Leiturteile im Strafrecht Flashcards
Rose-Rosahl (Preußisches Obertribunal, GA 7, 322) und Hoferbenfall (BGHSt 37, 214)
Nach der erstgenannten Entscheidung des Preuß. Obertribunals ist der error in persona für den Täter wie für den Anstifter gleichermaßen unbeachtlich. Die Literatur wendet hier zum Teil die Rechtsfigur des aberratio ictus für den Anstifter an, zieht daraus aber wiederum höchst unterschiedliche Konsequenzen.
Im Hoferbenfall folgt der BGH im Wesentlichen der Linie des Preuß. Obertribunals. Er grenzt danach ab, ob die Verwechslung des Opfers durch den Täter innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren liegt.
Radfahrerfall (BGHSt 11, 1)
In diesem Fall fuhr ein Autofahrer nachts mit ca. 70 km/h innerhalb einer Ortschaft versehentlich einen Radfahrer an, wodurch dieser verstarb. Im Nachhinein wurde festgestellt, dass der Unfall auch bei 50 km/h nicht hätte vermieden werden können. Nach dem Urteil des BGH kann verkehrswidriges Verhalten nur dann als Ursache eines Erfolges angesehen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass bei verkehrsgerechtem Verhalten der Erfolg nicht eingetreten wäre (a. A. sind die Verfechter der sog. Risikoerhöhungslehre). Der Autofahrer wurde deshalb im Hinblick auf den Vorwurf der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) freigesprochen.
Verfolgerfall (BGHSt 11, 268)
Das Urteil beschäftigt sich mit der Frage, ob der error in persona eines Mittäters, der einen Kumpanen bei der Flucht irrtümlich für einen Verfolger hält und daher auf ihn schießt, auch Letzterem als strafbares Delikt anzurechnen ist. Der BGH bejaht diese Frage und sieht in der Tat einen (untauglichen) Versuch des verletzten Täters, der sich die Abrede, auf alle Verfolger zu schießen, auch dann zurechnen lassen müsse, wenn er selbst getroffen werde.
Jauchegrubenfall (BGHSt 14, 193)
In diesem Fall hielt die Angeklagte das Opfer für tot, obwohl dieses nur bewusstlos war. Die Angeklagte warf die vermeintliche Leiche in eine Jauchegrube, das Opfer starb. Der BGH lehnte zwar die Lehre vom Generalvorsatz (dolus generalis) als überholt ab, verurteilte aber die Angeklagte wegen vorsätzlicher Tötung, weil die Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf unbeachtlich sei.
Provisionsvertreterfall (BGHSt 21, 384)
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ging es um einen Provisionsvertreter, der für seinen Chef Warenautomaten vertrieb und dabei verschiedene Kunden über Eigenschaften der Geräte, Zahlungsmodalitäten u. Ä. täuschte. Die abgeschlossenen Verträge reichte er im Anschluss bei seinem Chef ein und erhielt dafür Provisionen. Der BGH entschied, dass in diesem Fall zwei Betrugstaten vorliegen: Einmal zu Lasten der Kunden und zu Gunsten des Chefs, dessen Drittbereicherung durch die abgeschlossenen Verträge notwendiges Zwischenziel für die vom Täter selbst erstrebten Provisionen war, zum anderen zu Lasten des Chefs und zu Gunsten des Täters, da die weitergereichten Verträge aufgrund der Anfechtungsmöglichkeiten der Kunden vom BGH als weitgehend wertlos eingestuft wurden, der Vertreter aber hierfür dennoch die begehrten Provisionen erhielt.
Hochsitzfall (BGHSt 31, 96)
Der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) setzt nach dieser Entscheidung voraus, dass sich im Tod die der Körperverletzung eigentümliche Gefahr für das Leben des Verletzten verwirklicht. Der Sachverhalt war der Folgende: Der Angeklagte warf einen Hochsitz um, auf dem sein Onkel saß. Der Onkel fiel herunter und brach sich dabei einen Knöchel. Später verstarb der Onkel aufgrund eines Herz-Kreislauf-Versagens, welches sich u. a. aufgrund von Nachsorgefehlern des behandelnden Krankenhauses ergab. In der Entscheidung legte der BGH dann ein äußerst weites Verständnis der eigentümlichen Gefahr zugrunde, so dass im Falle einer Sprunggelenkfraktur auch die Risiken der erforderlichen Heilbehandlung zu berücksichtigen sind. Der BGH verurteilte den Angeklagten deshalb nach § 227 StGB.
Siriusfall (BGHSt 32, 38)
Das Urteil beschäftigt sich mit der Abgrenzung strafbarer Täterschaft und strafloser Teilnahme an einer Selbsttötung. Der Sachverhalt handelt von einer Frau, die sich aufgrund wirrer Geschichten des Täters selbst umbringen wollte, damit sie sich von ihrem Körper trennen konnte, um anschließend auf dem Planeten Sirius bei einer überlegenen Rasse zu leben. Auch in ihrem neuen Leben brauchten die beiden freilich Geld, weshalb der Täter sein Opfer überzeugte, vor dem Selbstmord eine Lebensversicherung zu seinen Gunsten abzuschließen. Der BGH kommt in diesem Fall zu dem Ergebnis, dass eine mittelbare Täterschaft auch dann möglich sei, wenn der „Hintermann“ das Geschehen kraft überlegenen Wissens lenke und das Opfer so zum „Werkzeug gegen sich selbst“ werde. Dabei lehnt er für die Abgrenzung, ob das Opfer eigenverantwortlich handelt oder nicht, sowohl die Maßstäbe des § 20 StGB als auch diejenigen des § 35 StGB ab und befürwortet stattdessen eine Abgrenzung im Einzelfall. Der BGH musste vorliegend eine Strafbarkeit in mittelbarer Täterschaft konstruieren, denn Beihilfe oder Anstiftung zum Suizid sind mangels strafbarer Haupttat nicht strafbar.
Katzenkönigfall (BGHSt 35, 347)
Nach dieser Entscheidung kann ein Hintermann auch dann als mittelbarer Täter bestraft werden, wenn der Vordermann einem vermeidbaren (!) Verbotsirrtum (§ 17 StGB) unterliegt und deshalb strafrechtlich selbst voll verantwortlich ist. Der Hintermann hatte hier den Täter zum Morden gebracht, indem er ihm vorspiegelte, dass diese Tat ein notwendiges Opfer zur Besänftigung des Katzenkönigs darstellte, welcher die Welt bedrohte.
Mauerschützenfälle (BGHSt 39, 1; BGHSt 40, 218 etc.)
Es gibt eine Reihe von Urteilen des BGH zu den Tötungshandlungen der ehemaligen DDR-Grenzsoldaten, die als Mauerschützenfälle bekannt geworden sind. BGHSt 39, 1 beruft sich auf die „Radbruch’sche Formel“, um eine Rechtfertigung der Mauerschützen durch DDR-Gesetze abzulehnen. Das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG stehe einer Bestrafung nicht entgegen. Die menschenrechtswidrige Auslegung und Anwendung geschriebenen Rechts werde durch das Rückwirkungsverbot nicht geschützt.
Zudem hält der BGH eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft des Hintermannes (hier: Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR) selbst dann für möglich, wenn der Tatmittler (hier der schießende Grenzsoldat) selber strafrechtlich voll verantwortlich ist.
Bärwurzfall (BGHSt 43, 177)
In dieser Entscheidung hatte ein Apotheker, nachdem bei ihm Diebe eingebrochen waren, für den Fall eines weiteren „Besuchs“ der Täter in der Küche eine Flasche mit einer Spirituose (Bärwurz) aufgestellt, welcher er Gift beigemischt hatte. Da ihn aufgrund ebenfalls anwesender Kriminalbeamter Bedenken kamen, entfernte er die Flasche später wieder und ließ sie von der Polizei beschlagnahmen. Der BGH entschied, dass in dem Aufstellen der Flasche noch kein unmittelbares Ansetzen zu einem versuchten Tötungsdelikt zu Lasten der Diebe zu sehen sei und begründete dies im Wesentlichen damit, dass ein neuerlicher Einbruch der Täter noch unsicher gewesen sei. Daher könne von einem Versuchsantritt erst in dem Moment ausgegangen werden, in welchem die Täter tatsächlich in den Wirkkreis des Tatmittels gelangt wären. Gleichzeitig sah das Gericht in dieser Konstellation keine mittelbare Täterschaft (durch Selbstverletzung des menschlichen Werkzeugs), sondern bezeichnete sie nur als „eine der mittelbaren Täterschaft verwandte Struktur“.
Ziegenhaarfall (RGSt 63, 211)
Das Urteil befasst sich mit der Frage der Kausalität zwischen einem pflichtwidrigen Verhalten und dem hieraus resultierenden Erfolg, sofern dieser mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch bei ordnungsgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre. Daneben (und vor allem) wird es in der Ausbildungsliteratur aber auch als Standardbeispiel für die Abgrenzung von Tun und Unterlassen herangezogen. Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Täter in seiner Fabrik Ziegenhaare verarbeitet, diese, um Kosten zu sparen, nicht desinfiziert und dann an seine Arbeiter weitergegeben, wodurch diese erkrankten und teilweise sogar starben. Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen erfolgt hier nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit, welche vorliegend von der h. L. in der aktiven Weitergabe der nicht desinfizierten Haare und mithin einem Tun gesehen wird, da das Unterlassen nur eine wesensnotwendige Modalität der Handlung darstellt. Die Kausalität bei fahrlässiger Erfolgsherbeiführung entfällt nicht dadurch, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Erfolg auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Vielmehr muss der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch dann eintreten, wenn das pflichtgemäße Verhalten hinzugedacht wird, um die Kausalität verneinen zu können.
Labello (BGH, NJW 1996, 2663) und Plastikrohrfall (BGHSt 38, 116)
Der BGH stellte fest, dass ungefährliche „Scheinwaffen“ wie etwa unter der Kleidung verdeckte Labello-Stifte oder Plastikrohre kein taugliches Mittel zur Begehung eines schweren Raubes i. S. d. § 250 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB seien. Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB sei nur ein Gegenstand, der unter den konkreten Umständen seiner geplanten Anwendung aus der Sicht des Täters ohne weiteres geeignet sei, bei dem Opfer den Eindruck hervorzurufen, der Gegenstand könne zur Gewaltanwendung verwendet werden und deshalb gefährlich sein.