Leiturteile des EuGH Flashcards

1
Q

Van Gend & Loos (EuGH, Slg. 1963, 3)

A

Der EuGH stellte in dieser Entscheidung fest, dass das europäische Gemeinschaftsrecht (heute: Unionsrecht) eine neue und eigenständige Rechtsordnung des Völkerrechts darstelle. Die Mitgliedstaaten haben zu Gunsten der Europäi-schen Gemeinschaft (jetzt: EU) - wenn auch in begrenztem Rahmen - ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt. Der Rechtsordnung des Gemeinschaftsrechts unterliegen nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch einzelne Individuen. Das Gemeinschaftsrecht ist also unmittelbar anwendbar.

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2
Q

Costa/ENEL (EuGH, Slg. 1964, 1141)

A

Diese weitreichende Entscheidung des EuGH stellte endgültig fest, dass das Gemeinschaftsrecht Vorrang vor mitgliedstaatlichem Recht hat und zwar auch vor späterem nationalen Recht.

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3
Q

Van Duyn (EuGH, Slg. 1974, 1337) und Ratti (EuGH, Slg. 1979, 1629)

A

Nach diesen Urteilen können auch Richtlinien unmittelbar anwendbar sein, wenn eine Bestimmung der Richtlinie hinreichend genau und unbedingt ist. Diese unmittelbare Anwendbarkeit gilt jedoch erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist. Zudem erstreckt sie sich nur auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, nicht aber auf horizontale Sachverhalte zwischen Privaten (s. zu letzterem Aspekt die Entscheidung in der Rechtssache Marshall, EuGH v. 26. 2. 1986, Slg. 1986, 723).

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4
Q

Francovich (EuGH, Slg. 1991, I-5357)

A

In der Rechtssache Francovich entschied der EuGH, dass ein Mitgliedstaat, der seiner Pflicht zur Richtlinienumsetzung (nunmehr geregelt in Art. 288 Abs. 3 AEUV) nicht fristgerecht oder nicht hinreichend nachkommt, dem betroffenen Bürger unter folgenden Voraussetzungen haftet:

  • Erstens muss das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel die Verleihung von Rechten an den Einzelnen beinhalten.
  • Zweitens muss ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliegen.
  • Drittens muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehen.
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5
Q

Dassonville (EuGH, Slg. 1974, 837), Cassis de Dijon (EuGH, Slg. 1979, 649) und Keck (EuGH, Slg. 1993, I-6097)

A

Diese Entscheidungen konkretisieren die in Art. 34 ff. AEUV niedergelegte Warenverkehrsfreiheit. In der Zusammenschau haben diese drei Entscheidungen ein kohärentes Prüfungsschema für Verletzungen der Warenverkehrsfreiheit entwickelt, was in (teilweise modifizierter) Form auch bei den anderen Grundfreiheiten eingesetzt wird.

In der Rechtssache Dassonville entschied der EuGH, dass jede Handlung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, eine Maßnahme gleicher Wirkung i. S. d. Art. 34 AEUV darstellt. Der Anwendungsbereich wird damit grundsätzlich weit definiert.

Eine Einschränkung erfährt die Dassonville-Formel in Keck. Der EuGH entschied hier, dass bloße Verkaufsmodalitäten keine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit begründen, sofern sie für in- und ausländische Anbieter gleichermaßen gelten.

In der Rechtssache Cassis de Dijon (die zeitlich vor der Rechtssache Keck entschieden wurde) ging der EuGH einen Schritt weiter und entschied, dass Hemmnisse für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, die sich aus Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung der betroffenen Produkte ergeben, grundsätzlich hingenommen werden müssen, sofern diese Regelungen notwendig sind, um „zwingenden Erfordernissen“ gerecht zu werden. Somit bestehen neben den geschriebenen Rechtsfertigungsgründen des Primärrechts auch ungeschriebene Rechtsfertigungstatbestände, die eine Beschränkung von Grundfreiheiten rechtfertigen.

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6
Q

Gebhard (EuGH, Slg. 1995, I-4165), Bosman (EuGH, Slg. 1995, I-4921) und Säger (EuGH, Slg. 1991, I-4239)

A

Durch diese drei Leitentscheidungen hat der EuGH sein extensives Verständnis der Warenverkehrsfreiheit (s. Dassonville) auf andere Grundfreiheiten übertragen. Die Niederlassungsfreiheit (Gebhard), die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Bosman) und die Dienstleistungsfreiheit (Säger) enthalten damit ebenfalls nicht nur ein Diskriminierungsverbot, sondern schützen umfassend vor Beschränkungen/Beeinträchtigungen. Solche Beeinträchtigungen sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie nicht diskriminierend, aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig (geeignet und erforderlich) sind (Gebhard).

Die Entscheidung Bosman steht zudem für eine teilweise Erstreckung der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf Privatpersonen, denn in diesem Fall wurde die Bindung eines privaten Sportverbandes an Grundfreiheiten bejaht.

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7
Q

Kommission/Frankreich (häufig genannt: Spanische Erdbeeren, EuGH, Slg. 1997, I-6959)

A

Eine Beeinträchtigung einer Grundfreiheit kann auch vorliegen, wenn der Staat es unterlässt, gegen das Handeln von Privatpersonen einzuschreiten. Eine solche Schutzpflicht resultiert aus den Grundfreiheiten i. V. m. der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit (s. heute: Art. 4 Abs. 3 EUV, zuvor: Art. 10 EG bzw. Art. 5 EGV). In diesem Fall hatte es der französische Staat unterlassen, gegen Agrarblockaden einzuschreiten, die sich gegen spanische Exporteure richteten.

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8
Q

Angonese (EuGH, Slg. 2000, I-4139)

A

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit (heute: Art. 45 AEUV, zuvor: Art. 39 EG) kann nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten geltend gemacht werden, sondern auch gegenüber einem (potentiellen) Arbeitgeber. Sie hat damit unmittelbare Drittwirkung (synonym: horizontale Direktwirkung). Bis heute nicht geklärt ist, inwiefern diese Rechtsprechung auf andere Grundfreiheiten übertragen werden kann. Es spricht vieles dafür, dass der EuGH bei den anderen Grundfreiheiten weiterhin zurückhaltend judizieren und eine umfassende unmittelbare Drittwirkung ablehnen wird.

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9
Q

Centros (EuGH, Slg. 1999, I-1459), Überseering (EuGH, Slg. 2002, I-9919) und Inspire Art (EuGH, Slg. 2003, I-10155)

A

Nach früherer Rechtsprechung des BGH beurteilte sich die Frage nach dem anzuwendenden Gesellschaftsrecht nach dem Recht am Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft. Diese Vorgabe musste auch dann beachtet werden, wenn eine Gesellschaft im Ausland gegründet wurde und in der Folge ihren Sitz nach Deutschland verlegte. Der BGH favorisierte damit die sog. Sitztheorie im Gegensatz zu der sog. Gründungstheorie.

Dementgegen folgerte der EuGH in den o.g. Urteilen aus den Vorgaben der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), dass es den Mitgliedstaaten untersagt ist, die Verlegung des tatsächlichen Sitzes einer Gesellschaft zu behindern, es sei denn, dies ist durch zwingende Gründe gerechtfertigt. Infolge der Urteile besteht die Möglichkeit, jedwede Europäische Gesellschaftsform zu wählen und auch „Scheinauslandsgesellschaften“ zu errichten, also etwa mit einer britischen Limited in Deutschland tätig zu werden. Der BGH hat seine Rechtsprechung entsprechend geändert.

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10
Q

C.I.L.F.I.T. (EuGH, Slg. 1982, 3415)

A

In diesem Urteil zu einer Zulässigkeitsfrage des Vorabentscheidungsverfahrens stellte der EuGH fest, dass eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht besteht, wenn die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die gerichtliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bleibt (Begründung der sog. Acte-Clair-Doktrin).

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11
Q

Internationale Handelsgesellschaft (EuGH, Slg. 1970, 1125) und Stauder (EuGH, Slg. 1969, 419)

A

In diesen Entscheidungen begründete der EuGH seine Rechtsprechung zu den europäischen Grundrechten. Grundrechte seien sog. „allgemeine Rechtsgrundsätze“ des Gemeinschaftsrechts (heute: allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts) und damit Bestandteil des europäischen Primärrechts. Über die Jahre hat der EuGH - gestützt auf die EMRK und andere internationale Abkommen sowie auf die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten - einen ganzen Katalog an (ungeschriebenen) Grundrechten richterrechtlich geschaffen (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV). Diese Grundrechte binden in erster Linie die Institutionen der EU, aber auch die Mitgliedstaaten, sofern sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln. Die Unionsgrundrechte haben gegenüber dem nationalen Recht Vorrang; im Kollisionsfall ist nationales Recht daher nicht anwendbar (s. hierzu beispielsweise die Entscheidung in der Rechtssache Mangold, EuGH, Slg. 2005, I-9981).

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