Schuld Flashcards
Was passiert auf der Ebene der Schuld?
Die Schuld betrifft die personale (individuelle) Zurechnung, den persönlichen Vorwurf des Unrechts.
Was bedeutet Schuldfähigkeit?
Die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) und nach dieser Einsicht zu handeln (Steuerungsfähigkeit), vgl. hierzu va den Wortlaut von §§ 17, 20 StGB.
Roxin spricht von “normativer Ansprechbarkeit”.
Schuldunfähigkeit wegen fehlender Reife
§ 19 StGB; §§ 1 II, 3 S. 1 JGG
- Schuldunfähig sind gem. § 19 StGB Kinder (unter vierzehn Jahren)
- Jugendliche (zwischen 14 und 17 Jahren) sind schuldfähig, sofern festgestellt wird, dass sie zur Zeit der Tat reif genug waren, das Unrecht einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, §§ 1 II, 3 S. 1 JGG (widerlegbare Schuldfähigkeit)
- (JGG ist auch auf Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr anwendbar, § 105 I JGG)
Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (§ 20 StGB)
- krankhaft seelische Störungen = endogene Psychosen (Schizophrenie, Manien), exogene Psychosen und andere krankhafte Zustände (Epilepsie, Hirnverletzungen), bei krankhafter Alkohol- und Drogensucht vllt auch das
- tiefgreifende Bewusstseinsstörung = va vorübergehende/r alkoholbedingte Trunkenheit und Drogenrausch
- -> Merke: Schuldunfähigkeit in der Regel ab 3,0 %. (bei Tötungsdelikten wegen höherer Hemmschwelle ab 3,3 %.); verminderte Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB ab 2,0 %. (bei Tötungsdelikten ab 2,2 %.); diese Grenzen haben aber keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, ist lediglich Richtlinie, an der man sich orientieren kann; wird jedoch je nach Einzelfall entschieden.
Davon zu unterscheiden ist Fahruntauglichkeit von §§ 315c, 316, der nichts mit der Schuld zu tun hat!
Absolute Fahruntauglichkeit bei 1,1 %. (bei Radfahrern ab 1,6 %.); relative Fahruntauglichkeit ab 0,3 - 1,09 %. (zusätzliche Umstände/Ausfallerscheinungen müssen hinzutreten, Auffahrunfall genügt nicht, wenn auch normalem Fahrer passiert wäre)
Schwachsinn = angeborene oder erworbene Intelligenzschwäche
seelische Abartigkeit = Psychopathen, Neurosen und Triebstörungen ohne körperliche Grundlage
Maßgeblicher Zeitpunkt
§§ 19, 20 StGB sprechen von “bei Begehung der Tat” = § 8 StGB: zu dem Zeitpunkt, in dem der Täter gehandelt hat oder hätte handeln müssen
Was ist das Unrechtsbewusstsein?
Welcher Irrtum liegt beim Fehlen des Unrechtsbewusstseins vor?
Das ist die Kenntnis der rechtlichen Verbotenheit der Tat.
Beim Fehlen des Unrechtsbewusstseins spricht man von einem Verbotsirrtum gem. § 17 StGB.
Gründe für das Vorliegen eines Verbotsirrtums gem. § 17 StGB?
5 Varianten
- Unkenntnis der einschlägigen Verbotsnorm (schlichter Verbotsirrtum)
- Irrige Annahme der Rechtsungültigkeit einer Verbotsnorm (Gültigkeitsirrtum)
- Die zu enge Auslegung einer Verbotsnorm (Subsumtionsirrtum) (bei Vorsatz unbeachtlich, aber auf Schuldebene evtl. bedeutsam)
- Irrige Annahme eines nicht existierenden Rechtfertigungsgrundes (Erlaubnisirrtum)
- zu weite Auslegung eines existierenden Rechtfertigungsgrundes (Erlaubnisgrenzirrtum)
§ 17 StGB schließt die Schuld nur aus, wenn der Irrtum unvermeidbar war, § 17 S. 1. Andernfalls ist eine fakultative Strafmilderung vorgesehen, § 17 S. 2.
BGH ist bei dem Merkmal “unvermeidbar” sehr streng.
Nimmt Vermeidbarkeit an, wenn Täter Möglichkeit zur Einholung von Rechtsrat hatte, oder wenn er “bei gehöriger Gewissensanspannung unter der Berücksichtigung des Verkehrskreises, aus dem er stammt, sein Unrecht hätte erkennen können”.
Unvermeidbarkeit nimmt er jedoch an, wenn höchstrichterliche Rspr existiert, von der plötzlich abgewichen wird; gleiches bei widersprüchlichen höchstrichterlichen Entscheidungen.
Entschuldigungsgründe
Die Schuld kann auch entfallen, wenn normgemäßes Verhalten nicht zumutbar war. (Roxin sagt, dass es dort keine präventive Bestrafungsnotwendigkeit gibt, weshalb die Verantwortlichkeit als Teil der Schuld entfällt.)
- Entschuldigender Notstand, § 35
- Notwehrexzess, § 33
- Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens (als Auffangtatbestand), vor allem bei Unterlassen andenken; auch bei 142, wenn man sich selbst ausliefern müsste, dann entfällt die Schuld wegen nemo tenetur!
Voraussetzungen des entschuldigenden Notstands, § 35 StGB
I. Notstandslage:
- gegenwärtige Gefahr (gleicher Begriff wie bei § 34, auch hier Dauergefahr) für Leben, Leib und Freiheit (abschließend!) des Täters, Angehörigen oder ihm nahestehende Person (nicht nur Angehörige, aber enger Kreis)
II. Rechtmäßigkeit der Notstandshandlung
- Erforderlichkeit (nicht anders abwendbar; ultima ratio, letzter Ausweg) = wenn geeignet und mildestes Mittel
- keine besonderen Hinnahmepflichten, § 35 I 2 (Selbstverursachung: Str., welche Qualität Handeln aufweisen muss: schuldhaft, objektiv pflichtwidrig, wohl nicht nur kausal, mehr) (Duldungspflicht als Soldat, Feuerwehrmann, Polizist)
III. Subjektives Element
- in Kenntnis der Gefahrenlage und mit Gefahrabwendungswillen/Rettungswillen
Ausnahmen von § 35 I S. 1
§ 35 I S. 2:
Danach ist der Täter nicht entschuldigt, wenn ihm nach den Umständen zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen, namentlich, wenn er die Gefahr selbst verursacht hat oder er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand.
Bei der Eigenverursachung muss der Täter nach hM die Notstandslage pflichtwidrig herbeigeführt haben (Kausalität genügt nicht!) (etwa bei § 153, wenn Ehemann Tat halt begangen hat :D; kurz ansprechen)
Achtung: bei der Notstandshilfe ist darauf zu achten, wer die Gefahr verursacht (Wortlaut des § 35 sagt, wer die “Gefahr selbst verursacht hat”. (aA sagt, dass Dritter nicht schutzwürdig ist, was sich auf Helfenden überträgt (weil nahestehende Person), aber Straferweiterung contra legem und daher abzulehnen); im umgekehrten Fall, wo der Helfende Gefahr selbst verursacht, würde § 35 I S. 2 eigentlich eingreifen (viele wollen aber Entschuldigungsgrund eingreifen lassen, weil sich Vater in besonderer Weise verpflichtet sehen muss, zu helfen; wegen strafbeschränkender Wirkung unproblematisch.)
Mit Rechtsverhältnis ist die Berufspflicht der Polizei oder Feuerwehr gemeint, oder auch bestimmte Garantenstellungen (so etwa Vater ggü Kind); den sicheren Tod muss aber keiner hinnehmen, auch nicht der Vater.
Entscheidung ist Frage der Abwägung!!!
Hintergründe des Notwehrexzesses, § 33 StGB
Hintergrund: Die Gesellschaft orientiert sich nicht an Schwächling, nur so sind asthenische, entlastend wirkende Affekte zu erklären
Wer die Grenzen der Notwehr überschreitet, handelt rechtswidrig. Wer sie aus asthenischen Affekten (aus der Schwäche kommende Affekte) wie Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet, handelt ohne Schuld, § 33 StGB.
Voraussetzungen des Notwehrexzesses, § 33 StGB
- Überschreitung der Grenzen der Notwehr (Notwehrexzess)
- nur der Fall, dass Täter bei gegebener Notwehrlage das Maß des Erforderlichen (Notwehrhandlung) überschritten hat (intensiver Notwehrexzess) (zum extensiven Notwehrexzess s.u.) - Asthenische Affekte
- Verwirrung, Furcht oder Schrecken (keine sthenischen Affekte wie Zorn, Wut und Kampfeseifer; “aus der Schwäche kommend”)
- Todesangst nicht notwendig
- irrelevant, wie dieser Affekt entsteht
- diese müssen mindestens mitursächlich und nicht ganz nebensächlich, nicht notwendigerweise motivationsdominant sein (aA sagt, sie müssen dominieren, str)
Fällt der extensive Notwehrexzess unter § 33 StGB?
Liegt vor, wenn der Täter auch die Notwehrlagevoraussetzungen überschreitet, also Abwehrhandlungen vornimmt, wenn ein Angriff noch nicht oder nicht mehr vorliegt. (zeitliche Grenzen bewusst überschritten; wenn er dies nicht weiß, dann ETBI)
A1: Auch der extensive Notwehrexzess fällt unter § 33 StGB (“zeitliche Grenzen”), muss nur im Zusammenhang stehen
A2: vermittelnde Ansicht, die nur den unmittelbar nachträglichen Notwehrexzess darunter fallen lassen möchte, weil der Verteidiger da noch unter dem Eindruck des tatsächlichen Angriffs stünde; Überschreitung ist naheliegend und verzeihlich; der vorzeitige hatte nie Notwehrrecht, der nachträgliche schon.
–> Argument für beide, dass die psychologische Situation die gleiche sei; auch da sollte die Gesellschaft keine Bestrafungsnotwendigkeit sehen; Gesetz sieht diese Unterscheidung vor/nach jedoch nicht vor
A3: hM: fällt nicht unter § 33 StGB, weil die Grenzen der Notwehr nur überschritten werden können (Wortlaut), wo eine Notwehrlage tatsächlich existiert; ergibt sich auch aus Systematik (§ 33 nach § 32), dass § 33 an § 32 anknüpft; die Notwehrlage ist als Vorstufe Grundvoraussetzung für die Anwendung des § 33, weil Schuldausschluss gerade auch dadurch begründet wird, dass rw Angriff abgewehrt wird; asthenische Affekte alleine sollen nicht zur Straffreiheit führen: psychologische Situation wäre eine andere
(Kritik: womöglich Wertungswidersprüche, wenn intensivere Eingriffe zu Straffreiheit führen, harmlosere aber nicht)
Sonderproblem 1: Bewusste Notwehrüberschreitung im Rahmen des § 33 StGB
nach hM fallen nicht nur unbewusste, sondern auch bewusste Notwehrüberschreitungen unter § 33, sofern ein asthenischer Affekt vorliegt; Wortlaut verlangt ausschließlich dies.; dann ist Täter von Affekt derart beherrscht, dass Strafbedürfnis entfällt
Sonderproblem 2: Notwehrexzess bei provozierter Notwehrhandlung
BGH vertrat lange Zeit den Standpunkt, dass bei Notwehrprovokation (nur Absichtsprovokation) eine Berufung auf § 33 StGB ausscheidet; bei fahrlässiger Provokation aber möglich (Rechtsmissbrauchsgedanke).
Folgendes merken:
- wenn eine Verteidigung wegen einer Absichtsprovokation an der Gebotenheit vollkommen scheitert, dann scheitert auch eine Berufung auf § 33 StGB (denn wo kein Notwehrrecht existiert, kann auch keines überschritten werden.)
- bei der fahrlässigen Provokation (verwerflich oder besonders verwerflich) ist eine Berufung auf Notwehr uU noch möglich; dann muss auch Berufung auf § 33 StGB weiterhin möglich sein (§ 33 redet nicht von unverschuldeter Notwehr, wie er es aber in § 35 I S. 2 tut!)
BGH lehnt § 33 schon bei besonders vorwerfbarer Provokation ab (Bordell-Fall)
–> im Endeffekt Gedanke aus § 35 I 2; steht nicht in § 33; Rechtsmissbrauchgedanke; Einzelfallentscheidung