5. Die Entstehung der Rechtskirche seit dem 12. Jahrhundert Flashcards

1
Q

Vorläufer:

A
  • Seit dem 4. Jh auch in der Westkirche Sammlungen kirchlicher Normtexte in sogenannten Kanonessammlungen: Sammlung von kirchlichen Normen die in Buchform zusammengestellt werden => werden kopiert und verschickt, damit sich das Wissen verbreitet.
    Recht braucht eine Bekanntheit, damit die Leute sich dran halten + die Leute die es anwenden müssen, müssen es auch kenne. Frage: wie kann man das Recht speichern?
  1. ) Mündliche Weitergabe: Vorteil = in einer Gesellschaft wo die Leute nicht lesen könne, kann man trotzdem Recht haben & anwenden // Nachteil = eine mündliche Norm verliert sehr schnell ihre Bedeutung (30 Jahre), wird vergessen oder verändert ihren Innhalt.
  2. ) Schriftlichkeit: Vorteil = erlaubt konstante Normen & stabilere und komplexere Rechtsordnung // Nachteil = Schrift erfordert Kenntnis & einen grössren Aufwand (die Seiten produzieren, Leute haben die schreiben können, alles per Hand abschreiben usw) => erklärt warum es sehr wenige Bücher im Mittelalter gibt (gibt noch kein Buchdruck).

wenn man eine schriftliche Rechtskultur hat braucht man diese Bücher! Die Kirche leistet diesen Aufwand. dank der hohen Schriftkundigkeit in der Kirche ist es möglich, dass sich die Rechtssammlungen von der Kirche verbreiten.

  • Beispiele für solche Sammlungen:
    1. ) Collectio Dionysiana (Rom, 500): chronologische Sammlung
    2. ) Decretales isidoris Mercatoris (Mitte 9. Jh): die Dekretalen des Kaufmanns Isidor -> Geschichte = ein Kaufman Namens Insidor hat diese ganzen Rechtstexte gesammelt & dieses Buch erstellt. Heute wird es als “pseudo” Isidorische Sammlung bezeichnet weil es diesen Isidor nie gegeben hat. Diese Sammlung ist in einem Kloster in FR entstanden und besteht teilweise aus echten Texten, veränderte Texte & erfundene texte. Es wurde geschrieben um dem Bischof mehr Unabhängigkeit, Stärke zu garantieren = Manipulation des kollektiven Rechtsgedächtniss. Man hat erst im 16. Jh gemerkt, dass die falsch sind. bis dahin, wurden immer wieder kopiert & haben das Kirchenrecht hunderte von jähren massiv geprägt.
  • Wesentliche Funktionen:
    1. ) Bewahrung von Rechtswissen
    2. ) Ansatzweise: Deutungen von Texten in Auseinandersetzung mit der politischen und sozialen Welt => Wissenschaft die das Ausdrücklich betreibt ab dem 12. Jh
  • Im 11. Jh: wird die Bedeutung von Recht noch einmal gesteigert, weil die Kirche als Institution zunehmend argumentativ auf diese Normen zurückgreift
    1. ) Insbesondere unter Gregor VII. entschiedener Rückgriff auf kirchliche Normtexte und zugleich verstärkte Systematisierung von Sammlungen
    2. ) Seit Gregor VII. verstärkte Argumentation mit dem “alten Recht” der Kirche
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2
Q

Decretum Gratiani:

A
  • Entsteht um 1140
  • Decretum Graziani weil es von Gratian zusammengestellt worden ist => Rechtslehrer in Bologna für Kirchenrecht und dann Bischoff in Italien
  • Sammlung, vor allem von:
    1.) wichtiger Bibelstellen und Väterliteratur
    2.) Dekretalen, canones
    3.) Weltlicher Normen
    Diese Sammlung zeichnet sich aus, weil die umfassender ist als was man vorher gekannt hat.
  • Vermutlich gedacht als Lehrbuch: eignet sich dafür besonders gut wegen:
    1. ) den “Dicta” = kurze Anmerkungen von Gratian zu den diversen texten welche das Verhältnis der diversen Rechtstexte zu einander erläutern. Hilfreich, weil Texte aus 1100 Jahren => sind nicht unbedingt widerspruchsfrei. Was Gratian macht: er unterscheidet Anwendungsfälle! Er glänzt die verschiedenen Rechtssätze voneinander ab.

2.) starke Systematisierung

  • Gewaltiger Erfolg dieses Werkes: Zirkulation in ganz Europa. Erfolg weil die Sammlung so umfassend ist (enthält alles), gute Verständlichkeit & praktische Anwendbarkeit.
    Zirkuliert in ganz Europa = alle Studenten die Kanonistik studieren lassen sich eine Kopie anfertigen und nehmen es mit, in alle teile Europas. Auch alle Bischöfe die Recht sprechen brauchen ein Decretum Gratiani.
  • Es bildet die Grundlage des Kirchenrechts bis zum Codex Iuris Canonici (1917).
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3
Q

Die Entstehung der Kirchenrechtswissenschaft:

A
  • Europaweit Gründung von Universitäten seit dem 12. Jh mit Schwerpunkten zunächst in Oberitalien und Frankreich: dann Cambridge, Oxford & im deutschsprachigem Raum. Es wird dort auch Rechtswissenschaft betrieben -> man geht systematisch, wissenschaftlich mit Rechtstexten um. Die Normen sind weiterhin autoritativ gesetzt (man ist an jeder Norm gebunden) aber es gibt Raum für Interpretation.
  • Aus der Sammlung von Normtexten wird jetzt die analysierende Kommentierung: Wandlung von der blossen Kompilation von Rechtstexten (Sammlungen) hinzu einer wissenschaftlichen Bearbeitung => systematische Anordnung, Verknüpfung, Kommentierung.

Im Rahmen der Kirchenrechtswissenschaft unterscheidet man:

  1. ) Dekretistik: = seit dem späten 12. Jh, Kommentierung des Decretum Gratiani (Glossen, Summen), sowohl die Texte die drin enthalten sind wie auch das Decretum selbst.
    a) Glosse: im Ursprung, interlinear Glossen = kurze Anmerkungen, nur ein Wort erklärt zwischen den Zeilen der Texten. Mit der Zeit, werden immer umfangreicher und verschieben sich an den Rand (Marginal Glossen).b) Summe: = Zusammenfassender Kommentar. Eigenständiges Werk das neben de anderen steht.
  2. ) Dekretalisten: seit dem späten 12. Jh, Schwerpunkt im 13-14. Jh. = kommentierende analyse päpstlicher Dekretalen // Ursprünglich auch systematisierende Kompilation von Dekretalen

Es geht insbesondere um die Papstnormen die nach dem Decretum Gratiani ergangen sind => beschäftigt sich nur mit den neuen Dekretalen.

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4
Q

Die Verrechtlichung der Praxis:

A
  • Intensivierung der Rechtssprechung:
    1. ) Ausbreitung der päpstlichen Gerichtsbarkeit durch sogenannte Iudex delegatus: Der Papst urteilt selbst aber kann auch einen Richter für bestimmte Aufträge versenden (Iudex delegatus; delegierter Richter)
  1. ) Professionalisierung der Rechtssprechung auf der Ebene der Bistümer: Rechtsprechung in Ehesachen z.B.
  2. ) Universitäten stellen Juristen
  3. ) Entstehung des Offizials (im deutschen Raum seit dem 13. Jh): Viele Bischöfe sind nicht ausgebildet. deshalb greifen viele auf die Juristen die in den Universitäten ausgebildet werden zurück und stellen die als “ofizialat” ein => dürfen dann Urteilen, als alter ego anstatt des Bischofs.
  4. ) Ausformung des kirchlichen Verfahrensrechts (vor allem unter Innozenz III.)
  • Päpstliche Normproduktion inspiriert auch durch den Dialog mit der Kanonistik (Phänomen der “Juristenpäpste”) - erfasst zunehmend alle Lebensbereiche: Viele Päpste sind gebildet Jusristen und fangen an stark Normen zu setzen:
    1. ) Ehe: war bis zum Hochmittelalter ein weltliches Recht. Die Ehe war zwar eine kirchliche Institution (Sakrament) aber nicht rechtlich geregelt durch die Kirche. Im Hochmittelalter übernehmen die Päpste vollständig die rechtliche Zuständigkeit für die Kirche.
  1. ) Vermögensrecht: Stichwort “Kirchenstiftung”. Heute noch im ZGB. Sehr wichtig, um das Kirchenvermögen verwertbar zu machen.
  2. ) Entstehung des Strafrechts: ab dem 8. Jh entstehen Busbücher, die Sünden und dazu Strafen auflisten (beginnt mit einem temporären Ausschluss und endet mit der Exkommunikation). In manchen Gebieten, doppelte Zuständigkeit von Kirche + weltliche Herrschaft (wenn Verhalten Sünde + Verbrechen ist).
  3. ) Ausformung kirchlichen Dienstrechts: = Ämter waren vergeben (im Gegensatz zum weltlichen Recht wo Herrschaftsrechte auf bestimmte Zeit vergeben werden). Amtsinhaber können auch wieder abgerufen werden.
  • Kirche damit nunmehr rechtlich geordnete (durch Normen) Heilanstalt (Kirche = Institution die das Seelenheil vermittelt). Das führt zu:
    1. ) Debatte unter anderem über Beziehung Kanonistik/Theologie
    2. ) Kritik an der Vorherrschaft der Juristen in der Kirche

Diese Kritik war relativ erfolglos; auch heute ist sie noch sehr strak von Recht geprägt.

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5
Q

Das Corpus Iuris Canonici:

A
  • Sammlung von kirchenrechtlichen texten die 1580/1582 vom Papst promulgiert wird.
  • Es besteht aus:
    1. ) Decretum Gratiani (1140): erlangt eine überragende Bedeutung. Kann auf Grund seiner praktischen Relevanz nicht weggedacht werden.

2.) Decretakes Gregorii IX. (Liber Extra) (1234): ab 1140 werden weiterhin päpstliche Normen erlassen in Form von Dekretalen => Gregor IX. (Papst Anfang 13. Jh) lässt sie sammeln und zusammenstellen. Beauftragt dafür Raimond von Penjaforte => ordnet es Systemtisch nach 5 Themen (Recht der Herrschaftsordnung, Verfahrensrecht, Eherecht, Dienstrecht, Strafrecht).
Dieser Liber Extra wird wiederum glasiert, kommentiert. auch hierzu entsteht eine Glossa Ordinaria.
Was besonders ist: der Papst erlässt ihn tatsächlich => wird offiziell erlassen & an die Unis verschickt als verbindliche & ausschliessliche Textgrundlage für Dekrete ab 1140 bis 1234. Also, alle anderen Dekrete die sonst noch irgendwo umschwirren werden ab diesem Moment ungültig. Der Papst wird hier wirklich zum Gesetzgeber!!

  1. ) Liber Sextus Bonifaz VIII. (1298): diese ausschliessliche Verbindlichkeit gilt auch für den Liber Sexus => wird 1298 von Bonifaz VIII. promulgiert. Er ist auch nach diesem 5 heiligen Schema aufgegliedert. Liber Sexus weil Liber Extra in 5 Teile aufgeteilt ist und der Liber Sexus ist der Annex dazu.
  2. ): Clementinae (Papst Clemens V. 1317 promulgiert): Papst Clemens V. hat ihn zum Auftrag gegeben, wird aber erst von seinem Nachvolger promulgiert. ABER, die Clementinen haben diesen Ausschliesslichkeitsanspruch nicht mehr (widerspiegelt die abnehmende Bedeutung des Papsttums zwischen 1298 und 1317 wo es schon in Avignon ist)
  3. ) Extravagantes Johannis XXII. (1325, um 1500 von Jean Chappuis herausgegeben): Dekretalen von Johannis
  4. ) Extravagantes Communes (um 1325, um 1500 von Jean Chappuis herausgegeben): Dekretalen die sonst noch verbreitet wurden von diversen anderen Päpsten.

= keine autoritativen Sammlungen mehr (nicht vom Papst gemacht sondern von einem französischen Kanonist)

  • Diese ganzen Textbücher sollen zweierlei bewirken:
    a. ) Rechtdurchsetzung: Verfügbarkeit von kirchlichem Rechtswissen und kirchlichen Rechtstexten für die Wissenschaft & päpstlichen Richter um das kirchliche Recht in allen Möglichen Situationen anwendbar zu machen.
    b. ) Sie schaffen Referenzpunkt an denen kirchliche Rechtswissenschaft anknüpfen kann & Rechtsdoktrinen entwickeln kann die es ermöglicht dieses Recht weiter anzuwenden oder zu vertiefen.
  • 1580/82:
    1. ) Texte durch Gregor xiii. zusammen mit der Glossa Ordinariat als verbindliche Textgrundlage erklärt: wissenschaftliche Mitarbeit wird also Recht!!
    2. ) Mit dem Corpus Iuris Canonici übernimmt der Papst und die Kirche endgültig die Kontrolle über die Textgestallt des kanonischen Rechts. Es ist die verbindliche Rechtsgrundlage der katholischen Kirche bis 1918 (erster Codex canonici).
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