10. Soziale Unterstützung und Gesundheit Flashcards
Ausgangspunkte der Forschung (Brinkmann, 2021)
Roseto-Studie (Roseto ist eine Stadt in Pennsylvania, USA)
In Roseto lebten sehr viele italienische Einwanderer (bis zu drei Generationen unter einem Dach, enge soziale Netzwerke)
Ab 1962 wurde Längsschnittstudie über 50 Jahre durchgeführt
Zusammenhänge zwischen sozialer Integration und Gesundheit
wurden untersucht
Im Vergleich zu benachbarten Orten: 50% der Todesrate für Herzinfarkte (Erklärungsansatz: Enger sozialer Zusammenhalt der Familien)
Alameda-County-Studie (Kalifornien, USA)
Große Bevölkerungsstichprobe 1965, 1974 und 1983 untersucht
Kernergebnis: Menschen ohne ausreichende soziale Einbindung hatten doppelt so starke Gefährdung im Beobachtungszeitraum zu versterben im Vergleich zu Personen mit qualitativ guten sozialen Beziehungen
Ausgangspunkt für viele weitere Studien
Metaanalyse von House et al. (1988): Mangelnder sozialer Rückhalt stellt ein ähnliches Gesundheitsrisiko dar wie Rauchen
Hintergrund und zentrale Begriffe (Lüscher & Scholz, 2018)
Helfende und unterstützende Beziehungen sind wichtige psychosoziale Ressourcen (Brinkmann, 2021)
Einfluss dieser Ressourcen auf Gesundheit gut belegt
Beschreibung von sozialen Beziehungen: Qualitativ-funktional
versus Quantitativ-strukturell möglich
Quantitativ-strukturelle Beziehungen umfassen soziale Netzwerke wie Familien, Freunde und Bekannte
„Der Grad der Einbettung eines Menschen in ein solches soziales Netzwerk wird als soziale Integration bezeichnet, der man die soziale Isolation, d.h. eine Desintegration, gegenüberstellt“ (Brinkmann, 2021, S. 147).
Soziale Integration bzw. das soziale Netzwerk lassen sich nach Berkman et al. (2000) anhand folgender Kriterien beschreiben:
Familienstand bzw. Partnerschaft
Anzahl der Netzwerkmitglieder („Größe des Netzwerks“)
Anzahl der Verbindungen zwischen den Netzwerkmitgliedern („Dichte des Netzwerks“)
Ähnlichkeit der Personen innerhalb eines Netzwerks („Homogenität“)
Häufigkeit der persönlichen Kontakte
Soziale Integration liefert quantitative Informationen über soziale Beziehungen eines Individuums
Qualität der Beziehungen daraus nicht ableitbar
Allerdings wirken sich insbesondere Größe des Netzwerks, Anzahl der engen Vertrauten und Häufigkeit der persönlichen Kontakte stark auf Verfügbarkeit hilfreicher sozialer Unterstützung aus
Soziale Unterstützung beschreibt qualitativen Aspekt von sozialen Beziehungen
„Soziale Unterstützung ist die Interaktion zwischen zwei oder mehr Personen, um das Leid einer Person, das durch einen Problemzustand hervorgerufen wird, zu beenden, zu mildern oder erträglicher zu gestalten“ (Cohen, Gottlieb & Underwood, 2000).
Üblicherweise erfolgt in sozialen Netzwerken auch soziale Kontrolle
Abweichungen von geltenden Normen und Werten des Netzwerks können zu Konflikten führen
Kritik und Abwertung, Diskriminierung, Feindseligkeit oder Einmischung durch Mitglieder des sozialen Netzwerks werden auch als „negative Unterstützung“ bezeichnet
Durchaus auch positive Auswirkungen sozialer Kontrolle möglich
Riskantes Gesundheitsverhalten kann dadurch beeinflusst werden
Möglich sind beispielsweise Reduktionen des Konsums beim Rauchen, Alkohol- oder Drogengebrauch
In Gesundheitspsychologie werden in erster Linie qualitativ- funktionale Aspekte sozialer Beziehungen untersucht
Im Fokus: Auswirkungen sozialer Unterstützung auf Gesundheit und Wohlbefinden der Menschen
Bedeutung sozialer Unterstützung für Entstehung oder Vermeidung von Krankheiten
Zusätzliche Unterscheidung: Unterstützungsquelle versus Unterstützungsempfänger (Knoll et al., 2017)
Soziale Unterstützung in Deutschland (Borgmann et al., 2017)
Daten aus GEDA 2014/2015-EHIS Studie (erhoben 2014 bis 2015) Bevölkerung ab 18 Jahren mit ständigem Wohnsitz in Deutschland Insgesamt 24 016 Personen befragt
Mehr als ein Viertel der Befragten (27.3%) berichteten von starker sozialer Unterstützung
17.6% der Frauen und 19.0% der Männer gaben an, nur geringe soziale Unterstützung zu erhalten
Weder Unterschiede im Alter noch im Geschlecht waren statistisch signifikant
Frauen und Männer der unteren Bildungsgruppe berichteten häufiger von geringer sozialer Unterstützung als Befragte aus hohen Bildungsgruppen
Funktionen sozialer Unterstützung (Knoll et al., 2017)
Unterschieden werden unterschiedliche Funktionen sozialer Unterstützung bzw. Dimensionen:
Instrumentelle Unterstützung (z.B. Hilfemaßnahmen bei zu erledigen Arbeiten, Bereitstellung finanzieller Ressourcen)
Emotionale Unterstützung (z.B. Trösten, Mitleid)
Informationelle Unterstützung (z.B. relevante Informationen oder
Ratschläge geben)
Bewertungsunterstützung (z.B. Übereinstimmung von Bewertungen und Standpunkten kommunizieren)
Soziale Beziehung meist nicht auf eine Unterstützungsform begrenzt
Die meisten sozialen Beziehungen sind multifunktional und dies umso ausgeprägter je enger eine Beziehung ist (siehe Fallbeispiel)
Beispiel für eine einzelne Form von Unterstützung: In Nachbarschaften oft nur instrumentelle Unterstützung üblich
wahrgenommene Unterstützung
„Die wahrgenommene Unterstützung ist definiert als die subjektive Überzeugung eines Menschen, soziale Unterstützung im Not- oder Bedarfsfall zu bekommenO, während die erhaltene Unterstützung die tatsächliche und beobachtbare Handlung und personale Interaktion fokussiertO“ (Brinkmann, 2021, S. 150).
Weitere Unterscheidung sozialer Unterstützung (Brinkmann, 2021)
Wahrgenommene soziale Unterstützung und erhaltene Unterstützung überlappen sich kaum (Knoll et al., 2017)
Wahrgenommene soziale Unterstützung beeinflusst Gesundheit
Differenzierung sinnvoll, da wahrgenommene Unterstützung nicht unbedingt genutzt wird bzw. tatsächliche Hilfestellung nicht immer als Unterstützung wahrgenommen wird
Wenn die/der Gebende von Unterstützung berichtet, die Zielperson aber keinen Erhalt angibt, wird von sogenannter unsichtbarer sozialer Unterstützung gesprochen (Lüscher & Scholz, 2018)
Quellen sozialer Unterstützung (Lüscher & Scholz, 2018)
Quellen der sozialen Unterstützung sind insbesondere Vertrauenspersonen wie:
(Ehe-)Partner oder Partnerinnen Familienangehörige
Freunde und Freundinnen
Nachbarn und Nachbarinnen
Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen
Für viele Individuen sind ihre Partner und Partnerinnen die wichtigste Unterstützungsquelle
Relevanter Forschungsansatz dazu: Dyadische Stressbewältigung (alternative Bezeichnung: Dyadisches Coping)
Grundgedanke: Wenn einer von beiden Partnern in einer schwierigen Lebenslage ist, wird das in der Regel beide belasten
Dyadisches Coping (Brinkmann, 2021)
„Unter dyadischem Coping werden alle Anstrengungen eines oder beider Partner verstanden, die individuelle Belastung eines der beiden Partnern zu verringern“ (Brinkmann, 2021, S. 158)
Unterstützung bei Bewältigung, weil der Partner, der nicht direkt von der psychischen Belastung betroffen ist, indirekt Stress empfindet
Beispielsweise wird dann bei Erkrankung eines Partners dieser getröstet, ermutigt und emotional gestützt
Von dyadischem Coping kann nur gesprochen werden, wenn der zunächst nicht betroffene Partner in der Lage und willens ist Unterstützung (in unterschiedlichen Formen) zu geben
Nach Bodenmann (2000) werden drei Formen des dyadischen Copings unterschieden: Gemeinsames Coping (z.B. gemeinsames Lösen von Problemen, Ausdruck der gegenseitigen Solidarität) Supportives Coping (Austausch von praktischen Ratschlägen, emotionale Unterstützung) Delegiertes dyadisches Coping (zunächst nicht betroffener Partner übernimmt die zu bewältigenden Aufgaben)
Familie und Verwandtschaft (Brinkmann, 2021)
„Im Vergleich zu Freundschaften sind familiäre Beziehungen längerfristig angelegt und halten einem Hilfebedarf über einen längeren Zeitraum auch eher stand“ (Brinkmann, 2021, S. 160)
Familie und Verwandtschaft bieten oft wichtige und konstante soziale Unterstützung
Gilt insbesondere für Beziehung zwischen Eltern und Kind sowie zwischen Geschwistern
Familie ist oft eine vor Krankheit schützende Instanz
Freunde (Brinkmann, 2021)
„Freundschaftliche Beziehungen basieren auf Sympathie, Einstellungsähnlichkeiten, Vertrauen, gemeinsamen Interessen und Verständnis füreinander“ (Brinkmann, 2021, S. 161)
Freundschaften sind soziale Austauschprozesse
Durch wechselseitig hohen Aufwand und gegenseitigen Nutzen
gekennzeichnet
Bei länger andauernden Krisen oder Erkrankungen können soziale Unterstützungsleistungen von Freunden an ihre Grenzen stoßen (evtl. begründet durch die Erwartung des reziproken Austausches)
Bekannte (Brinkmann, 2021)
Im Gegensatz zu Freundschaften beinhalten Bekanntschaften für beide weniger gegenseitige Abhängigkeit
Damit auch niedrigere Kosten und weniger Nutzen
Sowohl Freundschaften als auch Bekanntschaften schützen vor
sozialer Isolation und stärken das Selbstwertgefühl
Bei einseitigem Geben oder dem Gefühl der Überforderung beim Unterstützungsgeber kann die soziale Unterstützung irgendwann unterbleiben
Nachbarschaftliche Beziehungen (Brinkmann, 2021)
Im Rahmen der Nachbarschaft sind soziale Kontakte ausschließlich durch gemeinsames Wohnumfeld begründet
Einstufung dieser Kontakte in aller Regel als distanziert und unverbindlich
Es fehlen klare Verhaltensnormen in Bezug auf nachbarschaftliche Beziehungen
Neben sozialem Austausch auch kleinere Unterstützungsleistungen möglich
Bei gemeinsamen Interessen oder Zielen können nachbar- schaftliche Netzwerke oder Nachbarschaftsinitiativen entstehen
Mögliche Wirkweisen sozialer Unterstützung (Knoll et al., 2017)
In Laborexperimenten zeigte sich eine verringerte kardiovaskuläre Reaktivität auf akuten Stress durch soziale Unterstützung (Hinweis auf protektive Wirkung für das Herz-Kreislauf-System, Uchino et al., 1996)
Bei positiven Sozialkontakten werden endogene Endorphine ausgeschüttet, dadurch erfolgt Eindämmung der physiologischen Stressreaktion (Panksepp, 1998)
Soziale Unterstützung reduziert die stressinduzierte Dysregulation des Immunsystems (Fargundes et al., 2013)
Grenzen des aktuellen Forschungsstands (Lüscher & Scholz, 2018)
„Trotz jahrzehntelanger Forschung zum Zusammenhang von sozialer Unterstützung mit psychischem Wohlbefinden und körperlicher Gesundheit gibt es noch viele ungeklärte Fragen, wie z.B. zu den Wirkmechanismen dieser Zusammenhänge“ (Lüscher & Scholz, 2018, S. 223).