11. Entwicklungstendenzen der frühneuzeitlichen Kirchenrechtswissenschaft Flashcards
Kanonistik: wie geht sie mit ihren Traditionen um?
- Einfluss von Humanismus und Buchdruck:
1. ) Humanismus: lässt auch seine Spuren innerhalb der Kanonistik, weil sie dem Mut fasst, sich etwas zu lösen von Ordnungsstrukturen des Gesetzgebers und schafft sich selbst etwas freiere Ordnungsstrukturen
- ) Buchdruck: stellt sich die Frage “wie kriege ich diese Vielzahl von Quellen zwischen 2 Buchdeckel geordnet”? Wegen der Vervielfältigungsmöglichkeiten von Texten, stellt sich die Frage ganz neu.
- Zunächst: Kontinuität der überkommenen Exegese einzelner Textstellen (etwa Prospero Fagnani, 1588-1678): Die Kanonistik ist von allen Wissenschaften die konservativste, die wo sich der Wechsel am langsamsten macht. Fagnani behaltet das Exegese Schema, d.H., er hangelt sich von Gesetzesstelle zu Gesetzesstelle zu Gesetzesstelle.
- Wir sehen dann aber die Entstehung einer neuen Rechtswissenschaft, ein Darstellungsschema das jetzt universal tätig wird und sich deshalb auch als ius canonicum universale (umfassendes kanonisches Recht) bezeichnet: - ) Ehrenreich Pirhinf (1606-1679): Pirhingische Methode => wirft den kirchlichen Gesetzgebern (die von den Texten die im Corpus Iuris Canonici sind) vor, dass die Ordnung die sie vorgegeben haben, Schwachsinn ist. er sagt, sie haben die Kapitel vermischt und ohne Ordnung in Titel gepresst.
Er sagt, wir müssen zu einer geordneten Methode kommen, die Ordnung der ursprünglichen Lehre wiederherstellen, d.H., die einzelnen Textstellen mit einem Ordnungsprinzip mit einander zu Verknüpfen, in der Weise, dass die hinter diesen Texten liegend Wertungsprinzipien strukturbildent für diese Ordnung werden.
- ) Anaklet Reiffenstuel (1641-1703): er setzt das Programm von Pirhing um. Er in der Darstellung des Ius Canonicum Universale sehr präzise und kohärent.
- ) Franz Xaver Schmalzgrueber (1663-1735): hat auch ein gewaltiges Lehrbuch zum ius canoncium produziert
- Materiell allerdings Fortschreibung der überkommenen Dogmen der klassischen Kanonistik: Die frühneuzeitige Kanonistik macht nichts anderes als die mittelalterlichen Doktrinen neu zu ordnen aber sonst, ändern sie so gut wie nichts!
- Aber: Wachsender Einfluss von vernunftrechtlichen Lehren insbesondere in der Lehre der östereichischen Kanonisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts: Das sind Leute die die Entstehung von staatlicher Gewalt aus dem Gesellschaftsvertrag übertragen auf die Kirche => die Kirche wird auch eine societas perfecta und diese societas (Gesellschaft) wird allerdings nicht von den Menschen durch einen Gesellschaftsvertrag gestiftet sondern durch Jesus.
Ausgangspunkt: Dekretale Olim Causam (päpstliche Dekretale):
Regelt die Frage, wie das Risiko der Geldentwertung zwischen Schuldner/Gläubiger zu verteilen ist? (Massgeblich: Geldsorte bei Entstehung der Schuld) (moderne Frage).
Im Mittelalter war die Frage noch dramatischer, weil im Mittelalter wurden neue Währungen eingeführt.
Der Papst hat entschieden: das Risiko der Geldentwertung liegt beim Gläubigen. Umgekehrt, liegt das Risiko der Geldaufwertung aber beim Schuldner.
Das steht in dieser Dekratle Olim Causam drin. Was interessant ist, ist das diese Dekretale intensiv bearbeitet worden ist.
Mittelalterliche Tradition (Bearbeitung des Olim Causam):
- Zunächst Glossierung (etwa in der Glossa Ordinaria): Ganz Klassisch => der Haupttext, Gesetzestext ist zentral und die Kommentierung hangelt sich entlang am Rand.
- Später: Darstellung in der Form der lectura (etwa Panormitanus): Falldarstellung – Analyse - Nota: Dann sehen wir etwas später (im 15. Jh), dass sich die Kommentierung nicht an einzelnen Textstellen anhängt, sondern komplett zur Dekretalen in totem erfolgt. Das heisst die Kommentierung folgt schon der Grundstruktur des Gesetzestextes aber der Gesetztext ist selber nicht mehr präsent, sondern das ist nur noch der einzelne Titel.
Emanuel Gonzalez Tellez (+ 1649):
- Humanistische Textkritik in Kombination mit dogmatischer Analyse
- Verbindlichkeit der Textordnung des päpstlichen Gesetzgebers
Hier ist es schon ein bisschen anders. Hier haben wir eine Art Doppelkommentierung, Doppelordnung. Auf einer Seite haben wir eine „Note“ => eine Art historischer Kommentar. Dafür benutzt er dieses alte Glossenschema (einzelne Textstellen, Wort zu erläutern).
Auf der anderen Seite, was die Inhalte der Dekretale selber betrifft, gibt es hier ein Fließtext => das nennt er „Kommentarium“.
Prospero Fagnani (+ 1678):
- Systematische Entfaltung von Dogmatik zur Dekretale
- Weiterhin Verbindlichkeit der Textanordnung durch päpstlichen Gesetzgeber
Im Prinzip orientiert sich die Besprechung dieser Dekretale nach wie vor in der gleichen Ordnung wie wir das mit Panormitanus gesehen haben.
Ehrenreich Pirhing (1606-1679):
Bei Pirhing kommt eine neue Methode auf!!!
Man folgt nicht mehr der Capitola-Anordnung. Man folgt zwar den Titeln aber ansonsten eine eigene Systematik. Orientiert sich also nur noch an den Grundstrukturen => Bücher & Titel.
Er formuliert übergeordnete Fragen => stellt die Fragen in den Ausgangspunkt und nicht etwa (wie die anderen) die Dekretale. Er sagt also er stellt Fragen, und dazu sucht er Gesetze.
Dahinter steckt ein grundliegendes Problem: wenn ein Rechtsgebiet völlig neu entsteht, wie kriegen wir die Regelungsprinzipien dieses neuen Rechtsgebietes in den Griff?
Protestantischer Bereich:
- Anfangs: sola scriptura => Menschenwerke können nicht verbindlich sein, nur die Bibel ist verbindlich!
- ABER: Reformation intensiv verflochten mit Problemen der staatlichen Gewalt. Das führt dazu, dass die protestantische Kirchenrechtswissenschaft sich relativ frühzeitig dafür interessiert, was die staatliche Gewalt mit der Kirche machen kann, was für Verantwortlichkeiten sie für die Kirche hat und wo die Gläubigen auch vor der staatlichen Gewalt zu schützen sind.
- Deshalb geht die protestantische Kirchenrechtswissenschaft relativ frühzeitig ein relativ enges Bündnis ein mit dem entstehenden ius publicum, mit der entstehenden Wissenschaft vom öffentlichen Recht (Schutzbedürfnis der protestantischen Reichsstände).
- Damit:
1. ) Parallelentwicklung von ius Publikum und protestantischem Kirchenrecht
- ) Starke Prägung der Kirchenrechtslehre durch den Humanismus
- ) Zentren protestantischer Rechtswissenschaft insbesondere: Herborn // Basel (wird dort unterrichtet)
- Materiell (womit beschäftigt sich diese Lehre?):
1. ) Sie beschäftigen sich vor allem mit der Ausgestaltung der öffentlichen Gewalt im Verhältnis zur Kirche und sie beschäftigen sich im Innenbereich der Kirche vor allem mit der ämterlehre also die Frage wie ist das Verhältnis zwischen dem Pfarrer und der Gemeinde?
2.) Teilweise: Frage nach Bedeutung der Gemeinde? Johannes Althusius betont die Rolle der Gemeinde als Grundlage von Herrschaft überhaupt (entwickelt ein Modell für eine kommunalistische Demokratie Theorie)
Exkurs: Die Church of England:
Die Entwicklung der Church of England folgt 2 Entwicklungsdynamiken: (1) starke mittelalterliche Tradition // (2) Entwicklungsdynamik der Reformation auf dem Kontinent
- Ansatzpunkt: Konflikt zwischen dem Papsttum und König Henry VIII wegen der Annulierung seiner Ehe mit Katharina von Aragon
- Heinrich VIII. ordnet die Errichtung einer Kirche unter staatlicher, königlicher Kontrolle an. Es ist eine Reformation ohne reformatorische Botschaft, weil diese Kirche folgt nämlich der katholischen Doktrine aber jetzt ist es eine königliche Kirche geworden.
- Also: Kontinuität des kanonischen Rechts
- Ein bisschen reformiert wird sie dann 1549 mit Edward VI. mit dem Book of Player => protestantische Elemente kommen da rein.
- Gegenreformation unter Mary (1516-1553): Versucht den Katholizismus wieder richtig stark zu machen. Dauert 5 Jahre. Sie verliert dann ihr Leben und verliert gegen Elisabeth I.
- Elisabeth I. : sie stabilisiert die Oberhoheit in dem sie sich gegen Philipp II. von Spanien behauptet (besiegt seine Armada).
Sie publiziert das Book of Common Prayer: for uns wider der Weg den die geht in der Religionspolitik mit diesem Buch:
- ) Stabilisiert die Oberhoheit der Kirche; setzt den Weg von Heinrich VIII. fort und sagt, der/die König/in ist Herrscher der Kirche. Staatskirche und der/die König/in ist Protektor der Kirche.
- ) ABER, lässt viele mittelalterlichen Tradition des Katholizismus weiter zu. Sie fährt eine vorsichtige Toleranzpolitik letztlich auch im Interesse der Herrschaftsstabilisierung.
Wir sehen in der Church of England alle Elemente frühmoderner Staatskirchenrecht Politik => starke Monarchische Gewalt die in der Tendenz für Toleranz plädiert.
Genau das ist auch das was funktioniert => den Mittelweg nehmen => Toleranz aber Staatliche Kontrolle (Friedrich II. tut das gleiche).