Beschleunigungsgrundsatz
Hierzu zählen alle Regelungen, die der Beschleunigung des Verfahrens dienen. Deutlich wird dieser Grundsatz etwa in Vorschriften wie § 272 Abs. 1 ZPO, wonach der Rechtsstreit möglichst in einem Termin entschieden werden soll.
Rechtsstaatsprinzip
Nicht nur im Strafprozess, sondern auch im Zivil- und Verwaltungsprozess gelten gemäß Art. 20 Abs. 3 GG die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze. Hierunter fallen insbesondere der Grundsatz des fairen Verfahrens, der Grundsatz der Waffengleichheit und der Anspruch auf rechtliches Gehör.
Mündlichkeit (ZivilR)
Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich, § 128 Abs. 1 ZPO. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erlassen, vgl. etwa § 128 Abs. 2 bis 4 oder § 331 Abs. 3 ZPO. Das herkömmliche Verständis, dass bei der mündlichen Verhandllung alle Parteien vor Ort anwesen sein müssen, wird außerdem durch § 128a ZPO durchbrochen, dessen Bedeutung jüngst durch die Pandemie wesentlich zugenommen hat.
Grundsatz der Unmittelbarkeit (ZivilR)
Zu unterscheiden sind die formelle und die materielle Unmittelbarkeit: Der Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit besagt, dass vor dem erkennenden Gericht die Beweisaufnahme zu erfolgen hat (§ 355 Abs. 1 S. 1 ZPO), so dass dieses sich selbst einen unmittelbaren Eindruck von der Streitigkeit verschaffen kann. Die Verhandlung des gesamten Rechtsstreits muss vor dem erkennenden Gericht stattfinden. Das Prinzip der materiellen Unmittelbarkeit besagt, dass nur der unmittelbare Beweis verwendet werden darf. Dieser Grundsatz gilt nicht im Zivilprozess, sondern nur im Strafprozess. So ist etwa eine Zeugenvernehmung der Verlesung eines Vernehmungsprotokolls vorzuziehen (§ 250 StPO).
Grundsatz der Öffentlichkeit
Soweit mündlich verhandelt wird, gilt dieser Grundsatz nach § 169 S. 1 GVG. Einschränkungen dieses Prinzips finden sich etwa in §§ 170 ff. GVG für Fälle, in denen das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Prozessbeteiligten als dem Öffentlichkeitsinteresse vorrangig angesehen wird. Keine Einschränkung dieses Grundsatzes sieht § 128a ZPO vor, sodass das erkennende Gericht sich auch bei einer Videoverhandlung im Gerichtssaal aufhalten muss.
Offizialprinzip
Nach dem Offizialprinzip obliegt die Einleitung des Strafverfahrens grundsätzlich dem Staat (ex officio) und nicht dem Bürger. Den Gegensatz dazu bildet die Dispositionsmaxime (s. o.). Eingeschränkt ist dieses Prinzip z. B. bei den Antragsdelikten. Das Vorliegen des Strafantrags bzw. der Ermächtigung ist eine Prozessvoraussetzung, so dass bei dessen Fehlen das Verfahren einzustellen ist. Eine weitere Ausnahme von diesem Prinzip ist das Privatklageverfahren (§§ 374 ff. StPO).
Akkusationsprinzip
Der in § 151 StPO normierte Anklagegrundsatz besagt, dass die Eröffnung der gerichtlichen Untersuchung notwendig die Erhebung einer Klage voraussetzt. Die Klagerhebung erfolgt aber nie durch das Gericht selbst, sondern entweder durch die Staatsanwaltschaft oder (ausnahmsweise) durch einen Privatkläger. Dahinter steht ein rechtsstaatlicher Gedanke, denn durch die personale Trennung von Ankläger und Richter wird psychologisch eine Vorverurteilung des Angeklagten seitens des Richters vermieden.
Legalitätsprinzip
Nach dem Legalitätsprinzip ist die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen eines Anfangsverdachts verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen (§§ 152 Abs. 2, 160 StPO) und bei hinreichendem Tatverdacht gemäß § 170 Abs. 1 StPO öffentliche Klage zu erheben. Bei Beteiligung der Polizei (§ 163 StPO) gilt das Legalitätsprinzip auch für diese. Das Legalitätsprinzip wird durch das Klageerzwingungsverfahren (§§ 172 ff. StPO) abgesichert.
Opportunitätsprinzip
Den Gegenbegriff bildet das Opportunitätsprinzip, wonach es im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden liegt, ob sie einer Straftat nachgehen. Rechtlich gesehen handelt es sich um eine Ausnahme, die in der Praxis aber häufig vorkommt; dies insbesondere im Rahmen einer Einstellung nach §§ 153 ff. StPO. Bei den Ordnungswidrigkeitsbehörden bildet das Opportunitätsprinzip im Gegensatz hierzu nach § 47 Abs. 1 OWiG den Grundsatz.
Untersuchungsgrundsatz (StrafR)
Hierunter versteht man die Pflicht der Strafverfolgungsorgane, den fraglichen Sachverhalt von Amts wegen zu untersuchen. Dieser Grundsatz gilt bereits im Ermittlungsverfahren, § 160 StPO. Im Hauptverfahren ist gemäß § 244 Abs. 2 StPO auch das Gericht verpflichtet, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen, wobei es nicht an Anträge gebunden ist.
Beschleunigungsgebot und Konzentrationsmaxime
Das Gebot einer raschen Durchführung des Strafverfahrens folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und, sofern das Verfahren mit einer Freiheitsentziehung verbunden ist, aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 104 GG. Ferner kann es auch auf Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK gestützt werden, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über ihren Fall im Rahmen eines fairen Verfahrens und „innerhalb angemessener Frist“ entschieden wird. Für das Vorverfahren finden sich Regelungen in §§ 115, 118 Abs. 5 oder 121 StPO, die eine schnelle Überleitung in das Hauptverfahren bezwecken. In der Hauptverhandlung gilt die Konzentrationsmaxime, wonach die Hauptverhandlung nach Möglichkeit in einem Zuge durchgeführt werden soll. Unterbrechungen und Aussetzungsmöglichkeiten sind nur in beschränktem Umfang gegeben, vgl. §§ 228, 229 StPO.
freie richterliche Beweiswürdigung
Gemäß § 261 StPO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus der Verhandlung geschöpften Überzeugung über das Ergebnis der Beweisaufnahme. Erforderlich ist die persönliche Gewissheit des Richters. Wenn das Gericht auch nur geringe Zweifel hegt, muss es von der Bestrafung absehen, selbst wenn aufgrund der Beweislage eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht. Grenzen findet die freie richterliche Beweiswürdigung dort, wo die Beweisaufnahme einen nachvollziehbaren und rational einleuchtenden Schluss auf die Schuld des Angeklagten nicht zulässt. Gesetzliche Grenzen finden sich in § 190 StGB, § 274 StPO oder § 51 Abs. 1 BZRG.
Mündlichkeitsprinzip (StrafR)
Der Prozess in der Hauptverhandlung ist mündlich durchzuführen, vgl. § 261 StPO. Dies dient der Kontrolle des Strafverfahrens durch die Öffentlichkeit sowie der Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Dementsprechend müssen gemäß § 249 Abs. 1 StPO Urkunden in der Hauptverhandlung grundsätzlich verlesen werden (eine Ausnahme findet sich in Abs. 2). Im Zivilprozess ist das Verweisen auf Schriftsätze hingegen ohne weiteres möglich.