5 Quantitative Erhebungsmethoden (Hussy) Flashcards
Systematisierung, die die funktionale Zusammengehörigkeit der Methoden verdeutlicht
- Dimension unterscheidet qualitative und quantitative Methoden
- Dimension stellt Bezug der Methoden zu den unterschiedlichen Phasen im Forschungsprozess her
Merkmale qualitativer und quantitativer Methoden
- Unter qualitativer Forschung, in deren Rahmen qualitative Methoden zum Einsatz kommen, verstehen die Sozialwissenschaften eine sinnverstehende, interpretative wissenschaftliche Verfahrungsweise bei der Erhebung und Aufbereitung sozial relevanter Daten.
- Die quantitativen Methoden werden im Rahmen der quantitativen Forschung eingesetzt und repräsentieren eine Vorgehensweise zur numerischen Darstellung empirischer Sachverhalte.
Historischer Hintergrund
- Geburtsstunde der wissenschaftlichen Psychologie: Gründung des ersten Instituts für experimentelle Psychologie im Jahr 1879 in Leipzig durch Wilhelm Wundt
- Bis zur Gründung waren Bemühungen um Gegenstand der Psychologie fast ausschließlich geisteswissenschaftlicher Natur, danach entwickelte sich die eigenständige Wissenschaft Psychologie verstärkt naturwissenschaftlich
- Wundt etablierte das Experiment als Forschungsparadigma auch in der Psychologie und bevorzugte die Introspektion als Datenerhebungsmethode
- > Anfänge der heute existierenden quantitativen Methoden
- Wesentliche Merkmale des experimentellen Vorgehens
- > Objektive Beschreibbarkeit seelischer Vorgänge
- > Willkürliche Herbeiführbarkeit und Veränderbarkeit seelischer Vorgänge
- > Wiederholbarkeit experimenteller Studien
- Wundt beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit Apperzeption (=Übergang von wahrnehmungsphysiologischen und wahrnehmungspsychologischen Prozessen)
- Aber auch ursprünglich geisteswissenschaftliche Ausrichtung der Psychologie entwickelte sich weiter: z.B. Freuds Psychoanalyse (basierend auf Fallstudien und Traumdeutung)
- Auf Dilthey geht sog. geisteswissenschaftliche Psychologie zurück, die mit hermeneutischer Vorgehensweise die Grundlage für die heutigen qualitativen Methoden legte
- > Verstehender, den ganzen Menschen umfassender, hermeneutischer Ansatz
- Zunächst erbitterte Debatten -> Methodenstreit
- Heutige Position: Beide methodischen Wege können gemeinsam eingesetzt werden
Qualitative Gütekriterien
- Verfahrensdokumentation: Planung, Durchführung und Auswertung muss genau dokumentiert werden
- Argumentative Interpretationsabsicherung: Interpretationen sind zu begründen
- Regelgeleitetheit: Vorgehen einer Untersuchung folgt trotz prinzipieller Offenheit Regeln
- Nähe zum Gegenstand: Personen müssen in ihrer natürlichen Umwelt erforscht werden
- Kommunikative Validierung: Untersuchungsergebnisse werden mit Beforschten diskutiert
- Triangulation: Fragestellung wird mit unterschiedlichen Methoden untersucht und Ergebnisse werden miteinander verglichen
Forschungsansätze
Quantitative Forschungsansätze
- (Labor.)Experiment
- Varianten des Experiments: z.B. Quasi- und Feldexperiment, Einzelfallforschung
- Nichtexperimentelle Ansätze: z.B. Korrelationsstudie, Prognosestudie, Metaanalyse
Qualitative Forschungsansätze
- Deskriptive Feldforschung
- Handlungsforschung
- Gegenstandsbezogene Theoriebildung
- Biografieforschung und Fallstudie
Erhebungsmethoden
Quantitativ: Beobachtung, Testen, schriftliche und mündliche Befragung, Urteilen, Zählen
Qualitativ: teilnehmende Beobachtung, Gruppendiskussion, Struktur-Lege-Verfahren
Analysemethoden
Quantitativ: Beschreibende Methoden, schlussfolgernde Methoden, multivariante Methoden, Modelltests
Qualitativ: Inhaltsanalyse, Hermeneutik, Semiotik, Diskursanalyse
Methoden am Rand des Forschungskontextes
In Anwendungsfeldern der Psychologie gibt es weitere Methoden, die aber auch im Forschungskontext eingesetzt werden können: Diagnostik, Intervention und Evaluation
Psychologische Diagnostik
- Vorgehensweisen, welche eine Erfassung von Charakteristika von Personen, Personengruppen, Institutionen, Situationen etc. zur Folge haben
- Erfassung und Gewinnung von Charakteristika erfolgt zielgerichtet und systematisch mit wissenschaftlich fundierten Methoden, wie Testverfahren, Fragebogen, Verhaltensbeobachtungen und Anamnesen
- Ziel: Erkenntnisse über Merkmalsträger gewinnen und für Entscheidung über nachfolgende Maßnahme (Beratung, Therapie, Training etc.) zu nutzen
- Integration der Daten zu einem Urteil -> diagnostische Urteilsbildung
- > Wird in Gutachten festgehalten
- Mit qualitativen diagnostischen Verfahren (z.B. qualitativer Interviews) soll ein möglichst vorurteilfreies, umfassendes Bild der Persönlichkeit erstellt werden
Intervention
- Die sich an den diagnostischen Prozess anschließenden Maßnahmen (Beratung, Training etc.)
- Geplant und gezielt eingesetzte Maßnahmen, um Störungen vorzubeugen (Prävention), sie zu beheben (Psychotherapie) oder deren negative Folgen einzudämmen (Rehabilitation)
- > Einsatz der Methoden dient praktischen Belangen
- Meist therapeutische Methoden wie eine Vielzahl an Verhaltens- und Gesprächstherapievarianten (z.B. systematische Desensibilisierung, Habituation), Musiktherapie, Maltherapie usw.
Evaluation
- Studie zur Beschreibung und Bewertung von Personen, Organisationen, Strukturen und/oder Prozessen (z.B. Überprüfung der Wirksamkeit einer Intervention)
- In allgemeiner Bedeutung des Begriffs Beschreibung, Analyse und Bewertung von Prozessen und Organisationseinheiten, insbesondere im Bildungsbereich, in den Bereichen Gesundheit und Entwicklungshilfe, der Verwaltung oder der Wirtschaft
- Kann sich sowohl auf den Kontext (Voraussetzungen, Rahmenbedingungen), die Struktur, den Prozess als auch auf das Ergebnis (Produkt) beziehen
- Die vielfältigen Evaluationsmethoden stammen i.d.R. aus dem Kanon der bekannten Forschungsmethoden
Zentrales Ziel psychologischer Forschung
Erhellung der Black Box (des nicht direkt beobachtbaren psychischen Innenlebens)
- Beobachtbares Verhalten ist psychologisch bedeutsam, wenn es im Hinblick auf zugrunde liegende psychische Phänomene interpretiert werden kann
- Bei Forschungsplanung ist zu berücksichtigen, ob Person Zugang zu relevanten psychischen Prozessen hat und ob sie über diese Prozesse ohne unerwünschte Verzerrungen selbst Auskunft geben kann
- > Nur dann sind Selbstauskünfte prinzipiell reliable und valide Datenquellen
- > Ansonsten: Beobachtungs- und Messverfahren, biopsychologische Methoden
Reaktivität
Veränderung bzw. Verzerrung der erhobenen Daten schon aufgrund der Kenntnis der untersuchten Personen darüber, dass sie Gegenstand einer Untersuchung sind
- Reaktivität des Untersuchungsgegenstandes ist von Beginn an zu beobachten
- > Hawthorne-Effekt
Maßnahmen zur Reduzierung von Reaktivität
- Untersuchte in Unkenntnis darüber lassen, dass sie untersucht werden
- Untersuchten Anonymität zusichern
- Untersuchten eine Cover Story über den Untersuchungszweck mitteilen
- Maße einsetzen, die die Untersuchten nicht kontrollieren oder beeinflussen können (nichtreaktive Messverfahren)
- Indirekte/implizite Messverfahren einsetzen
Für reliable und valide Selbstauskünfte sind zwei grundlegende Aspekte zu berücksichtigen:
- Wie gelangen Befragte zu Selbstauskünften? -> kognitionspsychologisch
- Wie werden Selbstberichte kommuniziert? -> kommunikationspsychologisch
Wie gelangen Befragte zu Selbstauskünften?
Drei elementare kognitive bzw. mentale Prozesse:
- Interpretation der Frage
- Bildung eines Urteils -> Vielfalt mentaler Optionen
- Übersetzen in eine kommunizierte Auskunft
Wie werden Selbstberichte kommuniziert?
- Selbstbericht ist als intentionaler Kommunikationsakt zu verstehen
- > Bei Konstruktion und Auswertung einer Befragung ist Mitteilungsabsicht zu berücksichtigen
- Leitende Fragen bei Analyse von Daten aus Selbstberichten
- > Vorgesehene Interpretation der Frage/Themenstellung?
- > Aspekte/Themen gegenwärtig, die Forscher bei Formulierung im Sinn hatten?
- > Durch Art der Befragung Nahelegen oder Voraktivieren von Information?
- > Adäquate Umsetzung des internen Urteils in Antwort möglich?
- > Absichten/Motive der Befragten abschätzbar?
- Befragung: allgemeine Form der Datenerhebung
- Rating: spezielle Form der Befragung
Item
Als Frage oder als Urteil formulierte Aussage, zu der die befragte Person ihre Zustimmung oder Ablehnung –ggf. in unterschiedlicher Intensität – äußern kann
Unterscheidungskriterien von Befragungen
- Schriftliche vs. mündliche Befragung (Fragebogen, quantitativ - Interview, qualitativ)
- Standardisierte vs. nichtstandardisierte Befragung (geschlossene - offene Fragen)
- > Bezieht sich auf Freiheitsgrade der Befragten
- Strukturierte vs. unstrukturierte Befragung (alles - nichts vorgegeben)
- > Halbstrukturiert: Orientierung an Leitfaden mit vorformulierten Fragen
- > Bezieht sich auf Freiheitsgrade der Forschenden
- Anzahl der befragten Personen
- > Einzel- vs. Gruppenbefragung
- > Umfrage (survey) -> sehr hohe Anzahl
Ein guter Fragebogen ist gekennzeichnet durch:
- Einfache Formulierung und gute Verständlichkeit
- Keine zu hohen Anforderungen an mentale/kognitive Leistungsfähigkeit
- Adressatenorientierte Formulierung
- Keine Verneinungen in den Fragen
- Keine überfrachteten Fragen
- Keine „Forced Choice“ bei unabhängig beantwortbaren Aspekten
- Keine Fragen, die die Befragten sehr ähnlich beantworten
- Einsatz mehrerer Items zur Beantwortung einer Frage
- Beachtung der Ausgewogenheit in der Reihenfolge der Fragen (schwere und persönliche Fragen nicht am Anfang)
- Eine klare und informative Instruktion
Ratings
- Häufigstes Format in schriftlicher Befragung
- Befragte geben Urteile auf numerisch interpretierbarer Skala ab
- Ratingdaten wird oft Intervallskalenniveau zugebilligt
- Besonderes Augenmerk gilt der Validität von Ratingskalen
Wesentliche Aspekte bei der Konstruktion von Ratingskalen
- Items können Form einer Frage („du“, „Sie“) oder einer Aussage („ich“) haben
- Skala kann unipolar oder bipolar sein
- > Unipolar: Ausprägungen auf einem einzigen Merkmal, z.B. „ruhig“ bis „unruhig“
- > Bipolar: Ausprägungen von Pol zu Gegenpol, z.B. „ruhig“ bis „angespannt“
- Anzahl der Stufen muss zum Gegenstand passen -> häufig 4 bis 9 Stufen
- > Gerade oder ungerade Anzahl von Stufen
- > Ungerade Anzahl suggeriert neutralen Mittelpunkt -> Ambivalenz-Indifferenz-Problem
- Skalenstufen können numerisch, verbal und grafisch bezeichnet werden
Semantisches Differenzial
- Spezielle und klassische Form von Ratingskalen (Osgood, Suci, Tannenbaum, 1957)
- Durch Antworten auf mehreren bipolaren Items entsteht Polaritätsprofil
- > Liefert schnelle Orientierung über zentrale Merkmale bzw. Unterschiede zwischen Merkmalsträgern
Urteilstendenzen bei der Beantwortung von Ratingskalen
- Tendenz zur Mitte: Vermeidung von Extremurteilen
- > Bei wenig vertrauten Urteilsobjekten oder Unklarheit über Endpunkte
- Gedankenlose Reproduktion: Folge ähnlicher Items kann zu gleichen Antwortwerten führen
- > Lösung: Mischung von Fragen, Umpolung der Fragerichtung
- Primacy-Effekt: Anfängliche Urteile beeinflussen folgende, ähnliche Urteile gleichsinnig
- > Interindividuelle Ausbalancierung, indem man Reihenfolge der Items über Befragte hinweg verändert
- Halo-Effekt: Beurteilung eines Objekts hinsichtlich verschiedener Merkmale wird durch Beurteilung von einem dieser Merkmale beeinflusst
- > V.a. wenn „Schlüsselmerkmal“ ungewöhnlich oder unklar definiert ist
- > Lösung: Klare Informationen über Unterschiede zwischen Merkmalen sowie über den Fehler selbst
Nomothetischer und idiografischer Ansatz
- Forschung strebt v.a. nach Aussagen, die auf überindividueller Ebene (für Grundgesamtheiten/Gruppen) gelten -> nomothetischer Ansatz
- In klinischer/diagnostischer Praxis v.a. Aussagen über Einzelfälle -> idiografischer Ansatz
Ziel des Testens
Präzise Erfassung von Merkmalsausprägungen von Individuen
-> Analyse auf Gruppenebene für bessere individuelle Einschätzung
Definition “Test”
- wissenschaftliches Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer empirisch unterscheidbarer Persönlichkeitsmerkmale
- Ziel: möglichst genaue quantitative Aussage über den relativen Gehalt der individuellen Merkmalsausprägung
- Besteht in der Regel aus mehreren Aufgaben oder Fragen (Items), die von verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten/Eigenschaften unterschiedlich gelöst/beantwortet werden
- In abstrakterem methodischen Sinn: standardisierte Verhaltensstichprobe, die aus Antworten auf eine Mehrzahl von Items besteht
- > Aus Antworten wird Testwert der untersuchten Person aggregiert
Leistungstests
Tests, die (v.a. kognitive) Merkmale zu einem objektiven Gütestandard in Beziehung setzen
- Antworten können „richtig“ oder „falsch“ sein
- Verschiedene Schwierigkeitsgrade, um Leistungen differenzieren zu können
- Speed-Test: knappe Bearbeitungszeit, z.B. „d2-Aufmerksamkeits-Konzentrationstest“ von Brickenkamp (2002)
- Power-Test: Niveau der Aufgaben wird sukzessive gesteigert, z.B. bei den meisten Skalen des Intelligenztests HAWIE (HAWIE differenziert im oberen Bereich nicht genug)
Persönlichkeitstests
- Tests, die die Ausprägung von Eigenschaften wie Extraversion oder Offenheit erfassen
- „NEO Five Factor Inventory“: erfasst 5 zentrale Persönlichkeitsdimensionen: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit
- „Freiburger Persönlichkeitsinventar“
- Subjektive Persönlichkeitstests: Zweck des Tests für getestete Personen leicht durchschaubar
- Objektive Persönlichkeitstests: Versuch, Zweck zu verschleiern, um Reaktivität der Datenerhebung zu minimieren und Validität der Ergebnisse zu erhöhen