14 - VL: Psychische Störungen Flashcards
Wie viele Menschen litten in ihrem Leben schon einmal an einer psychischen Störung?
Kessler et al., 2005: 50 % aller Erwachsenen im jungen oder mittleren Erwachsenenalter litten schon einmal im Verlaufe ihres Lebens an einer psychischen Störung (Angaben über US-Amerikaner)
Psychische Störungen
- Syndrom (mehrere Symptome)
- Beeinträchtigungen in Emotionen, Verhalten oder Denkprozessen
- Folge: persönlicher Leidensdruck, Blockade der Fähigkeit, wichtige Ziele zu erreichen
7 Kriterien von „abweichendem“ Verhalten (Butcher et al., 2008)
- Leidensdruck oder Behinderung (kein Verlassen des Hauses ohne starke Angst)
- Fehlanpassung (Alkoholgenuss -> keine geregelte Arbeit)
- Irrationalität (Reden mit imaginären Personen)
- Unberechenbarkeit (ohne Grund aggressives Verhalten)
- Außergewöhnliche und statistische Seltenheit
- Unbehagen bei Beobachtern (lautes Reden mit sich selber auf Straße)
- Verletzung moralischer und gesellschaftlicher Normen (Im-Stich-Lassen der Kinder)
- Keine notwendige Verbindung aller psychischen Störungen mit allen Kriterien (Es müssen bei einer psychischen Störung nicht alle Kriterien erfüllt sein.)
- Keine ausreichende Verbindung von einem Kriterium mit einer psychischen Störung (Ist eines der Kriterien zu finden, ist das keine Rechtfertigung für die Diagnose einer psychischen Störung.)
-> Kein „entweder – oder“, sondern Kontinuum „psychische Gesundheit – psychische Erkrankung“
Das Problem der Objektivität
- Ist eine Diagnose einer psychischen Störung überhaupt objektiv möglich?
- Abhängigkeit einer Verhaltensweise vom Inhalt und vom Kontext (dieselbe Handlung in verschiedenen Kontexten -> unterschiedliche Bedeutungen, z.B. Kuss von zwischen 2 Männern in Deutschland, in Frankreich oder in Italien)
- Bezeichnung einer Person als „abnorm“ oder „abweichend“ -> Interpretation von späteren Verhaltensweisen (Bsp.: Rosenhan)
Studie von Rosenhan, 1973
- Fragestellung: Können geschulte Therapeuten zwischen einem „gesunden“ und einem „psychisch kranken“ Menschen unterscheiden? – wie objektiv sind Therapeuten?
- Methode: 8 Pseudopatienten; Selbsteinweisung; Symptome: auditorische Halluzinationen („leer“, „dumpf“ und „Bums“); nach Einweisung völlig normales Verhalten; Ziel: schnellstmögliche Entlassung durch eigenes Verhalten
- Ergebnisse: Länge des Klinikaufenthaltes: 7-52 Tage, Durchschnitt: 19 Tage; keinem des Klinikpersonals fiel auf, dass es sich um „normale“ Patienten handelte; aber 35 von 118 Mitpatienten fiel es auf; Entlassung mit Diagnose: Schizophrenie in Remission
- Diskussion: Begründung: Umgebung der Klinik führt zu Interpretation von normalen Verhaltensweisen als unnormal; Diagnose als Charaktereigenschaft des Patienten
Vorteil von psychologischen Diagnosen
Benennung einer bestimmten gestörten Verhaltensweise durch Einordnung des beobachteten Verhaltensmusters in ein bewährtes Diagnosesystem
Kriterien für Klassifikationssystem
- Klare Fachterminologie („Major Depression“ ist …)
- Verständnis der Kausalität (Warum gibt es die Symptome? Ursache in Diagnose)
- Behandlungsplan (zur Behandlung der spezifischen Störung)
2 vorherrschende Diagnosesysteme
- ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems; momentan ICD-10; häufig eingesetzt von ÄrztInnen/PsychiaterInnen)
- DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; momentan DSM-V; häufig eingesetzt von PsychologInnen)
DSM-IV-TR (auch in DSM-V)
- Diagnosen auf 5 Achsen möglich zur Berücksichtigung von psychischen, sozialen und körperlichen Symptomen
- Früher nur Einteilung in Neurosen/neurotische Störungen (realitätsnah, keine Verletzung grundlegender gesellschaftlicher Normen, z.B. Major Depression) und Psychosen/psychotische Störungen (realitätsfremd/irrational, Verletzung grundlegender gesellschaftlicher Normen, z.B. Schizophrenie)
- Wichtig: „Person, die an einer Schizophrenie leidet/erkrankt ist“ (nicht „Schizophrener“ oder „schizophrene Person“); Trennung von Person und Erkrankung (wie bei medizinischen Erkrankungen auch, z.B. Grippe)
Die fünf Achsen des DSM-IV-TR
I: Klinische Störungen/andere klinisch relevante Probleme
II: Persönlichkeitsstörungen/geistige Behinderungen
III: Medizinische Krankheitsfaktoren
IV: Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme
V: Globale Erfassung des Funktionsniveaus
DSM-IV-TR: Klinische Störungen/andere klinisch relevante Probleme
- Symptome/Muster verhaltensbezogener oder psychologischer Probleme, die im Allgemeinen entweder schmerzhaft oder funktionsbehindernd sind
- Eingeschlossen sind Störungen, die im Kleinkindalter, in der Kindheit oder der Jugend auftreten
DSM-IV-TR: Persönlichkeitsstörungen/geistige Behinderungen
- nicht angemessene Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster
DSM-IV-TR: Medizinische Krankheitsfaktoren
- körperliche Probleme, die bedeutsam für Verständnis oder Behandlung der auf Achse I und II eingeordneten Störung sein können
DSM-IV-TR: Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme
- psychosoziale oder umgebungsbedingte Stressoren, die einen Einfluss auf Diagnose und Behandlung und die Wahrscheinlichkeit der Genesung haben können
DSM-IV-TR: Globale Erfassung des Funktionsniveaus
- allgemeine Funktionsfähigkeit der untersuchten Person im psychischen, sozialen und beruflichen Bereich
Die Ätiologie der Psychopathologie
Zwei allgemeine Kategorien verursachender Faktoren:
- Biologische Faktoren: Verursachung durch veränderte Hirnstrukturen, biochemische Prozesse oder genetische Faktoren
- Psychologische Faktoren: Verursachung durch psychische und soziale Faktoren
> Psychodynamisches Modell: übermäßige Abwehrmechanismen
> Behaviorales Modell: erlernte ungünstigen Verhaltensweisen
> Kognitives Modell: fehlerhafte kognitive Prozesse
> Soziokulturelles Modell: bestimmte kulturelle Umstände - Momentan: interaktionistische Perspektive (komplexe Interaktion zwischen biologischen und psychologischen Faktoren)
Angststörungen
- Hauptsymptom bei Angststörungen: Angst
- Prävalenz: 28.8%
- Unterform abhängig von Spezifität (wovor?), Quanität (wieviel?), Ort (wo?) und Zeit (wie lange?)
- Unterformen:
Generalisierte Angstörung, Panikstörung, Phobie, Zwangsstörung, PTBS
Generalisierte Angststörung
- Prävalenz: 5,7%
a. Übermäßige Angst und Sorge (furchtsame Erwartung) bezüglich mehrerer Ereignisse oder Tätigkeiten (wie etwa Arbeit oder Schulleistungen), die während mindestens 6 Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten.
b. Die Person hat Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren.
c. Die Angst und Sorge sind mit mindestens drei der folgenden 6 Symptome verbunden (wobei zumindest einige der Symptome in den vergangenen 6 Monaten an der Mehrzahl der Tage vorlagen). Beachte: Bei Kindern genügt ein Symptom.
1. Ruhelosigkeit oder ständiges “auf dem Sprung sein”,
2. leichte Ermüdbarkeit,
3. Konzentrationsschwierigkeiten oder Leere im Kopf,
4. Reizbarkeit,
5. Muskelspannung,
6. Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafschwierigkeiten oder unruhiger, nicht erholsamer Schlaf).
d. Die Angst und Sorgen sind nicht auf Merkmale einer anderen psychischen Störung beschränkt, z.B. die Angst und Sorgen beziehen sich nicht darauf, eine Panikattacke zu erleben (wie bei der Panikstörung), sich in der Öffentlichkeit zu blamieren (wie bei der Sozialen Phobie), verunreinigt zu werden (wie bei Zwangsstörung), von zu Hause oder engen Angehörigen weit entfernt zu sein (wie bei Störung mit Trennungsangst), zuzunehmen (wie bei Anorexia Nervosa), viele körperliche Beschwerden zu haben (wie bei Somatisierungsstörung), oder eine ernsthafte Krankheit zu haben (wie bei Hypochondrie), und die Angst und die Sorge treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf.
e. Die Angst, Sorge oder körperlichen Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
f. Das Störungsbild geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (z.B. Schilddrüsenüberfunktion) zurück und tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Affektiven Störung, einer Psychotischen Störung oder einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung auf. (Differentialdiagnose)
Panikstörung
- Prävalenz: 4,7%
Sowohl (1) als auch (2).
- Wiederkehrende unerwartete Panikanfälle. 2. Bei mindestens einer der Attacken folgte mindestens ein Monat mit mindestens einem der nachfolgend genannten Symptome:
a) anhaltende Besorgnis über das Auftreten weiterer Panikanfälle,
b) Sorgen über die Bedeutung der Anfälle oder ihre Konsequenzen (z. B. die Kontrolle zu verlieren, einen Herzinfarkt zu erleiden, verrückt zu werden),
c) deutliche Verhaltensänderung infolge der Attacken
Soziale Phobie
- Prävalenz: 12,1%
a) Eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen, bei denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Die Person fürchtet, ein Verhalten (oder Angstsymptome) zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte.
b) Die Konfrontation mit der gefürchteten Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild eines situationsgebundenen oder eine situationsbegünstigten Panikattacke annehmen kann.
c) Die Person sieht ein, dass die Angst übertrieben und unvernünftig ist.
d) Die gefürchteten sozialen oder Leistungssituation werden vermieden oder nur unter intensiver Angst oder Unwohlsein ertragen.
e) Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das Unbehagen in den gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen beeinträchtigt deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre berufliche (oder schulische) Leistung oder soziale Aktivitäten oder Beziehungen oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden.
f) Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens sechs Monate an.