Vorlesung 9 Flashcards

1
Q

Definition: „Diagnostische Kompetenz“

A

„Diagnostische Kompetenz [DK] von Lehrpersonen bezieht sich auf die Fähigkeit, die im Lehrberuf anfallenden diagnostischen Aufgabenstellungen erfolgreich zu bewältigen und auf die Qualität der dabei erbrachten Diagnoseleistungen […]. Ziel ist es, Informationen über Lernergebnisse, Lernvoraussetzungen und Lernvorgänge von Schülerinnen und Schülern zu gewinnen, die für verschiedene pädagogische Entscheidungen […] genutzt werden können.“

„[DK] wird häufig mit der Fähigkeit gleichgesetzt, genaue diagnostische Urteile abzugeben“.

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2
Q

„Modelle“ diagnostischer Kompetenz

A

Inhaltliche Bestandteile von DK

  • (A) Stabile Merkmale als Grundlage des Diagnostizierens (z.B. Intelligenz, kognitive Komplexität)
  • (B) Erfahrungsabhängige bereichsspezifische Fähigkeiten und Wissensstrukturen: methodisches Wissen (z.B. über Urteilsfehler, Güte best. diagnostischer Verfahren), gegenstandsspezifisches Wissen (schwierigkeitsbestimmende Aufgabenmerkmale, typisches Vorgehen von Schüler/innen eines bestimmten Alters)
  • (C) Spezifische Kenntnisse (z.B. Wissen über einzelne Schüler/innen und Klassen) (+) Prozedurales Wissen
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3
Q

Was kann zur Urteilsgenauigkeit führen?

A

Lehrermerkmale, z.B.

  • Expertise
  • Professionswissen (fachdidaktisches Wissen, diagnostisches Wissen)
  • Lehrdauer in der Klasse

Schüler- und Klassenmerkmale

  • Merkmalsausprägung und -streuung, Klassengröße
  • SES, Geschlecht

Testmerkmale

  • Vertrautheit mit Test / Testaufgaben

Merkmale des Urteils

  • Diagnoseziel
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4
Q

Drei Komponenten der Diagnosegenauigkeit

A

Rangkomponente

  • Fähigkeit von Lehrkräften, Fähigkeits- bzw. Leistungsabstufungen zwischen Schüler/innen akkurat einzuschätzen

Niveaukomponente

  • Absolute Einschätzung der Ausprägung einer Schülerfähigkeit oder der Schülerleistung bei einer Aufgabe
  • Berechnung des Urteilsfehlers (absoluter Betrag der Abweichung zwischen Lehrerurteil und Kriterium) oder der Urteilstendenz (Grad der Über- oder Unterschätzung des Kriteriums)

Differenzierungskomponente

  • Vergleich zwischen der Streuung von Fähigkeitsausprägungen bzw. Schülerleistungen und der Streuung der Lehrerurteile
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5
Q

Empirie zur Urteilsgenauigkeit

A
  • Empirie belegt die Abgrenzbarkeit von Rang-, Niveau- und Differenzierungskomponente
  • meist große interindividuelle Unterschiede in der Urteilsgenauigkeit
    • Rangkomponente zwischen .60 < r < .70 bei Urteilen zu Schülerleistung
      • geringer bei Einschätzung von Aufgabenschwierigkeiten: .30 < r < .50
    • Niveaukomponente
      • Tendenz zur Überschätzung der Schülerleistung; besonders große Diskrepanz zwischen tatsächlicher Leistung und vorhergesagter Leistung bei schwächeren Schülerinnen und Schülern
    • Differenzierungskomponente
      • uneinheitliche Ergebnisse
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6
Q

Empirie zu den Einflussfaktoren auf die Urteilsgenauigkeit und den Urteilsprozess

A
  1. Lehrermerkmale und Merkmale des Urteils
    • Untersuchungen zur Urteilsgenauigkeit:
      • kaum konsistente Zusammenhänge zwischen Lehrermerkmalen (z.B. Dauer der Tätigkeit im Lehrerberuf, Dauer der Lehrtätigkeit in der jeweiligen Schulklasse oder fachdidaktisches Wissen) und Urteilsgenauigkeit
    • Untersuchungen zum Urteilsprozess mittels Experten-Novizen-Vergleichen
      • Expert/innen können besser zwischen diagnostisch wichtigen und weniger wichtigen Informationen trennen
      • Expert/innen neigen stärker dazu, einmal getroffene Urteile zu revidieren, wenn sie zusätzliche, gegenteilige Informationen erhalten
    • Weitere Untersuchungen zum Urteilsprozess mittels Experten-Novizen-Vergleichen: Expert/innen sind „flexiblere Denker“ und (anders als Laien) in der Lage, beim Urteilen je nach Diagnoseziel und persönl. Relevanz zwischen verschiedenen Informationsverarbeitungs- modi zu wechseln
  2. Klassenmerkmale
    • „Big-Fish-Little-Pond Effekt“: Leistungsniveau der Klasse beeinflusst Einzelbeurteilung
  3. Schülermerkmale
    • Schülerinnen und Schüler mit höherem sozioökonomischen Status werden als leistungsfähiger eingestuft
    • analoge Befunde zum Geschlecht und zur Hautfarbe
    • auch nach Kontrolle der tatsächlichen Schülerleistung lassen sich stereotypen
    • kongruente Einflüsse von Schülermerkmalen auf Lehrkrafturteile nachweisen
    • Aber: teilweise widersprüchliche Befunde
  4. Testmerkmale
    • Höhere Urteilsgenauigkeit bei Vertrautheit mit dem Urteilsgegenstand (z.B. Kenntnis des Tests, bei dem Schülerleistung prognostiziert werden muss, Behandlung ähnlicher Aufgaben im eigenen Unterricht)
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7
Q

Wie können Lehrkräfte den diagnostischen Anforderungen gerecht werden?

A

Stärkung der professionellen Kompetenz:

  • fachdidaktische und psychologische Vertiefung zu Kompetenzmodellen, Diagnostik, Rückmeldung, Evaluation, Unterrichtsentwicklung
  • Nutzung von Bildungsstandards bzw. auf den Bildungsstandards basierenden Rahmenlehrplänen und pädagogischen Kriterien als Basis für individuelle Diagnostik und Bewertung
  • systematische Evaluation von Unterricht, seinen Zielen, Prozessen und Ergebnissen; Nutzung der Evaluationsergebnisse für Unterrichtsentwicklung
  • systematischer Austausch und Abstimmungen im Lehrerkollegium
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8
Q

Zyklus zur Erfassung und Verbesserung der Diagnosefähigkeit

A
  • (A) Auswahl eines Schülermerkmals o. eines Satzes v. Aufgaben
  • (B) Erhebung d. tatsächlichen Schülerleistung bzw. d. Merkmals
  • (C) Persönliche Prognose
  • (D) Vergleich zwischen Schätzung u. empirischem Befund
  • (E) Analyse von Diskrepanzen
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9
Q

Urteilsfehler

A
  • Urteilstendenzen in Bezug auf die Ausschöpfung des Beurteilungsspektrums
  • Urteilsfehler durch Voreingenommenheit und Interferenzen
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10
Q

Modell der Leistungsbeurteilungen

A
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11
Q

Urteilsfehler durch Urteilstendenzen

A
  • Referenzfehler: ausschließliche Orientierung an der Referenzgruppe
  • Tendenz zur Mitte: Vermeidung extremer Urteile
  • Tendenz zum Extrem: Vermeidung von mittleren Urteilen,
  • Milde-Effekt: Tendenz zur Vergabe von besseren Noten als andere Lehrkräfte
  • Strenge-Effekt: Tendenz zur Vergabe von schlechteren Noten als andere Lehrkräfte
    • Reduzierte Differenzierung
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12
Q

Was kann man bzgl. Urteilsfehler tun?

A
  • sich Klarheit darüber verschaffen, zu welchen Fehlern man neigt („erkenne dich selbst“)
  • Austausch mit Kollegen/Kolleginnen, Zweitkorrekturen erbitten
  • sich Klarheit darüber verschaffen, welche Beurteilungstendenzen mit der Tradition des Faches, der Schulart oder der Schulstufe zusammenhängen
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13
Q

Urteilsfehler durch Interferenzfehler

A
  • Reihungsfehler: eine nachfolgende Beurteilung ist von einer vorherigen abhängig
  • logische Fehler: Einfluss einer impliziten Persönlichkeitstheorie
  • Halo-Effekt (Hof-, Überstrahleffekt): der globaler Eindruck von einer Person „überstrahlt“ die Wahrnehmung anderer Merkmale
  • Perseverationsfehler: ein bereits gefälltes Urteil wird strikt beibehalten
  • Projektionsfehler: eigene Interessen/Eigenschaften werden anderen Personen zugeschrieben
  • Wissen-um-die-Folgen-Fehler: ein Urteil wird tendenziell milder gefällt, wenn die Folgen absehbar negativ sind
  • Vorurteile, Voreingenommenheit und Fehlschlüsse im Urteil (Wahrnehmung)
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14
Q

Was kann man bzgl. Urteilsfehler durch Interferenzfehler tun?

A
  • klar definierte Kriterien
  • Trennung zwischen Beschreibung (Beobachtung) und Bewertung einer Leistung
  • Gesamtbewertung erst nach Einzelbewertungen (z.B. Aufgabe für Aufgabe anstelle von Klassenarbeit für Klassenarbeit)
  • Einsicht in die Subjektivität des eigenen Urteils, Bereitschaft zur Selbstkritik und Selbstkorrektur
  • Vorinformationen mangelnder Güte kritisch beurteilen (z.B. beiläufige Lehrerzimmergespräche)
  • Leistungsbewertungen wenn möglich „blind“ vornehmen, Reihenfolgen variieren
  • Austausch mit Kollegen/Kolleginnen, Zweitkorrekturen
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15
Q

Güte der schulischen Leistungsbeurteilungen

A
  • Erfüllung der Gütekriterien ist abhängig von Art der Leistungsüberprüfung, vom Fach, von der Bezugsnorm
  • allgemein: „Zensuren sind weder so schlecht, wie sie hingestellt wurden, noch so gut, wie sie ihrem Anspruch nach sein müssten.“
  • Leistungsunterschiede von Schülerinnen/Schülern innerhalb einer Klasse werden recht präzise eingeschätzt (wobei beträchtliche Unterschiede zwischen Lehrkräften bestehen)
  • mit der Einschätzung des relativen Leistungsniveaus der Klasse haben Lehrkräfte dagegen erhebliche Schwierigkeiten
    • identische Ziffernoten können ganz unterschiedliche Leistungen repräsentieren
    • klassenübergreifender Maßstab fehlt
    • Spannungsfeld zwischen pädagogischer und gesellschaftlicher Funktion von Leistungsbeurteilungen!
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16
Q

Maßnahmen zur Erhöhung der Messgüte von Schulnoten

A
  • Objektivität
  • Prozeduren der Durchführung, Auswertung und Interpretation von Prüfungen explizieren und im Kollegium abstimmen
  • Konsistenz der Anwendung prüfen Reliabilität
  • Anzahl der Aufgaben sollte nicht zu gering sein
  • man sollte sich der Unsicherheit der Messungen bewusst sein (Messfehler abschätzen) Validität
  • in nichtsprachlichen Fächern Anforderungen an Sprachkompetenz gering halten (Dilemma: „intelligente Aufgaben“ in Mathematik sind oft sprachlastig → sprachliches Verständnis vorab im Unterricht sichern)
  • keine reinen Gedächtnisleistungen abprüfen, Einfluss von Bearbeitungsgeschwindigkeit reduzieren
  • Prüfungssituationen möglichst angstfrei gestalten
  • die eigene Beurteilungspraxis an Vergleichsarbeiten, Schulleistungstests etc. verankern
  • sich möglicher Störeffekte und Beurteilungsfehler immer bewusst sein
  • Bezug zu vorangehendem und folgendem Unterricht prüfen
  • unterschiedliche Prüfungsformen (schriftl., mündl., praktisch), Prüfungssituationen (in Klasse, allein etc.), Aufgabenformen (Multiple-Choice, offen, halb geschlossen etc.) einsetzen