9. Stress und Gesundheit Flashcards
(29 cards)
Hintergrund und Forschungsansätze (Faltermaier, 2017)
- Bislang keine allgemein akzeptierte Definition des Begriffes „Stress“ (Begriff stammt ursprünglich aus der Physik)
- Unterscheidung zwischen verschiedenen Forschungstraditionen bzw. -ansätzen
- Forschungsansätze und Theorien zu Stress liegen aus der Biologie, der Medizin, der Psychologie und der Soziologie vor
Häufig zitierte Definition von Stress
Stress ist „…jedes Ereignis, in dem äußere oder innere Anforderungen (oder beide) die Anpassungsfähigkeit eines Individuums (oder sozialen Systems) oder eines organischen Systems beanspruchen oder übersteigen“ (Lazarus & Launier, 1981, S. 226)
Forschungsansätze (Kohlmann & Eschenbeck, 2018)
- Reaktionsbezogene Stresskonzeptionen (zentral: Analyse stress- bezogener Reaktionsmuster und Verhaltensweisen)
- Situationsbezogene Stresskonzeptionen (zentral: Rolle von Umwelt- bedingungen als Stressoren)
- Relationale Stresskonzeptionen (zentral: Person-Umwelt-Beziehung in belastenden Auseinandersetzungen)
Reaktionsbezogene Stresskonzeptionen (Faltermaier, 2017)
- Als Begründer der modernen Stressforschung wird häufig der Mediziner Hans Selye (1907-1982) bezeichnet
- Für Selye ist Stress in erster Linie ein Zustand des Organismus -Auslöser dieses Zustands sind sogenannte Stressoren
Beispiele für Stressoren (nach Kohlmann & Eschenbeck, 2018)
Kritische Lebensereignisse (z.B. Tod eines Familienmitglieds) Traumatische Ereignisse (z.B. Naturkatastrophen)
Chronische Stressoren (z.B. eine chronische Erkrankung)
Widrigkeiten des Alltags (z.B. „zu viel zu tun zu haben“) Entwicklungsaufgaben (können Stresspotential besitzen)
Physikalische Stressoren (z.B. Hitze, Lärm, Kälte)
Soziale Stressoren (z.B. zwischenmenschliche Konflikte)
Ökologische Stressoren (z.B. negative Wohnsituation)
Ökonomische Stressoren (z.B. finanzielle Probleme)
Berufliche Stressoren (z.B. Zeitdruck, Hektik, Monotonie)
Reaktionsbezogene Stresskonzeptionen (Faltermaier, 2017)
Stress nach Selye Reaktion des Organismus auf einen Stressor
Selye ging von einem bestimmten Syndrom physiologischer (z.B. Anstieg der Herzrate) und endokrinologischer Veränderungen (z.B. Ausschüttung von Hormonen) aus, das als Stressreaktion abläuft
Sogenanntes „Allgemeines Adaptationssyndrom“ (sollte unspezifisch induziert werden, d.h., unabhängig von der Art und Qualität des Stressors)
Biologischer Ansatz zur Erforschung von Stress
Allgemeines Adaptationssyndrom (Abbildung: Knoll et al., 2017)
Allgemeines Adaptationssyndrom soll nach Selye als unspezifische Reaktion stereotyp einem bestimmten zeitlichen Ablaufmuster folgen
Alarmreaktion (Schock, folgende körpereigene Gegenreaktion, Prozesse zur Bewältigung werden ausgelöst)
Widerstandsphase (Aktivierung der Energiereserven)
Erschöpfungsphase (Adaptation an Stresssituation bricht zusammen, mögliche Folgen sind Beeinträchtigungen bis hin zu dauerhaften Schädigungen des Organismus)
Kritik Allgemeines Adaptationssyndrom (Knoll et al., 2017)
Befunde stammen überwiegend aus Tierversuchen
Ablauf der physiologischen Stressreaktion nicht einheitlich bei Säugetieren (wie von Selye angenommen)
Stressreaktion auch nicht unabhängig von der Qualität des Stressors (wie ebenfalls ursprünglich angenommen)
Bewertungen der gemachten Erfahrungen mit den objektiven physiologischen Stressoren fehlen im Modell
Zusätzlich Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften, Coping- Strategien und der aktuellen Lebenssituation auf Stressreaktion
Situationsbezogene Stresskonzeptionen (Brinkmann, 2021)
Im Vordergrund stehen Stress auslösende Ereignisse oder Merkmale
Alternative Bezeichnung: Reiz- oder situationsorientierte Stress- konzepte
Wichtiges Forschungsfeld: Life-Event-Forschung
Life-Event-Forschung (Brinkmann, 2021)
Ziel: Erfassung einschneidender Ereignisse im Leben eines Menschen
Schüsselbegriff: Kritische Lebensereignisse
Beispiele dafür: Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes, etc.
Definition Kritische Lebensereignisse
„Kritische Lebensereignisse sind Ereignisse, die durch Veränderungen der sozialen Lebenssituation gekennzeichnet sind und Anpassungsleistungen durch das Individuum notwendig machen“ (Filipp, 1995; zitiert nach Brinkmann, 2021, S. 192)
Unterscheidung Lebensereignisse (Filipp, 2007)
Altersgebundene Lebensereignisse (treten mit hoher Wahrscheinlichkeit in bestimmten Altersgruppen auf und werden als „normal“ angesehen, Beispiele dafür: Berufseintritt, Geburt eines Kindes)
Non-normative Lebensereignisse (unerwartet, geringere Wahrscheinlichkeit des Auftretens, oft für Betroffene belastend und schwer bewältigbar, Beispiele dafür: Ungewollte Schwangerschaft im Jugendalter, schwerer Unfall oder „Nicht-Ereignisse“)
Epochalnormierte Lebensereignisse (Konfrontationen mit Extremerfahrungen, Beispiele dafür: Krieg, Flucht, Vertreibung,
Naturkatastrophen)
Diagnostik in der Life-Event-Forschung (Brinkmann, 2021)
Messung von kritischen Lebensereignissen mit sogenannten Ereignislisten oder Ereignisinventaren
Erste und berühmteste dieser Ereignislisten: Social Readjustment Rating Scale (Holmes & Rahe, 1967)
Bedeutender Einfluss der Social Readjustment Rating Scale auf die Life-Event-Forschung zur Kategorisierung stressauslösender Ereignisse
Social Readjustment Rating Scale (SRRS, Knoll et al., 2017)
Messinstrument SRRS besteht aus 43 kritischen Lebensereignissen
SRSS ermöglicht Messung des durchschnittlichen Ausmaßes der sozialen Reorientierung für ein kritisches Lebensereignis (sogenannte „Life-Change-Units“)
Zur Bestimmung der Stressbelastung können Life-Change-Units aufsummiert werden
Befunde Social Readjustment Rating Scale (Brinkmann, 2021)
Je höher die Punktzahl desto stärker die notwendige Anpassungs- leistung
Tod des Ehepartners (100 Punkte, Rang 1)
Scheidung (73 Punkte, Rang 2)
Tod eines Familienangehörigen (63 Punkte, Rang 5)
Heirat (50 Punkte, Rang 7)
Verlust des Arbeitsplatzes (47 Punkte, Rang 8)
Geringfügige Gesetzesübertretungen (11 Punkte, Rang 43)
Kritik Life-Event-Forschung (Brinkmann, 2021)
Große methodische Probleme in der Erfassung von (kritischen) Lebensereignissen (z.B. durch retrospektive Erfassung)
Einfluss von Bewältigungsstrategien oder von sozialer Unterstützung nicht adäquat berücksichtigt
Niedrige Korrelationen zwischen Lebensereignissen und Krankheitssymptomen
Dauerbelastungen (Faltermaier, 2017)
Dauerbelastungen sind langfristige Belastungen, die sich für eine Person aus den sozialen Rollen oder aus Lebensverhältnissen ergeben
Beispiele dafür Belastungen am Arbeitsplatz oder in der Elternrolle
Definition Alltagsstress (Brinkmann, 2021)
„Alltagsstress sind irritierende, frustrierend belastende Anforderungen und schwierige Beziehungen, die uns tagtäglich plagen“ (Larazus & DeLongis, 1983; zitiert nach Brinkmann, 2021, S. 195)
Alltagsstress (Brinkmann, 2021; Faltermaier, 2017)
Alltagsärgernisse („daily hassles“) beschreiben kleinere Vorfälle im Alltag, die für eine Person Ärger oder Frustration bedeuten
Beispiel für Alltagsärgernisse: Lästige Aufgaben im Haushalt
Alltagsärgernisse haben unter Umständen für Entwicklung oder Verlauf von Erkrankungen eine größere Bedeutung als Lebensereignisse
Relationale Stresskonzeptionen (Brinkmann, 2021)
Alternativ auch als „interaktionistisch“ bezeichnet
Relationale Stresskonzeptionen gehen von einer dynamischen Wechselwirkung aus
Dabei werden die Anforderungen der Situation mit den Handlungsmöglichkeiten, die einer Person verfügbar sind, verglichen
Wichtigste Theorie: Kognitiv-transaktionale Stresstheorie (Lazarus, 1966)
Kognitiv-transaktionale Stresstheorie (Lazarus, 1966)
Unterscheidung in kognitiv-transaktionaler Stresstheorie: Primärbewertung (Situationseinschätzung) / Sekundärbewertung (Abgleich mit eigenen Ressourcen) / Bewältigung (Coping in der kognitiv-transaktionalen Stresstheorie entweder emotions- oder problemorientiert) / Neubewertung der Situation
Entscheidend sind in der kognitiv-transaktionalen Stresstheorie subjektive Bewertungsprozesse
Kritik Kognitiv-transaktionale Stresstheorie (Brinkmann, 2021)
Umweltvariablen werden in der Theorie vernachlässigt
Ressourcen sind nicht ausreichend berücksichtigt worden [stärkere Betonung in der Theorie der Ressourcenerhaltung von Hobfoll (1989)]
Es gibt inzwischen differenziertere Unterscheidungen von Bewältigungsstrategien
Theorie der Ressourcenerhaltung (Hobfoll, 1989)
Weiterentwicklung der kognitiv-transaktionalen Stresstheorie
Nach dieser Theorie droht Stress, wenn Ressourcen vermeintlich oder tatsächlich verloren gehen ggf. auch dann wenn keine neuen Ressourcen hinzugewonnen werden („Fehlinvestitionen erfolgt sind“)
Zugrundeliegende Idee: „QMenschen versuchen, das zu bekommen, zu bewahren und zu beschützen, was sie wertschätzen“ (Knoll et al., 2017, S. 98)
Bedeutung von Ressourcen (Knoll et al., 2017)
Ressourcen (nach Theorie der Ressourcenerhaltung) direkt oder indirekt für das Überleben notwendig
Zusätzlich dienen Ressourcen zur Beschaffung weiterer Ressourcen
Ressourcen werden „Qvon einer breiten Masse von Personen übereinstimmend wertgeschätzt und als wichtig für Menschen generell wie auch für die eigene Person angesehenQ“ (Knoll et al., 2017, S. 98)