Rechtswidrigkeit: Sonstige Rechtfertigungsgründe Flashcards
(§ 241a BGB als Rechtfertigungsgrund)
- wenn unbestellte Waren vom Verbraucher vernichtet oder veräußert werden, setzt er sich keinerlei Ansprüchen aus
- der Verbraucher, der unbestellte Ware vernichtet, ist straflos (keine Sachbeschädigung), da nach §241a BGB gerechtfertigt
- durch Veräußerung der Ware begründete Unterschlagung nach § 246 StGB wird wohl an rechtswidriger Zueignung scheitern, weil das Gesetz den freien Umgang mit dem fremden Eigentum zulässt
Wahrnehmung berechtigter Interessen bei Ehrverletzungen, § 193 StGB
I. Anwendbarkeit
- außerhalb der Beleidigungsdelikte nicht anwendbar, was sich aus systematischer Stellung ergibt
- nicht bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen, § 185
- nicht bei § 187
- nicht bei Formalbeleidigung, § 192
- Ausfluss der Meinungsäußerungsfreiheit gem. Art. 5 I, II GG
II. Objektive Voraussetzungen:
- berechtigtes Interesse des Täters (jedes öffentliche, private, materielle oder ideelle Interesse, das von der Rechtsordnung als schutzwürdig anerkannt wird; unmittelbares oder mittelbares Interesse (eigene Belange oder auch fremde, wenn er als Verfechter auftritt, wie RA oder Gemeinderatsmitglied); Interessen der Allgemeinheit sind zugleich Interessen des Einzelnen (wie Strafverfolgung etwa)
- die Abwägung der widerstreitenden Interessen muss zu dem Ergebnis führen, dass das Interesse des Beleidigers gleich- oder höhenwertig als das Interesse des Ehrverletzten ist;
- hier dann Verhältnismäßigkeitsprüfung
III. Subjektive Voraussetzungen:
- Täter muss es auf die Interessenwahrnehmung ankommen
Züchtigungsrecht
- hatte früher seine Grundlage im elterlichen Erziehungsrecht (§§ 1626, 1631 I BGB; Art. 6 II 1 GG)
- nach § 1631 II BGB sind nunmehr aber körperliche und seelische Misshandlungen aller Art unzulässig (werden von der Norm alle als entwürdigende Maßnahmen eingestuft)
- § 1631 wurde im Jahre 2000 durch das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung dahingehend geändert, dass alle Art von Gewalt verboten werden sollte
In Klausur:
In TB: § 223: “unangemessene” Behandlung ? Müsse im Lichte des Erziehungsrechts aus Art. 6 II 1 GG verfassungskonform ausgelegt werden. § 1631 II stünde dem Wortlaut nach nicht entgegen. Richtigerweise muss dies aber im Rahmen der Rw erörtert werden, weil eine Abwägung stattfindet. Der Wortlaut des § 1631 II sagt, dass alle Behandlungen entwürdigend sind; keine Unterscheidung; also TB erfüllt.
In RW: § 1631 II besagt, dass alle Züchtigungen entwürdigende Maßnahmen sind; also grundsätzlich keine Rechtfertigung; nur Korrektur bei Einstellung aus Opportunitätsgründen, §§ 153 ff. StPO; Korrektur bei maßvollen, nachvollziehbaren Züchtigungen?
- als nicht entwürdigend einzustufen? Wortlaut dagegen
- durch Art. 6 II GG Strafausschließungsgrund?
- oder etwa entschuldigt, weil keine Bestrafungsnotwendigkeit bei Drucksituationen?
Aber herrschend eher, dass keine Rechtfertigung oder Entschuldigung möglich ist, § 1631 II BGB eindeutig.
Überlegt wird jedoch ein Strafbarkeitsausschluss auf Schuldebene: Während bei §§ 17, 20 StGB die normative Ansprechbarkeit des Täters fehlt, liegt die Straflosigkeit bei §§ 19, 33, 35 eher in der fehlenden Bestrafungsnotwendigkeit, und zwar weil die Gesellschaft Verständnis für die Reaktion aufbringt und ihn von der Verantwortung für die Tat befreit.
–> Entschuldigung gem. Art. 6 GG in eng begrenzten Fällen; nämlich wenn grobe kindliche Unartigkeit vorliegt, Reaktion der Eltern als spontane und moderate Antwort in einem Moment der Überforderung zu interpretieren ist.
Vorläufige Festnahme, § 127 I StPO
Voraussetzungen:
I. Festnahmelage
- auf frischer Tat betroffen oder verfolgt
(= wenn unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit Festnahme bzw. Verfolgung besteht)
(Achtung: Tat muss mindestens im Versuchsstadium stecken, keine reinen Vorbereitungshandlungen, darf noch nicht beendet sein; notwendig ist nur rechtswidrige Tat; Schuld wird nicht vorausgesetzt, weil § 127 der Sicherung des Strafverfahrens dient und auch Maßnahmen gegen Schuldunfähigen in Betracht kommen; ggü Kindern nach hM kein Festnahmerecht, weil nur außenstrafrechtliche Sanktionen in Betracht kommen)
- Fluchtverdacht oder Unmöglichkeit sofortiger Identitätsfeststellung
II. Festnahmehandlung
- Erforderlichkeit (geeignet; mildestes Mittel) der Festnahmehandlung: die eingesetzten Mittel müssen auf Festnahme zielen, erlaubt aber nur leichte bis mittlere Körperverletzungen, die unmittelbar aus der Festnahme resultieren; der Gebrauch von Schusswaffen kann nur ausnahmsweise, in ganz engen Grenzen! gerechtfertigt werden, weil auch Unschuldige Opfer sein können (vgl. unten) und dem Privaten derart schwere Eingriffe nicht zu gestatten sind. (wahrscheinlich sogar eher komplett abzulehnen, weil dem Privaten solche Eingriffe nicht zustehen sollen);
Verhältnismäßigkeit prüfen
III. Subjektives Rechtfertigungselement
- Kenntnis der Festnahmelage und mit Festnahmeabsicht
Hauptproblem: Gilt § 127 I StPO nur gegenüber dem wahren Täter (dh Tat muss tatsächlich begangen worden sein) oder auch gegenüber dem dringend Verdächtigen?
!!! dringend merken !!!
–> Kernelemente des Streitstands, ggf. ist hier der ETBI anzusprechen
(!) A1: strafprozessuale Auffassung:
Es genügt der dringende Tatverdacht, wenn der Festnehmende diesen bei pflichtgemäßer Prüfung annehmen konnte (hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung);
Arg.: Wenn der Private schon die Befugnis zu derartigen Zwangsmaßnahmen hat, dann kann ihm auch nicht mehr als die gebotene Sorgfalt abverlangt werden; außerdem handelt er für den Staat (pro magistratu), dieser darf nach § 127 II StPO auch bei Tatverdacht festnehmen; mehr darf dann für den Privaten nicht gelten, sonst würde dieser nie eingreifen
A2: strafrechtliche Auffassung:
Eine tatsächlich begangene Tat muss gegeben sein;
Arg.: Wortlaut des § 127 I StPO; Umkehrschluss aus § 127 II StPO, wo beim staatlichen Akteuren dringender Tatverdacht genügt; als Ausnahmevorschrift eng auszulegen; bei Zweifeln sollen staatliche Behörden eingreifen; wenn § 127 zu früh greift, dann wird dem vermeintlichen Täter das Notwehrrecht genommen, obwohl er sich womöglich nachvollziehbarerweise wehrt; dem Unschuldigen darf ein solches Risiko nicht aufgebürdet werden; der Festnehmende ist hinreichend über den ETBI geschützt (also auch hier möglich)
–> eher zweiter Auffassung folgen, dann kann man Wissen darstellen; bei Zeitproblemen eher über 1 (Klausurtaktisch entscheiden)
Prüfungsreihenfolge der Rechtfertigungsgründe
- Einwilligung (weil Wille geht vor)
- Notwehr, § 32 StGB
- Selbsthilferechte BGB
- Festnahmerecht, § 127 I StPO
- zivilrechtliche Notstände, §§ 228,904 BGB
- rechtfertigender Notstand, § 34 StGB
- rechtfertigende Pflichtenkollision
(8. § 193 StGB, Züchtigungsrecht, etc.)
Erlaubte Selbsthilfe, §§ 229, 230 BGB
Selbsthilfe ist Durchsetzung bzw. Sicherung eines Anspruchs vermittels privater Gewalt.
Voraussetzungen:
- Selbsthilfelage
- dem Handelnden (keinem Dritten) muss selbst ein Anspruch tatsächlich zustehen (guter Glaube genügt nicht)
- obrigkeitliche Hilfe darf nicht rechtzeitig zu erlangen sein
- Gefährdung des Anspruchs (Vereitelung oder wesentliche Erschwerung) - Selbsthilfehandlung
- Wegnahme, Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, die dem Schuldner gehört und vollstreckungs- und arrestfähig sein muss (§ 230 II)
- Festnahme des Schuldners bei Fluchtverdacht, wobei Voraussetzungen des § 918 ZPO vorliegen müssen
- auch erfasst ist die Wegnahme einer dem fluchtverdächtigen Schuldner gehörenden Sache, um ihn zur Angabe des Namens und der Anschrift zu veranlassen
- Erforderlichkeit der Selbsthilfehandlung, § 230 I BGB (nie Recht zur Tötung); als Substitut hoheitlichen Handelns kann die Selbsthilfe keinen weiteren Handlungsspielraum einräumen, als einem staatlichen Organ zustehen würde
- -> daher keine Zueignung fremder Sachen, immer den offiziellen Weg gehen! - Selbsthilfewille als subjektives Rechtfertigungselement
Rechtfertigende Pflichtenkollision
Bei zwei gleichwertigen (Achtung Garantenstellungen) Handlungspflichten kann das Unterlassen der einen nicht rechtswidrig sein.
- -> echte Pflichtenkollision: zwei gleichwertige Handlungspflichten
- -> unechte Pflichtenkollision: zwei ungleichwertige Handlungspflichten: Täter muss die höherwertige erfüllen
Merke: auch Grundrechte ?
Auch Grundrechte können Rechtfertigungsgründe sein, jedoch wird es oft einfachgesetzliche Ausprägung dessen geben, wie etwa § 193 StGB; Art. 8 GG bei § 240, vllt dort aber auch eher in Rechtswidrigkeitsprüfung einbauen; Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 GG, aber hierfür § 1631 BGB;
als letzter Notnagel vielleicht, wenn objektive Werteordnung gegen das sozialethische Unwerturteil spricht!