Praxisfragen aus Sicht einer Richterin Flashcards
Was passiert mit einer Klageschrift nach Eingang bei Gericht?
Die Klageschrift bekommt bei der Poststelle des Gerichts einen Eingangsstempel, um den Zeitpunkt des Zugangs zu bestimmen. Von dort aus wird die Klageschrift dann an den zuständigen Spruchkörper und von dort wiederum an den zuständigen Richter weitergeleitet.
Was veranlasst ein Richter bei einem Zivilgericht als erstes, wenn er eine Gerichtsakte vorgelegt bekommt?
Zuallererst wird der Richter prüfen, ob er für die Rechtssache zuständig ist (sachlich, örtlich, instanziell). Sofern dies der Fall ist, wird er veranlassen zu kontrollieren, ob der erforderliche Gerichtskostenvorschuss eingezahlt wurde, denn gemäß § 12 Abs. 1 GKG soll in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die Klage erst nach Zahlung der Gerichtsgebühr zugestellt werden. Sofern der Gerichtskostenvorschuss gezahlt wurde, veranlasst der Richter die Zustellung der Klageschrift an den oder die Beklagten.
Zwischen welchen zwei Arten des Verfahrens kann der Zivilrichter wählen?
Der Richter kann das Verfahren im Wege eines schriftlichen Vorverfahrens gemäß § 276 ZPO betreiben. In diesem Fall wird er den Beklagten mit der Zustellung der Klage auffordern, binnen einer Notfrist von zwei Wochen anzuzeigen, ob er sich gegen die Klage verteidigen möchte. Zudem wird der Richter dem Beklagten eine weitere Frist von mindestens zwei Wochen für eine schriftliche Klageerwiderung setzen.
Die andere Option besteht darin, einen frühen ersten Termin zu bestimmen (§ 275 ZPO). Letztere Vorgehensweise wird meist gewählt, wenn der Fall in rechtlicher Hinsicht weniger komplex und eher in tatsächlicher Hinsicht streitig ist. Zu beachten ist aber, dass auch der frühe erste Termin durch Schriftsätze vorbereitet wird; es vergeht im Zweifel aber weniger Zeit zwischen Klageerhebung und dem Gerichtstermin.
Was ist eine Notfrist?
Durch Vereinbarung der Parteien können Fristen grundsätzlich verkürzt werden. Dies gilt allerdings nicht für Notfristen (§ 224 Abs. 1 S. 1 ZPO). Notfristen sind nur diejenigen Fristen, die in der ZPO ausdrücklich als solche bezeichnet werden (§ 224 Abs. 1 S. 2 ZPO). Notfristen können im Übrigen auch nicht verlängert werden.
Zu den Notfristen zählen insbesondere die Fristen zur Einlegung (nicht Begründung) eines Rechtsmittels oder zur Einlegung eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil bzw. einen Vollstreckungsbescheid.
Was kann man tun, wenn eine Notfrist verstrichen ist?
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist einzuhalten, kann diese einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen (§ 233 ZPO). Der Richter kann die Wiedereinsetzung - allerdings nur unter besonderen Voraussetzungen - auch ohne Antrag von Amts wegen durchführen (§ 236 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Was ist ein Rechtsmittel, was ist ein Rechtsbehelf?
Ein Rechtsmittel (z. B. die Berufung oder die Revision) hat stets einen sog. Suspensiveffekt. Das heißt, das Urteil wird erst nach Durchführung des Rechtsmittels rechtskräftig, also endgültig. Rechtsmittel haben zudem stets einen Devolutiveffekt. Das bedeutet, dass eine Entscheidung über die nächsthöhere Instanz herbeigeführt wird.
Der Begriff des Rechtsbehelfs ist weiter als der des Rechtsmittels und erfasst grundsätzlich jede Möglichkeit, gegen eine Entscheidung oder einen nachteiligen Rechtszustand vorzugehen. Rechtsbehelfe können einen Suspensiveffekt haben (z. B. in den meisten Fälle das verwaltungsrechtliche Widerspruchsverfahren nach § 80 Abs. 1 VwGO), müssen dies aber nicht zwingend (z. B. bei der Haftbeschwerde nach § 304 StPO). Rechtsbehelfe haben im Übrigen keinen Devolutiveffekt. Das heißt, über einen Rechtsbehelf entscheidet grundsätzlich das Gericht (oder die Behörde), das die angegriffene Entscheidung erlassen hat.
Was ist Rechtskraft?
Man unterscheidet zwischen der formellen und der materiellen Rechtskraft. Eine Entscheidung erwächst immer dann in formelle Rechtskraft, wenn gegen sie kein Rechtsmittel mehr eingelegt werden kann. Die formelle Rechtskraft ist die Voraussetzung für die materielle Rechtskraft. Die materielle Rechtskraft bewirkt, dass derselbe Streitgegenstand nicht zum Gegenstand einer weiteren Entscheidung gemacht werden kann. Die formell rechtskräftige Entscheidung ist daher bindend für die Prozessparteien.
Was ist ein Geschäftsverteilungsplan?
Der Geschäftsverteilungsplan regelt, wie die einzelnen Spruchkörper bei Gericht besetzt sind und wie die bei Gericht eingehenden Rechtssachen auf die einzelnen Richter und Spruchkörper verteilt werden.
Welchem Zweck dient der Geschäftsverteilungsplan?
Jedes Gericht muss über einen Geschäftsverteilungsplan verfügen, damit beim Eingang einer Sache im Voraus festgelegt ist, welcher Richter/Spruchkörper zuständig ist. Eine derartige Festlegung ist erforderlich, um dem verfassungsrechtlichen Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) gerecht zu werden. Das Gebot des gesetzlichen Richters ist zudem auch in § 16 S. 2 GVG auf einfachgesetzlicher Ebene verankert.
Nach welchen Kriterien werden die Eingänge im Geschäftsverteilungsplan verteilt?
Im Geschäftsverteilungsplan können verschiedene Methoden zur Verteilung festgelegt werden. Zunächst besteht die Möglichkeit, eine Festlegung nach Rechtsgebieten vorzunehmen (z. B. die 1. Kammer eines Landgerichts bearbeitet überwiegend Bausachen). Zudem kann eine Verteilung nach Anfangsbuchstaben (etwa des Klägers) oder nach örtlichen Begebenheiten (z. B. eine Kammer für Strafsachen bearbeitet alle Fälle eines bestimmten Ortsteils) vorgenommen werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Verfahren nach dem Zeitpunkt ihres Eingangs zuzuweisen. In der Regel beinhaltet ein Geschäftsverteilungsplan eine Kombination oder Abwandlung der vorgenannten Methoden.
Wie wird der Geschäftsverteilungsplan erstellt oder geändert?
Der Geschäftsverteilungsplan wird gemäß § 21e GVG vom Präsidium jedes Jahr im Voraus beschlossen. Das Präsidium besteht in der Regel aus dem Präsidenten des Gerichts als Vorsitzenden und aus gewählten Richtern, wobei die Anzahl der gewählten Richter von der Größe des Gerichts abhängt (§ 21a GVG). Der Geschäftsverteilungsplan darf im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird (§ 21e Abs. 3 GVG).
Zu beachten ist, dass die Vorschriften zum Geschäftsverteilungsplan sehr häufig Gegenstand von Prüfungen im zweiten Staatsexamen sind. Von den Referendaren wird hier kein Detailwissen erwartet; es bietet sich aber an, vor der mündlichen Prüfung die §§ 21a ff. GVG aufmerksam zu lesen.
Was ist ein Schöffenrichter?
Schöffen sind juristische Laien, deren Einsatz als ehrenamtliche Richter in bestimmten Prozessarten vorgeschrieben ist (z. B. unter anderem in der Straf- oder Arbeitsgerichtsbarkeit). Die Wahl der Schöffen ist in den jeweiligen Verfahrensordnungen geregelt (für den Strafprozess z. B. in den §§ 31 ff. GVG). Schöffen werden neben den berufenen Richtern als vollwertige Richter eingesetzt und üben das Richteramt in vollem Umfang und mit gleichem Stimmrecht aus (vgl. § 30 GVG). Durch den Einsatz von Schöffen soll das Vertrauen der Bürger in die Justiz gestärkt werden.
Was ist ein Einzelrichter?
Ein Einzelrichter verkörpert allein den Spruchkörper eines Gerichts. Bei einem Kollegium entscheiden hingegen mehrere Richter zusammen und bilden zusammen den Spruchkörper. Beim Amtsgericht sind die Spruchkörper in Form von Abteilungen stets nur durch einen Richter besetzt, der insofern grundsätzlich auch als Einzelrichter entscheidet (§ 22 Abs. 1 GVG). Bei Zivilsachen in erster Instanz vor dem Landgericht werden Entscheidungen regelmäßig von den Kammern im Kollegium entschieden, es sei denn, die Sache ist gemäß § 348 f. ZPO vom Einzelrichter zu entscheiden. Im Verwaltungsprozess entscheiden die Kammern ebenfalls im Kollegium, es sei denn, eine Rechtssache wird gemäß § 6 VwGO auf einen Einzelrichter übertragen.
Was ist ein Berichterstatter?
Der Berichterstatter ist ein Richter, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für die eigentliche Bearbeitung der Rechtssache zuständig ist. Falls der Rechtsstreit durch einen einzelnen Richter entschieden wird (s. vorherige Frage), gibt es naturgemäß keinen Berichterstatter. Der Berichterstatter übernimmt insbesondere die Vorbereitung der Beratung des Spruchkörpers (in der Regel durch das Erstellen eines Votums) und verfasst die letztlich zutreffende Entscheidung (z. B. ein Urteil oder einen Beweisbeschluss).
Sind Richter weisungsgebunden?
Nein! Richter sind gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Geregelt ist dieser Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit ebenfalls in § 1 GVG sowie in § 25 DRiG. Gemäß § 26 Abs. 1 DRiG können Richter allerdings durchaus einer Dienstaufsicht durch Vorgesetzte unterstehen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Richter hierdurch nicht in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt wird.