Gerichtshof Flashcards

1
Q

1 Eckpunkte

A

Gerichtshof der Europäischen Union (GEU) — im Sprachgebrauch auch Europäischer Gerichtshof (EuGH):

  • tragende Rolle in der institutionellen Architektur des EU-Systems
  • Wahrung des Rechts bei Auslegung und Anwendung der Verträge (Art. 19 (1) EUV)
  • Kompetenzbereich: alle Politikfelder außer GASP

weitere Aufgaben können fünf Verfahrensformen im Hinblick auf System- und Politikgestaltung als zentrale Aktivitäsfelder gesehen werden:

  • Überwachung des vertragsrechtskonformen Verhalten der Mitgliedstaaten durch das Vertragsverletzungsverfahren(Art. 258, 259, 260 AEUV)
  • Überwachung der Rechtsmäßigkeit des Handelns von EU-Organen aufgrund einer Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsklage (Art. 263, 264 AEUV)
  • Gewährleistung einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts durch das Vorabentschieungsverfahren (bzw. Vorlageverfahren) (Art. 267 AEUV)
  • Erstellung eines Gutachtens über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft zwischen der Union und Dritländern oder internationalen Organisationen mit den EU-Verträgen (Art. 218 (11) AEUV)

beeinflusst mit seiner Rechtssprechung die Politikgestaltung nachhaltig
bereits in den 50er eingefügt worden

Ausbau und Differenzierung des Gerichtssystem:
-1988 Gericht erster Instanz durch den Rat
-Vertrag von Nizza: rechtliche Aufwertung zu einer eigenständigen Rechtssprechungsinstitution und Zuständigkeitsverteilung zwischen Gerichtshof und Gericht
-Gericht ist für Klagen die nicht gemäß der Satzung des Gerichtshof der EU dem Gerichtshof vorbehalten sind
—Urteilfindung bei grundlegende Fragen des Unionsrechts bleibt dem Gerichtshof vorbehalten
-Gerichtliche (Fach-)Kammern, als selbstständige gerichtliche Institutionen (seit Lissabon, permanenter Bestandteil)

Vergleich zu innerestaatliche Formen der Gerichtsbarkeit:

  • Verfassungsgericht, das das institutionelle Gleichgewicht zwischen den Institutionen definiert und bewahrt
  • Verwaltungsgericht, das die Legalität administrativer Entscheidungen überprüft
  • Revisionsinstanz gegenüber Urteilen des Gerichts (der ersten Instanz)

Prägendes Symbol von supranationaler Leitidee:
-gewährleistet einzigartige Rechtsgemeinschaft und so den „zivilisatorischen Frotschirt im Umgang mit gegensätzlichen Interessen in Europa“ sichert

intergouvernmentale Sicht:
-ferngesteurter Handlungsbeauftragter (agent) als „Vollzugsbehörde“ der Mitgliedstaaten (principals)

andere Beobachter sehen in der Rechtssprechung auch eine einseitige und unkontrollierte Ausübung und Ausweitung supranationaler Kompetenzen.
-handelt nur im Interesse der Union ohne Rücksicht auf die Befugnisse der Mitgliedstaaten

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2
Q

2 Aufgaben

Institutioneller Steckbrief

A

Aufgaben:

  • Wahrung des Rechts und Anwendung und Auslegung der Verträge
  • Vertragsverletzungsverfahren
  • Nichtigkeitsklage
  • Untätigkeitsklage
  • Vorabentscheidung
  • Gutachterinstanz

Benennung:

  • Envernehmliche Ernennung durch die Regierungen der MS
  • Ausschuss zur Prüfung der Eignung
  • Amtszeit 6 Jahre, Wiederernennung möglich
  • Wahl von 11 Generalanwälten auf 6 Jahre
  • Wahl des Präsidenten auf 3 Jahre

Aufbau:

  • GEU:
  • Sitz in Luxemburg
  • 1 Richter je MS 11 Generalanwälte
  • Gericht als eigenständiger Spruchkörper (47 Mitglieder)

Beschlussverfahren:

  • Öffentliche Verfahren
  • Sitzungen in Kammern, Plenum Ausnahmen
  • Nicht-öffentliche Beschlussfassung mit Merhheit der Richter
  • Keine Veröffentlichung von abweichenden Stellungnahmen
  • ein Generalanwalt pro Fall
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3
Q

2 Aufgaben

2.1 Geschichte, Vertragsveränderungen und wegweisende Urteile mit systemgestaltender Wirkung

A

EGKS-Vertrag galt ein unabhängiger Gerichtshof als integraler Bestandteil der institutionellen Architektur:

  • Gewaltenteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der neuen Gemeinschaft gewährleisten
  • Symbol für Rechtsstaatlichkeit

durch sukzessive Änderungen und Ergänzungen der Verträge habe die Mitgliedstaaten:

  • Zuständigkeit,
  • Sanktionsmöglichkeiten,
  • sowie Strukturen des Gerichtshof ausgebaut

Lissabonner Vertrag:
-ausgedehnt auf weitere Politikfelder (insbesonders Innen- und Justizpolitik)

Mitgliedstaaten halten sich trotz erheblicher Kritik an deren Rechtssprechung:
-Gerichtshof kann seit dem Maastrichter Vertrag, Zahlung eines Pauschalbetrags oder Zwanggeldes verhängen

Rechtsfortbildung im Mittelpunkt:
-Rechtssprechung zur „unmittelbaren Anwendbarkeit“
-„Vorrang des Gemeinschaftsrechts“
-Anerkennung der „Grundrechte als Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“
—etabliert in seinem ersten „konstitutionalisierenden“ Urteil („van Gend en Loos“ 1963) die „unmittelbare Wirkung“ des Gemeinschaftsrechts
—Möglichkeit für die Unionsbürger sich vor nationalen Gerichten auf das Gemeinschaftsrecht zu berufen

Fall „Costa/ENEL“ (1964):
-Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht
—gewährleistet dass das Gemeinschaftsrecht durch nationales Recht weder aufgehoben oder geändert werden kann
——im Lissabonner Vertrag als Grundsatz mit einer interpretationsoffenen Formel als „Erklärung zum Vorrang“ in die Rechtsakte des Primärrechtss übernommen

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4
Q

2
2.1
Dokument 1, Urteil zur unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts

A

„Das Ziel des EWG-Vertrags ist die Schaffung eines gemeinsamen Markts, dessen Funktionieren die der Gemeinschaft angehörigen Einzelnen unmittelbar betrifft; damit ist zugleich gesagt, dass der Vertrag mehr ist als ein Abkommen, das nur wechselseitige Verpflichtungen zwischen den vertragschließenden Staaten begründet. Diese Auffassung wird durch die Präambel des Vertrages bestätigt, die sich nicht nur an die Regierungen, sondern auch an die Völker richtet. Sie findet eine noch augenfälligere Bestätigung in der Schaffung von Organen, welchen Hoheitsrechte übertragen sind, deren Ausübung in gleicher Weise die Mitgliedstaaten wie die Staatsbürger berührt. […]
Aus alledem ist zu schließen, dass die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind.“ (1963)

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5
Q

2
2.1
Dokument 2, Urteil zum Vorrang von Gemeinschaftsrecht

A

„Aus alledem folgt, dass dem vom Vertrag geschaffenen, somit aus einer autonomen Rechtsquelle fließenden Recht wegen dieser seiner Eigenständigkeit keine wie immer gearteten innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgehen können, wenn ihm nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt werden soll.
Die Staaten haben dadurch, dass sie nach Maßgabe der Bestimmungen des Vertrages Rechte und Pflichten, die sie dahin ihren inneren Rechtsordnungen unterworfen waren, der Regelung durch die Gemeinschaftsrechtsordnung vorbehalten haben, eine endgültige Beschränkung ihrer Hoheitsrechte bewirkt, die durch spätere einseitige, mit dem Gemeinschaftsbegriff unvereinbare Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden kann.“ (1964)

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6
Q

2
2.1
Dokument 3, Erklärung 17 des Lissabonner Vertrags zum Vorrang der Verträge und des gesetzten Rechts der EU

A
  1. Erklärung zum Vorrang
    Die Konferenz weist darauf hin, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtssprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.
    […]
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7
Q

2

2.2 Vertagliche Vorgaben und Verfahrensformen

A

gegenwärtig gültigen Bestimmungen mehrerer Formen von Verfahren vor dem Gerichtshof:
-Vertragsverletzungsverfahren (jeder Mitgliedstaat und die Kommission klagebefugt)

  • Nichtigkeitsklage (ob Rechtsakte oder Handlungen wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrags, einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs für nichtig erklärt werden müssen) (uneingeschränkt klageberechtigt: Mitgliedstaaten, EP und Rat und Kommission; ferner klageberechtigt: Rechnungshof, EZB und Ausschuss der Regionen)
  • Untätigkeitsklage (Mitgliedstaaten und andere Organe können Klage erheben, wenn sie meinen, Rat, EP, der (Minister-)Rat, EZB oder die Kommission, unterlassen hat einen Beschluss zu fassen)
  • Verfahren der Vorabentscheidung (jedes Gericht eines Mitgliedstaates dem Gericht Fragen über die „Auslegung der Verträge“ und über die „Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union“ vorlegen — sofern die nationalen Gerichte eine Entscheidung des Gerichts zum Erlass seines Urteils für erforderlich halten)5
  • Gutachterinstanz (Rat, EP und Kommission oder die Mitgliedstaaten können den Gerichtshof ersuchen, er überprüft geplante vertragliche Vereinabrungen mit dritten Staaten und internationalen Organisationen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Vertragstext)

Weitere Verfahrensarten:

  • Amtsenthebungsklagen
  • Dienst- und Disziplinarstreitsachen
  • Schiedsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten
  • induzierte Normenkontrollverfahren zu Verordnungen
  • einstweilige Anordnungen
  • Aussetzung der Zwangsvollstreckung
  • Rechtsmittelverfahren gegen Urteile des Gericht
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8
Q

3 Aktivitätsprofil

3.1 Zur Rechtsprechung des Gerichtshofs

A

eingegangenen Rechtssachen und Urteile seit 1990 zeigt eine hohe Frequenz (auch unter Berücksichtigung der Zunahme der Mitgliedstaaten)

Auffällig, Umsetzung von Unionsrecht (compliance) nicht mit einer unterstellten Haltung zur europäischen Integration einhergeht

Erstmaliger Gebrauch von Zwangsgeld wegen Nichtbefolgung eines früheren Urteils gegen einen Mitgliedstaat: 4 Juli 2000 (gegen Griechenland)
-12. Juli 2005 erstmals sowohl Zwangsgeld als auch Strafzahlungen eines Pauschalsbetrags gegen einen Mitgliedstaat (Frankreich)

Verfahren der Vorabentscheidung:
-Regierungen und Verwaltungen sehen sich gegebenfalls mit einer supranationalen Rechtssprechung konfrontiert

Entscheidung des BVerfG am 14. Januar 2014:
-das Verfahren um die Europarechtskonformität des (OMT-)Beschluss der EZB auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zum ersten Mal eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen

Schwerpunkte der Rechtsprechung des Gerichtshofs:

  • Grundfreiheiten
  • Unionsbürgerschaft
  • Kartellrecht
  • staatliche Beihilfen
  • Datenschutz
  • Wirtschafts- und Währungspolitik
  • Sozialpolitik
  • Institutionelles Gleichgewicht
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9
Q

3

3.2 Zur Rechtsprechung des Gerichts

A

zeigt eine beträchtlichen Grad an Aktivität:
-Verfahren konzentrieren sich hier auf Rechtsmäßigkeitsprüfungen, Schadenersatzklagen sowie die Bearbeitung von Anträgen auf vorläufigen Rechtsschutz

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10
Q

3

3.3 Zur Rechtsprechung des Gerichts für den öffentlichen Dienst

A

Das Gericht für den öffentlichen Dienst weist aufgrund seiner größeren Spezialisierung einen geringeren, wenn auch weiterhin beachtlichen Grad an Aktivität auf, bei dem Klagen von Beamten gegen Beurteilungen und Beförderungen, Dienstzulagen und Bezüge sowie Kündigungen Schwerpunktbereiche bildeten

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11
Q

4 Benennung und Zusammensetzung: Vorraussetzungen und Verfahren

A

Die Regierungen der Mitgliedstaaten erben für den Gerichtshof in gegenseitigem Einvernehmen je:

  • einen Richter pro Mitgliedstaat auf 6 Jahre
  • seit 2015 elf Generalanwälte
  • Wiederernennung ist möglich
  • Vorraussetzung für die Nominierung: Befähigung für die Ausübung der höchsten richterlichen Ämter des Ursprungslandes und Gewähr für Unabhängigkeit

Neubesetzung alle 3 Jahre

Zahl der Mitglieder des Gerichts (2017) auf 47 erhöht

(Aus-)Wahl ohne öffentliche Anhörung der Kandidaten durch nationale Organe oder durch das EP:
-Ausschuss der vor der Ernennung eine Stellungnahme über die „Eignung der Bewerber“ abzugeben hat
—dieser Ausschuss verringert die Neigung von Mitgliedstaaten, ungeeignete oder „(partei)politische“ Vorschläge zu unterbreiten

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12
Q

4

Dokument 4, Vertragliche Vorgaben

A

Art. 19 (2) EUV
Der Gerichtshof besteht aus einem Richter je Mitgliedstaat. Er wird von Generalanwälten unterstützt.
Das Gericht besteht aus mindestens einem Richter je Mitgliedstaat.
Als Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs und als richter des Gerichts sind Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und die Vorraussetzungen der Artikel 253 und 254 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllen. Sie werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt. Die Wiederernennung ausscheidender Richter und Generalanwälte ist zulässig.

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13
Q

5 Beschlussverfahren: Arbeitsteilung zwischen Kammern

A

Gerichtshof tagt intern in einzelnen Kammern von drei oder fünf Richtern:

  • Gerichtshof als „Große Kammer“ — 15 Richter, besonderen Fällen als „Plenum“ mit allen Richtern
  • pro Fall aus der Mitte der Kammer ein Berichterstatter — bereitet Urteilsfindung vor
  • Verhandlungen sind öffentlich, Beratungen innerhalb des Organs nicht
  • Generalanwalt bereitet die anhängige Streitsachen auf und stellt sogenannte Schlussanträge mit einem konkreten Entscheidungsvorschlag

Prozessverlauf:

  • festgelegtes öffentliches Verfahren, in schriftliches und ein mündliches Verfahren gegliedert
  • Erste Phase: Direktlagen, Klageschrift, in Vorabentscheidungsverfahren der Beschluss des nationalen Gerichts bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht (Klage samt Klagegründen wird von der Kanzlei im Amtsblatt der EU veröffentlicht)
  • Zweite Phase (mündliches Verfahren): Richter als auch Generalanwälte können die Prozessbeteiligten befragen (Abschrift des Vorlagebeschlusses wird an die Kommission, Mitgliedstaaten, und falls betroffen der Rat weitergegeben um sie nicht auszugrenzen)
  • Beschluss des Gerichts kommt auf der Grundlage eines Entwurfs des Berichtserstatter — gegebenfalls durch eine Mehrheitsentscheidung — zustande (zusammen mit den Schlussanträgen in allen Amtssprachen in der amtlichen „Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz“ veröffentlicht)

mit dem Gericht ist ein zweistufiges Verfahren möglich

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14
Q

6 Aufbau und Arbeisweise: Übersicht über das Gerichtssystem

A

Verträge haben die (Binnen-)Struktur des Gerichtssystems ausgebaut:
-Präsident des Gerichtshofs steht der Verwaltung vor
-Gerichtshof wählt auf sechs Jahren einen Kanzler, der die Aufgaben der Justizverwaltung übernimmt (zugleich Generalsekretär des Gerichtshofs)
-administrativer Unterbau die Generaldirektionen:
+ „Personal und Finanzen“
+ „Bibliothek, Wissenschaftlicher Dienst und Dokumentation“
+ „Infrastrukturen“
+ „Protokoll und Besuch“
+ „Kommunikation“
+ „Dolmetschen“
+ „Übersetzung“
-ein „Rechtsberater für Verwaltungsangelegenheiten“ existiert auch

Gericht verfügt über eine eigene Kanzlei — greift ansonsten auf den Verwaltungsapparat des Gerichtshofs zu

-Gericht und Gerichtshofs sitzen in Luxemburg

Sprachregime ist komplex:

  • grundsätzlich alle Amtssprachen
  • Wahl obliegt dem Kläger
  • wenn der Beklagte ein Mitgliedstaat oder eine juristische oder natürliche Person aus einem der Mitgliedstaaten handelt, muss als Verfahrenssprache die jeweilige Amtssprache gewählt werden
  • (mündliche Verhandlungen werden nach Bedarf simultan in die Amtssprachen der EU übersetzt)
  • interne Amtssprache ist Französisch
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15
Q

6

Abb. 5 Binnenstruktur

A

Gerichtshof und Gericht nebeneinander

im Gerichtshof:

1) Präsident und 28 Richter
2) Kammern (3 oder 5 Richter), Große Kammer (13 Richter) und Plenum
3) drunter Kanzler des Gerichtshof/ Generalsekretär

im Gericht:

1) Präsident und 46 Richter
2) Einzelrichter, Kammern (3 oder 5 Richter), Große Kammer und Plenum
3) darunter Kanzler des Gerichts/Kanzlei

unter den Kanzlern:
-Generaldirektionen

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16
Q

7 Zusammenfassung, Diskussion und Perspektiven: Integrationsmotor in der Kontroverse

A

Bedeutung intensiv zu diskutieren:

  • wesentlicher Ausgangspunkt, Gerichtshof eigenständige Rechtsordnung etabliert und dabei die vertragliche Vorgaben extensiv auslegt
  • nachhaltigen Effekt auf die Union und ihre Mitglieder
  • zu diskutieren: ob der Gerichtshof im Rahmen der vertraglichen, d.h. konstitutionellen Vorgaben bleibt oder die Grenzen des Primärrechts überschreitet und damit „ultra vires“ wird

Denkschule „Integration durch Recht“:
-Argumentationslinie mit Augenmerk auf die Rechtsfortbildung durch Entscheidungen des Gerichtshofs
-Gerichtshof mit der Kommission, Möglichkeit Entscheidungen herbeiführen, die sich von der Verabschiedung oder Veränderung von Richtlinien oder von Vertragsrevisionen nicht unterscheiden
—Kritik, zunehmend in wirtschaftlicher Liberalisierung stattfindend, damit auf die verschiedenen Ökonomien der Mitgliedstaaten unterschiedlich wirkende, demokratisch unzureichend legitimierte Entscheidungen fällt

Jüngere Forschung:

  • Frage wie die integrationsfreundliche Rechtsprechung des Gerichtshof zu erklären ist
  • akteursbezogene Erklärungen wie die Vorprägung der Richter sowie Gruppenidentitäten im soziologischen Sinn wesentlich zum Verständnis über die Motivation der Richterschaft beitragen können

Ausgangspunkt,strukturelle Bedingungen der institutionellen Architektur ein:
-ausgeprägte Rolle ist demnach nicht allein oder vielleicht nicht wesentliche auf die eher integrationsfreundliche Grundstimmung der Luxemburger Richter
-sonder auf gewollte oder ungewollte Eigenschaften des EU-Mehrebenensystems:
+Aufgabe als richterliche Letzentscheidungsinstanz, wenn Vertragsbestimmungen und Rechtsakten unionsweit eingehalten werden sollen
+Schwäche und Defizite in der institutionelle Architektur können zu Blockaden führen (Umfang und Intensität der Rechtsprechung ,Ersatz‘ für Entscheidugen der ,normalen‘ Politik- und Systemgestaltung erklären
+vernküpfte Begründung verweist auf wesentliche Eigenschaften der Rechtstexte: Formulierungen des Vertrags und sekundärer Rechtsakte sind aufgrund des Konsenszwanges durch einen beträchtlichen Grad an Mehrdeutigkeit geprägt — Kompromisscharakter der verabschiedeten Gesetzgebung führt im konkreten Einzelfall immer wieder zu Konflikten

17
Q

7

Argumentationslinien im Hinblick auf die Leitideen

A

Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“:
-aus Sorge vor mangelnder Vertragstreue und Rechtsunsicherheit den Gerichtshof immer wieder im Sinne eines aufgeklärten Eigeninteresses an einem Funktionieren des EU-Systems gestärkt haben
-politische Perspektive: Gerichtshof als ,Trittbrettfahrer‘ (free rider), das von den positiven Wirkungen der Vertragstreue anderer Staaten profitieren, ohne sich selbst den Verpflichtungen zu unterwerfen
—Interesse der Mitgliedstaaten an einem derartigen Gerichtshof funktional begründet
——Gerichtshof nur sehr allgemein als ,(fern-)gesteuerter Handlungsbeauftragter‘ (agent), Begriff eines weitgehend autonomen Treuhändler („Trustee“), der im Grundinteresse der Mitgliedstaaten systemtragende und -erhaltende Funktionen übernimmt

zugunsten der Unionsebene entscheidet als „Integrationsfaktor erster Ordnung“:
-Symbol und aktiver Träger einer supranationalen Leitidee
—„supranationaler Treuhändler“ möglich

Diskussion eines „Richterstaat“:

  • „gouvernement des judges“
  • Zentralisierungstendenzen zugunsten der europäischen Ebene

Frage nach der Legitimität einer obersten Instanz:

  • Forderungen nach Begrenzung der Rechte des GEU oder nach einer weiteren, „übergeordneten“ Instanz,
  • die sich mindestens in Fragen der Subsidiarität aus Verfassungsrichtern der Mitgliedstaaten und Richtern des Gerichtshofs zusammensetzt

grundsätzliche Debatte, Rolle des Gerichtshofs im Verfahren der Vorabentscheidungen mit besondere Wirkungen auf die EU als Mehrebenensystem:
-Verfahren führt die Kooperation mehrerer Ebenen der Gerichtsbarkeit zu einer „Gemeinschaft der Gerichte“ — gelebte Mehrebenenverfassung bzw. „Europäischen Verfassungsverbund“
——Teilung von Kompetenzen als Bestand eines Prozesss der vertikalen Fusion im EU-Mehrebenensystem