Rechtsprechung Flashcards

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Q

Die V-AG (die spätere Bekl.) inserierte im Internet mehrere Wohnungen, die ihr gehörten und die zum Verkauf standen. K (der spätere Kl.) schrieb an die V-AG, dass er eine der inserierten Wohnungen kaufen wolle und zwar zu dem Preis, der im Inserat angegeben war (376.700 Euro). Anfang September 2013 übersandte die V-AG an K einen ersten Entwurf für den Kaufvertrag. Am 23.9.2013 teilte K der V-AG mit, dass ihm für die Finanzierung des Kaufpreises ein Darlehensangebot seiner Hausbank vorliege und er sich bis zum 1.10.2013 entscheiden müsse, ob er dieses Angebot annehme. K fragte daher die V-AG, ob der Transaktion aus ihrer Sicht noch Hindernisse entgegenstünden. Die V-AG verneinte dies in ihrer Antwort vom 26.9.2013 und übersandte am gleichen Tag einen neuen Kaufvertragsentwurf. K schloss den Darlehensvertrag und ließ die Widerrufsfrist (§ 495 I BGB) verstreichen, die am 14.10.2013 ablief. Am 22.10.2013 schrieb die V-AG an K, dass sie die Wohnung nun doch zu einem höheren Preis (472.400 Euro) verkaufen wolle. Diese Option hatte sich die V-AG innerlich bereits im September 2013 vorbehalten, dies aber K gegenüber nicht offenbart.1 K nahm daraufhin vom Kaufvertrag Abstand und sagte den bereits vereinbarten Termin zur notariellen Beurkundung des Kaufvertrags ab. Er sah sich gezwungen, den Darlehensvertrag mit seiner Bank aufzulösen und an sie zu diesem Zweck eine Vorfälligkeitsentschädigung von 9000 Euro zu zahlen. Diesen Betrag verlangt K von der V-AG ersetzt.
BGH, Urt. v. 13.10.2017 – V ZR 11/17 (OLG Stuttgart)

A

-> Anspruch des K gem. § 280 I BGB iHv 9000 €
Schuldverhältnis: § 311II Nr.1 BGB
Pflichtverletzung: Verletzung einer Rücksichtspflicht (§ 241 II BGB)? Die V AG erweckte zunächst den Eindruck der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen und brach dann die Verhandlungen ohne triftigen Grund ab. -> In einem solchen Verhalten kann nach Ansicht des BGH die Verletzung einer Rücksichtspflicht (§ 241 II BGB) liegen. Dahinter steht unausgesprochen die folgende Überlegung: Selbst wenn der Vertrag erst mit seinem rechtsverbindlichen Abschluss endgültig zu Stande kommt, vertieft sich während der Verhandlungsphase die beiderseitige Vertrauensinvestition. In dieser Situation haben beide Seiten die Pflicht, Rücksicht zu nehmen auf das Interesse des jeweils anderen Teils, fehlgeleitete Investitionen mit Blick auf den zukünftigen Vertrag zu vermeiden.
(Im Rahmen der Privatautonomie hat jede Partei bis zum Vertragsabschluss das Recht, von dem in Aussicht genommenen Vertrag Abstand zu nehmen. Aufwendungen, die in Erwartung des Vertragsabschlusses gemacht werden, erfolgen daher grundsätzlich auf eigene Gefahr. Nur wenn der Vertragsabschluss nach den Verhandlungen zwischen den Parteien als sicher anzunehmen ist und in dem hierdurch begründeten Vertrauen Aufwendungen zur Durchführung des Vertrags vor dessen Abschluss gemacht werden, können diese vom Verhandlungspartner unter dem Gesichtspunkt der Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten zu erstatten sein, wenn er den Vertragsabschluss später ohne triftigen Grund ablehnt)

In der Literatur wird diese Konstruktion kritisiert: Dem Vorwurf der Pflichtverletzung könne eine Verhandlungspartei in einer solchen Situation folgerichtig nur entrinnen, wenn sie den Vertrag, den sie in Aussicht gestellt habe, abschließe. Dazu sei sie aber (abgesehen vom eher seltenen Fall eines Vorvertrags) gerade nicht verpflichtet.

Beim Grundstückskaufvertrag gelten indes selbst nach Ansicht des BGH strengere Maßstäbe:

„(6) Bei einem Grundstückskaufvertrag … löst die Verweigerung der Mitwirkung an der Beurkundung durch einen Verhandlungspartner nicht schon dann Schadensersatzansprüche aus, wenn es an einem triftigen Grund dafür fehlt, sondern nur, wenn eine besonders schwerwiegende, in der Regel vorsätzliche Treuepflichtverletzung vorliegt. Eine solche ist beispielsweise beim Vorspiegeln einer tatsächlich nicht vorhandenen Abschlussbereitschaft oder auch dann gegeben, wenn ein Verhandlungspartner zwar zunächst verkaufsbereit war, im Verlauf der Verhandlungen aber innerlich von dieser Bereitschaft abgerückt ist, ohne dies zu offenbaren.“

Diese strenge Handhabung beruht auf dem Gedanken, dass sich die Verpflichtung einer Verhandlungspartei, den Vertrauensschaden der Gegenseite ersetzen zu müssen, als faktischer Zwang auswirken kann, den Vertrag trotz des zwischenzeitlichen Sinneswandels zu schließen – obwohl sie eine Bindung in diesem Sinne nach § 311 b I 1 BGB nicht wirksam ohne notarielle Beurkundung eingehen kann. Die Anerkennung eines Anspruchs auf Ersatz des Vertrauensschadens droht auf diese Weise mit dem Zweck des Beurkundungserfordernisses in Konflikt zu geraten.

Nun war im hier gegebenen Fall nicht vorgetragen worden, die V-AG habe schon während der Verhandlungen sicher gewusst, dass sie die Wohnung in Wirklichkeit nur zu einem höheren Preis verkaufen wolle. K hatte lediglich behauptet, die V-AG habe – ohne dazu endgültig entschlossen zu sein – bereits während der Verhandlungen mit dem Gedanken gespielt, später einen höheren als den bisher verhandelten Kaufpreis aufzurufen. Wenn man so will, war die V-AG in Bezug auf die spätere Preiserhöhung allenfalls tatgeneigt, aber noch nicht tatentschlossen. Das, so der BGH, reiche für eine besonders schwerwiegende Treupflichtverletzung noch nicht aus:

„(11) … Auch wenn dem Verhandlungspartner bewusst ist, dass nach seiner Erklärung, den Vertrag zu bestimmten Bedingungen abschließen zu wollen, Umstände eintreten können, die ihn von dem Vertragsschluss abhalten können, kann er abschlussbereit sein. Entscheidend ist, ob die Erklärung im Zeitpunkt ihrer Abgabe der Wahrheit entspricht, der (potenzielle) Verkäufer also zu diesem Zeitpunkt zur Veräußerung der Immobilie zu den mitgeteilten Bedingungen bereit ist. Es steht ihm aber frei, von dieser Verkaufsabsicht wieder abzurücken, da er an seine Erklärung mangels notarieller Beurkundung nicht gebunden ist. Ein solches Abrücken muss er dem potenziellen Vertragspartner allerdings umgehend mitteilen. Eine darüber hinausgehende Pflicht, den Interessenten darauf hinzuweisen, dass er sich vorbehält, von seiner Verkaufsabsicht abzurücken, trifft den Verkäufer demgegenüber nicht. Vielmehr muss dem Kaufinteressenten klar sein, dass der Verkaufswillige bis zur Beurkundung des Kaufvertrages nicht gebunden ist und es diesem daher freisteht, seine Verkaufsbereitschaft aufzugeben oder zu modifizieren.“

Damit war nach Ansicht des BGH ein Ersatzanspruch des K zu verneinen.

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