Rechtswidrigkeit: Notwehr Flashcards
Was schützt das Notwehrrecht?
Es dient dem Individualrechtsschutz und der Rechtsbewährung.
Notwehrfähige Güter
= alle Individualrechtsgüter (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Gewahrsam, Ehre, Hausrecht…); = absolute Rechte
sie brauchen nicht strafrechtlich geschützt zu sein.
Nicht notwehrfähig sind relative Rechte (Forderungen oder sonstige vertragliche Ansprüche); Umkehrschluss aus § 229 BGB; § 127 StPO; s. AG Fall 1, str.
Nicht notwehrfähig sind auch Rechtsgüter der Allgemeinheit.
Immer aufpassen bei Taten, die die Allgemeinheit schützen (va §§ 315b ff. StGB); hier sauber abgrenzen –> eigentlich eher bei : gegen den Angreifer richten ansprechen, weil es sich hier ja gegen die Allgemeinheit richtet.
Parklücken-Fall zur Veranschaulichung der notwehrfähigen Rechtsgüter
P hat sich gem. § 240 I StGB strafbar gemacht, indem er F mit seinem Auto Schritt für Schritt aus der Parklücke drängte.
Eine Rechtfertigung durch § 32 StGB scheitert daran, dass § 12 StVO kein notwehrfähiges Rechtsgut ist.
Sonderproblem: Staatsnotwehr
Konstellation: Der Private P überwältigt den Spion S, der im Begriff ist, die Grenze mit wichtigen Staatsgeheimnissen zu überqueren.
–> gw, rw Angriff auf Rechtsgüter des Staates; Nothilfe des P möglich?
Grds können auch juristische Personen “ein anderer” iSd § 32 II sein; öffentliche Hand mit Eigentum etc. auch, was dann verteidigt werden darf, aber:
A1: Nicht möglich, weil sich Konstellation um Rechtsgüter der Allgemeinheit dreht und daher richtigerweise nach § 34 gelöst werden sollten; einziger Unterschied ist hohes Gewicht des Angriffs, aber nicht allein deshalb Notwehr –> stattdessen Notstand, § 34, mit Interessenabwägung, weil sonst politisch motivierte Gewalt naheliegt.
Die Voraussetzungen des Notwehrrechts
- Notwehrlage
- gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff gegen notwehrfähiges Rechtsgut - Notwehrhandlung
- gegen den Angreifer gerichtet (für Dritten kommt dann am ehesten § 35 in Betracht)
- Erforderlichkeit
- Gebotenheit - Subjektives Element NICHT VERGESSEN
- Kenntnis der Notwehrsituation und (nach Rspr) Verteidigungswille
Der Angriff
= jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Güter oder Interessen des Einzelnen
- also kein tierisches Verhalten (dann § 228 BGB), außer wenn Mensch den Hund als Waffe gebraucht
- allenfalls die für die juristische Person handelnde natürliche Person kommt als Angreifer in Betracht
- auch fahrlässiges Verhalten kann einen Angriff begründen
- keine Notwehr aber durch sorgfaltsgemäßes Verhalten, weil neben dem Erfolgsunwert eigentlich auch ein Handlungsunwert gefordert wird, hierbei muss der weniger schneidige § 34 StGB ausreichen, bei dem Abwägung möglich ist (ansonsten nur Entschuldigung nach § 35)
- Angriff durch Unterlassen ist auch möglich (nur bei Garanten möglich)
- kein Angriff, wenn Verhalten keine Handlungsqualität besitzt, dann nur § 34 StGB
Angriff durch untauglichen Versuch (Drohen mit Scheinwaffe)
–> hier unterscheiden zwischen Scheinangriff und Angriff mit Scheinwaffe!
- Das Niederschießen eines Täters, der mit einer ungeladenen Waffe droht, ist nicht gerechtfertigt, wenn der Schießende darum weiß
ex-post Beurteilung:
- Bei Unkenntnis liegt Angriff auf Willensentschließungsfreiheit/Eigentum vor, wenn Täter Herausgabe von Geld fordert (§ 240)/ nicht aber, wenn er mit Tötung droht)
- bei Drohung mit Tötung liegt § 241 StGB vor, der Notwehr rechtfertigt: also Rechtsbewährung und Individualschutz +
- hL: ETBI: Putativnotwehr: Strafbarkeit aus Fahrlässigkeit scheitert mangels Erkennbarkeit der Scheinwaffe
eine Menge Wertungswidersprüche sind hier verborgen
unterscheiden, ob Scheinangriff (objektiv gar nicht gefährlich oder so gemeint: ETBI) vom Angriff mit Scheinwaffe: kann immer noch Angriff auf Eigentum/Willensentschließungsfreiheit sein –> in Klausur vllt eher ETBI annehmen, um diesen zu besprechen.
Rechtswidrigkeit des Angriffs
Sie fehlt, wenn sich der Angreifer selbst auf einen Rechtfertigungsgrund berufen kann.
Hier häufig Inzidentprüfungen in Klausuren; mit Standardsatz beginnen:
“An der Rechtswidrigkeit des Angriffs könnte es fehlen, wenn dem Angreifer selbst ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stand”
Gegenwärtigkeit des Angriffs
= Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er gerade stattfindet, noch fortdauert oder unmittelbar bevorsteht.
= unmittelbar steht er bevor, wenn es ohne weitere wesentliche Zwischenschritte zu einer Rechtsgutsverletzung kommen kann
= er dauert fort, wenn er tatbestandlich vollendet, aber noch nicht beendet ist (va in Diebstahlsfällen relevant: beim Fliehen ist Diebstahl noch nicht beendet; aber schon, wenn Opfer später zufällig sieht und Täter bereits gesichertes Gewahrsam erlangt hat)
- dauert auch fort, wenn Wiederholung der Verletzungs- oder Angriffshandlung unmittelbar zu befürchten ist (Beleidigungen sind grds nach Ausspruch abgeschlossen und damit beendet, es sei denn, es drohen unmittelbar weitere Ehrangriffe: Dann Notwehr +)
- Präventivnotwehr (für künftige Angriffe) ist abzulehnen, weil es den Anwendungsbereich des § 32 zu sehr ausdehnt und es am typischen “Kampf um das Recht” fehlt
- Dauergefahr ist über § 34 StGB zu lösen
Haustyrannen-Fall
§§ 212, 211
- Heimtücke +
- § 32 scheitert an Gegenwärtigkeit (auch keine Präventivnotwehr)
- § 34 + bei Dauergefahr, aber Unabwägbarkeit menschlichen Lebens (lässt keine Tötungen zu; auch nicht durch Rechtsgedanken des § 228 BGB)
- § 33 -, weil extensiver Notwehrexzess
- § 35 -, weil durch staatliche Stellen anders abwendbar
- aber wohl Irrtum nach § 35 II und daher straflos, letzte Rettung! (Bei Heimtücke die Einschränkungen besprechen)
Erforderlichkeit der Notwehrhandlung
= erforderlich ist die Verteidigung, wenn sie nach einer objektiven ex-ante Betrachtung (!!!) zur sofortigen Beendigung oder Abschwächung des Angriffs geeignet und bei Wahlmöglichkeit das mildeste Mittel der Verteidigung darstellt
oder anders:
Eine in Notwehr verübte Tat ist gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angeklagten in der konkreten Situation zur Verfügung stand.
Danach kann auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz einer Waffe gerechtfertigt sein, wenn dem Angegriffenen nicht genügend Zeit zur Abschätzung der Lage verblieb.
Bei Schusswaffeneinsatz grundsätzlich drei Stufen:
- Androhung/Warnschuss
- nicht lebensgefährliche Körperteile
- tödlicher Schuss
- -> Stufen können aber auch übersprungen werden, wenn nur so der Angriff sicher abgewendet werden kann/nur so eine unkalkulierbare Gefährdungseskalation abgewendet werden kann
Eine Beeinträchtigung der späteren Verteidigung muss nicht hingenommen werden; der sichere Erfolg der Verteidigung geht vor.
Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu Weichen (Ausweichmöglichkeiten müssen nicht ergriffen werden.)
BGH stellt bei der Prüfung der Erforderlichkeit auf Art und Maß des Angriffs, Gefährlichkeit des Angriffs, Möglichkeit der Verteidigung: Angaben aus dem SV auswerten! –> Einzelfallbetrachtung
Sonderproblem 2:
Selbstschussanlagen (Selbstschüsse, scharfe Hunde, Minen etc.)
–> antizipierte Notwehr, problematisieren?
kann gerechtfertigt sein; wird aber vielfach an der Erforderlichkeit scheitern, weil ein Reagieren auf den Einzelfall nicht möglich ist.
- bei § 34 scheitert es an Güterabwägung, weil Verteidigung des Eigentums nicht höher wiegt als körperliche Unversehrtheit
Wird ein Nichtangreifer getötet oder verletzt, kommt fahrlässige Tötung/KV des Installierenden in Betracht (oft über ETBI)
–>dazu Fall 16 Jäger: kausale Handlung ist Installation der Selbstschussanlage; keine freiverantwortliche Selbstgefährdung; unbeachtlicher error in persona!; antizipierte Notwehr grundsätzlich möglich; D wollte helfen, daher kein 123 und kein rw Angriff; § 34 scheitert auch an Gefahr; dann an ETBI DENKEN, weil Hausbesitzer von Einbrecher ausging; dann da prüfen, ob durch Notwehr gerechtfertigt wäre (in diesem Fall schon, Erforderlichkeit ausnahmsweise +), dann nur noch §§ 229/222; Ausnahme!
Hinweis: Woran ist zu denken, wenn Erforderlichkeit überschritten wird?
Dann immer mal an Entschuldigung durch § 33 denken, wenn derjenige aus asthenischen Affekten gehandelt hat!
–> nur Überschreiten + Affekte, nur in Kombi!!!
(bei Irrtum ist es wohl ETBI)
Gebotenheit
= sozialethisch bedingte Einschränkung des Notwehrrechts
- im Gegensatz zur faktischen Abwehrmöglichkeit in der Erforderlichkeit wird in der Gebotenheit die normative Angemessenheit der Reaktion bewertet
Fallgruppe 1: Der Angriff von Schuldlosen oder gemindert Schuldfähigen
Angriffe von Kindern, Geisteskranken, Betrunkenen, unvermeidbar Irrenden (Achtung! hier wie in AG Fall ETBI, weil der Notwehrhandelnde einen Irrtum über tatsächliche Umstände hat) ist das Rechtsbewährungsinteresse, das hinter der Notwehr steht, erheblich gemindert; geht sodann vor allem um Individualrechtsschutz.
Dabei muss sich der Verteidigende aber auf weniger einschneidende Maßnahmen wie Ausweichen, fremde Hilfe oder Rücksichtnahmemaßnahmen einlassen. (Warnen-Schutzwehr-Trutzwehr)