Systemische Beratung und Konzepte (PBCo 11&12) Flashcards
Erläutere die kybernetische General System Theory
- die Ursprünge dieser Theorie liegen in der frühen psychologischen und soziologischen Forschung
- sie hatte großen Einfluss auf die kognitive und therapeutische Forschung und wurde erfolgreich in die Einzel-, Paar- und Familientherapie übernommen (Bateson, Watzlawick, Moreno, Satir, Perls und andere)
Im Folgenden ein Überblick:
• Organismen stehen als „offene Systeme“ im ständigen Energie- und Feedbackaustausch mit ihrer Umgebung. Nur solche offenen Systeme sind anpassungs- und lernfähig.
• Komplexe Phänomene sind nicht als Folge einfacher Kausalketten begreifbar. Komplizierte Feedback-Mechanismen wirken auf das gesamte System zurück.
• Nicht nur das komplexe Phänomen ist daher von Bedeutung, sondern die vielfältigen Rückkopplungs-Mechanismen und Beziehungen innerhalb des
Systems.
• Das System selbst ist multivariant und daher immer nur mittelbar oder metaphorisch beschreibbar. Nur aus möglichst vielen, teils gänzlich unterschiedlichen
Betrachtungsweisen gelingt eine vage holistische Sicht des Systems.
Gib einen Überblick über das Psychodrama nach Jakob Moreno
- der Ansatz stellte in den 30ern einen Gegenentwurf zur Psychoanalyse dar
- im Psychodrama werden verschiedene Rollen, dramatische Vorfälle des Systems, Probleme und Konflikte interaktiv ausgelebt
- der Patient spielt seine verschiedenen Rollen (Kollegen, Kinder, Eltern,…) und simuliert damit die verbunden Gefühle, Gedanken, Wünsche, Ziele und Ängste
- der Klient schlüpft dabei selbst in die verschiedenen Rollen
- Perspektivenwechsel, Rollentausch, Reflexion, Feedback, Erproben und Erfahren noch nicht genutzter Sicht- und Denkweisen sind wichtige Elemente dieser Therapie- und Beratungsform
Wie funktioniert die Skulpturarbeit nach Virginia Satir?
- Satir abstrahierte die anfänglich theatralische systemische Arbeit des Psychodramas
- die Betonung lag auf “Strukturen und zugrunde liegende Identifizierungsprofilen und Beziehungsgeflechten im System”
- die Abstraktion wurde durch eine mehrtägige Skulpturarbeit vorbereitet, in der die Geschichte der Familie über mehrere Generationen aus allen Blickwinkeln beleichtet wurde
- sie wandelte das Ausagieren in szenischer Form in ein Spiel von Körperhaltung, Gestik und Mimik, welche die tragenden Emotionen ausdrücken sollten.
- die Wahl bestimmter Stehplätze (Positionen) gab durch ihre Entfernungsverhältnisse und
Blickrichtungen ebenfalls Auskunft über die Beziehungen. Diese Informationen
waren den Patienten zuvor meist nicht bewusst. - in den 60ern erkannte sie, dass Körperhaltung, Gestik, Mimik und Position eine bestimmte Emotion oder innere Bilder hervorrufen - unabhängig von der Person, die sich in diese Körperhaltung begab
- in der Folge begann sie, statt der Familien- oder Systemmitglieder so genannte Stellvertreter aufzustellen
- die Stellvertreter gaben später an, ähnliche Gefühle zu haben wie die Familien- oder Systemmitglieder
Welche Besonderheiten gibt es bei der Aufstellungsarbeit von Bert Hellinger?
- Hellinger klammert die Detailgeschichte des Systems aus
- er erfasst nur einschneidende Ereignisse wie Tod, Scheidung, Kriminalität, Hochzeit, Geburt, schwere Krankheit,…
- seiner Meinung reiche diese Kondensation der systemischen Arbeit aus, da es nur einige wenige Grunddynamiken seien, in die wir alle Eingebungen sind
- er greift dabei weder auf Interpretationen oder Erklärungen der Klienten zurück noch erfolgt eine Inszenierung von Ereignissen oder Gefühlen
- seine Arbeit ist sehr umstritten und führt regelmäßig zum Streit unter Experten
Auf welchen theoretischen Grundlagen basiert die systematische Beratung und Therapie?
- anders als bei den meisten Beratungsverfahren gibt es für den systemischen Ansatz keine zugrundeliegende Theorie oder eine Gründerpersönlichkeit
- es handelt sich vielmehr um eine theoriegeleitete Erfahrungswissenschaft
- wesentliche Einflüsse dieses Beratungsverfahrens stammen aus der Systemwissenschaft und der Kybernetik sowie aus der Informations- und Kommunikationswissenschaft
- weitere theoretische Wurzeln stammen aus der humanistischen Psychotherapie (Psychodrama, Gestalttherapie, klientenzentrierte Verfahren u.a.)
Wie kann die systemische Beratung grob umschrieben werden
- sie verwendet Konzepte, die sich mit sich selbst erhaltenden Prozessen sowie mit der Störung solcher zirkulärer Prozesse beschäftigen
- “Sie beschäftigt sich mit allgemeinen Eigenschaften und Prinzipien von Ganzheiten oder Systemen, unabhängig von deren spezieller Natur und der Natur ihrer Komponenten” (Ludwig van Bertalanffy, einer der Begründer der Systemtheorie)
- sie beschäftigt sich mit formalen Organisationsprozessen sowie der Entstehung, dem Erhalt und der Veränderung von Strukturen.
Was sind die grundlegenden Annahmen von Gregory Bateson bzgl. der Beratung von Personen?
- Bateson hat die Wichtigkeit des Kontexts herausgestellt
- die Aufmerksamkeit in der Veränderungsarbeit sollte nicht auf einen einzelnen Faktor oder einer einzelne Person gerichtet werden, sondern auf das jeweilige soziale System (Team, Abteilung, Unternehmen, Familie, Freunde,…) gerichtet werden
- ferner stellte er fest, dass die Beratung eines Systems immer damit beginnen muss, die handelnden Personen innerhalb des Systems zu beraten
- die entscheidenden Faktoren innerhalb des Systems seien nicht die einzelnen Kommunikationsereignisse, sondern die im System handelnden Personen
Was zeichnet laut Bateson die Zirkularität sozialer Systeme aus?
- Bateson leitet diese aus technischen Regelkreisen ab:
“Die Maschine ist in dem Sinne zirkulär, dass das Schwungrad den Regler antreibt, der die Treibstoffzufuhr verändert, welche den Zylinder versorgt, der seinerseits das Schwungrad antreibt” - diesen zirkulären Systembegriff hat er in der Anwendung auf soziale Systeme jedoch verändert oder modifiziert:
• Elemente des Systems sind immer die handelnden Personen innerhalb des Systems.
• Diese Personen reagieren nicht einfach, sondern machen sich aktiv ein Bild von der Wirklichkeit. Das Bild dieser Wirklichkeit ist nie die Wirklichkeit selbst. (vgl. Konstruktivismus)
• In sozialen Systemen existieren Vorschriften darüber, wie eine Person handeln soll, was sie tun soll und was sie nicht tun darf. Diese Regeln können explizit sein, sind jedoch meist implizit.
• Erst auf der Basis von wechselseitigen Deutungen der Wirklichkeit (in der Kommunikationstheorie Interpunktionen genannt) entstehen Regelkreisläufe der Kommunikation: „Bei meiner Arbeit in Neu Guinea habe ich herausgefun- den, dass verschiedenartige Relationen zwischen Gruppen und zwischen verschiedenen Typen von Sippen durch einen Verhaltensaustausch charakterisiert waren, so dass, je mehr A ein gegebenes Verhalten an den Tag legte, die Wahrscheinlichkeit höher war, dass B ein anderes bestimmtes Verhalten zeigte.“
In welchem Bereich wandte Gregory Bateson seine Ideen an?
- in mehreren Feldern, u. a. in der Kinderpsychologie auf die Entstehung von kindlicher Schizophrenie
- zur damaligen Zeit ging man noch davon aus, dass dies eine rein organische Erkrankung des Gehirns war
- Bateson dagegen vermutete, dass es sich auch um eine Störung innerhalb des sozialen Systems der Familie handelt:
• Das Kind hat eine enge Beziehung zur Mutter und erlebt keine korrigierenden Erfahrungen durch andere wichtige Bezugspersonen.
• Es liegen auf verschiedenen Ebenen unterschiedliche Beziehungskommunikationen vor: Die Mutter hat z. B. Angst vor dem Kind oder lehnt es ab, leugnet dieses aber bewusst und zeigt sich überfürsorglich und liebevoll (Reaktionsbildung).
• Es existieren schädliche Tabu-Regeln innerhalb des Systems. Z. B. darf das Kind nicht über widersprüchliche Wahrnehmungen reden.
Auf welchen Forschungen baute Bateson seine Ideen auf?
- Bateson konnte aber auf die Ideen von Moreno zurückgreifen
- dessen Psychodrama und Gruppenforschung war auf ähnlichen Gedanken aufgebaut
Wie hat Paul Watzlawick die Forschungen von Gregory Bateson weiterentwickelt?
- er hat die Kommunikationsideen von Bateson systematisch zusammengeführt und auch weiterentwickelt
- durch Watzlawicks Buch “Menschliche Kommunikation” ist Bateson’s Ansatz einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden
- er hat in seinem Buch sog. Axiome menschlicher Kommunikation zusammengestellt, die auf den Systembegriff Bateson’s zurückgehen
Bekannte Ansagen darin sind u.a. - Man kann nicht nicht kommunizieren.
- Jede Äußerung enthält sowohl eine Inhalts- als auch eine Beziehungsbotschaft.
- Die Natur der Beziehung wird durch die Kommunikationsabläufe bedingt.
- zusammen mit Weakland und Fisch entwickelte Watzlawick aus seinem Modell die sog. Kurzzeitpsychotherapie
- diese ist extrem lösungsorientiert und sah die Betrachtung oder Würdigung von Problemen nicht vor
Worum geht es bei den fünf Axiomen von Paul Watzlawick?
- die fünf metakommunikativen Axiome der Psychologen Janet H. Beavin, Don D. Jackson und Paul Watzlawick fassen einige grundsätzliche Erkenntnisse zur zwischenmenschlichen Kommunikation zusammen.
- die Axiome gehen insbesondere auf den Beziehungsaspekt der Kommunikation ein (Metakommunikation). Die Autoren merken hinsichtlich ihres Kenntnisstandes an, dass es sich um ‘provisorische Formulierungen’ handelt.
- „Man kann nicht nicht kommunizieren!“
- „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei Letzterer den Ersteren bestimmt.“
- „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktionen der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt.“
- „Menschliche Kommunikation ist digital und analog.“
- „Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär.“
Wie hat Friedemann Schulz von Thun auf Watzlawicks Arbeit aufgebaut?
- er hat Watzlawick’s Ideen pragmatisch weiterentwickelt
- von Thun’s Ansätze zählen heute zu den Standardverfahren in Kommunikationsseminaren
- er unterteilte die Kommunikation in vier wesentliche Aspekte:
• den Sachinhalt der Botschaft,
• die Beziehungsdefinition in der Botschaft,
• den Selbstoffenbarungsanteil der Botschaft und
• den Appellcharakter der Botschaft.
Was ist die “Palo-Alto-Gruppe” und welche Symptomatik hat diese erforscht?
- die Palo-Alto-Gruppe wurde um Gregory Bateson in den 50er Jahren an der Universität Berkley in Kalifornien gegründet
- die Gruppe befasste sich mit Kommunikationspathologien
- die berühmte “double-bind-Hyptothese” (die Erklärung eines Kommunikationsparadoxons) wurde in dieser Zeit entwickelt
- diese besagt, dass wenn auf verschiedenen Ebenen inkongruent kommuniziert wird, es zur Entstehung seelischer Krankheiten kommen kann.
- Beispiel wäre, dass eine Mutter ihr Kind schlägt, dabei aber lächelt und sagt, dass sie dies nur macht, weil sie ihr Kind liebt
- weiteres Beispiel wäre ein Abteilungsleiter, der einen Mitarbeiter für Fortschritte lobt, dabei aber den Kopf schüttelt
- diese Erkenntnisse sind mittlerweile ein fester Bestandteil in modernen Kommunikationsseminaren geworden und gehören in vielen Berufen zur Grundausbildung
Wurden in der Palo Alto Gruppe auch Möglichkeiten zur Therapie von “double bind” entwickelt?
- es wurden Methoden erprobt, die diese inkongruente Kommunikation bewusst in Psychotherapien einbindet
- später sind daraus u. a. die so genannten “provokativen Therapieformen” entstanden
- außerdem wurde erprobt, welche Auswirkungen es auf den Patienten hat, wenn man ihn bewusst anweist, sein Leiden zu verstärken (sog. Symptomverschreibung)
- bei dieser Symptomverschreibung werden Patienten aufgefordert, sich nicht nur der entsprechenden Situation zu stellen sondern sich bewusst darauf zu konzentrieren, das Symptom zu verstärken und es so stark wie nur möglich zu empfinden
- die Verschreibung des Symptoms führte dazu, dass Patienten diese kaum noch hervorrufen Konten
- die Methode ist heute fester Bestandteil vieler verhaltenstherapeutischer Methoden
- Viktor Frankl hat unabhängig davon einen vergleichbaren Ansatz entwickelt; er nannte seine Methode “paradoxe Intervention”
Wer war Jay Haley und welchen Einfluss hatte er auf Therapie und Beratung?
- er war ein Mitarbeiter von Bateson zwischen 52 und 67
- er griff insbesondere auf Bateson’s Unterscheidung von symmetrischer und komplementärer Interaktion zurück
- Haley wurde außerdem stark durch den Psychiater Milton Ericsson beeinflusst, den einflussreichsten Protagonisten der modernen kooperativen Hypnosetherapie (vgl. Kapitel Hypnose)
- Haley war wesentlich daran beteiligt, die Ideen Ericksons in der ganzen Welt zu verbreiten
- ferner hat er dazu beigetragen, dass die neuen Hypothermie starke systemische Wurzeln hat
- auf der Basis seines Konzeptes entwickelte er eine eigene systemische Therapieform, die er “strategische Familientherapie” nannte
Erläutere Bateson’s Unterscheidung von symmetrischer und komplementärer Interaktion
- in symmetrischen Interaktionen definieren sich die Partner als gleichwertig
- in komplementären Interaktionen wird die Beziehung hierarchisch definiert
- Abweichungen von der ursprünglichen Definition führen zu Kommunikationsstörungen und Konflikten
Wer war Virginia Satir?
- sie arbeitete ebenfalls in Palo Alto und Integrierte die Systemkonzepte von Bateson in ihre entwicklungsorientierte Familientherapie
- diese Theorie wird heute eher der humanistischen Schule zugerechnet
- ihre Arbeit war sehr bekannt und populär
- dadurch hat sie wesentlich dazu beigetragen, systemische Konzepte bekannt zu machen
Welche Strategien wurden von der “Mailänder Gruppe” um Mara Selvini Palazzoli entwickelt?
- in dieser Gruppe wurden ab 1970 detaillierte Interventionsstrategien der systemischen Therapie entwickelt.
- Palazzoli arbeitete spezifische Gesprächs- und Interventionstechniken aus, die als zirkuläre Befragung bekannt wurden.
- sie orientiert sich sehr klar an radikal kybernetischen Modellen der Organisation lebender Systeme.
- zu Beginn des Kurses sind wir auf zirkuläre Fragen bereits eingegangen.
Welche Positionen vertrat Rosemarie Welter-Enderlin?
- sie organisierte 1981 einen Kongress, um amerikanische Konzepte systemischer Familientherapie in Europa bekannt zu machen
- ihr systemischer Ansatz geht davon aus, dass man Probleme nicht ausblenden darf
- dazu gehören Blicke in Abgründe ebenso wie an Horizonte
Welchen Einfluss hatte die sog. “Heidelberger Gruppe” um Helm Stierlin?
- es war eine Forscher- und Therapeutengruppe, die psychodynamische Theorien, systemische Gesichtspunkte und hypnotherapeutische Aspekte miteinander verband
- Ferner untersuchte sie systemische Therapien von Psychosen, somatischen Erkrankungen und Essstörungen
- sie integrierte ebenso lösungsorientierte Ansätze, beispielsweise von Steve de Shazer
- die Arbeit der Gruppe war eher auf Lösungen und weniger auf das Verstehen von Problemen ausgerichtet
Welche vier Systemdefinitionen hat Luhmann geprägt?
- Soziale Systeme grenzen sich kommunikativ ab
- soziale Systeme sind durch die kommunikative Differenz von System und Umwelt gekennzeichnet
- eine Familie ist nicht nur durch die einzelnen Rollen (Mutter, Kind,…) gekennzeichnet, sondern durch die kommunikative Abgrenzung gegenüber deren Umwelt - Die kleinste Einheit im System ist ein einzelnes Kommunikationsereignis
- Soziale Systeme sind selbstreferenziell
- damit ist gemeint, dass die einzelnen Elemente, aus denen das System besteht, durch dieses System selbst erzeugt werden
- jedes Kommunikationsereignis führt demnach zu einem weiteren Ereignis, das seinerseits ein neues Ereignis nach sich zieht - Soziale Systeme reduzieren ihre Komplexität
- mit Komplexität ist die Gesamtheit aller Handlungsalternativen gemeint
- reduzieren bedeutet, dass Personen im System in einer bestimmten Situation nur einen begrenzten Rahmen an Reaktionen nutzen
- Beispiel wäre, dass man auf das umwerfen einer Vase mit Tadel, Belehrung und ähnlichem reagiert und nicht mit dem Putzen von Fenstern
Welche Neuerungen erfuhr die systemische Beratung durch den radikalen Konstruktivismus in den 80er Jahren?
Man kam zu der Erkenntnis, dass Berater allein durch ihre Anwesenheit bereits auf das System einwirken, nicht erst durch aktive Handlungen
Ferner wurde untersucht, wie eine bestimmte Sichtweise des Systems Kommunikationsweisen erzeugt, die diese Sichtweise erhalten.
Wie lauten die Fachbegriffe für die alte bzw. die neue Herangehensweise?
Kybernetik erster Ordnung: Was wird gesehen oder beobachtet, wenn man ein System beobachtet? Wie können diese Beobachtungen kommuniziert werden? Wie werden Probleme durch das System unterhalten oder erzeugt (vom System zum Problem)?
Kybernetik zweiter Ordnung: Was macht ein Beobachter oder Handelnder, während er beobachtet oder handelt, und wie verändert er das System dadurch, dass er beobachtet oder handelt? Wie erzeugen Probleme sich selbst erhaltende Kommunikationssysteme (Probleme schaffen Problemsysteme)?
Wie entwickelt sich ein unwillkommener Vorfall zu einem Problemsystem? Nenne ein Beispiel
- Diagnose – qualitative oder quantitative Abweichungen: Es wird etwas beobachtet, das nicht sein soll (anders oder falsch ist). Oder es wird nichts beobachtet, wo eigentlich etwas sein sollte. Oder es wird zu viel oder zu wenig von dem beobachtet, was sein sollte.
- Bewertung der Diagnose: Wenn die Diagnose negativ bewertet wird, entsteht aus der qualitativen oder quantitativen Abweichung ein Problem. Die Bewertung macht also das Problem.
- Erklärungen werden kommuniziert: Der Betroffene entwickelt für sich selbst und für andere Erklärungen, die die Abweichungen beschreiben, und er entwickelt Hypothesen über die Reduktion oder Beseitigung der Abweichungen. So entsteht um das Problem, das der Beobachter selbst erzeugt hat, ein Kommunikationssystem.
- Das Problemsystem verfestigt sich: Solche Kommunikationssysteme sind meist sehr rigide. Sie können erhebliche Komplexität annehmen und das Pro- blemsystem durch Fokussierung und Hyperreflexion weiter stärken. Dabei handelt es sich übrigens um eine Idee, die – unabhängig von der Systemtheorie – auch Grundlage der Logotherapie Viktor Frankls ist.
In welche Unterteilung hat Luhmann die beobachtbaren Handlunge unterteilt?
- Phänomene des Körpers – gelebtes Leben
- Phänomene des Geistes – erlebtes Leben
- Phänomene der Kommunikation – erzähltes Leben
Die Grenzen dieser drei Bereiche sind durchlässig und die Prozesse bedingen und überlappen sich gegenseitig
Was versteht Luhmann unter “gelebtes Leben”?
- hierunter werden sämtliche biologischen und physiologischen Phänomene verstanden
- für die Beschreibung biologischer Phänomene haben in der systemischen Beratung Konzepte der Selbstorganisation an Bedeutung gewonnen
Was versteht Luhmann unter “erlebtes Leben”?
Darunter fallen laut Luhmann drei kognitive Bestandteile
- Die Beschreibung
- hier wird ein zuviel oder zuwenig diagnostiziert
- häufig werden Gegensatzpaare verwendet bzw. der Ist-Zustand anhand einer Skala bewertet
- z.B. krank oder gesund, schön oder hässlich, fleißig oder faul,… - Die Bewertung
- die erlebte qualitative oder quantitative Abweichungen werden als Vorteil oder als Nachteil gewertet
- aus der Bewertung ergibt sich häufig bereits ein Handlungsdruck
- Osgood hat ein sprachanalytisches Instrument vorgestellt, mit dem die Bewertung vorgenommen werden kann - böse - gut
- stark - schwach
- aktiv - passiv
- Die Erklärung
- hierbei handelt es sich um sog. Grenzüberschreitungsmodelle
- es wurde eine Grenze zum zuviel oder zuwenig überschritten
- mit der Erklärung wird die Ursache für diese Überschreitung beschrieben
- im Fall einer Erkrankung wäre dies beispielsweise die Ursache für die Erkrankung
Was versteht Luhmann unter “erzähltes Leben”?
- Beschreibungen, Bewertungen und Erklärungen verdichten sich zu erlebten Erzählungen
- sie enthalten Handlungs- und Unterlassungsaufforderungen und beeinflussen unsere Wahrnehmung (jeder ordnet Dinge individuell ein)
- sie sind die kognitiven Eckpfeiler der subjektiven Identität und der individuellen Erklärung der Welt
- auf dieser Basis konstruiert jeder Mensch seine eigene Realität auf der Basis aller seiner Erfahrungen und des Inputs von anderen Akteuren
- das erlebte Leben wird somit zum erzählten Leben
Wie unterscheidet sich Unternehmensberatung von der Organisationsentwicklung
- klassische Unternehmensberatung erfolgte in der Vergangenheit als Expertenberatung
- auch heute sieht sich eine enorme Anzahl an Beratern persönlich als Problemlöser, nicht aber als Prozessberater
- Unternehmensberater verfügen zwar über eine sehr gute fachliche bzw. akademische Qualifikationen, Beratungskompetenz hingegen haben sie nicht
- Organisationsberatung kann im Gegensatz zur Unternehmensberatung auch in sozialen Einrichtungen, Schulen oder anderen Einrichtungen erfolgen
- die Prozessberatung nahm an Bedeutung zu, da man die Wichtigkeit erkannt hat, dass die Personen im System eigene Lösungen finden
- Organisationsberater orientieren sich eher an Theorien aus der Soziologie und der Psychologie