Europäisierung Flashcards
Europäisierung des politischen Systems?
Tendenzen und Grenzen
(Vorwort)
2 „Basisentscheidungen“ trafen die bundesdeutsche Außenpolitik („Westbindungspolitik“ und „Neue Ostpolitik“):
-89/90 3. Wiedervereinigung
-4. Serie aus europapolitischen Beschlüssen (übertrug die BRD Hoheitsrechte an die europäische Staatengemeinschaft) (Maastrichter Vertrag)
-Europapolitik der BRD wirkte tatkräftig auf die mehrfache Erweiterung der Union und europäische Integration
—als „integrationsfreudiger Paradeeuropäer“ tituliert
-durch den Souveränitätstranser wurde Deutschland Teil eines Mehrebenensystems
—oberste Etage Institutionen der EU; 2. Stockwerke des Bundes; 3. Länder; 4. Gemeinden
——dieses Mehrebenensystem sei in einem so großen Maße EU-imprägniert
—Im Ergebnis: hierzulande das „neue deutsche Regierungssystem“ entstanden
- Strukturen der Europäischen Union
Übertragung der Hoheitsrechte an die EU ist Deutschland zum Mitgliedstaat eines Staatenverbundes und eines politischen Systems eigener Art geworden:
- EU weder „Monopol der legitimen physischen Gewaltsamkeit“
- weder noch das Recht, Steuern oder Sozialabgaben zu erheben noch einen Verwaltungsunterbau (Max Weber`schen Sinn)
- EU mehr eine Konföderation
- etliche Politikfeldern supranationale Züge
- kein Bundesstaat sonder ein „Staatenverbund“ (Terminologie des BVerfG)
Staatenverbund:
-Mitgliedsstaaten als Teil einer Vertrags-, Rechts- und Wertegemeinschaft
-Kern ökonomischer Art
—von „Liberalisierungspolitik“ geprägter Binnenmarkt mit Freizügigkeit von Waren, Kapital, Arbeit und Dienstleistungen
-europäische Integration „primär Marktintegration“ und dann auch politische Integration
politische Integrationsprojektes basiert auf:
- regulativer Politik
- im Wesentlichen Geboten, Verboten, Verhandlungen und Überzeugungen
- geschaffener „regulativer Staat“ arbeitet mit Richtlinien und Verordnungen
- sowie weicheren Verfahren der Steuerung — Methode der offenen Koordination (Mitgliedstaaten gezwungen Berichterstattung und zum Benchmarking)
Wirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts:
- einschließlich Beschlüsse des EuGH
- als „coup-d`état“ qualifizierte Rechtssprechung vor dem Recht der Mitgliedstaaten
- Die Thesse vom „neuen deutschen Regierungssystem“
Lehre vom „neuen deutschen Regierungssystem“ zufolge hat die Europäisierung die politischen Institutionen, Entscheidungsprozesse und die Politikfelder in Deutschland zutiefst geprägt:
-dafür spricht zunächst die Doktrin des EuGH
-verfassungsrechtlich ermöglicht durch die Weichenstellung des GG zugunsten des „offenen Staates“
—Bundesgesetzgeber hat diese Möglichkeit genutzt und Souveränitätsrechte in etlichen Politikfeldern teilweise nahezu vollständig auf die EU zu verlagern
4 weitere Stellen nimmt das GG Bezug auf die EU:
- BR und BT wirken bei der Entwicklung der EU mit (Art. 23 I)
- Europagremium des BT eingerichtet worden — Auschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union“ (Art. 45)
- Aufgaben und Befugnisse der Bundesbank im Rahmen der EU der EZB übertragen werden können (Art. 88) — unabhängig und vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität
- Bund und Länder sich die Finanzierung von Lasten aufteilen, die durch die Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands entstehen (Art. 104a VI)
2.1 Europäisierung der politischen Institutionen
Abgabe von Hoheitsrechten bedeutet nicht nur Kompetenzverlust:
- bringt auch Mitwirkungschancen in der Willensbildung und den Entscheidungsprozessen der EU
- Beteiligungschancen in der Kommission, im Rat, Europäischen Rat, EZB, EuGH und im EP
Mitwirkung laboriert allerdings an Repräsentationsmängeln:
- gemessen an Bevölkerungszahl im EP unterrepräsentiert
- unterrepräsentiert im Rat, Kommission, im EuGH und besonders im Rat der EZB (aufgrund ihrer Wirtschaftskraft 30% der Kosten haftet)
Gewinner und Verlierer:
-Bedeutungszuwachs der europäischen Gesetzgebung — BT, BR Integrationsverlierer
-spürbarer Verlust an legislativen Aufgaben der nationalen Parlamente
—Parlamente bei der Entwicklung des gemeinschaftlichen Primärrechts „das letze Wort“ (Änderung der Gemeinschaftsverträge nationale Ratifizierungsgesetz bedarf)
-Länder und Kommunen tendenziell marginalisiert — europäische Gesetzgebung und Wirkungen des gemeinsamen Binnenmarktes
-EuGH mächtiger Gegenspieler für das BVerfG
-deutsche Bundesbank „Integrationsverlierer“ par excellence (Übertragung der Geldpolitik und damit den preisstabilitätspolitischen Pfeiler des „mittleren Weges“ der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik manövriert)
Integrationsverlierer:
- Exekutive des Bundes (sowie zentralstaatliche Exekutiven)
- zunehmende Exekutivlastigkeit des politischen Geschehens und abnehmende Bedeutung der gesetzgebende Gewalt
Parteien:
- nationalstaatliche Gestaltungschancen verloren, anderseits viel bewahren können
- sind größtenteils nationalstaatlich verankert
- Erfolg oder Misserfolg der Parteien hauptsächlich Wahlen zu den nationalen Parlamenten nicht die Wahlen zum EP
- Interessengruppen (insbesondere großen) viel stärker europäisiert als die Parteien — Lobbyisten in Brüssel und Straßburg
Demos:
- in Deutschland werden EU-Angelegenheiten bislang weitgehend ignoriert oder stillschweigend akzeptiert
- Europäisierung wird „kaum öffentlich wahrgenommen“
- der EU mangelt es an einem europäischen Demos mit einer „Erinnerungs-, Erfahrungs- und Kommunikationsgemeinschaft“
- EP kein vollwertiges Parlament (mobilisiert bei Wahlen nicht mal die Hälfte der Wahlberechtigten)
- beträchtlicher Teil der politischen Führung besteht aus Führungskräften die von den Bürgern nicht gewählt wurden und nicht abgewählt werden können
2.2 Europäisierung der Staatsaufgaben: Tendenzen seit 1957
inwieweit hat sie die Staatstätigkeit geprägt (Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt- und Außenpolitik bspw.):
-genauere Messungen von Lindberg und Scheingold 1970
—Europäisierungsgrad von Entscheidungsprozessen der damaligen EG anhand fünferskala der Souveränitätsaufteilung zwischen nationaler und europäischer Politikebene
—Rang 1: rein nationalstaatliche Entscheidungsprozesse
—Rang 2: geringe Vergemienschaft
—Rang 3: höheres Maß an Europäisierung, wenngleich die nationstaatliche ebene noch dominiert
—Rang 4: Vorrang der Vergemeinschaftung, Politikfelder europäische Ebene dominiert, nationalstaatliche noch mitbeteiligen
—Rang 5: vollständige Europäisierung eines Politikfeldes
Europäisierungsgrad anhand vier Zeitpunkten: 1957, 1968, 1993 und 2015:
1957 (Römische Verträge)
1968 (Europäisierung nach einer Dekade)
1993 (Maastrichter Vertrag)
2015 (letzte Untersuchungsperiode des Buches)
1957-1968:
-Staatstätigkeiten eine Sache der Nationalstaaten
-Dekade später Europäisierung sichtbare Spuren in den öffentlichen Aufgaben hinterlassen
-in Agrar-, Wettbewerbs- und der Außenwirtschaftspolitik
-großen Sprung vorwärts in den darauf folgenden Jahrzehnten — seither Souveränität in etlichen Politikbereichen stärker auf die EU und Mitgliedstaaten aufgeteilt
—auffallend, in keinem Politikfeld eine Renationalisierung
Europäisierung mittlerweile meisten Politikfelder:
-manchen sogar die EU der eindeutige Gewinner der Souveränitätsaufteilung
—Paradebeispiel: Währungs- und Geldpolitik
—Wirtschaftspolitik europapolitisch und -rechtlich in erheblichem Maße beeinflusst (von Liberalisierungspolitik)
—Finanzpolitik, insbesondere Fragen der Neuverschuldung und des Schuldenstandes teilweise europarechtlich geregelt
——sozialpolitische Regulierung der Arbeitswelt, meistens nur leichtgradig
Kernsysteme der sozialen Sicherung eine andere Logik:
-Organisation, Finanzierung und Leistungserbringung — Nationalstaatssache
-Kernbereiche der sozialen Sicherungssysteme — Europäisierungsgrad 2
-Armutszeugnis- und Exklusionsbekämpfung ebenfalls nicht weit gekommen
—nationale Sozialpolitik viel mächtiger als die 50:50-Machtverteilung
Europäisierung der Steuerpolitik:
-EU kein Hebel bei den Sozialabgaben
—fehlen jegliche Kompetenzen zur Steuererhebung
wenige Politikfelder nicht oder nur gering berührt:
-aber etliche politisch wichtig — bspw. Lohnpolitik und Arbeitskampfrecht
-überschaubar in der militärischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der europäischen Länder — Einbindung in die NATO geprägt
-Folgen des 2. Weltkrieges — Wiedergutmachung
—gleiches für Besonderheiten des deutschen öffentlichen Dienstes, insbesondere Berufsbeamtentum
Außenpolitik:
- Asyl- und Migrationspolitik tut sich die EU bislang schwer
- Steuerungslücke
- zwar stationäre Grenzkontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft
- allerdings erforderliche systematische Kontrolle der Außengrenzen nicht zustande gebracht
- Beabsichtigte und unbeabsichtigte Folgen der Aufgabeneuropäisierung
der öffentlichen Aufgaben mittlerweile insgesamt einen beachtlicher Stand:
-wirtschaftspolitischen Feldern den Spielraum für autonome politische Gestaltung beträchtlich beschränkt und in der Geldpolitik fast vollständig beseitigt
-Weg zu einem nationstaatlichen Management ökonomischer Krisen extrem erschwert
—viele Politikfelder nur in gemäßigtem Umfang vergemeinschaftet worden
Folgen:
- Europäisierung bedeutet zunehmende Interdependenz von nationalstaatlicher Politik
- supranationalem Regieren und Integouvernmentalismus
- zudem eine komplexere Verflechtung in einem Mehrebenensysem
in diesem Mehrebenensystem:
-hohem Maße departmentalisierte Politik betrieben und mit einer politischen Maschinerie gearbeitet — anfällig für kleinteilige Regelungen und zu vieles versprechenden „Ankündigungspolitiken“ neigt
-erheblichen Bedeutungsverlust herkömmlicher nationalstaatlicher Politik und der dort verankerten Demokratie — wird kaum auf europäischer Ebenen kompensiert
—wächst eher die Bürokratie — Herrschaft der Verwaltung (Gemeinwesen der EU eher ein bürokratische Konsoziation)
keine Politik in einem Guss:
- zu hohe Vetospielerdichte
- heterogene parteipolitische Zusammensetzung ihrer Mitgliedstaaten
- Unterschiede im ökonomischen Entwicklungsstand, politischen Kultur
Steuerungsmodus — regulative Politik:
-fiskalische Impotenz und hauptsächliche regulative Charakter zeigen aber auch Zuwachs der öffentlichen Aufgaben ohne die Expansion öffentlicher Ausgaben verwirklicht werden kann
-„Big Government“ 2 Gesichter in Europa
—1. vollschlanke Steuer- und Wohlfartsstaat auf nationaler Ebene der im großem Stil mit Geld und Dienstleistungen lenkt
—2. in der EU zum Zuge kommende Staat, der nicht vorrangig mit Geld oder Dienstleistungen operieret, sondern mit regulativer Politik
- Tendenzen und Grenzen der Europäisierung
Europäisierung habe „das deutsche Regierungssystem dauerhaft fundamental verändert“ und werde es auch weiterhin verändern
Tendenzen der Europäisierung sind offensichtlich und ihre Grenzen unübersehbar:
- bewirkt Wander der Aufgabenverteilung zwischen nationaler und europäischer Politik (je nach Politikfeld und Akteur unterschiedlich)
- in manchen Bereichen weit vorangeschritten anderen beide auf Augenhöhe („Semisouveränität“)
- nicht wenige Politikfelder von der nationalstaatlichen Politik dominiert (soziale Sicherung, Regelungen der Steuern und Sozialabgaben) — faktisch auch Entscheidungen über die Lenkung der Staatsausgaben (Lohnpolitik)
- Großteil der politischen Kommunikation, politischen Willensbildung und politischen Entscheidungsprozesse Angelegenheiten der nationalen Politik
- Europäisierungsgrad bei Insitutionen (Parteien) viel geringer als in wirtschafts- und geldpolitischen Feldern
- ferner, erheblicher Vollzugsdefizit — Befolgung europäischen Rechts etliche Mitgliedstaaten säumig (auch DE) (in erhebliche Teilen „dead letters“)
- nationale Parlamente (und Wähler) Herren der europäischen Verträge geblieben (letzte Wort bei jeder Änderung der Gemeinschaftsverträge der EU)
Zum verstehen der Politik in einem EU-Mitgliedstaat, nicht nur Tun und Lassen der EU und der Europäisierungsprozesses, sondern auch die nationalstaatliche Politik wichtig