6. Regelungsprobleme und Regelungsansätze des mittelalterlichen Kirchenrechts Flashcards

1
Q

Ausgangspunkt:

A
  • Regelungsbedarf für die Kirche in zwei Richtungen:
    1. ) Organisation und Personal
    2. ) Wirken der Kirche in der Lebenswelt
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2
Q

Regelungselemente:

A
  • Seit der Compilatio Prima (1191) Widerspiegelt dieser Regelungsbereich in Fünfteiligen Regelsammlungen
  • Schema dabei:
    1. ) Iudex
    2. ) Iudicium
    3. ) Clerus
    4. ) Connubium
    5. ) Crimen
  • Entlang dieses Ordnungsschema, verschiedene Schwerpunkte kirchlicher Rechtsentwicklung identifizierbar
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3
Q

Iudex/Iurisdictio: Herrschaftsordnungen

A
  • Warum Iurisdictio (Rechtsprechung) für Herrschaftsordnung? Herrschaft hat sich i, frühen Mittelalter in 2 Formen manifestiert: (1) die physische Gewalt // (2) die Konfliktentscheidung als Richter.
  • In diesem Zusammenhang, sehen wir, dass eine veritable Rechtsquellenlehre formuliert wird (sehen wir schon mit Gratian) . Sehr interessant, weil sie nicht nur über positives Recht (aus humanum) informiert, sondern auch über über-positives Recht = Ius Naturale & divinum (weil Kanonistik = an der christlichen Theologie verpflichtete Wissenschaft).
  • ABER, wir sehen dass die Kanonistik, bei aller liebe zum Naturrecht & Respekt vor dem göttlichen Recht, ein besonderen Fokus auf das positive Recht legt (was Konzile, Päpste produzieren. Warum? Wei es einfacher zu greifen ist! => liegt in schriftlicher Form vor und prägt die kirchliche Praxis
  • Reichweite der Regelsetzungsbefugnisse: es geht um die Abgrenzung der Normsetzungskompetenz zwischen Papst und Konzil aber auch um die Normsetzungskompetenzund Herrschaftsbefugnis zwischen Kaisertum und Papsttum (weltliche & kirchliche Sphäre)
  • Bindung an Recht: Wie weit sind der Papst & die Bischöfe ans Recht gebunden? Wie weit kann der Papst vom Recht dispensieren?
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4
Q

Iudicium/Prozessrecht:

A
  • Seit dem 12. Jh, Entstehung des sogenannten kanonischen Prozesses: im 12-13-13 Jh, sehen wir europaweit eine Explosion von Prozessrechtswissenschaft.
  • Die Amtskirche hat sich in ihren Gerichtsverfahren schon immer an gewisse Verfahrensregeln gehalten ABER was sich seit dem 12. Jh ändert => es entsteht ein eigenes kanonisches Prozessrecht (das nicht kodifiziert ist sondern ein Sammelsurium von dekretalem Recht ist).
  • Dieses Prozessverfahren hat ganz typische Merkmale:
    1. ) Verschriftlicht : “was nicht in den Akten steht, ist nicht in der Welt” => nur was schriftlich ist, kann Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein.
  1. ) Geleitet durch einen Richter (Inquisitionsmaxime)
  2. ) Mit Beweis- und Vermutungsregeln: Ziel des Verfahrens, ist es mit Hilfe von Beweisen, Geständnissen aber auch Vermutungsregeln zu ermitteln was wirklich passier ist (Ermittlung der Wahrheit).

Was sind Vermutungen (Presumptiones) im Recht? Sie setzen dann ein, wenn sie ein Sachverhaltselement ganz klar erwiesen haben und von einem Sachverhalttypus schliessen sollen aus einem anderen Schverhaltstypus von dem sie aber nichts wissen.
z.B. => Wenn Man und Frau nackt neben einander erblickt werden, dann wird vermutet, dass sie Geschlechtsverkehr hatten.

Diese Presomptiones funktionieren in verschiedenen Richtungen: (a) Presumptio ex tempore // (b) Presumptio ex èreterito ad futuram

4.) Geregelter Rechtszug (Möglichkeit der Appellation): die Kirche entwickelt ein ausgeprägtes “Recht” der Appellation mit devolutiv, suspeniv Effekten usw… und die Möglichkeit, dass man gegen alle rechtlichen Handlungen appellieren kann.

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5
Q

Clerus/Dienstrecht (Beamtenrecht):

A

Die Amtskirche hat ein intensives disziplinär Recht entwickelt. Dieses Amtsrecht formt sich jetzt weiter aus

  • Elemente eines amstatlichen Personalrechts: es entsteht die Vorstellung, dass der Kleriker nicht mit besonderen Herrschaftsbefugnissen ausgestattet wird sondern: es werden ihm besondere Aufgaben übertragen und weil der Kleriker im Einzelfall diese Aufgaben hat, deswegen kommt ihm die Herrschaftsbefugnis zu. Fundamentaler anderer Ansatz als weltlichen Recht.
  • Leitprinzip: Übertragung von Ämtern, nicht von Herrschaftsbefugnissen
    1. ) Qualifikationsvoraussetzungen rechtlich fixiert: z.B.: man muss kanonisches Recht studiert haben, wenn man kanonischer Richter sein möchte.
    2. ) Aufgabenbeschreibung rechtlich begrenzt: zeitlich & räumlich => du Kleriker bist für diese Gemeine in diesem Raum für diese Zeit tätig.
    3. ) Möglichkeit der Abberufung: ein Amt kann auch wieder entzogen werden. AUSSER der Papst: kann nur selbst zurücktreten.
  • Starke Wirkung in die Entstehung der neuzeitlichen säkularen Verwaltung: das moderne Staatsbediensteten Recht ist stark geprägt durch die Konzeption des kanonischen Rechtes.
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6
Q

Connubium/Eherecht:

A
  • Seit dem 11-12. Jh gewinnt die Kirche Einfluss auf das Eherecht. Sie hat die Ehe (Dauerhafte Beziehung zwischen Man und Frau mit dem Zweck der Nachkommerzielung) immer schon als Sakrament angesehen, weil die Liebesbeziehung zwischen Man und Frau die Verbindung zwischen Christus und der Kirche abbilden soll. Wird dann jetzt auch durch Dekrete verrechtlicht.
  • Es gelingt der Kirche, Kontrolle über das Eherecht zu gewinnen => ein Paar hat nur dann eine wirksame Ehe geschlossen, wenn es auch von der Kirche als Paar anerkannt wird! Diese rechtliche Anerkennung ist wichtig, damit die Nachkommenschaft dieses Paares als legitim gilt => damit Erbfähig.
  • Ein Schwerpunkt der Regelsetzung = die Voraussetzungen, damit eine Ehe wirksam ist:
    1. ) Erstens, wird die Ehe als ein Consensus beschrieben!
    2. ) Was aber noch wichtiger ist für die Kirche: die formuliert jede menge Eheverbote!! = Regeln die einen solche Eheschluss Tatbestand unwirksam, nichtig machen! Das sind:
    a. ) Die klassischen Sachen: Irrtum, Drohung, Ehe unter Gewalt, Minderjährigkeit, Handlungsunfähigkeit usw…
      b.) Materielle Gründe, vor allem das Inzest Verbot: die Regel, dass verwandte untereinander nicht heiraten können, keine geschlechtliche Beziehungen eingehen sollen. das kennen wir schon aus der römischen Rechtskultur, es wird aber in der kirchlichen Rechtskultur weit ausgebreitet: es ist nicht nur die Verwandtschaft des 1. und 2. Grades sondern geht runter bis zum 7. Grad. PLUS: die Kirche führt das Institut der geistlichen Verwandtschaft ein (z.B.: Taufpate) => eine unzulässige Nähe würde das Sakrament der Kirche entwerten.
    
     c.) Impotenz & Fragilität, Sterilität: = anderes typisches Ehehinderniss. Dahinter steckt die Überlegung, dass die Ehe eine Kernfunktion hat => Nachkommenschaft zu produzieren. Wenn das nicht möglich ist, kann das Sakrament der Ehe nicht erfüllt werden und das geht nicht. 

IN DER PRAXIS: was in der Praxis am meisten eine Rolle gespielt hat = der Tatbestand des Eheschlusses selbst. Warum) Weil die Kirche verschiedene Formeln für den wirksamen Konsens entwickelt: (1) Sponsalia de futuro (ich verspreche dich zu heiraten) + (2) Sponsalia de presenti (ich heirate dich jetzt) = Unterschied zwischen Verlöbnis und Ehe.

Also die Frage, ob ein Eheschluss stattgefunden hat oder nicht, wird intensiv vor Ehegerichten verhandelt. Warum? Die Völker sprechen nicht unbedingt Latein!
Probleme: muss übersetzt werden + man muss diesen Unterschied erklären.

3.) Trennung von Eheleuten (NICHT: Scheidung, da Ehe prinzipiell unauflösbar weil Sakrament): aber es gibt die Trennung von Tisch und Bett. Diese Trennung wird von Gerichten verfügt. Solange sie nicht verfügt ist, haben die Eheleute Anspruch auf einander (Alimentationsanspruch aber auch auf Geschlechtsverkehr).
ACHTUNG: wenn einer schwer Krank wird, ist es kein Grund ihn aus der Ehe zu entlassen = Ehe als solidarisches Band.

4.) Frage nach der Unwirksamkeit von Ehen (Lehre von den Ehehindernissen): Wenn ein Ehehinderniss vorliegt, führt es nicht zur Trennung sondern dazu, dass der Ehetatbestand nichtig ist => von Anfang an unwirksam geschlossen worden.

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7
Q

Crimen/Strafrecht

A

Die Kirche hat früh angefangen ein Bussrecht zu entwickeln (zur Disziplinierung des kirchlichen Personals + Leien). Diese soziale Verhaltensregeln haben sogar eine Basis in der Bibel (z.B. die 10 Gebote => da steht man soll nicht töten und wenn man es trotzdem macht, kann man sich nicht vorstellen, dass die Kirche nicht macht)

  • Fehlverhalten der Christen als Sünde löst kirchliche Strafen aus (etwa: Exkommunikation): Normübertretung = Sünde und diese muss von der Kirche, als Stellvertreter Christies auch sanktioniert werden.
    Diese Sanktionsmechanismen bilden sich schon früh aus => 9-10. Jh => Entstehung von Bussbüchern.
  • Kirchliche Regelungen als Instrumente mittelalterlicher Sozialdisziplinierung: die Kirche ist rechtlich gesehen auf verschiedenen Ebenen unterwegs:
    1. ) Gewalt (Gottfrieden, Tötungsverbote)
    2. ) Sexualität (Eherecht): die Kirche hat versucht, über das Eherecht & Strafrecht, mittelalterliches Sexualverhalten zu steuern. Fängt bei Sachen an wie die Missbilligung von Homosexualität und geht weiter bis zu Schutzmassnahmen für die Frau z.B.
  • Seit dem 12. Jh wachsende Bedeutung von Bestrafung heterodoxer Bewegungen: Bewegungen die einem anderen Glauben folgen => was die Kirche als Ketzerei bestraft. Kirche hatte schon immer das Problem, dass es verschiedene Meinungen gibt => Konzil von Nizäa (325) kommt zusammen, weil die Kirche über eine Frage der Theologie gespaltet ist. Die Kirche hat das lange durch Konzile geregelt.
    ABER: wird im 12. Jh anders => es wird mit dem Strafrecht dagegen vorgegangen. im 12-13. Jh kommt es immer wieder in FR zu Ketzereikreuzunge
  • Gleichzeitig: Ausformung eines Schuldstrafrechts => “keine Strafe ohne Schuld” = ist als Elementargrundsatz von der Kirche ausgeformt worden. Vorstellung dahinter: Christus betrachtet jeden einzelnen als Individuum und deshalb muss die Kirche auch auf die Schuld jedes einzelnen Menschen schauen denn nur dann hat der einzelne Mensch wirklich Strafe verdient. Wenn jemand nichts dafür kann, dan hat er sich auch nicht schuldig gemacht und kann nicht bestraft werden (besondere Bedeutung von Irrtum usw).

=> Verpflichtung zur individualisierten Betrachtungsweise aufgrund christlicher Botschaft
=> Bedeutung individueller Schuld 

=> Damit: Bedeutung individueller Zurechenbarkeit von Unrecht 

=> Ausformung von Regelungen insbesondere zu Entschuldigung und Schuldausschluss

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