Rat der Europäischen Union Flashcards

1
Q

1 Intergouvernmentales Beschlussgremium oder supranationales Gemeinschaftsorgan

A

Rat der EU — in Literatur häufig auch „Ministerrat“ — bildet einen spezifischen Eckstein in der institutionellen Architektur des EU-Systems
Vertragsänderungen der letzen Jahrzehnte haben die Aktivitätsfelder des Rates und dessen Funktion auf weitere Politikfelder nationaler Kompetenzen ausgeweitet sowie Beschlussfassungsregeln für die Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit (QM) reformiert

zugeschriebenen und wahrgenommenen Rollen des Organs sind vielfältig:
-nimmt innerhalb des institutionellen Dreiecks zusammen mit dem EP als Gesetzgeber und Haushaltsbehörde, gesetzgeberische und budgetäre Rechte wahr

  • koordiniert nationale Instrumente in zentralen Bereichen einzelstaatlicher Politik — Steuerungsfunktion in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik,zentrale Beschlussfassungsorgan in der GASP und GSVP
  • handelt als Vorbereitungs- und Umsetzungsgremium von Beschlüssen des Europäischen Rates — bildet Scharnierfunktion für ein komplexeres Mehrebenenspiel (nationale Regierungen ihre Positionen auf nationaler und EU-Ebene eng verknüpfen

Legitimität:

  • demokratisches Verfahren innerhalb der Mitgliedstaaten
  • Autorität als ausschließliches Entscheidungsorgan zunehmend in Zweifel gezogen
  • Verträge stärken mit jeder zusätzlichen Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Ebene die rechte des EP gegenüber dem Rat der Europäischen Union

Leitidee — zwei Perspektiven:
-dominierende Sicht — intergouvernmentale ausgerichtetes Gremium; Regierungen zur Durchsetzung von nationalen Interessen nutzt
—Machtbalance zwischen den „großen“ und den „kleine“ Mitgliedstaaten, aber auch den „Hauptmächten“ sich einpendelt
-Gemeinschaftsorgan — zunehmend Entscheidungen mit QM gegebenenfalls gegen Positionen einzelner Staaten trifft
—Entwicklung Richtung einer supranationalen Ausrichtung
——generelles Dilemma — effiziente Beschlussfähigkeit und nationale Mitwirkung absichern

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2
Q

2

institutioneller Steckbrief

A

Aufgaben:

  • „Gesetzgeber“
  • Haushaltsbehörde
  • Politikgestaltung der GASP
  • Koordinierung der Wirtschaftspolitik
  • Kontrolle der Kommission
  • Vertretung der Mitgliedstaaten im Mehrebenensystem

Benennung:

  • Je ein Vertreter eines Mitgliedstaates auf Ministerebene
  • Ernennung der Minister in den Mitgliedstaaten

Aufbau:

  • Tagungsort: Brüssel/ Luxemburg
  • Halbjährlich wechselnder Vorsitz
  • Mehrere Zusammensetzungen
  • AStV: Vorbereitung
  • Arbeitsgruppen nationaler Beamten
  • Generalsekretariat

Beschlussverfahren:

  • Einfache Mehrheit
  • Qualifizierte Mehrheit (zwei Bedingungen)
  • In bestimmten Ausnahmefällen modifiziertes Veto
  • Einstimmigkeit mit und ohne Ratifizierung
  • Konsenssuche
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3
Q

2 Aufgaben

2.1 Geschichte

A

bereits im EGKS-Vertrag in die institutionellen Architektur eingeführt:

  • Interessen der Mitgliedstaaten gegenüber der Hohen Behörde (heute Europäischen Kommission) zu vertreten
  • Römische Verträge erhielt er die Letzentscheidungsbefugnis in Fragen der Politik- und Systemgestaltung
  • „the commission proposes —the council disposes
  • mit der Ausweitung der Zuständigkeit der Union wurden die Aufgaben des Rates auf fast alle Felder nationaler Politik ausgedehnt
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4
Q

2

2.2 Vertragliche Vorgaben

A

weites Spektrum an Aufgaben mit der legislativen Funktion im Zentrum

Gesetzgebungskompetenzen:

  • zentrale Fragen des Binnenmarktes und der Umweltpolitik
  • zusammen mit dem EP — Haushaltsbehörde
  • Abkommen mit Drittstaaten und Beitritts- und Austrittsverträgen — verabschiedet die verbindlichen Beschlüsse (Zustimmungsverfahren legt zwischen Rat und EP)

Politikfelder mit nationalen Instrumenten:
-Wirtschafts- und Fiskalpolitik — zentrales Organ für die Entscheidungsprozesse

GASP und GSVP:
-Lissabonner Vertrag — Beschlussfassungsmodalitäten abweichend von anderen Verfahren festgelegt

Wahlfunktion:

  • ernennt im Hinblick auf die Zusammensetzung anderer Organe und Ausschüsse
  • Wahl des Kommissionskollegiums
  • Benennung der Mitglieder des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und Ausschuss der Regionen

Beschlüssen in einzelnen Politikfelder, Systemgestaltung und Vertragsänderungen sowie Betritten und Austritten — formal die Rechtsakte zu verabschieden
-Europäische Rat häufig die Entscheidungen in der Substanz de facto festschreiben

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5
Q

2
2.2
Dokument 1, Vertraglich festgelegte Aufgaben

A

Art. 16 (1) EUV
Der Rat wird gemeinsam mit dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig und übt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus. Zu seinen Aufgaben gehört die Festlegung der Politik und die Koordinierung nach Maßgabe der Veträge.

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6
Q

2
2.2
Dokument 2, Vertragliche Bestimmungen zur GASP

A

Art. 24 (1) EUV
[…]
Für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik gelten besondere Bestimmungen und Verfahren. Sie wird vom Europäischen Rat und vom Rat einstimmig festgelegt und durchgeführt, soweit in den Verträgen nichts anderes vorgesehen ist.

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7
Q

3 Aktivitätsprofil

A

Rat wird als administrativer Unterbau in allen Aufgabengebieten von den Regierungen genutzt:

  • erkennbar an der Zahl der Sitzungen pro Jahr und der Verabschiedung von Rechtsakten
  • durchschnittlich zweimal pro Woche
  • erhöht sich in Krisenzeiten: 2015 verdoppelt

Rechtssetzungstätigkeit:

  • bleibt mit Variationen auf einem hohen Niveau
  • Rechtsakten werden in Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen unterteilt
  • unterscheiden sich in ihrem Grad der Verbindlichkeiten
  • zählen auch Verabschiedung von Verträgen mit Drittstaaten

Schwerpunkte:

  • über die Jahrzehnte verschoben
  • Bewältigung der Schuldenkrise, Vorgehen in der Migrationskrise und Brexit waren oder sind auf der Tagesordnung
  • 2017 Fokus auf die Bekämpfung des Terrorismus und Umsetzung von Gesetzgebungsakten in: Binnenmarktpolitik, Datenschutz und Energieunion
  • Maastrichter Vertrag — neue Bereiche in der GASP und auch Innen- und Justizpolitik
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8
Q

4 Benennung und Zusammensetzung: Variationen von Ratsformationen

A

je Politikbereich:
-jeweiligen Ressortsministern

alle wichtigen nationalen Ministerien haben „ihren“ Rat:

  • Verteidigungsminister kommen seit der GSVP informell mit den Außenministern zusammen
  • Zusammensetzung und Vorsitz des Rates wird mit qualifizierter Mehrheit vom Europäischen Rat beschlossen — zur Vermeidung einer ausufernden Vielfalt

weites Spektrum an Aufgaben öffentlicher Politik

Struktur der Ratsformation:

  • gewisse Rangordnung — in den Tagungsfrequenzen ablesbar
  • Formationen wichtiger Ressorts an Bedeutung gewonnen; Agrarrat seit der EWG
  • seit dem Maastrichter Vertrag auch der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Economic and Financial Affairs Council (ECOFIN)) sowie Innen- und Justizminister
  • dritte Gruppe die die seltener einberufen werden: z.B. Arbeit, Soziales, Umwelt und Verkehr

Rat der „Allgemeinen Angelegenheiten“:
-der Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ (Vertretung der Mitgliedsregierungen durch Außenminister oder Europa- oder Staatsminister) sollte verschiedene Ratsformationen
-angesichts der Interesse wichtiger Fachressorts wurde eine umfassende Lenkungsaufgabe nie richtig wahrgenommen werden können
—ein Rat mit spezialisierten Europaministern wird täglich vorgeschlagen — aber aufgrund von Machtverschiebungen nicht unmittelbar umgesetzt
——Rat für Allgemeine Angelegenheiten arbeiten primär „Junior-Minister“ (Staatsminister)
———Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat Leitungs- und Lenkungsfunktion übernommen
-wesentliche Rolle in der Vorbereitung der der Tagesordnung des Europäischen Rates — in Verbindung mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und mit der Kommission

Sitzungen:
-Großveranstaltungen: bis zu sechs Beamte pro Minister + Beamten der Kommission und des Generalsekretariats = 180 Personen im Konferenzsaal
-Vorsitz kann die Zahl der Delegationsmitglieder beschränken
—um zu einer direkten Aussprache bzw. vertraulichen Verhandlung zu kommen
-Sitzungen im kleineren Kreis (restricted sessions), Minister + 2 Beamte — „super-restricted sessions“, nur Minister
-informelle Sitzungen — beim Mittagessen im kleineren Kreis oder Wochenend-Klausuren im Staat des jeweiligen Ratsvorsitzenden
-Euro-Gruppe — informelle Formation ( im Protokoll des Lissabonner Vertrags erwähnt) von „Ministern deren Währung der Euro ist“ + Vertretern der Kommission bei Bedarf + auf Einladung EZB — Vorsitz nicht an die rotierende Präsidentschaft gekoppelt

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9
Q

4

Dokument 3, Zusammensetzungen des Rates

A

Art. 236, AEUV
Der Europäische Rat erlässt mit qualifizierter Mehrheit

a) einen Beschluss zu Festlegung der Zusammensetzungen des Rates, mit Ausnahme des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“ und des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ nach Artikel 16 Abs. 6 des Vertrags über die Europäische Union;
b) einen Beschluss nach Artikel 16 Abs. 9 des Vertrags über die Europäische Union zur Festlegung des Vorsitzes im Rat in allen seinen Zusammensetzungen mit Ausnahme des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“.

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10
Q

4

Dokument 4, Zusammensetzung des Rates

A
  1. Allgemeine Angelegenheiten
  2. Auswärtige Angelegenheiten
  3. Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
  4. Bildung, Jugend, Kultur un Sport
  5. Justiz und Inneres
  6. Landwirtschaft und Fischerei
  7. Umwelt
  8. Verkehr, Telekommunikation und Energie
  9. Wettbewerbsfähigkeit
  10. Wirtschaft und Finanzen

Rat der EU (2017)

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11
Q

4

Dokument 5, Rat „Allgemeine Angelegenheiten“

A

Art. 16 (6) EUV
[…] Als Rat „Allgemeine Angelegenheiten“ sorgt er für die Kohärenz der Arbeiten des Rates in seinen verschiedenen Zusammensetzungen. In Verbindung mit dem Präsidenten des Europäischen Rates und mit der Kommission bereitet er die Tagungen des Europäischen Rates vor und sorgt für das weitere Vorgehen.

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12
Q

5 Beschlussverfahren: Abstimmungsregeln und Praxis

A

Beschlussfassungsregeln des Rates standen im Zentrum politischer Kontroversen:

  • besonders Einführung und Anwendung von Abstimmungsverfahren vom Typus der qualifizierten Mehrheit (QM)
  • Möglichkeiten eine Rechtsakte mit QM zu verabschieden, durch Vertragsänderungen
  • und Verhältnis zur Einstimmigkeitsregelung wesentlich ausgedehnt
  • Kriterien für eine QM bildeten auch in den Verhandlungen zum Lissabonner Vertrag eine zentrales Thema
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13
Q

5

5.1 Zum Regelwerk

A

Beschlussfassungsregeln im Rat und die Formen der internen Willensbildung weisen beträchtliche Variantionsbreite auf
Unterschiede auch innerhalb eines Politikfeldes möglich:
-Beschlussfassung mimt einfacher Stimmenmehrheit wenn keine andere Bestimmung im Vertrag vorgeschrieben ist - aufgrund der Risikoscheue nur auf Verfahrensfragen beschränkt

  • Abstimmungen mit QM stellen die Regel dar
  • Trotz Wandel der Einstellung zu Mehrheitsabstimmung weiterhin hohes Maß an Risikoaversion — besonders in bedeutsamen Bereichen der nationalen Politik: weiterhin Einstimmigkeit bei Formen des Regierens in Bereichen von „vitalen Interessen“ (Außen- und Sicherheitspolitik, grundlegenden Entscheidungen über „Eigenmittel“ und „mehrjährigen Finanzrahmen“
  • Notbremse, Mitgliedstaat kann Verfahren aussetzen lassen und Überweisung an den Europäischen Rat beantragen wenn er sich berührt sieht in grundlegenden Aspekten nationaler Strukturen( Abstimmungen mit QM; GASP, Sozialpolitik oder auch Strafrechtsordnung)
  • Zusätzlich, Minderheit von Staaten unterhalb der Schwelle einer Sperrminorität können einen Aufschub der Abstimmung in Form eines suspensiven Vetos beantragen — „Ionnina Verfahren“
  • Bei Entscheidungen von systemgestaltender Bedeutung ist neben einstimmiger Beschlussfassung im Rat auch eine Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich — beim Verfahren zum Austritt genügt eine QM
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14
Q

5

5.2 Regeln für eine qualifizierte Mehrheit

A

beinhalten die Aufgabe von Souveränitätsvorbehalten zugunsten einer Steigerung der Problemlösungsfähigkeit des Rates:
-Regierungskonferenzen haben bei jeder Vertragsänderung die Form von Mehrheitsabstimmungen auf weitere Politikfelder ausgedehnt

Schwellen für die notwendigen Gestaltungsmehrheit von zentraler Bedeutung:
-einzelner Staat komplett umgekehrte Sicht — Möglichkeit der Sperrminorität wichtiger

Verfahrensbestimmungen nicht einfach nachzuvollziehen:

  • intensive Kontroversen zwischen Mitgliedstaaten um ihren relativen Einfluss
  • symbolische Politik — Stimmgewichtung zum Ausdruck kommender „Macht“ muss „angemessen“ im Vergleich zu den anderen erscheinen

Vertrag von Nizza:
-Bestimmung über die Stimmgewichtung im Rat
-Anteil der sogenannten gewogenen Stimmen haben eine besondere Rolle
—Vertrag von Lissabon grundsätzlich neu geregelt

Resultat kontroverser Verhandlungen im Europäische Rat mit Polen:

  • ein Mitgliedstaat konnte noch das Abstimmungsverfahren von Nizza einfordern
  • nun geltende Regelwerk sieht zwei wesentliche Kriterien zur Erreichung der QM: 55 Prozent der Mitglieder des Rates (mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten) und min. 65 Prozent der EU-Bevölkerung (knapp 329 Millionen Bürger) müssen repräsentiert werden
  • zusätzliche Bedingungen, die den kleineren Staaten größeres Gewicht zuspricht, das beim ersten Kriterium min. 15 Mitgliedstaaten zustimmen — beim zweiten Kriterium min. vier Mitgliedstaaten eine Sperrminoriät bilden müssen
  • Kriterien beruhen auf unterschiedlicher Legitimitätskonzepten: „Staatskriterium“ basiert auf der Gleichheit von Staaten unabhängig der Zahl der Bürger — „Bevölkerungskriterium“ auf traditionellen demokratischen Prinzipien des „one person — one vote“
  • Konzepte stehen im Spannungsverhältnis
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15
Q

5
5.2
Dokument 6, Vertragliche Vorgaben zu den Beschlussverfahren

A

Art. 16 (4) EUV
Ab dem 1. November 2014 gilt als qualifizierte Mehrheit eine Mehrheit von mindestens 55 % der Mitglieder des Rates, gebildet aus mindestens 15 Mitgliedern, sofern die von diesen vertretenen Mitgliedstaaten zusammen mindestens 65 % der Bevölkerung der Union ausmachen.
Für eine Sperrminorität sind mindestens vier Mitglieder des Rates erforderlich, andernfalls gilt die qualifizierte Mehrheit als erreicht.

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16
Q

5

5.3 Potentielle Auswirkungen: Gestaltungsmehrheiten und Sperrminoritäten

A

Folgewirkungen auf die Verhaltensmuster nationaler Entscheidungsträger an statistischen Wahrscheinlichkeiten der Beschlussfähigkeit des Rates erkennbar:

  • mit der Bedingungen für die QM (Lissabonner Vertrag) steigt die Wahrscheinlichkeit einer Gestaltungsmehrheit zu finden
  • steigt durchschnittliche Risiko überstimmt zu werden
  • Schwelle zum Erreichen der QM bleibt hoch

begrenzte Handlungsfähigkeit:

  • gestaltende Mehrheit im Rat der EU-28 sind die 16 größten Mitgliedstaaten ausreichend (91 Prozent der Bevölkerung)
  • sechs Gründungsmitglieder der EWG können keine Mehrheit im Rat erreichen

Sperrminorität:

  • 13 Mitglieder mit den geringsten Bevölkerungsanteilen genügen (12,5 Prozent der Bevölkerung)
  • drei bevölkerungsreichsten können nur mit einem weitern Staat ein Vetoblock bilden
  • keine Sperrminorität von den 2004 beigetretenen ausübbar
  • 15 „alten“ Mitglieder und 19 Euro-Mitglieder reichen für eine QM

——eher eine Abwehrhaltung um ihre nationale Einfluss abzusichern, statt eine von Vertrauen in ihren Argumenten getragene Selbstsicherheit zu dokumentieren

17
Q

5

5.4 Reale Auswirkungen in der Vertragspraxis

A

Auswirkungen der Vertragsbuchstaben in der Praxis

dominierende Erkenntnis:

  • Bewertung des Regelwerks hängt von dem Verhaltensmuster der Regierungen ab
  • für die Ausdehnung der QM als einer strategischen Schlüsselvariable für die Beschlussfähigkeit des Rates und damit der Handlungsfähigkeit der EU insgesamt wird plädiert

tatsächliche Anwendung der QM im Rat:
-frühen Phase der Verhandlungen innere Logik auf Konsens ausgerichtet
-Mehrheitsabstimmungen als „theoretische Möglichkeit“ bzw. „leere Drohung“
—Konsens als die angemessene Verhaltensnorm — intergouvernmentale Leitidee
——Luxemburger Kompromiss (1966) hatte zu Folge das zwischen 66 und 85 Beschlüsse, bis auf wenige Ausnahmen, nur einstimmig zustande kamen

Normalität und Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen:

  • seit 2004 zwischen 11 und 22 Prozent
  • Beschlussfassung mit Mehrheiten durchaus üblich aber nicht immer genutzt
  • Minister signalisieren manchmal aus innenpolitischen Gründen das sie eine Neinstimme aufrechterhalten wollen —insgesamt mit den Ratsbeschlüsseln „leben“ können

Verhaltensmuster von Ministern:

  • Neigung zu Konsenssuche bzw. „Konsenskultur“
  • drohende Risiko einer Überstimmung dynamisiert es
  • müssen grundsätzlich beachten nicht marginalisiert zu werden

Neinstimmen bzw. Enthaltungen:

  • keine Gruppierungen oder Koalitionen
  • Großbritannien häufig überstimmt worden
  • sektorspezifische Positionen ausschlaggebend

——Bedeutung des Regelwerks und der darauf bauenden Praxis nicht allein durch diese institutionellen und prozedurale Faktoren bestimmt — „Kunst“ einer politischen Führung, Interessen zwischen den Mitgliedern des Rates verhandlungstaktisch optimal zusammenzustellen

18
Q

6 Aufbau, Arbeitsweise und Struktur

6.1 Beamtengremien: Ausprägung eines administrativen Mehrebenensystems

A

seit seiner Gründung eine zunehmend differenziertere Verwaltungsstruktur:

  • bedeutsam die Aufgaben, die nationale Administrationen bei der unmittelbaren Vorbereitung des Rates in seinen unterschiedlichen Formationen übernommen haben
  • nähere Betrachtung, stark differenziertere Formen von Ausschüssen und Arbeitsgruppen
  • „grenzüberschreitende Verwaltungspraxis“ wesentlicher Bestandteil der institutionellen Architektur der EU
    (2015: 158 Ausschüsse und Arbeitsgruppen sowie 121 Unterarbeitsgruppen)

Gruppen zur Arbeitserleichterung:

  • Vorbereitungsgremien des Rates sind teils als Ausschüsse im Lissabonner Vertrag aufgeführt
  • Oberstes Beamtengremium ist der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV, Comité des représentants permanents(COREPER)) — „Botschafter“ der Mitgliedstaaten + Kommissionsbeamten bereiten den Rat vor mit den vom Rat übertragenen Aufgaben

Hierarchie:
-AStV ist an der Spitze
-vorbereitende Arbeitsgruppen sind an einer zentralen Scharnierfunktion zwischen nationaler und europäischen Ebene
-Vertragstexte, Doppelnatur als Gremium der Vertreter der Mitgliedstaaten und als Ausschuss für die EU insgesamt Verantwortung trägt
—führt häufig zu einer Selbsteinschätzung der „Brüsseler Vertreter“ als „Ständige Vertreter“
-hohe Arbeitsintensität — zwei Sitzungen pro Woche
—AStV 1962 in zwei Ebenen geteilt: AStV I (der Stellvertreter) primär für so genannte technische Räte und AStV II für die Räte „Allgemeine Angelegenheiten“, „Justiz und Inneres“, „Auswärtige Angelegenheiten“ sowie für den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN)
-AStV II behandelt die politisch kontroversen Themen — „de facto decision maker“
-verabschiedet ca 85-90 Prozent aller Tagesordnungspunkte — als „A-Punkte“ (müssen nicht von Ministern selbst beraten werden)

neben AStV, hierarchisch gleichrangige Beamtenausschüsse in „ihrem“ jeweiligen Fachrat:

  • Sonderausschuss Landwirtschaft bereits seit den frühen Jahren EWG unmittelbaren Zugang zum Agrarrat
  • besondere Charakteristika vertraglich genannte Ausschüsse — können von sich aus Stellungnahmen an ihren jeweiligen Rat richten

Wirtschafts- und Finanzausschuss (WFA) (früherer Währungsausschuss):

  • pro Staat ein hoher Beamter aus dem Finanzministerium und der Zentralbank + zwei aus der Kommission und der EZB sind de jure unabhängig
  • Vorsitz zwei Jahre, von den Mitgliedern selbst gewählt
  • Vorsitz verfügt im ECOFIN Rederecht
  • Vorbild für andere Gremien (z.B. Beschäftigungsausschuss, Ausschuss für Sozialschutz)

durch Arbeitsgruppen mit einem ständigen Ausschuss, gestützt durch weitere Beamtengremien, die operative Zusammenarbeit im Bereich der Inneren Sicherheit fördern, haben nationale Beamte einen eigenen Zugang zu „ihren“ Rat gefunden
-Initiative zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) — durch den Lissabonner Vertrag GSVP) — Ende der 90er Jahre auch Offiziere nationaler Verteidigungsministerien im Militärausschuss und im Militärstab
einbezogen

Dritte Ebene:
-Rat, AStV un die Präsidentschaft weiterer vorbereitende Arbeitsgruppen bzw. Ausschüsse einsetzen
—Zahl von 10 auf 160 in den 2000er gestiegen
——„Rückgrat“ des Rates

19
Q

6
6.1
Dokument 8, Bestimmungen für den Wirtschafts- und Finanzausschuss

A

Art. 134 (2) AEUV
Der Wirtschafts- und Finanzausschuss hat die Aufgabe,

auf Ersuchen des Rates oder der Kommission oder von sich aus Stellungnahmen an diese Organe abzugeben;
die Wirtschafts- und Finanzlage der Mitgliedstaaten und der Union zu beobachten und dem Rat und der Kommission regelmäßig darüber Bericht zu erstatten, insbesondere über die finanziellen Beziehungen zu dritten Ländern und Internationalen Einrichtung;
unbeschadet des Artikels 240 an der Vorbereitung der in Artikel 66 […] genannten Arbeiten des Rates mitzuwirken und die sonstigen ihm vom Rat übertragenen Beratungsaufgaben und vorbereitenden Arbeiten auszuführen; […].

20
Q

6

6.2 Vorsitz: Verantwortung ohne Macht

A

Aufgabenlisten als halbjährliche rotierender Vorsitz im (Minister-)Rat und dessen Gremien:

  • mittlerweile Schlüsselposition bei der System- und Politikgestaltung der EU
  • Präsidentschaft nicht umfassend und eindeutig festgeschrieben — gewisser Spielraum/Potential an Gestaltungsmöglichkeiten
  • aus den Vertragsvorgaben und der langjährigen Praxis hat sich ein umfassender Aufgabenkatalog entwickelt

Grundlage für Präsidentschaft:
-zweimal im Jahr wechselnde Präsidentschaft
-jedes Mitgliedstaat wird gleichberechtigt behandelt
-vor 2007 alphabetische Reihenfolge
nach 2007 Gruppe mit einem Mitglied aus einem größeren, kleineren Alt- und einem 2004 beigetreten Mitgliedstaat
—wird nicht immer strikt eingehalten

Organisatorisch:
-Minister und Beamten des betreffenden Mitgliedstaat haben auf allen Ebenen der Ratstruktur den Vorsitz mit den entsprechenden Organen und Gremien
-Lissabonner Vertrag, zwei Ausnahmen: Vorsitz im Europäischen Rat führt der hauptamtliche Präsident und der Hohe Vertrer für den Vorsitz der GASP
-aufgrund der erheblichen Wachstums- und Binnendifferenzierung der Ratsstrukter erhebliche Antrengung von Politik und Verwaltung im Zeitbudget
-auf allen Hierarchieebenen sind Sitzungen vorzubereiten und zu leiten
—deutsche Präsidentschaft 1./2. Q 2007 ungefähr 250 Gremien doppelte Positionen auszufüllen

lange vor der eigentlich Präsidentschaft sind die Schwerpunkte des Arbeitsprogramm zu planen die mit Politikern, Beamten anderer Mitgliedstaaten, der Kommission und zunehmend dem EP abgesprochen werden

  • Themen ergeben sich aus den Unionsaktivitäten und aus den Vorgaben des Europäischen Rates
  • politisches Gespür vom Vorsitz wird erwartet welche Punkte Tagesrelevant sind
  • Vorbereitungen einzelner Sitzungen erfolgen in Absprache mit dem Generalsekretariats des Rates

Sitzungsleitung:

  • Abhaken von Tagesordnungspunkten und das Erteilen des Rederechts
  • guter Vorsitzt kann den Ablauf der Beratungen und Verhandlungen nachhaltig beeinflussen
  • intensive Bemühungen zur Konsenssuche werden erwartet

Konsenssuche:

  • Beichtstuhlverfahren — bilaterale Gespräche mit einzelnen Delegationen die Einwände gegen den Entwurf haben
  • Bildung kleinerer Gruppen von besonders betroffenen Staaten — „Freunde der Präsidentschaft“
  • Minister und Beamte des Präsidentschaftlandes werden in die Rolle eines „neutralen und unparteiischen Vermittlers“ oder „ehrlicher Makler“

Darstellung nach Außen:

  • als „Sprecher“ die Aufgabe — häufig zusammen mit der Kommission — die Ergebnisse der Ratssitzungen auf allen Ebenen gegenüber der Presse und insbesondere dem EP zu vertreten
  • Beantwortung von schriftlichen und mündlichen Anfragen von Abgeordneten des EP

Gesetzgebungs- und Haushaltsverfahren:
-gegenüber dem EP und der Kommission zentrale Aufgabe als Verhandlungsführer des Rates

Selbstanspruch:

  • häufig hoch
  • Mitgliedstaaten versuchen immer wieder ihre Präsidentschaft einer historischen Rolle zuzuschreiben
  • Beschlüsse zum institutionellen bzw. konstitutionellen Ausbau der EU, programmatischen Zielsetzungen einzelner Politikfelder oder zur Erweiterungsschritteen der EU voranzuschreiten

Aufgaben und Funktionen nicht mit starken Machtmitteln verbunden:

  • Vorsitz stets an die Zustimmung des Rates gebunden
  • „Vorrechte“ sind auf einige interne Verfahren und äußere Repräsentationsfunktionen begrenzt
  • auch nur zurückhaltend auszuüben
  • Möglichkeiten, umfassen eigene bzw. neue Prioritäten zu setzen
  • Tagesordnung durch Vorgaben des Europäischen Rates, das Initiativrecht der Kommission und Fristen aus Vertragsregeln festgelegt
  • Ausübung des Vorsitz mit hoher Verantwortung verbunden mit vergleichsweise geringer (Verfahrens-)Macht — „Dynamik in Zwangsjacke“
  • kleinere Staaten nutzen Vorsitz um innerhalb der EU ihr Land ein besonderes Profil zu geben
21
Q

6
6.2
Dokument 9, Aufgaben und Funktionen des Vorsitzes

A
  • Setzen von Prioritäten und Entwurf von Tagesordnungen
  • Förderung von Initiativen
  • Entwerfen von klaren und präzisen Schlussfolgerungen
  • Kompromisssuche bei Kontroversen und Vermittlung bei Konflikten
  • Überblick über organisatorische/administrative Abläufe herstellen
  • Kollektive Repräsentation des Rates (auch gegenüber Akteuren außerhalb der EU)
  • Vertretung nationaler Interessen
22
Q

6

6.3 Generalsekretariat

A

unterstützt den Rat und die Präsidentschaft:
verfügt über einen wachsenden Stab an sach- und verfahrenskundiger Beamter
ca. 3000 Beamten
werden neben Organisations- und Sekretariatsaufgaben wichtige informelle Aufgaben zugeschrieben
-liegen in prozeduralen und inhaltlichen Begleitung der Präsidentschaft und der Koordinierung mehrerer Politikfelder
-wichtige beratende Funktion im legislativen und budgetären Trilog mit EP und Kommission
-erfahrene Juristen des Rates übernehmen oft Aufgaben bei der Formulierung von Vertragsänderungen

verlor an Einfluss durch die Einführung eines hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates und dessen Kabinett

funktional nach folgenden Bereichen organisiert:

  • Juristischer Dienst
  • Generaldirektion A: Verwaltung
  • Generaldirektion B: Landwirtschaft, Fischerei, Soziales und Gesundheit
  • Generaldirektion C: Außenbeziehungen; Erweiterung und Katastrophenschutz
  • Generaldirektion D: Justiz und Inneres
  • Generaldirektion E: Umwelt, Bildung, Verkehr und Energie
  • Generaldirektion F: Kommunikation und Dokumentenmanagement
  • Generaldirektion G: Wirtschaftsbeziehungen und Wettbewerbsfähigkeit
23
Q

6

6.4 Administrative Regelungen: Sitzungsort und Sprachenregime

A

tagt — bis auf wenige Sitzungen im ersten Halbjahr in Luxemburg — im europäischen Viertel in Brüssel (nach Justus Lipsius benannt)

Sprachenregime:

  • komplex
  • alle rechtswirksamen Dokumente müssen in jede Sprache übersetzt werden
  • Arbeitsebene Sprachkombinationen bei dene nicht jede übersetzt wird
  • englisch für Fachvokabular
24
Q

7 Zusammenfassung, Diskussion und Perspektiven: Intergouvernmental und supranational

A

kontrastreiches Bild:
-vielfältige Ressortsformationen
-legislative, exekutive und koordinierende Funktionen intensiv in einem variierenden, nicht immer konfliktfrei, Zusammenspiel mit anderen Organen wahrgenommen
-zu diskutieren:
+ob eher intergouvernmentales Organ in denen die Mitgliedstaaten es zur Verteidigung ihrer nationalen Souveränität (bargaining)
+oder als Gemeinschaftsorgan mit produktiven Argumentieren (arguing) zwischen den Mitgliedstaaten und infolge der Dynamik der Mehrheitsregeln supranationale Rechtsetzungsbefugnisse ausübt

sowohl als auch:
-vertikal wie horizontal einen Ausgleich zu suchen und häufig auch zu finden
-Rat als Scharnier zwischen mehreren Ebenen und unterschiedlichen Politikfeldern
-Beteiligung der Kommissin, die Mitwirkungsform des EP un die Kontrollmöglichkeiten des EuGH — betten es in eine angemessene Gewaltenteilung ein
-Output an verbindliche Rechtsakten verdeutlicht das sie durchaus genutzt wird und damit den supranationalen Charakter des EU-Systems gestärkt hat
—Entwicklung in Richtung eines institutionellen Leitbildes nach einem „fusionierten“ Mischtypen erkennen

Binnenstruktur und Arbeitsweise „hinter verschlossenen Türen“:

  • zentralen Legitimitätsproblematik
  • mangelnde Transparenz
  • starke Mitwirkung nationaler Politiker und Beamter im Rat per se bereits ausreichende Legitimation für die Entscheidungen des EU-Systems
  • kein gutes Beispiel für die immer geforderte Transparenz
  • Öffentlichkeitsarbeit war immer wieder in der Kontroverse
  • nur Ergebnisse waren bekannt
  • Vorsitz geht weder vor der Presse in Brüssel noch bei Fragestunden im EP auf Details der Verhandlungsprozessen im Rat ein

Zugang zu Dokumenten:

  • Maastrichter Vertrag regelt Zugang
  • Abstimmungsverhalten jedes Mitgliedstaates zu beobachten
  • Lissabonner Vertrag — „der Rat öffentlich tagt, wenn er über Entwürfe zu Gesetzgebungsakten berät oder abstimmt“

Rat wird ein zentrales Testfeld darstellen, ob und wie die EU mit 27 oder mehr Mitgliedern arbeiten kann