Jugendstrafrecht Flashcards
Begriff Jugendstrafrecht
Sonderstrafrecht für junge Täter, die sich zum Zeitpunkt ihrer Tat in der kritischen Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter befinden
kriminologische Befunde über Jugenddelinquenz
- überwiegend bagatellhaft
- “normale” Begleiterscheinung in der Entwicklung junger Menschen, Massenphänomen
- ubiquitär: alle Bevölkerungsschichten
- passager (episodenhaft): Anstieg 16-21, danach Rückgang, Spontanbewährung
- selten Polizeikontakte/Sanktionierung
Anwendbarkeit, § 1 JGG
- sachlicher Anwendungsbereich, § 1 I JGG
2. persönlicher Anwendungsbereich, §§ 1 II, 105 JGG, 19 StGB
sachlicher Anwendungsbereich
§ 1 I JGG: Verfehlung
= Vergehen und Verbrechen nach StGB und Nebenstrafrecht (§ 11 I Nr. 5 StGB), keine OWis
persönlicher Anwendungsbereich
- Kinder → Strafunmündigkeit, § 19 StGB, Maßnahmen des Familiengerichts, Kinder- und Jugendhilfe
- Jugendliche (14 - 17 Jahre) → JGG anwendbar, wenn Verantwortlichkeit gem. § 3 JGG (+)
- Heranwachsende (18 - 21 J.) → § 1 II, 105 f. JGG, Reifebeurteilung; Anwendbarkeit, wenn mindestens eine Voraussetzung nach § 105 I JGG (+)
maßgeblich ist Alter zur Tatzeit, § 1 II JGG!
P: kindliche Intensivtäter
- möglich: Familienrichter (ggf. Unterbringung, §§ 1666 f. BGB) und Jugendamt (§ 42 III 2 SGB VIII)
- str., ob Kinderdelinquenz in späteren Strafverfahren berücksichtigt werden darf
(+) intensive Kinderdelinquenz nicht ubiquitär
(-) Datenschutz, Unschuldsvermutung
str.: Verhältnis § 3 JGG - §§ 20, 21 StGB
§ 3 JGG → entwicklungsbedingter Reiferückstand
§§ 20, 21 StGB → entwicklungsunabhängige psychopathologische Störung
P: § 3 JGG (Jugendhilferecht) und § 20 StGB (Maßregeln der Besserung & Sicherung) liegen gleichzeitig vor
P: § 21 StGB und fehlende Verantwortlichkeit nach § 3 JGG
P: Zweifelsfälle bei Reifebeurteilung i. R. d. § 105 JGG
h. M.: in dubio pro JGG
(-) JGG kann im Einzelfall eingriffsintensiver sein
P: nicht behebbare Entwicklungsmängel i. R. d. § 105 JGG
BGH: keine Anwendung JGG, wenn Entwicklung abgeschlossen
(+) keine Formbarkeit gegeben
(-) Schuldminderung durch mangelnde Entwicklung wird übergangen, i. Ü. “Lebenslaufprognose” nicht tragfähig
Maßstab bei Sanktionsfindung
Entscheidung grds. nach Erziehungsgedanke und Verhältnismäßigkeit (Subsidiaritätsgedanke)
Erziehungsmaßregeln, §§ 9 ff. JGG
- reines Erziehungsmittel ohne “ahnenden” Charakter, um erneuter Straffälligkeit durch erzieherische Wirkung entgegenzuwirken
→ Anknüpfung an Erziehungsdefizit
→ Ziel: Spezialprävention i. S. d. Erziehungsgedankens (vgl. § 5 I JGG) - v. a. Weisungen, § 10 JGG
- Verhältnismäßigkeit
Jugendstrafe, §§ 17 ff. JGG
- Charakter: echte Kriminalstrafe; zwar grds. auch mit besonderer spezialpräventiver Zielsetzung i. S. d. Erziehungsgedankens, aber nach h. M. auch Vergeltungsaspekt und Ahndung der Straftat
- ultima ratio: mildere Mittel (EZMR, Zuchtmittel) reichen nicht aus
- Bewährung, §§ 21 ff. JGG
schädliche Neigungen, § 17 II Alt. 1 JGG
= erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die die Gefahr begründen, dass der Jugendliche ohne längere (stationäre) Gesamterziehung die Gemeinschaftsordnung durch weitere Straftaten erheblich stören wird
→ müssen schon vor der Tat vorgelegen haben und zum Zeitpunkt der Verurteilung fortbestehen
Schwere der Schuld, § 17 II Alt. 2 JGG
- äußerer Unrechtsgehalt
- schwerer Schuldvorwurf (innere Einstellung des Täters zur Tat)
→ wenn ein Absehen von Strafe in einem unerträglichen Widerspruch zum allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl stehen würde
→ Vergeltungsaspekt, Erziehungsgedanke tritt zurück
Warnschussarrest (Kopplungsarrest), § 16a JGG
- Eindruck eines “Freispruchs zweiter Klasse” soll vermieden werden
- Ausnahme von grundsätzlicher Einspurigkeit freiheitsentziehender Sanktionen
→ kurzer Freiheitsentzug zu Beginn der Bewährungszeit soll durch Abschreckungswirkung die Legalbewährung der Verurteilten verbessern
Kritik: nicht notwendig, Bewährungshelfer; Durchbrechen Subsidiaritätsprinzip
Merkmale Jugendstrafrecht
- Täterstrafrecht (→ Welcher Sanktionsbedarf besteht?)
- Sonderstrafrecht (→ Flexibilität Verfahren + Rechtsfolgen)
- Erziehungsstrafrecht (→ § 2 I JGG)
- Beschleunigungsgebot
§ 3 JGG
- i. R. d. Schuld prüfen, strafrechtliche Verantwortlichkeit muss immer positiv festgestellt werden!
- gilt nur für Jugendliche, nicht Heranwachsende
- Einsichts- + Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt
Modalitäten der Tatbegehung bei Jugendlichen
- in der Gruppe / aus dem Gruppenzusammenhang heraus
- in öffentlichen Räumen
- auf unorganisierte, spontane, auf Gelegenheiten ansprechende oder erlebnisorientierte Weise
Entwicklung Jugendkriminalität
in PKS Anstieg in den 1990ern verzeichnet, zuletzt Abnahme
→ aber in Dunkelfeldforschung Niveau selbstberichteter Delinquenz stabil geblieben → veränderte gesellschaftliche Sensibilität, gestiegene Anzeigebereitschaft
Mehrfach-/ Intensivtäter
- sehr kleine Gruppe
- schwere Taten, nicht mehr normal und verbreitet
- turning points: Veränderungen der individuellen Lebensform (Partnerschaft, Arbeitsplatz, nicht Sanktion als solche) führen zu Ausstieg
→ ungünstige Umweltfaktoren, individuelle Defizite
Einsichtsfähigkeit, § 3 JGG
Jugendlicher muss über Verstandesreife (Kenntnis und Verstehen des Verbots) und die sittliche (emotional verankertes Gefühl, dass Verbotseinhaltung richtig ist) Reife verfügen, das Unrecht der Tat einzusehen
Indizien: Lebensalter, Bildung, Erziehung, Herkunft, Denk- und Kombinationsvermögen
Steuerungsfähigkeit, § 3 JGG
Jugendlicher muss über die Fähigkeit verfügen, nach Einsicht zu handeln
§ 105 I Nr. 1 JGG: einem Jugendlichen gleichstand
- Reifebeurteilung (täterbezogen: Reifedefizit kann aus allen Zügen der Gesamtpersönlichkeit folgen
- Jugendlicher = unfertiger, noch formbarer Mensch
- BGH: entscheidend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind - Reifeverzögerung
→ Marburger Richtlinien: Kriterien, die darauf hindeuten, dass abgeschlossene Persönlichkeitsentwicklung noch nicht angenommen werden kann
§ 105 I Nr. 2 JGG: Art, Umstände, Beweggründe der Tat = Jugendverfehlung
→ wenn konkrete Tat auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder soziale Unreife zurückgeht
- entscheidend: jugendtypische Motivation oder Verhaltensweise (fehlende Beherrschung, Abenteuerlust, Experimentieren, Grenzen austesten, Imponiergehabe etc.)
- tatbezogen
- Beweiserleichterung
Voraussetzungen für Verhängung Erziehungsmaßregel nach §§ 9 ff. JGG
- Erziehungsbedürftigkeit: Erziehung mit den Mitteln des Strafrechts wegen Umständen in der Person erforderlich, Ursachenzusmmenhang Erziehungsdefizit - Straftat
- Erziehungsfähigkeit: Erziehungsziel darf nicht ausgeschlossen sein
- erzieherische Wirkung: Erforderlichkeit + Zweckmäßigkeit, tatvergeltende Aspekte bleiben außer Betracht
Weisungen, § 10 JGG
- Katalog nicht abschließend, Richter hat Weisungsfindungsrecht
- erzieherische Wirkung: unmittelbarer Bezug zur Tat erforderlich
Zuchtmittel, §§ 13 ff. JGG
- neben Erziehungs- auch Ahndungscharakter (Schuldausgleich, Vergeltung)
- kommen zur Anwendung, wenn JS nicht geboten, aber Jugendlichem aufgezeigt werden muss, dass er für das begangene Unrecht einzustehen hat, Unrechtsverdeutlichung → eindringliches Bewusstmachen der Rechtsüberschreitung, § 13 I JGG
- Ziel: Spezialprävention i. S. d. Erziehungsgedankens (vgl. § 5 II JGG)
- grds. “gut gearteter” Jugendlicher
- Verhältnismäßigkeit
Ungehorsamsarrest, § 11 III JGG
Beugemaßnahme, um Verurteilten zur Erfüllung der Weisung zu veranlassen
- schuldhaft: bemisst sich nach § 3 JGG, § 20 StGB, auch RW kann fehlen
- Belehrung: bereits in mündlicher Verhandlung
- kann → nur bei erheblichen Verstößen, Ausnahme; Arrest kann zu Verstärkung der Ablehnung führen
Jugendarrest
- Wirkung durch kurzen harten Zugriff
(-) zu kurz, um erzieherische Effekte zu erzielen
(-) negative Effekte
(-) oft nur reines Wegschließen
aber Praxis zeigt Notwendigkeit eines letzten Mittels vor Jugendstrafe
Strafrahmen
- Strafrahmen des allg. Strafrechts gelten nicht
- 6 Monate bis 5 (10) Jahre, Obergrenze: Schuld
darunter/darüber erziehliche Wirkung (-), Jugendlicher noch formbar, Resozialisierung soll möglich sein
generalpräventive Gesichtspunkte nach h. M. nicht berücksichtigungsfähig!
§ 21 JGG - § 27 JGG
§ 21 JGG: wenn Vrss. (+), muss Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden
§ 27 JGG: nicht sicher ob schädliche Neigungen vorliegen → Vrss. für JS nicht sicher
§ 8 JGG
(mehrere) Erziehungsmaßregeln und (mehrere) Zuchtmittel können grundsätzlich frei kombiniert werden
Einschränkungen: § 8 I 2, II 1 JGG → Einspurigkeit freiheitsentziehender Sanktionen / Kopplungsverbot
Ausnahme: Warnschussarrest
Diversion
= informelle Erledigung
Hintergrund: da Jugendkriminalität überwiegend bagatell- und episodenhaft, besteht kein Bedürfnis für eine ahnende Sanktion und kein Erziehungsbedarf
durch förmliches Verfahren droht Stigmatisierung
→ Reduzierung Fallzahlen, Verfahrensbeschleunigung → Entlastung Justiz
Einheitsprinzip, §§ 31 ff. JGG
Rechtsfolgenbestimmung erfolgt einheitlich nach der Persönlichkeit und den Erziehungsbedürfnissen des Täters
→ keine Gesamtstrafenbildung, nur Einheitsstrafe
Verständigung im JSR möglich?
e. A.: (-)
(+) mit Erziehungsgedanken schwer zu vereinbaren
h. M.: (+)
(+) keine abweichenden Regelungen im JGG (vgl. § 2 II JGG)
aber nicht Frage, ob JSR oder EWS anwendbar, da dies allein von § 105 JGG abhängt und bereits zur Tatzeit vorgelegen haben muss
Diversion
§ 45 I JGG
Einstellung durch StA ohne Folgen
→ wenn öff. Interesse (-)
Diversion
§ 45 II JGG
Anregung erzieherischer Maßnahmen durch StA, aber keine Anordnung
Diversion
str.: Anordnugnskompetenz der StA?
h. M.: keine Anordnungs- aber Anregungskompetenz
→ wiederum str.: Kann Staatsanwaltschaft alle Rechtsfolgen anregen?