Strafanwendungsrecht Flashcards
Funktion 1 des Strafanwendungsrechts
Feststellung der Strafberechtigung eines Staates
= Frage, ob ein konkreter Sachverhalt mit Auslandsbezug überhaupt der eigenen nationalen Strafgewalt unterliegt
Fehlen der Strafberechtigung = Prozesshindernis ⟶ Verfahren wird eingestellt
Funktion 2 des Strafanwendungsrechts
Welches nationale Strafrecht ist anwendbar?
= Strafanwendungsrecht klärt, ob das eigene materielle Strafrecht anzuwenden ist
Grundsatz: Strafanwendungsrecht eines Staates klärt nur, ob eigene Straftatbestände herangezogen werden
Grenze des Strafanwendungsrechts
keine unbeschränkte Autonomie des Staates bei der Anwendung seines Strafrechts auf Auslandssachverhalte ⟶ sonst notwendigerweise Konflikt mit dem völkerrechtlichen Nichteinmischungsgebot
völkerrechtliche Schranke
Völkerrecht fordert legitimierenden Anknüpfungspunkt für Anwendung des eigenen Strafrechts = “genuine link” zwischen Lebenssachverhalt und Staat, der ihn verfolgen will
→ Prinzipien
→ weiter Entscheidungsspielraum
Teritorialitätsprinzip, §§ 3 , 9 StGB
Gebietsgrundsatz
Bezug zum Territorium des bestrafungswilligen Staates, Begehungsort der Tat
→ § 9 StGB
→ Ubiquitätsprinzip: Abstellen auf Ort der Handlung / des Erfolgseintritts
Grundgedanke: staatliche Souveränität auf dem eigenen Hoheitsgebiet
aktives Personalitätsprinzip, § 7 II Nr. 1 Alt. 1 StGB
Strafrecht auf Handlungen der eigenen Staatsbürger anwendbar
Wohnsitz → Domizilprinzip
Grundgedanken: Treuepflicht des Bürgers ggü. einer eigenen Rechtsordnung (etwas antiquiert); Schutz der eigenen Bürger vor Strafverfolgung im Ausland, aber dafür Führen eines eigenen Strafverfahrens aus Soldaritätsgründen (“aut dedere aut iudicare”)
passives Personalitätsprinzip, § 7 I StGB
Individualschutzprinzip
jeder Staat darf sein Strafrecht auf Taten gegen seine Bürger anwenden (vgl. passives Domizilprinzip)
Opfer = Staatsangehöriger
Grundgedanke: Kehrseite der Loyalitätsverbindung zwischen Staat und Bürger
Staatsschutzprinzip, § 5 Nr. 1 - 5 StGB
Realprinzip
- Rechtsgüter des Staates selbst, insbesondere dessen Bestand bzw. dessen Integrität
- jeder Staat kann Taten gegen seine eigenen Interessen dem eigenen Strafrecht unterstellen, egal wo und von wem begangen
Grundgedanke: es kann keinem Staat zugemutet werden, den strafrechtlichen Schutz seiner Interessen in die Hände anderer Staaten zu legen → Möglichkeit zum Selbstschutz als Ausfluss staatlicher Souveränität
Universalitätsprinzip, § 6 Nr. 2 - 7 StGB, § 1 VStGB (Weltrechtsgrundsatz)
Schutz von Rechtsgütern, an deren Schutz ein gemeinsames Interesse aller Staaten besteht
jeder Staat kann ohne zusätzlichen Anknüpfungspunkt Taten, die sich gegen Rechtsgüter der Menschheit als Ganzes bzw. der internationalen Gemeinschaft richten, bestrafen
Grundgedanke: Vermeidung von Straflosigkeit von Taten, die mit staatlicher Souveränität nicht zu legitimieren sind
Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege, § 7 II Nr. 2, (h. M.: auch Nr. 1 Alt. 2) StGB
Staat A wendet sein Recht auf Sachverhalt an, an dessen Aburteilung Staat B mit originärem Anknüpfungspunkt gehindert ist
Grundgedanke: internationale Solidarität, aut dedere aut iudicare
Kompetenzverteilungsprinzip (im StGB bislang nicht verwirklicht)
- zur Strafverfolgung berechtigter Staat überträgt die Zuständigkeit nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten auf einen anderen Staat; findet sich v. a. in zwischenstaatlichen Übereinkommen
→ Gedanke internationaler Solidarität - es wird einer von mehreren Staaten mit Anknüpfungspunkt oder auch einer ohne eigenen Anknüpfungspunkt als zuständig bestimmt, weil er unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie den sinnvollsten Gerichtsstand darstellt
P: Irrtum über Anwendbarkeit des dt. Strafrechts als Fall des § 16 StGB?
Voraussetzungen: Regelungen der §§ 3 ff. StGB müssen Bestandteil des gesetzlichen Tatbestandes sein
- (bislang) h. M.: dogmatische Einordnung lediglich als objektive (Vor-)Bedingung der Strafbarkeit → Irrtum insoweit irrelevant → § 16 StGB (-)
- Ausnahme (str.): Gesetz regelt Strafanwendungsrecht ausdrücklich im Tatbestand (→ “im Inland”)
P: Gibt es bei abstrakten Gefährdungsdelikten einen “zum Tatbestand gehörenden Erfolg” i. S. d. § 9 I StGB?
h. M.: kein Erfolgsdelikt, da Erfolg eine von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltsveränderung voraussetzt → kein “zum TB gehörender Erfolg”
a. A.: bei abstrakten Gefährdungsdelikten überall dort, wo Realisierung der Gefahr möglich
BGH (Fall: Ausschwitzlüge): Erfolgsort im Inland, wenn dort Schädigung der vom Schutzzweck der Norm umfassten Rechtsgüter
Nichteinmischungsgrundsatz
Sicherstellung, dass Anwendung des eigenen Strafrechts nicht in rein innere Angelegenheiten eines anderen Staates und damit dessen Souveränität eingreift
Flaggenprinzip, § 4 StGB
Staat kann sein Strafrecht auf unter seiner Flagge fahrenden Schiffen / unter ihm registrierten Luftschiffen anwenden
Grundgedanke: Erweiterung des Territorialiätsprinzips zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken in Gebieten ohne Hoheitsgewalt
Unionsschutzprinzip, § 6 Nr. 8 StGB / europarechtskonforme Auslegung §§ 3 ff. StGB
Übertragung des Staatsschutzgedankens auf die Union: jeder Mitgliedsstaat kann Interessen der Union durch sein Strafrecht verteidigen
teleologische Reduktion bei § 6 StGB?
Können Fälle, bei denen es nur um die Verletzung eines Individualrechtsguts ohne jeden Bezug zu universellen Rechtsgütern geht, uneingeschränkt vom Weltrechtsgrundsatz erfasst sein?
eher (-), da sonst jeder irgendwo auf der Welt begangener Sprengstoffanschlag i. S. d. § 308 StGB dem deutschen Strafrecht unterfalle → Einmischung in fremde Angelegenheiten eines anderen Staates
→ Bezug zu Deutschland erforderlich
Schwierigkeiten der Überschneidung von Strafgewalt
- nachteilig für Beschuldigten → mehrfache Strafverfolgung/Bestrafung (→ Art. 103 II GG erfasst grenzüberschreitende Sachverhalte nicht)
- Risiko von Vorhersehbarkeitsdefiziten, wenn sich Staat auf Anknüpfungspunkt beruft, den Bürger nicht kennt
- “forum shopping”: bei Kompetenzkonflikten Gerichtsstand unklar, Art. 101 I 2 GG → Pflicht des Gesetzgebers, zu regeln, wo ein Verfahren stattfindet
bei grenzüberschreitenden Sachverhalten: Wahl des Gerichtsstandes bestimmt das im Verfahren zur Anwendung kommende Prozessrecht - effektive Verteidigung erschwert, Beschuldigter weiß nicht, welches Recht angewendet wird
- Verlust des Strafanspruchs eines beteiligten Staates; zeit-, personal- und kostenintensive Mehrfachermittlungen
forum shopping
Wahl des Verfahrensortes nach sachwidrigen Kriterien (z. B. Verurteilungswahrscheinlichkeit)
Erfolg i. S. d. § 9 I Var. 3 StGB
nur solche Veränderungen in der Außenwelt, die für die Vollendung des Tatbestandes relevant sind
nach h. M. bei sog. Zwischenerfolgen (+), (-) beim Eintritt von obj. Folgen, die der Täter nur beabsichtigt haben muss
Tat i. S. d. § 3 StGB
konkretes Tatgeschehen im prozessualen Sinne
Tatortbestimmung
- grundsätzlich nur auf täterschaftliche Begehung abzustellen (Akzessorietätsprinzip, Umkehrschluss § 9 II 2 StGB)
- Feststellung Inlandstat → täterschaftliches Handeln im Inland
Tatort
- § 9 StGB: Ort, wo der Täter gehandelt hat oder wo der Taterfolg eingetreten ist → Ubiquitätstheorie
- ausnahmsweise auch Ort der Teilnahmehandlung, wenn Haupttat im Ausland nicht mit Strafe bedroht ist, § 9 II 2 StGB
Strafanwendungsrecht
Gesamtheit derjenigen Normen, die den territorialen Anwendungsbereich des innerstaatlichen Strafrechts festlegen
interlokales Strafrecht
entscheidet darüber, welches von mehreren unterschiedlichen partikulären Strafrechtsordnungen, die für unterschiedliche innerstaatliche Teilgebiete existieren, zur Anwendung gelangt
→ gewohnheitsrechtliches Kollisionsrecht
Rechtshilferecht
all diejenigen Regelungen, die der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung dienen, insbesondere zur Auslieferung von Straftätern, aber auch zur Vollstreckungshilfe sowie zur gegenseitigen Unterstützung bei der Beweisbeschaffung
Vertragsprinzip
viele zwischenstaatliche Verträge, in denen sich Staaten verpflichten, bestimmte Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen, genauso bestimmte Strafanwendungsregeln ins Strafrecht zu übernehmen → § 5 StGB
bloße Vorbereitungshandlungen
unbeachtlich, es sei denn selbständig unter Strafe gestellt (z. B. § 30 II StGB, nach BGH soll dann auch später anderswo begangene einheitliche Tat nach dt. Strafrecht bestraft werden können)
Handlungsort Unterlassungsdelikte
nach h. M. der Ort, an dem sich Täter zur Zeit des Unterlassens aufgehalten hat wie auch der Ort wohin er sich zur Erfolgsabwendung hätte begeben müssen
§ 7 StGB: Inwieweit sind Strafverfolgungshindernisse beachtlich?
Bsp.: Fehlen Strafantrag
h. M.: nur i. R. d. § 7 II StGB, da diese Tatvarianten der Verwirklichung des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege dienen → Stellvertretung nicht angezeigt, wenn nach dem Recht des Tatortstaates eine Strafverfolgung faktisch nicht möglich wäre, in den übrigen Fällen aber eigenständiges Bestrafungsinteresse
a. A.: generell beachtlich
(+) Unterscheidung formelle - materielle Straffreistellungsgründe nicht eindeutig