8 Ein Überblick: Von der Fragestellung zur empirischen Untersuchung Flashcards
Anlegen einer Ideensammlung
- Untersuchungsideen mit Datum notieren -> eigene Ideengeschichte (Interessenverlagerung)
- Notieren der Quelle (Lehrveranstaltung, Gespräch, Teilnahme an Untersuchung als Vp) erleichtert bei späterem Aufgreifen weiterführende Literaturrecherchen oder Eingrenzungen der vorläufigen Untersuchungsproblematik
Replikation von Untersuchungen
- Weniger attraktiv im Vergleich zur Untersuchung eigener Ideen
- Unerlässlich, wenn es um Festigung und Erweiterung des Kenntnisstandes einer Wissenschaft geht
- V.a. erforderlich, wenn eine Untersuchung zu unerwarteten, mit derzeitigem Kenntnisstand nur wenig in Einklang zu bringenden Ergebnissen geführt hat, die jedoch eine stärkere Aussagekraft hätten, wenn sie sich bestätigen ließen
- Auch Replikationen können originell und spannend sein, da völlig exakte Replikationen der Originalstudie unmöglich sind
- Viele publizierte Studien enthalten im Diskussionsteil Anregungen für Anschlussstudien
Mitarbeit an Forschungsprojekten
Bei Mitarbeit an größeren Forschungsprojekten ergeben sich gelegentlich Teilfragestellungen für eigenständige Qualifikationsarbeiten
- Gewährt Einblick in komplexen Forschungsbereich
Weitere Anregungen
- Letzte Möglichkeit: Gezielte Themensuche
o Auswahl eines Themenbereichs, der gezielt nach offenen Fragestellungen, interessanten Hypothesen oder Widersprüchlichkeiten durchsucht wird - Kreative Suchstrategien:
o Intensive Fallstudien: gründliche Beobachtung einzelner Personen (müssen nicht auffällig/herausragend sein -> meist ganz normale Personen)
o Introspektion: Selbstbeobachtung in Bezug auf Widersprüchlichkeiten
o Sprichwörter: Erfahrungen vieler Generationen -> Testen
o Funktionale Analogien: Übertragung bekannter Prinzipien/Mechanismen auf neuartige Probleme (wird erschwert durch „funktionale Fixierungen“)
o Paradoxe Phänomene: z.B. Lachen bei Trauer, müde aber nicht einschlafen können
o Analyse von Faustregeln: z.B. Warum ist Ehe in 7. Jahr besonders gefährdet?
o Veränderungen von Alltagsgewohnheiten: Ursachen für neue Mode, veränderte Freizeitgewohnheiten, gesellschaftlicher Umgangsformen
o Gesellschaftliche Probleme
o Widersprüchliche Theorien: eigenständige Prüfmöglichkeiten oder Entwicklung eines allgemeineren theoretischen Ansatzes, der beide vereint
Präzision der Problemformulierung
- Unbrauchbar: Unklarheit über eigentlichen Forschungsgegenstand bzw. Vielschichtigkeit des Forschungsgegenstandes aus der viele unterschiedliche Fragestellungen resultieren
- Unbrauchbar: Verwendung von unklaren, mehrdeutigen oder schlecht definierten Begriffen
- Begriffe gelten als vorläufig genügend klar definiert, wenn sie kommunikationsfähig sind: Ein Gesprächspartner, der meint mich verstanden zu haben, muss in der Lage sein, einem Dritten zu erklären, was ich mit meinem Begriff meine
Empirische Untersuchbarkeit
- Ungeeignet: Untersuchungsideen mit religiösen, metaphysischen oder philosophischen Inhalten (Leben nach dem Tod, Sinn des Lebens) oder unklaren Begriffen (Seele, Charakterstärke), sofern keine besondere Strategie zur Präzisierung dieser Ideen verfolgt wird (z.B. Vorstellungen über Sinn des Lebens zw. verschiedenen Bevölkerungsgruppen)
- Ungeeignet: unangemessener Arbeitsaufwand, z.B. Untersuchung ungewöhnlicher Personen (psychische Probleme von Kleinwüchsigen) oder Situationen (Ursachen für Panikreaktionen bei Massenveranstaltungen)
- Ungeeignet: sehr zeitaufwendige Untersuchungen (Längsschnittuntersuchungen)
Wissenschaftliche Tragweite
- Unbrauchbar: keine praktische Bedeutung, keine Bereicherung der Grundlagenforschung
- Durch lange und kostspielige Ausbildung besondere Verantwortung der Hochschulangehörigen für Themen mit prinzipiell erkennbarem Nutzen
- Entscheidung, ob bei bereits intensiver Erforschung eigene Studie Mehrwert bringt
Ethische Kriterien
Güterabwägung: Wissenschaftlicher Fortschritt oder Menschenwürde
- Bei geringstem Zweifel an ethischer Unbedenklichkeit: außenstehende, erfahrene Fachleute und die zu untersuchende Zielgruppe zu Rate ziehen
Persönliche Verantwortung
- Vl muss Vpn auf Gefährdungen und Recht auf Verweigerung hinweisen
Informationspflicht
- „Informed Consent“: Proband entschließt sich nach Kenntnisnahme aller relevanten Informationen zur Teilnahme an der Untersuchung
- Debriefing: Aufklärung der Teilnehmer nach Abschluss der Untersuchung über wahre Zusammenhänge
- Freiwillige Untersuchungsteilnahme
- Vermeidung psychischer und körperlicher Beeinträchtigungen
- Lewin (1979) unterscheidet drei Arten von Beeinträchtigungen
o Vermeidbare Beeinträchtigungen: Untersuchungsteilnehmer kommen aus Mangel an Sorgfalt, aus Unachtsamkeit oder wegen überflüssigen, für die Untersuchung nicht unbedingt erforderlichen Maßnahmen zu Schaden
o Unbeabsichtigte Beeinträchtigungen: trotz sorgfältiger Planung und Durchführung -> Vl muss unverzüglich eingreifen
Persönliches Gespräch oder sachliche Aufklärung können helfen, über unbeabsichtigte Beeinträchtigung hinwegzukommen
o Beabsichtigte Beeinträchtigungen: bei Untersuchung von Angst-, Schuld- und Schamgefühlen -> so wenig Belastung wie möglich - Anonymität der Ergebnisse
Untersuchungsplanung
- Der wichtigste Abschnitt einer empirischen Forschungsarbeit ist die Untersuchungsplanung
- Keine Scheu, Aufarbeitung einer Untersuchungsidee abzubrechen, wenn Planungsphase Hinweise ergibt, die positiven Ausgang der Untersuchung zweifelhaft erscheinen lassen
Zum Anspruch der geplanten Untersuchung
- Planungsarbeit beginnt mit möglichst realistischer Einschätzung des Anspruchs des eigenen Untersuchungsvorhabens in Abhängigkeit vom Zweck der Untersuchung
Prüfungsordnungen - „selbstständiger Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung“ (Dissertation) vs. „Nachweis, selbst ein wissenschaftliches Thema bearbeiten zu können“ (Abschlussarbeit)
Vergleichbare Arbeiten - Durchsehen verschiedener Qualifikationsarbeiten, um Anspruch und Umfang einzuschätzen
Literaturstudium
- Einordnen der vorläufigen Untersuchungsidee in den bereits vorhandenen Wissensbestand
- Ziel: eigene Untersuchungsidee nach Maßgabe bereits vorhandener Ergebnisse und Theorien einzugrenzen bzw. noch offene Fragen oder widersprüchliche Befunde zu entdecken
Orientierung
- Lexika, Wörterbücher, Handbücher -> zentrale Begriffe und Verweis auf erste einführende Literatur -> Verweise auf spezielle Monographien oder Zeitschriftenartikel
- Überblicksreferate
o (Aktuelle) Sammelreferate (Reviews): Auswertung und Zusammenfassung der wichtigsten Literatur zu einem Thema für einen begrenzten Zeitraum
o Metaanalysen: empirische Befunde zu Forschungsthematik statistisch aggregiert
o Für die Psychologie: Annual Review of Psychology, Psychological Review
- Universitätsbibliotheken, Fachinformationsdienste, Datenbanken, Internet
Vertiefung
- Bibliographien, Kongressberichte und Abstractbände für Detailsuche
- Literaturverzeichnisse der gefundenen Zeitungsartikel als Fundgrube einschlägiger Beiträge
- Thesauri: Unterstützen bei Stichwortsuche, indem sie synonyme und inhaltlich ähnliche Fachbegriffe zu dem jeweiligen Suchbegriff angeben
- Bietet Literatur keine Anknüpfungspunkte -> Erkundungsstudie
Dokumentation
- Traditionelles Karteikartensystem und elektronische Literaturdatenbank haben sich am besten bewährt:
o Für jede Publikation wird Karteikarte angelegt, die vollständige bibliographische Angaben enthält, die für Literaturverzeichnis benötigt werden
o In Stichworten Angaben über Theoriebezug, Fragestellung, verwendete Methode und Ergebnisse
o Wörtliche Zitate (mit Seitenzahl!), die für Untersuchungsbericht geeignet
o Bibliothekssignaturen, die späteres Nachschlagen erleichtern
Wahl der Untersuchungsart
Erstes Kriterium: Stand der Forschung:
Entscheidung, ob Stand der Forschung Ableitung und Überprüfung einer gut begründeten Hypothese zulässt (explanative Untersuchung) oder ob wissenschaftliches Neuland betreten wird, welches gezielte Hypothesensuche erfordert (explorative Untersuchung)
-> Explorative vs. populationsbeschreibende vs. hypothesenüberprüfende Untersuchungen
Zweites Kriterium: Gültigkeit der Untersuchungsbefunde
- Experimentelle vs. quasiexperimentelle Untersuchung (-> personenbedingte Störvariablen)
- Felduntersuchungen vs. Laboruntersuchungen (-> untersuchungsbedingte Störvariablen)
Explorative Untersuchungen
- Richtlinien für Planung der Untersuchung und Anfertigungen des Untersuchungsberichtes weniger verbindlich als für hypothesenüberprüfende Untersuchungen
- Folgende methodische Ansätze sind charakteristisch (qualitative Methoden):
o Offene Befragungen, Feldbeobachtung
o Aktionsforschung: Wissenschaftler und Betroffene definieren gemeinsam die Problemstellung, suchen nach Ursachen (Hypothesengenerierung, Theoriebildung) und entwerfen Lösungsvorschläge (Interventionen), gemeinsame Evaluation
o Analyse von Einzelfällen: in Form von Selbst- oder Fremdbeobachtung
o Nonreaktive Messungen: auf Basis von Verhaltensspuren, Ablagerungen und Abnutzungen wird auf vergangenes Verhalten geschlossen (-> dingliche Umgebung)
o Qualitative Inhaltsanalysen
Populationsbeschreibende Untersuchungen
- Beschreibung von Populationen hinsichtlich ausgewählter Merkmale
- Unterscheidung populationsbeschreibender Untersuchungen
o Mit einfach Zufallsstichproben
o Mit geschichteten Stichproben: prozentuale Verteilung von Schichtungsmerkmalen (Alter, Geschlecht, Beruf) entspricht prozentualer Verteilung in Population
o Mit Klumpenstichproben: mehrere ausgewählte Klumpen (Krankenhäuser, Wohnblocks, Schulklassen) werden vollständig erhoben
o Mit mehrstufigen Stichproben: Auswahl erfolgt nach mehreren Schichtungs- oder Klumpenmerkmalen
o Studien nach dem Bayes’schen Ansatz, der Stichprobeninformationen und „subjektive“ Informationen für eine Parameterschätzung kombiniert - Deskriptive bzw. populationsbeschreibende Studie, z.B. in Unternehmen, soll nicht allgemeine Aussagen machen, sondern Handlungsanweisungen geben
Hypothesenüberprüfende Untersuchungen
- Unspezifische Hypothesen: Forschung ist noch nicht genügend entwickelt, um genaue Angaben über Größe des hypothesengemäß erwarteten Zusammenhangs, Unterschiedes oder der Veränderung zu machen (nur dass)
o Nachteil: Führen bei großen Stichproben eigentlich immer zu signifikantem Ergebnis - Spezifische Hypothesen: Konkretisieren den Betrag des Effektes bzw. die Effektgröße, weil bereits genügend Erfahrungen mit Untersuchungsthematik und -instrument vorhanden
o Sollten formuliert werden, wann immer Möglichkeit besteht, für Zusammenhang/ Unterschied/Veränderung Mindestgröße festzulegen, die praktisch bedeutsam ist
o Ergänzen Konzept der statistische Hypothesenprüfung (Signifikanzkriterium) durch Kriterien der praktischen Bedeutsamkeit von Untersuchungsergebnissen - „Optimaler“ Stichprobenumfang für hypothesenüberprüfende Untersuchung nur kalkulierbar, wenn spezifische Hypothese mit Effektgröße formuliert wurde
Zweites Kriterium: Gültigkeit der Untersuchungsbefunde
- Cook & Campbell (1979) ergänzen interne Validität um statistische Validität
- Konstrukt-/Variablenvalidität als Ergänzung zur externen Validität: durch ungenaue Operationalisierungen der aus den Konstrukten abgeleiteten Variablen gefährdet
- Campbell (1986): Statt Internal Validity -> Local Molar Causal Validity
o Local: Begrenzung der internen Validitt auf konkrete Untersuchung
o Molar: Komplexität des mit einem Treatment verbundenen Wirkprozesses, der aus vielen molekularen Teilwirkungen bestehen kann
o Causal: Wirkungen müssen tatsächlich eindeutig auf die geprüfte Behandlung rückführbar sein - Campbell (1986): Statt External Validity -> Proximal Similarity
o Similarity: Spezifische Untersuchungscharakteristika weisen eine hohe Ähnlichkeit zu Populationen und Situationen auf, für die Untersuchung gültig sein soll
o Proximal: Die für Generalisierung erforderliche Ähnlichkeit bezieht sich auf naheliegende/relevante Untersuchungscharakteristika
Experimentelle vs. quasiexperimentelle Untersuchung (-> personenbedingte Störvariablen)
- Experiment: Stufen der UV werden durch unterschiedliche Behandlungen von Personen hergestellt
o UV heißt experimentelle Variable oder Treatmentvariable - Quasiexperiment: Stufen der UV werden durch Auswahl bestimmter Probanden realisiert
o UV heißt Personenvariable oder organismische Variable
Felduntersuchungen vs. Laboruntersuchungen (-> untersuchungsbedingte Störvariablen)
- Wenn bereits viele Felduntersuchungen zu einem Thema (-> externe Validität gesichert), dann sollten Laboruntersuchungen durchgeführt werden (-> um interne V. zu sichern) v.v.