Kapitel 3: Willensmängel und Anfechtung von Willenserklärungen Flashcards
Was versteht man unter einem Scheingeschäft, und welche Regelung trifft das BGB diesbezüglich? Geben Sie bitte ein Beispiel zur Erläuterung.
Das Scheingeschäft oder simulierte Geschäft wird in § 117 BGB geregelt. Nach Abs. 1 ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung nichtig, wenn sie mit dem Einverständnis des Erklärungsempfängers nur zum Schein abgegeben worden ist. Verbirgt sich dahinter ein anderes Rechtsgeschäft, das sog. verdeckte oder dissimulierte Geschäft, so finden die für dieses Geschäft geltenden Vorschriften Anwendung (§ 117 Abs. 2 BGB). Der klassische Beispielsfall ist der sog. „Schwarzkauf„: Bei einem Grundstücksverkauf einigen sich Eigentümer und Käufer schriftlich auf einen höheren Kaufpreis, geben im notariellen Kaufvertrag aber nur einen niedrigeren Kaufpreis an, um Notarkosten und Grunderwerbsteuern zu sparen. Der notarielle Kaufvertrag (§§ 433, 311b Abs. 1 Satz 1 BGB) ist gem. § 117 Abs. 1 BGB nichtig, weil der niedrigere Kaufpreis nicht gewollt ist. Der verdeckte schriftliche Kaufvertrag ist zwar gewollt, mangels notarieller Beurkundung aber gem. §§ 311b Abs. 1 Satz 1, 125 Satz 1 BGB nichtig. Wirksam werden kann er erst im Wege der sog. Heilung gem. § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB, und zwar durch die Eintragung des K als Eigentümer in das Grundbuch (vgl. §§ 873 Abs. 1, 925 BGB).
Welche drei Grundvoraussetzungen müssen für eine wirksame Anfechtung erfüllt sein?
Eine wirksame Anfechtung setzt eine Anfechtungserklärung (§ 143 BGB), einen Anfechtungsgrund (§§ 119, 120, 123 BGB) und die Einhaltung der Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB) voraus.
Welcher Irrtum berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung? Geben Sie dazu bitte ein Beispiel.
Irrtümer im Bereich der Willensbildung, die nur „im Vorfeld„ der Willenserklärung liegen, berechtigen grundsätzlich nicht zur Anfechtung. Derartige Motivirrtümer sind grundsätzlich unbeachtlich. Kauft etwa die K im „Büdchen„ des B eine Flasche „Killepitsch„, weil sie abends bei Freunden eingeladen ist, und fällt das Essen aus, kann sie deswegen nicht den Kaufvertrag mit B anfechten. Der Irrtum der K, das Essen werde stattfinden und sie brauche deshalb den „Killepitsch„ als Gastgeschenk, ist ein bloßer Motivirrtum.
Welche Willensmängel berechtigen zur Anfechtung?
Zur Anfechtung berechtigen der Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1, 1. Fall BGB), der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1, 2. Fall BGB), der Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB) und der Übermittlungsfehler (§ 120 BGB) sowie die arglistige Täuschung (§ 123 Abs. 1, 1. Fall BGB) und die widerrechtliche Drohung (§ 123 Abs. 1, 2. Fall BGB).
Erläutern Sie bitte den Unterschied zwischen Inhalts- und Erklärungsirrtum.
Ein Inhaltsirrtum i. S. von § 119 Abs. 1, 1. Fall BGB liegt vor, wenn der Erklärende zwar das erklärt hat, was er erklären wollte, seiner Erklärung aber eine andere Bedeutung zugemessen hat, als ihr in Wirklichkeit zukommt. Der Erklärende verwendet zwar dasjenige Erklärungszeichen, welches er auch verwenden wollte, misst ihm aber eine andere, falsche Bedeutung bei. Der Irrtum besteht „im Kopf„. Solche Inhaltsirrtümer kommen häufig bei Fachbegriffen vor.
Im Unterschied dazu handelt es sich gem. § 119 Abs. 1, 2. Fall BGB um einen Erklärungsirrtum oder eine „Irrung„, wenn der Erklärende ein Erklärungszeichen benutzt, das er gar nicht verwenden wollte. In diesem Zusammenhang wird auch von einem Irrtum in der Erklärungshandlung gesprochen. Der Irrtum erfolgt „durch die Hand„. Gemeint sind die klassischen Fälle des Verschreibens, Vertippens oder Versprechens.
Was ist damit gemeint, wenn man, vor allem im Zusammenhang mit dem Inhaltsirrtum, vom Vorrang der Auslegung vor der Anfechtung spricht?
Ein Irrtum, insbesondere der Inhaltsirrtum, setzt voraus, dass der Erklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont eine andere Bedeutung zukommt, als sie ihr der Erklärende subjektiv beigemessen hat. Der Erklärende irrt über die objektive Bedeutung seiner Erklärung. Deshalb hat die Auslegung Vorrang vor der Anfechtung: Sie muss ergeben, dass die Erklärung objektiv anders zu verstehen ist, als sie der Erklärende gemeint hat. Andererseits schadet die objektive Falschbezeichnung nicht, wenn der Empfänger sie richtig verstanden hat („falsa demonstratio non nocet„).
Wann berechtigt ein Übermittlungsfehler zur Anfechtung?
Nach § 120 BGB kann der Erklärende anfechten, wenn seine Willenserklärung entweder durch eine Übermittlungsperson, z. B. einen Boten oder Dolmetscher, unbewusst unrichtig übermittelt worden ist. Das Gleiche gilt bei der fehlerhaften Übermittlung durch eine Einrichtung der modernen Telekommunikation und des elektronischen Rechtsverkehrs, also z. B. bei der Übermittlung einer Willenserklärung per Telegramm, Telefax, Teletext, SMS oder E-Mail.
Wann berechtigt ein Motivirrtum ausnahmsweise zur Anfechtung?
Ein Motivirrtum berechtigt ausnahmsweise dann zur Anfechtung, wenn es sich um einen Eigenschaftsirrtum i. S. des § 119 Abs. 2 BGB handelt.
Was versteht § 119 Abs. 2 BGB unter der verkehrswesentlichen Eigenschaft einer Sache? Erläutern Sie anhand von Beispielen, wann diese Voraussetzungen erfüllt sind und wann nicht.
Zunächst muss es sich um eine Eigenschaft der Sache handeln. Darunter versteht man alle der Sache dauerhaft anhaftenden wertbildenden Faktoren. Dazu gehören zum einen alle Merkmale, die der Sache infolge ihrer natürlichen Beschaffenheit auf Dauer anhaften, wie z. B. Unfallfreiheit, Baujahr, Modelljahr und Laufleistung eines Autos oder Lage und Größe eines Grundstücks. Zum anderen kommen solche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Gegenstands in Betracht, die infolge ihrer Beschaffenheit und Dauer Brauchbarkeit und Wert beeinflussen. Beispiele sind die Bebaubarkeit eines Grundstücks und die Unverbaubarkeit eines Seeblicks. Keine Eigenschaft einer Sache ist dagegen der Wert selbst, weil er ihr nicht unmittelbar und nicht auf Dauer anhaftet, sondern sich aufgrund bestimmter Eigenschaften der Sache bildet und den Schwankungen des Marktes unterliegt.
Außerdem muss die Eigenschaft verkehrswesentlich sein. Verkehrswesentlich sind die genannten Faktoren, wenn sie nach dem Inhalt des konkreten Rechtsgeschäfts aus der Sicht der Vertragsparteien wichtig sind. Diese Bedeutung lässt sich bei entgeltlichen Geschäften am leichtesten am Preis erkennen.
Wann liegt ein nach § 119 Abs. 2 BGB beachtlicher Irrtum über die Eigenschaft einer Person vor? Nennen Sie dazu bitte ein Beispiel.
Nach der obigen Definition ist die Eigenschaft einer Person verkehrswesentlich, wenn sie einen spezifischen Bezug zum Inhalt des konkreten Rechtsgeschäfts hat. Danach spielt die Kreditwürdigkeit des Käufers zwar bei einem Kauf auf Abzahlung, nicht aber bei einem Barkauf eine Rolle. Auf die politische Einstellung einer Person kann es ankommen, wenn sie als Chefredakteur einer Tageszeitung, nicht aber, wenn sie als Hausmeister eingestellt werden soll.
Wann ist die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB ausgeschlossen?
Die Anfechtung nach §119 Abs. 2 BGB ist zum einen dann ausgeschlossen, wenn sie dazu führen würde, dass sich der Erklärende der Übernahme des vertragstypischen Risikos entziehen kann. Deshalb kann z. B. der Bürge die Abgabe seiner Bürgschaftserklärung nicht mit der Begründung anfechten, er habe sich über die Zahlungsfähigkeit des Hauptschuldners geirrt. Es ist gerade der Zweck der Bürgschaftserklärung, dem Bürgen dieses Risiko aufzuerlegen.
Zum anderen kann die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB durch Sonderregelungen wie die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften der §§ 437 ff. BGB verdrängt werden. Weist die Kaufsache einen Mangel i. S. der §§ 434 oder 435 BGB auf, fehlt ihr damit regelmäßig zugleich eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Nach herrschender Auffassung kann der Käufer in einer solchen Situation nur die Gewährleistungsrechte nach den §§ 437 ff. BGB geltend machen, weil das Kaufrecht in § 438 BGB andere Verjährungsfristen vorsieht als § 121 BGB für die Anfechtung, weil der Käufer bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels keine Gewährleistung verlangen kann (§ 442 Abs. 1 Satz 2 BGB) und weil die Parteien in den Grenzen des § 444 BGB einen Haftungsausschluss vereinbaren können. Da der Mangel gem. § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB bei Gefahrübergang vorliegen muss, gilt der Ausschluss der Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB grundsätzlich ab diesem Zeitpunkt.
Muss der Irrtum kausal für die Abgabe der Willenserklärung sein?
Ja, weil eine Erklärung gem. § 119 Abs. 1 a. E. BGB trotz des Irrtums nicht anfechtbar ist („es sei denn„), wenn der Erklärende sie bei Kenntnis der Sachlage (subjektiv erheblich) und bei verständiger Würdigung des Falles (objektiv erheblich) nicht abgegeben haben würde.
Welche Voraussetzungen muss eine wirksame Anfechtungserklärung erfüllen?
Zunächst muss die Anfechtungserklärung inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Der Anfechtende muss nicht den Begriff der Anfechtung verwenden, sondern es genügt, wenn sich der Wille zur rückwirkenden Vernichtung der Willenserklärung (vgl. § 142 Abs. 1 BGB) wegen eines Irrtums im Wege der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB aus der Erklärung ergibt.
Da die Anfechtungserklärung gem. § 142 Abs. 1 BGB die Willenserklärung rückwirkend vernichtet und damit die Rechtslage gestaltet, darf sie grundsätzlich keine Bedingung oder Befristung enthalten. Das liegt im Interesse des Anfechtungsgegners, der Klarheit darüber haben muss, ob das Rechtsgeschäft gilt oder durch Anfechtung vernichtet worden ist. Konsequenterweise wird es für zulässig erachtet, die Anfechtung unter einer solchen Bedingung zu erklären, deren Eintritt allein von einer Handlung des Anfechtungsgegners abhängt (Potestativbedingung).
Außerdem muss die Anfechtung gegenüber dem richtigen Anfechtungsgegner erklärt werden. Das ist bei einem Vertrag der Vertragspartner (§ 143 Abs. 2 BGB), bei einem einseitigen Rechtsgeschäft der Empfänger der (anzufechtenden) Willenserklärung (§ 143 Abs. 3 BGB).
Schließlich muss die Anfechtung als empfangsbedürftige Willenserklärung dem Anfechtungsgegner zugehen, damit sie gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam wird.
Muss die Anfechtung wegen eines Irrtums gem. §§ 119, 120 BGB sofort erklärt werden?
Nein, gem. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB muss eine solche Anfechtung nicht sofort, sondern unverzüglich erfolgen. „Ohne schuldhaftes Zögern„ bedeutet, dass der Irrende eine Bedenkzeit hat, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Er darf sich insbesondere überlegen, ob er das Geschäft gegen sich gelten lassen will, oder ob er lieber anficht und nach § 122 Abs. 1 BGB Schadensersatz leistet. Teilweise wird als absolute Obergrenze die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB entsprechend herangezogen; im Einzelfall und vor allem bei einfach gelagerten Fällen wird die Frist indessen wenige Tage betragen.
Welche Rechtsfolge hat die wirksame Anfechtung in Bezug auf die angefochtene Willenserklärung?
Die wirksame Anfechtung eines Rechtsgeschäfts führt gem. § 142 Abs. 1 BGB zu seiner rückwirkenden Nichtigkeit (Nichtigkeit ex tunc). Handelt es sich bei dem Rechtsgeschäft um das Angebot zum Abschluss eines Vertrags oder um die Annahme, so ist der Vertrag rückwirkend nichtig. Zwar kann der Berechtigte nur seine eigene Willenserklärung und entgegen dem üblichen Sprachgebrauch nicht den Vertrag als Ganzen anfechten. Die rückwirkende Nichtigkeit einer der beiden für den Vertrag notwendigen Willenserklärungen führt aber zur Nichtigkeit des Vertrags selbst.
Ausnahmsweise hat die Anfechtung entgegen § 142 Abs. 1 BGB keine Rückwirkung, sondern sie wirkt, wie eine Kündigung, nur für die Zukunft (Nichtigkeit ex nunc), wenn es sich um ein bereits in Vollzug gesetztes Dauerschuldverhältnis handelt. Da sich ein Dauerschuldverhältnis nicht auf den einmaligen Austausch einer Leistung und einer Gegenleistung beschränkt, würde die Rückabwicklung zu erheblichen Schwierigkeiten führen, wenn der Berechtigte erst nach einiger Zeit vom Anfechtungsgrund erfährt und sein Anfechtungsrecht ausübt. Beispiele sind der Arbeitsvertrag und der Gesellschaftsvertrag.