B. Paradigmen der Persönlichkeitspsychologie 2. Humanistisches/Bedürfnistheoretisches Paradigma Flashcards
Weiterentwicklung von Freuds Modellen
In Bezug auf das strukturelle Modell:
Sigmund Freud
Es = der mit Geburt angelegte Sitz der Triebe
Ich = entwickelt sich nach dem Es und ist die Exekutive, die zwischen Es, Über-Ich und Umwelt vermittelt
Über-Ich = der zuletzt entwickelte Sitz der internalisierten Gebote (Ideal-Ich) und Verbote (Gewissen), welche von Bezugspersonen und der Kultur vermittelt werden
Weiterentwicklung von Freuds Modellen
In Bezug auf das strukturelle Modell:
Henry Murray
Es = Sitz der Bedürfnisse, die
sozialisierbar und veränderbar sind
Ich = Instanz für Planung und Steuerung des Verhaltens, weniger abhängig von Es und Über-Ich
Über-Ich = Sitz gesellschaftlicher Werte und Normen, welche von der Kultur und von allen möglichen wichtigen Personen vermittelt werden (Familie, Peers, Idole)
Weiterentwicklung von Freuds Modellen
In Bezug auf das dynamische Modell:
Nach Freud erleben Menschen den spannungsreduzierenden Prozess als lustvoll und den spannungslosen Zustand als befriedigend
VS.
Murray: Menschen erleben vor allem den Prozess der Spannungsreduktion als befriedigenddie Möglichkeit zur bewussten Spannungssteigerung (durch Belohnungsaufschub) → größere Befriedigung
Bedürfnisse (needs)
Primäre (viszerogene) Bedürfnisse:
Angeborene Bedürfnisse, die für das Überleben und die Erhaltung der Art unabdingbar sind
z. B. Bedürfnis nach Sexualität, Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Ausscheidung, Schlaf, Schutz oder Vermeidung von körperlichem Schmerz und Krankheit
→ primär körperliche Befriedigung
Bedürfnisse (needs)
Sekundäre (psychogene) Bedürfnisse:
Aus den primären Bedürfnissen entwickelte Bedürfnisse im Laufe der Sozialisation
z. B. Bedürfnis nach Leistung, Bindung, Unabhängigkeit, Macht, Vermeidung psychischen Leids, Ordnung, Selbstdarstellung oder Sinnhaftigkeit → primär psychische Befriedigung
Bedürfnisse (needs)
Persönlichkeitspsychologische Bedeutung
Anlage: Viszerogene Bedürfnisse: physiologische Motive → interindividuelle Unterschiede in der Häufigkeit des Auftretens und Intensität
Umwelt: Psychogene Bedürfnisse: psychische Bedürfnisse → interindividuelle Unterschiede in der Häufigkeit des Auftretens und Intensität
Situative Bedingungen: Need x press interactions: konkrete Bedürfnisse in einer bestimmten Situation äußern sich situations- spezifisch bzw. abhängig von der Situation.
Situative Bedingungen (presses) und Verhalten Verhalten kann nur aus der Interaktion von Personenmerkmalen (needs) und
Merkmalen der Situation (presses) erklärt werden (need × press interaction).
α-press:
objektive Merkmale einer Situation, die eine Bedürfnisbefriedigung ermöglichen oder verhindern
z. B. Bedürfnis nach Machtausübung erfordert Anwesenheit anderer Personen
Situative Bedingungen (presses) und Verhalten Verhalten kann nur aus der Interaktion von Personenmerkmalen (needs) und
Merkmalen der Situation (presses) erklärt werden (need × press interaction).
β-press:
subjektive Wahrnehmung und Interpretation einer Situation durch die Person
z. B. Bedürfnis nach Sexualität in einer Partnerschaft, wo jeder der beiden
erwartet von dem anderen verführt zu werden als Zeichen des Bedürfnisses
Diagnostik von Bedürfnissen
Ein Bedürfnis…
…führt zur selektiven Wahrnehmung von Reizen in der Umwelt und zu einer spezifischen Reaktion auf diese Reize.
…äußert sich in der Art und Weise des Verhaltens.
…kann aus dem Resultat von Verhalten abgeleitet werden.
…wird von bestimmten Emotionen begleitet.
…führt zu Befriedigung, wenn ein bestimmtes Resultat erreicht ist, oder zu einer Enttäuschung, wenn dies nicht der Fall ist.
Diagnostik von Bedürfnissen
Thematischer Apperzeptionstest (TAT)
Test besteht aus 30 Bildtafeln mit mehrdeutigen Zeichnungen
Erzählen einer Geschichte zu jeder Tafel, wobei die Gliederung wie
folgt vorgegeben ist:
Wie ist es zur dargestellten Situation gekommen?
Was passiert gerade? Was denken und fühlen die Akteure? Wie geht es weiter?
Registrierung der Nennungen von Bedürfnissen (needs) der Figuren und der Umweltbedingungen (presses), denen sie gegenüberstehen
Häufigkeit der Nennungen soll Auskunft über die Ausprägung bestimmter Bedürfnisse und die charakteristischen need × press Konstellationen der erzählenden Person selbst geben
Diagnostik von Bedürfnissen
Personality Research Form (PRF)
Deutsche Version (Stumpf, Angleitner, Wieck, Jackson, & Beloch-Till, 1985):
2 Parallelformen zu 234 Items (Aussagen, die mit Richtig vs. Falsch zu beurteilen sind) = 14 Skalen zu á 16 Items + Validitätsskala mit 10 Items
Beispielitems:
„Ich arbeite, weil ich arbeiten muss, und nur deswegen.“
„Ich fluche viel.“
„Ich habe nur wenig Interesse daran, andere zu führen.“
„Es ist mir wichtig, dass ich mit den Leuten um mich herum zurecht komme.“
Humanistisches Menschenbild als Ausgangspunkt
Annahme:
Jeder Mensch ist zu einer lebenslangen Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung seiner Persönlichkeit motiviert und fähig
Dabei sind die höchsten Ziele Autonomie, Sinnfindung und Selbstverwirklichung
Der Mensch ist von Natur aus gesund und besitzt Selbstheilungskräfte
Der Mensch ist anpassungsfähig und kann aus eigener Kraft schwierige Lebensbedingungen meistern sowie Krankheiten und Störungen kompensieren
Menschliche Motive (motives)
Defizitbedürfnisse (deficiency motives)
…resultieren aus einem Zustand des Mangels und zielen darauf ab, diesen zu beseitigen
Physiologische Motive: Nahrung, Flüssigkeit, Sauerstoff, Schlaf, Sexualität
Sicherheitsmotive: materieller Schutz, Ordnung und Berechenbarkeit der Umwelt
Anschlussmotiv: Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, D-Liebe, Intimität
Anerkennungsmotiv / Statusmotiv: Achtung und Wertschätzung durch andere und sich selbst
Menschliche Motive (motives)
Defizitbedürfnisse (deficiency motives)
Homoästase
→ unangenehme Gefühle (Angst, Traurigkeit) als Ausdruck eines Mangelzustandes, der Ist-Soll-Diskrepanz (z.B. Hunger, Chaos, Einsamkeit, Verachtung) signalisiert
→ Handlungsmotivation um einen angenehmen Zustand, das Ist-Soll-Gleichgewicht, wiederherzustellen (z.B. Sättigung, Ordnung, Gemeinschaft, Anerkennung)
Menschliche Motive (motives)
Wachstumsbedürfnisse (growth motives)
…entsprechen dem Streben nach Selbstverwirklichung, seine eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten auszuleben und Sinn im Leben zu finden
Menschliche Motive (motives)
Wachstumsbedürfnisse (growth motives)
Heterostase
Setzen eines ständig neuen Sollzustandes (z.B. guten
(bedingt sich gegenseitig)
Abschluss machen) Handlungsmotivation um diesen Zustand zu erreichen
Menschliche Motive (motives)
Bedürfnispyramide
Bedürfnisse sind angeboren und folgen einer hierarchischen Ordnung
Dabei müssen tendenziell zunächst niedrigere Bedürfnisse befriedigt werden, bevor übergeordnete Bedürfnisse zum Tragen kommen
Menschliche Motive (motives)
Persönlichkeitspsychologische Bedeutung
Allgemeinpsychologisch:
hierarchische Ordnung der Bedürfnisse und die Prozesse Homöostase und Heterostase
Menschliche Motive (motives)
Persönlichkeitspsychologische Bedeutung
Differentiell psychologisch:
Bedürfnisse können in ihrer Stärke interindividuell variieren
Interindividuelle Unterschiede in der Bedürfnisstärke können interindividuelle Unterschiede im Verhalten erklären
Persönlichkeit kann anhand von zwei Größen beschrieben werden:
* ProfildertypischenAusprägungenindenBedürfnissen
* Entwicklungsstand des Individuums in der Bedürfnispyramide
Persönlichkeitsentwicklung
15 Anzeichen der Selbstverwirklichung nach Maslow (1970):
- Realitätsorientierung
- Selbstakzeptanz
-Spontaneität
- Problemorientierung
- Selbstgenügsamkeit
- Autonomie
- Offenheit
- Fähigkeit zum intensiven erleben
- Gemeinschaftssinn
- tiefe und harmonische persönlichkeit
- demokratische grundhaltung
- ethische Maßstäbe
- Sinn für humor
- Kreativität
- Überwindung kultureller einengungen
Persönlichkeitsentwicklung
Psychische Störungen
…entstehen aus dem Fehlen der Befriedigung von Bedürfnissen
Je niedriger die hierarchische Ebene, um so tiefgreifender die Störung
Bei tiefgreifenden Störungen, zum Beispiel beim Mangel an Sicherheit und sozialem Anschluss (→ Angststörungen) → langwierige psychoanalytische Therapie
Bei weniger schweren Problemen, zum Beispiel beim Mangel an Anerkennung durch sich selbst (→ Depressive Verstimmung) → kürzere Behandlungsstrategien einschließlich Verhaltenstherapie
Maslow schätzte Gruppentherapieverfahren und Selbsterfahrungsgruppen zur Spiegelung des eigenen Wesens/Potenzials der Teilnehmer
Rogers positives Menschenbild
Humanistischer und phänomenologischer Rahmen:
die Natur des Menschen sei im Kern positiv, zielstrebig und konstruktiv in Richtung Differenzierung, Selbstverantwortlichkeit, Kooperation und Reife
die wichtigsten Determinanten des Verhaltens sind bewusste Wahrnehmungen und Gefühle in Verbindung mit sozialen Interaktionen
Rogers entgegnet dem Vorwurf ein naiver Optimist zu sein wie folgt:
„Ich habe kein euphorisches Bild von der menschlichen Natur. Ich weiß, dass Individuen aus Abwehr und innerer Angst sich unglaublich grausam, destruktiv, unreif, regressiv, asozial und schädlich verhalten können. Es ist dennoch einer der erfrischendsten und belebendsten Aspekte meiner Erfahrung, mit solchen Individuen zu arbeiten und die starken positiven Richtungsneigungen zu entdecken, die sich auf den tiefsten Ebenen bei ihnen wie bei uns allen finden.“ (Rogers, 1961)
Selbst und Selbstaktualisierung
Aktualisierungstendenz
…ist die angeborene Tendenz eines Organismus (Physisches + Psychisches), dessen Bedürfnisse zu befriedigen, Möglichkeiten in einer Weise zu entwickeln (auszudrücken und zu aktivieren), um ihn zu erhalten und zu fördern → Wachstum, Autonomie, Entfaltung/Komplexität
ein beständiger und autonomer angeborener organismischer Bewertungsprozess bemisst alle Erfahrungen, Erlebnisse und Verhaltensweisen des Menschen dahingehend, in welchem Ausmaß diese zur Aktualisierung beitragen (→ positive Gefühle) oder nicht (→ negative Gefühle)
Gefühle signalisieren uns, welche Erfahrungen und Verhaltensweisen wir meiden oder anstreben sollen