Rat der Europäischen Union Flashcards
1 Intergouvernmentales Beschlussgremium oder supranationales Gemeinschaftsorgan
Rat der EU — in Literatur häufig auch „Ministerrat“ — bildet einen spezifischen Eckstein in der institutionellen Architektur des EU-Systems
Vertragsänderungen der letzen Jahrzehnte haben die Aktivitätsfelder des Rates und dessen Funktion auf weitere Politikfelder nationaler Kompetenzen ausgeweitet sowie Beschlussfassungsregeln für die Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit (QM) reformiert
zugeschriebenen und wahrgenommenen Rollen des Organs sind vielfältig:
-nimmt innerhalb des institutionellen Dreiecks zusammen mit dem EP als Gesetzgeber und Haushaltsbehörde, gesetzgeberische und budgetäre Rechte wahr
- koordiniert nationale Instrumente in zentralen Bereichen einzelstaatlicher Politik — Steuerungsfunktion in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik,zentrale Beschlussfassungsorgan in der GASP und GSVP
- handelt als Vorbereitungs- und Umsetzungsgremium von Beschlüssen des Europäischen Rates — bildet Scharnierfunktion für ein komplexeres Mehrebenenspiel (nationale Regierungen ihre Positionen auf nationaler und EU-Ebene eng verknüpfen
Legitimität:
- demokratisches Verfahren innerhalb der Mitgliedstaaten
- Autorität als ausschließliches Entscheidungsorgan zunehmend in Zweifel gezogen
- Verträge stärken mit jeder zusätzlichen Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Ebene die rechte des EP gegenüber dem Rat der Europäischen Union
Leitidee — zwei Perspektiven:
-dominierende Sicht — intergouvernmentale ausgerichtetes Gremium; Regierungen zur Durchsetzung von nationalen Interessen nutzt
—Machtbalance zwischen den „großen“ und den „kleine“ Mitgliedstaaten, aber auch den „Hauptmächten“ sich einpendelt
-Gemeinschaftsorgan — zunehmend Entscheidungen mit QM gegebenenfalls gegen Positionen einzelner Staaten trifft
—Entwicklung Richtung einer supranationalen Ausrichtung
——generelles Dilemma — effiziente Beschlussfähigkeit und nationale Mitwirkung absichern
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institutioneller Steckbrief
Aufgaben:
- „Gesetzgeber“
- Haushaltsbehörde
- Politikgestaltung der GASP
- Koordinierung der Wirtschaftspolitik
- Kontrolle der Kommission
- Vertretung der Mitgliedstaaten im Mehrebenensystem
Benennung:
- Je ein Vertreter eines Mitgliedstaates auf Ministerebene
- Ernennung der Minister in den Mitgliedstaaten
Aufbau:
- Tagungsort: Brüssel/ Luxemburg
- Halbjährlich wechselnder Vorsitz
- Mehrere Zusammensetzungen
- AStV: Vorbereitung
- Arbeitsgruppen nationaler Beamten
- Generalsekretariat
Beschlussverfahren:
- Einfache Mehrheit
- Qualifizierte Mehrheit (zwei Bedingungen)
- In bestimmten Ausnahmefällen modifiziertes Veto
- Einstimmigkeit mit und ohne Ratifizierung
- Konsenssuche
2 Aufgaben
2.1 Geschichte
bereits im EGKS-Vertrag in die institutionellen Architektur eingeführt:
- Interessen der Mitgliedstaaten gegenüber der Hohen Behörde (heute Europäischen Kommission) zu vertreten
- Römische Verträge erhielt er die Letzentscheidungsbefugnis in Fragen der Politik- und Systemgestaltung
- „the commission proposes —the council disposes
- mit der Ausweitung der Zuständigkeit der Union wurden die Aufgaben des Rates auf fast alle Felder nationaler Politik ausgedehnt
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2.2 Vertragliche Vorgaben
weites Spektrum an Aufgaben mit der legislativen Funktion im Zentrum
Gesetzgebungskompetenzen:
- zentrale Fragen des Binnenmarktes und der Umweltpolitik
- zusammen mit dem EP — Haushaltsbehörde
- Abkommen mit Drittstaaten und Beitritts- und Austrittsverträgen — verabschiedet die verbindlichen Beschlüsse (Zustimmungsverfahren legt zwischen Rat und EP)
Politikfelder mit nationalen Instrumenten:
-Wirtschafts- und Fiskalpolitik — zentrales Organ für die Entscheidungsprozesse
GASP und GSVP:
-Lissabonner Vertrag — Beschlussfassungsmodalitäten abweichend von anderen Verfahren festgelegt
Wahlfunktion:
- ernennt im Hinblick auf die Zusammensetzung anderer Organe und Ausschüsse
- Wahl des Kommissionskollegiums
- Benennung der Mitglieder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und Ausschuss der Regionen
Beschlüssen in einzelnen Politikfelder, Systemgestaltung und Vertragsänderungen sowie Betritten und Austritten — formal die Rechtsakte zu verabschieden
-Europäische Rat häufig die Entscheidungen in der Substanz de facto festschreiben
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2.2
Dokument 1, Vertraglich festgelegte Aufgaben
Art. 16 (1) EUV
Der Rat wird gemeinsam mit dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig und übt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus. Zu seinen Aufgaben gehört die Festlegung der Politik und die Koordinierung nach Maßgabe der Veträge.
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2.2
Dokument 2, Vertragliche Bestimmungen zur GASP
Art. 24 (1) EUV
[…]
Für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gelten besondere Bestimmungen und Verfahren. Sie wird vom Europäischen Rat und vom Rat einstimmig festgelegt und durchgeführt, soweit in den Verträgen nichts anderes vorgesehen ist.
3 Aktivitätsprofil
Rat wird als administrativer Unterbau in allen Aufgabengebieten von den Regierungen genutzt:
- erkennbar an der Zahl der Sitzungen pro Jahr und der Verabschiedung von Rechtsakten
- durchschnittlich zweimal pro Woche
- erhöht sich in Krisenzeiten: 2015 verdoppelt
Rechtssetzungstätigkeit:
- bleibt mit Variationen auf einem hohen Niveau
- Rechtsakten werden in Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen unterteilt
- unterscheiden sich in ihrem Grad der Verbindlichkeiten
- zählen auch Verabschiedung von Verträgen mit Drittstaaten
Schwerpunkte:
- über die Jahrzehnte verschoben
- Bewältigung der Schuldenkrise, Vorgehen in der Migrationskrise und Brexit waren oder sind auf der Tagesordnung
- 2017 Fokus auf die Bekämpfung des Terrorismus und Umsetzung von Gesetzgebungsakten in: Binnenmarktpolitik, Datenschutz und Energieunion
- Maastrichter Vertrag — neue Bereiche in der GASP und auch Innen- und Justizpolitik
4 Benennung und Zusammensetzung: Variationen von Ratsformationen
je Politikbereich:
-jeweiligen Ressortsministern
alle wichtigen nationalen Ministerien haben „ihren“ Rat:
- Verteidigungsminister kommen seit der GSVP informell mit den Außenministern zusammen
- Zusammensetzung und Vorsitz des Rates wird mit qualifizierter Mehrheit vom Europäischen Rat beschlossen — zur Vermeidung einer ausufernden Vielfalt
weites Spektrum an Aufgaben öffentlicher Politik
Struktur der Ratsformation:
- gewisse Rangordnung — in den Tagungsfrequenzen ablesbar
- Formationen wichtiger Ressorts an Bedeutung gewonnen; Agrarrat seit der EWG
- seit dem Maastrichter Vertrag auch der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Economic and Financial Affairs Council (ECOFIN)) sowie Innen- und Justizminister
- dritte Gruppe die die seltener einberufen werden: z.B. Arbeit, Soziales, Umwelt und Verkehr
Rat der „Allgemeinen Angelegenheiten“:
-der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ (Vertretung der Mitgliedsregierungen durch Außenminister oder Europa- oder Staatsminister) sollte verschiedene Ratsformationen
-angesichts der Interesse wichtiger Fachressorts wurde eine umfassende Lenkungsaufgabe nie richtig wahrgenommen werden können
—ein Rat mit spezialisierten Europaministern wird täglich vorgeschlagen — aber aufgrund von Machtverschiebungen nicht unmittelbar umgesetzt
——Rat für Allgemeine Angelegenheiten arbeiten primär „Junior-Minister“ (Staatsminister)
———Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat Leitungs- und Lenkungsfunktion übernommen
-wesentliche Rolle in der Vorbereitung der der Tagesordnung des Europäischen Rates — in Verbindung mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und mit der Kommission
Sitzungen:
-Großveranstaltungen: bis zu sechs Beamte pro Minister + Beamten der Kommission und des Generalsekretariats = 180 Personen im Konferenzsaal
-Vorsitz kann die Zahl der Delegationsmitglieder beschränken
—um zu einer direkten Aussprache bzw. vertraulichen Verhandlung zu kommen
-Sitzungen im kleineren Kreis (restricted sessions), Minister + 2 Beamte — „super-restricted sessions“, nur Minister
-informelle Sitzungen — beim Mittagessen im kleineren Kreis oder Wochenend-Klausuren im Staat des jeweiligen Ratsvorsitzenden
-Euro-Gruppe — informelle Formation ( im Protokoll des Lissabonner Vertrags erwähnt) von „Ministern deren Währung der Euro ist“ + Vertretern der Kommission bei Bedarf + auf Einladung EZB — Vorsitz nicht an die rotierende Präsidentschaft gekoppelt
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Dokument 3, Zusammensetzungen des Rates
Art. 236, AEUV
Der Europäische Rat erlässt mit qualifizierter Mehrheit
a) einen Beschluss zu Festlegung der Zusammensetzungen des Rates, mit Ausnahme des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“ und des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ nach Artikel 16 Abs. 6 des Vertrags über die Europäische Union;
b) einen Beschluss nach Artikel 16 Abs. 9 des Vertrags über die Europäische Union zur Festlegung des Vorsitzes im Rat in allen seinen Zusammensetzungen mit Ausnahme des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“.
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Dokument 4, Zusammensetzung des Rates
- Allgemeine Angelegenheiten
- Auswärtige Angelegenheiten
- Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
- Bildung, Jugend, Kultur un Sport
- Justiz und Inneres
- Landwirtschaft und Fischerei
- Umwelt
- Verkehr, Telekommunikation und Energie
- Wettbewerbsfähigkeit
- Wirtschaft und Finanzen
Rat der EU (2017)
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Dokument 5, Rat „Allgemeine Angelegenheiten“
Art. 16 (6) EUV
[…] Als Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ sorgt er für die Kohärenz der Arbeiten des Rates in seinen verschiedenen Zusammensetzungen. In Verbindung mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und mit der Kommission bereitet er die Tagungen des Europäischen Rates vor und sorgt für das weitere Vorgehen.
5 Beschlussverfahren: Abstimmungsregeln und Praxis
Beschlussfassungsregeln des Rates standen im Zentrum politischer Kontroversen:
- besonders Einführung und Anwendung von Abstimmungsverfahren vom Typus der qualifizierten Mehrheit (QM)
- Möglichkeiten eine Rechtsakte mit QM zu verabschieden, durch Vertragsänderungen
- und Verhältnis zur Einstimmigkeitsregelung wesentlich ausgedehnt
- Kriterien für eine QM bildeten auch in den Verhandlungen zum Lissabonner Vertrag eine zentrales Thema
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5.1 Zum Regelwerk
Beschlussfassungsregeln im Rat und die Formen der internen Willensbildung weisen beträchtliche Variantionsbreite auf
Unterschiede auch innerhalb eines Politikfeldes möglich:
-Beschlussfassung mimt einfacher Stimmenmehrheit wenn keine andere Bestimmung im Vertrag vorgeschrieben ist - aufgrund der Risikoscheue nur auf Verfahrensfragen beschränkt
- Abstimmungen mit QM stellen die Regel dar
- Trotz Wandel der Einstellung zu Mehrheitsabstimmung weiterhin hohes Maß an Risikoaversion — besonders in bedeutsamen Bereichen der nationalen Politik: weiterhin Einstimmigkeit bei Formen des Regierens in Bereichen von „vitalen Interessen“ (Außen- und Sicherheitspolitik, grundlegenden Entscheidungen über „Eigenmittel“ und „mehrjährigen Finanzrahmen“
- Notbremse, Mitgliedstaat kann Verfahren aussetzen lassen und Überweisung an den Europäischen Rat beantragen wenn er sich berührt sieht in grundlegenden Aspekten nationaler Strukturen( Abstimmungen mit QM; GASP, Sozialpolitik oder auch Strafrechtsordnung)
- Zusätzlich, Minderheit von Staaten unterhalb der Schwelle einer Sperrminorität können einen Aufschub der Abstimmung in Form eines suspensiven Vetos beantragen — „Ionnina Verfahren“
- Bei Entscheidungen von systemgestaltender Bedeutung ist neben einstimmiger Beschlussfassung im Rat auch eine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich — beim Verfahren zum Austritt genügt eine QM
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5.2 Regeln für eine qualifizierte Mehrheit
beinhalten die Aufgabe von Souveränitätsvorbehalten zugunsten einer Steigerung der Problemlösungsfähigkeit des Rates:
-Regierungskonferenzen haben bei jeder Vertragsänderung die Form von Mehrheitsabstimmungen auf weitere Politikfelder ausgedehnt
Schwellen für die notwendigen Gestaltungsmehrheit von zentraler Bedeutung:
-einzelner Staat komplett umgekehrte Sicht — Möglichkeit der Sperrminorität wichtiger
Verfahrensbestimmungen nicht einfach nachzuvollziehen:
- intensive Kontroversen zwischen Mitgliedstaaten um ihren relativen Einfluss
- symbolische Politik — Stimmgewichtung zum Ausdruck kommender „Macht“ muss „angemessen“ im Vergleich zu den anderen erscheinen
Vertrag von Nizza:
-Bestimmung über die Stimmgewichtung im Rat
-Anteil der sogenannten gewogenen Stimmen haben eine besondere Rolle
—Vertrag von Lissabon grundsätzlich neu geregelt
Resultat kontroverser Verhandlungen im Europäische Rat mit Polen:
- ein Mitgliedstaat konnte noch das Abstimmungsverfahren von Nizza einfordern
- nun geltende Regelwerk sieht zwei wesentliche Kriterien zur Erreichung der QM: 55 Prozent der Mitglieder des Rates (mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten) und min. 65 Prozent der EU-Bevölkerung (knapp 329 Millionen Bürger) müssen repräsentiert werden
- zusätzliche Bedingungen, die den kleineren Staaten größeres Gewicht zuspricht, das beim ersten Kriterium min. 15 Mitgliedstaaten zustimmen — beim zweiten Kriterium min. vier Mitgliedstaaten eine Sperrminoriät bilden müssen
- Kriterien beruhen auf unterschiedlicher Legitimitätskonzepten: „Staatskriterium“ basiert auf der Gleichheit von Staaten unabhängig der Zahl der Bürger — „Bevölkerungskriterium“ auf traditionellen demokratischen Prinzipien des „one person — one vote“
- Konzepte stehen im Spannungsverhältnis
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5.2
Dokument 6, Vertragliche Vorgaben zu den Beschlussverfahren
Art. 16 (4) EUV
Ab dem 1. November 2014 gilt als qualifizierte Mehrheit eine Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen.
Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Mitglieder des Rates erforderlich, andernfalls gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht.