01. Geschichte, Beschäftigungs- und Forschungsfeld der Klinischen Psychologie Flashcards
Antike
Beginn der Medizin als Wissenschaft
Hippokrates von Kos (460 v. Chr. – 370. n Chr.)
– Vater der „modernen Medizin“ (Hippokratischer Eid)
– Medizin als Wissenschaft nicht als Religion, Magie oder Glaube
– Psychische Störungen infolge eines Gehirndefekts bzw. eines Ungleichgewichts von Körpersäften (Vier- Säfte-Lehre)
Beginn der Medizin als Wissenschaft Galen von Kos (130-200 n. Chr.)
– Weiterentwicklung der Vier-Säfte-Lehre / Temperament-Lehre
– Sanguiniker (rotes Blut): heiter, aktiv
– Phlegmatiker (weiße Schleim): passiv, langsam
– Melancholiker (schwarze Galle): traurig, nachdenklich
– Choleriker (gelbe Galle): reizbar, erregbar
Mittelalter
Abkehr von der Medizin als Wissenschaft
– Psychische Störungen aufgrund von Sünde oder Verfluchung
Religion und Aberglaube
– Ablösung von Medizinern durch Mönche und Nonnen
– Gebete und Rituale anstelle von Behandlung
– Pseudo-Behandlung anstelle von Behandlung
(Aderlass, Hirnbohrungen)
– Stigmatisierung und Verfolgung von Kranken (Hexenverfolgung, Einsperrung, Ausgrenzung)
Neuzeit
Abkehr von der Medizin als Wissenschaft
– Psychische Störungen aufgrund von Sünde
Verwahrung/Misshandlung anstelle von Behandlung
– Gründung von Asylen (Bethlem Royal Hospital, 1547) und Irrenanstalten
– Ablösung von Medizinern durch Wärter
– Einsperrung und Zuschaustellung anstelle von
Behandlung
– Pseudo-Behandlung/Misshandlung anstelle von medizinischer Behandlung (Gewalt, Aderlass)
Rückkehr der Medizin als (Pseudo-)Wissenschaft
Benjamin Rush (1746-1813)
– Vater der amerikanischen Psychiatrie
– Pseudo-Behandlung/Misshandlung anstelle von medizinischer Behandlung (Gewalt, Aderlass)
– Rassismus
Rückkehr der Medizin als humane Wissenschaft
– Psychische Störungen aufgrund von biologischen Faktoren (Genetik, Gehirn) und psycho-sozialen Faktoren (Umfeld, Erziehung)
Philippe Pinel (1745-1826)
– Vater der humanistischen Psychiatrie/Psychologie
– Medizinische und psychologische Behandlung unter humanitären Gesichtspunkten (Rat, Verständnis, Anteilnahme)
- Jahrhundert
Wandel der Medizin als (natur-)wissenschaftliche Psychiatrie
– Psychische Störungen aufgrund von biologischen Faktoren (Gehirn)
Wilhelm Griesinger (1745-1826)
– Vater der modernen, naturwissenschaftlich- orientierten Psychiatrie
– Erforschung und Klassifikation von psychischen Störungen
Entwicklung der Klinischen Psychologie
– Psychische Störungen aufgrund von psychologischen Faktoren
Emil Kraepelin (1885-1926)
– Erforschung und Klassifikation psychischer Störungen
– Schaffung einer Krankheitslehre psychischer Störungen
Entwicklung der Klinischen Psychologie
– Psychische Störungen aufgrund von psychologischen Faktoren
Lightner Witmer (1867-1956)
– Namensgeber der „Klinischen Psychologie“
– Gründung der ersten psychologischen Klinik (1896, Beratungsstelle)
– Gründung der ersten psychologischen Fachzeitschrift (1907, The Psychological Clinic
Entwicklung der Klinischen Psychologie
– Psychische Störungen aufgrund von psychologischen Faktoren
Sigmund Freud (1856-1939)
– Vater der Psychoanalyse
– Schaffung einer Krankheits- und Störungslehre
- Jahrhundert
Entwicklung der Klinischen Psychologie
– Psychische Störungen aufgrund von psychologischen Faktoren
Professionalisierung der Klinischen Psychologie
– 1950er Jahre: Einführung der Klinischen Psychologie in Deutschland
– 1960er Jahre: Etablierung der Klinischen Psychologie in Forschung und Praxis
– 1960er Jahre: Fokus auf Verhaltenstherapie (als Gegenbewegung zur Psychoanalyse)
– 1970er Jahre: Fokus auf Kognitive Verhaltenstherapie
– 1990er Jahre: Fokus auf Achtsamkeitsbasierte
Therapien
Definition (Baumann & Perrez, 2005) Klinische Psychologie
Klinische Psychologie ist diejenige Teildisziplin der Psychologie,
– die sich mit psychischen Störungen und den psychischen Aspekten somatischer Störungen und Krankheiten
– in der Forschung, der Diagnostik und Therapie beschäftigt
Kerngebiete Klinische Psychologie
Klinische Psychologie beschäftigt sich mit
– der Deskription, Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen (Nosologie)
– der Verbreitung und Verlauf psychischer Störungen (Epidemiologie)
– der Entstehung und Ausgestaltung psychischer Störungen (Ätiologie,
Pathogenese)
– der Intervention bei psychischen Störungen (Prävention, Therapie, Rehabilitation)
Definition (Strotzka, 1969) Psychotherapie
Psychotherapie als Teilgebiet der Klinischen Psychologie ist
– ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus (möglichst zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden
– in Richtung auf ein definiertes (gemeinsam erarbeitetes) Ziel (Symptomminimalisierung, Strukturänderung)
– mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens
– unter der Voraussetzung einer tragfähigen emotionalen Bindung
Konzepte Psychotherapie
Verfahren
– Zugelassene Verfahren: Verhaltenstherapeutische Verfahren, Psychodynamische Verfahren (psychoanalytische Verfahren, tiefen- psychologische Verfahren) und Systemische Verfahren
– Nicht-zugelassene Verfahren: Gesprächspsychotherapie, …
Methoden
– Kognitive Methoden: Kognitive Umstrukturierung, sokratischer Dialog
– Behaviorale Methoden: Konfrontation, Übungen
– Analytische Methoden: Übertragung, Gegenübertragung
Wirkfaktoren
– Therapieunspezifische Wirkfaktoren: Therapeutische Beziehung, Problemaktualisierung, Motivationale Klärung, Problembewältigung, Ressourcenaktivierung
– Therapie-spezifische Wirkfaktoren: Konfrontationsübung, Skillstraining Wirksamkeit
– Grundlegende Wirksamkeit (Efficiacy): Wirksamkeit unter idealen Bedingungen
– Versorgungspraktische Wirksamkeit (Effectiveness): Wirksamkeit unter realen Bedingungen
– Effizienzorientierte Wirksamkeit (Efficiency): Wirksamkeit im Hinblick auf Kosten-Nutzen-Verhältnis
Definition (McMahon & Pugh, 1970) Epidemiologie
Epidemiologie als Teilgebiet der Klinischen Psychologie ist die Untersuchung
– der räumlichen und zeitlichen Verteilung von psychischen Störungen oder störungsrelevanter Variablen in einer genau definierten Population
– in Abhängigkeit von demographischen, psychosozialen, biologisch- genetischen, verhaltens- und umweltbezogenen Faktoren
– mit dem Ziel der Beschreibung und des Verständnis des Auftretens, der Entstehung, Aufrechterhaltung und des Verlaufs psychischer Störungen (deskriptive Epidemiologie: Nosologie, Ätiologie, Pathogenese)
– mit dem Ziel der Überprüfung von Hypothesen bzgl. des Auftretens, der Entstehung, Aufrechterhaltung und des Verlaufs psychischer Störungen (analytische Epidemiologie: Nosologie, Ätiologie, Pathogenese)
Konzepte Epidemiologie
Prävalenz
– Anteil aller Personen, die in einem bestimmten Zeitraum an der Störung erkrankt sind (Erkrankungen; Punktprävalenz, 12-Monats-Prävalenz, Lebenszeitprävalenz)
Inzidenz
– Anteil der Personen, die in einem bestimmten Zeitraum erstmals an der Störung erkrankt sind (Neuerkrankungen; 12-Monats-Inzidenz, Lebenszeit- Inzidenz bzw. Lebenszeit-Risiko)
Risiko
– Risiko für Personen an einer Störung in Abhängigkeit von deren Inzidenz und Prävalenz zu erkranken (Relative Risiko, RR; Odds-Ratio, Attributable Risiko, AR)
Teilgebiete und Grenzgebiete Klinische Psychologie
Klinische Psychologie ist aufgrund der vielfältigen Beschäftigungsfelder durch eine interdisziplinäre Grundorientierung gekennzeichnet
– Gesundheitspsychologie: Förderung und Erhaltung von Gesundheit, Verhütung von Krankheit
– Verhaltensmedizin: Integration psychosozialer Aspekte in die Behandlung und Verhütung somatischer Störungen
– Psychiatrie: Integration biologischer Aspekte in die Behandlung psychischer Störungen
– Psychosomatik: Integration psychischer Aspekte in die Behandlung und somatischer Störungen
– Psychopharmakologie: Integration pharmakologischer Aspekte in die Behandlung psychischer Störungen
Definition (Stern et al., 2010) Psychische Störungen
Psychische Störungen sind eine
– Gruppe (Syndrom) abnormaler Verhaltens- und Erlebensweisen (Symptome),
– die mit außergewöhnlichem Leid und/oder Funktionsbeeinträchtigungen einhergehen
– und auf verhaltensmäßige, psychologische oder biologische Funktionsstörungen zurückzuführen sind.
Psychische Störungen sind keine
– kulturspezifischen Verhaltens- und Erlebensweisen in Reaktion auf bestimmte Ereignisse
– kulturspezifisch sanktionierte (politische, sexuelle, religiöse) Verhaltens- und Erlebensweisen
Problem der Definition „abnormaler Verhaltens- und Erlebensweisen“
– Abweichung von Idealnorm
– Abweichung von statistischer Norm
– Abweichung von sozialer Norm
– Abweichung subjektiver Norm
– Abweichung funktionaler Norm
► Problem der Unterscheidung zwischen „normalen“ und „abnormalen“ Verhaltens- und Erlebensweisen“
► Definition von psychischen Störungen ist zeit- und kontextgebunden – und damit veränderbar (Konsensbildung)