Pleistocene Flashcards
Was ist das AB-CDEF-Modell von Niklas Tinbergen?
AB = Animal Behavior (Verhalten aller Art für alle Spezies)
CDEF = Fragen, die ALLE beantwortet werden müssen, um beobachtetes Verhalten zu erklären
Wofür steht C im ABCDEF-Modell?
Causes = die (unmittelbaren) Ursachen von Verhalten, die in der gegenwärtigen Situation vorliegen
Wofür steht D im ABCDEF-Modell?
Development = Ontogenese, individuelle Entwicklung eines Verhaltens
Wofür steht E im ABCDEF-Modell?
Evolution = Phylogenese eines Verhaltens seit rund 6 Mio. Jahren
Wofür steht F im ABCDEF-Modell?
Funktion = Funktion eines Verhaltens in dessen Kontext
Was sagt Eastwick zu evolutionären Engpässen und Beschränkungen?
- „Evolution ist die Geschichte von Organismen, die auf verschiedensten Wegen versuchen, Beschränkungen und Engpässe zu umgehen.“
- Evolutionäre Prozesse kein „Architektenteam“, das vom Reißbrett aus plant und exakte Ziele kennt, sondern „Kesselflicker“ (früher eine Art wandernder Kupferschmied, der mit gegebenen und nicht mehr gut funktionierenden Ausgangsmaterialien eine Lösung finden musste, die einigermaßen wasserdicht sein würde)
- –> neue, gegenwärtige Anpassungsprozesse müssen mit Material vorliebnehmen, das ihnen von früheren Anpassungsprozessen hinterlassen wird; menschliches Gehirn als anschauliches Beispiel: Weiterentwicklung der ersten zentralen „Nervensysteme“ der frühesten Chordaten, die vor gut 500 Millionen Jahren lebten
- Menschliches Gehirn als Beispiel, wie erfolgreich solche graduellen Verbesserungen sein können –> manchmal braucht es auch Tricks, Umwege, Abkürzungen, und Notlösungen, um erfolgreiche Lösungen zu installieren
Beispiel 1: Der Daumen des Pandas …
Beispiel 2: Der Schiffsbohrwurm (in Wirklichkeit eine Muschelart) …
Beispiel 3: Der blinde Fleck auf unserer Retina …
Beispiel 4: Die verlängerte Kindheit der Menschenkinder …
Wieso ist die Kindheit bei Menschenkindern verlängert?
- Historischer Ausgangspunkt: Australopithecus, der anhand eines aufrechten Gangs vor etwa 4 Millionen Jahren die Wälder unserer Primaten-Vorfahren verließ und nach und nach die Savanne eroberte
- Innerhalb der nächsten 2 Millionen Jahre nahm der Schädelumfang deutlich zu, obwohl der Geburtskanal durch den aufrechten Gang ohnehin schon verkleinert worden war und eine Kopfgröße bei der Geburt von maximal 700 ccm erlaubte.
- –> „gynäkologische Krise“ – die nur dadurch gelöst werden konnte, dass ein großer Teil der kindlichen (Gehirn-) Entwicklung in die Zeit nach der Geburt verlegt wurde
Wie lassen sich die Erkenntnisse auf Sexuelles Verlangen/menschliche Libido anwenden?
- Eins der einfachsten und am besten gesicherten Merkmale, welches sexuelles Verhalten charakterisiert
- Motivationspsychologie: Verschiedene Verstärkungsmechanismen bekannt, deren biologische Fundierung insbesondere in den Triebreduktionstheorien zu sehen ist
- Entsprechende Anzeichen für einen sexuellen Trieb im gesamten Bereich der sich zweigeschlechtlich fortpflanzenden Organismen, so dass weitere „Beweise“ eigentlich unnötig sind
Wie lassen sich die Erkenntnisse auf physische Attraktivität anwenden?
- Hohe korrelative Zusammenhänge zwischen physischer Attraktivität und diversen Indikatoren sexueller Anziehung
- Viele Indikatoren physischer Attraktivität sind (in hohem Maße) zeitlich wie auch kultur-übergreifend stabil
- Es gibt gute Kandidaten für kausale Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen physischer Attraktivität und Anziehung vermitteln könnten (so etwa Attraktivität als Gen- und Fitness-Indikator)
Bsp.: Sehr viele Spezies (z.B. Pfau) zeigen, dass bestimmte physische Merkmale große Kosten verursachen, vorzugsweise in der Partnerwahl zum Tragen kommen, und somit von potentiellen PartnerInnen wahrgenommen und „honoriert“ werden können
Wie lassen sich die Erkenntnisse auf Sexualhormone und Effekte des Menstruationszyklus anwenden?
- Verschiedene Arten von Sexualhormonen spielen eine Rolle bzgl. sexuellem Verhalten bei Frauen & Männern (z.B. Testosteron)
- Weibliche Bereitschaft zu sexuellem Verhalten variiert nach monatlichem Zyklus
- Entsprechende Hormone und Steuerungsinstanzen sind wiederum (wie 1) sehr lange in der Säugetier-Evolution verwurzelt –> uralte Mechanismen
- Weitgehende Übereinstimmungen existieren über alle Primatenarten (auch wenn durchaus Unterschiede)
Wie lassen sich die Erkenntnisse auf Bindung anwenden?
- Zu verweisen ist hier auf die Strukturen und Prozesse von kindlichen Bindungsprozessen (Bowlby und Ainsworth, z.B. 1958, 1969)
- Ähnliche Prozesse auch bei Bindung und emotionalem Zusammenhalt zwischen Erwachsenen
- Möglicherweise kulturübergreifende Konstanten in Bezug auf Konzept der romantischen Liebe als (indirekter) Hinweis auf eine genetische Verankerung?
[–> hierüber kein Konsens in der Anthropologie sowie angrenzenden Fächern] - Sinnvoll ist auch eine angemessene Erörterung der Entwicklung der Monogamie im Laufe der menschlichen Phylogenese
Wie läuft die Phylogenese des Bindungssystems?
- Bindungssysteme gibt es in hohem Maße auch bei Primaten (zwischen Mutter und Kind, siehe Studien von Harlow
- Typische Dauer des eigentlichen Bindungssystems bei Menschenkindern reicht bis ins vierte Lebensjahr –> entspricht somit in etwa der typischen Geburtsfolge beim homo sapiens
- Anzeichen für eine Paar-Bindung sind für Primaten recht gering –> Selektionsdruck hin zu Paarbindungen für den Homo Sapiens muss hoch gewesen sein. Beispiel: ein Ache-Kind [eine Jäger-Sammler-Gesellschaft in Paraguay], das ohne Vater aufwächst, hat eine um ein Vielfaches höhere Sterbewahrscheinlichkeit).
- Möglicherweise diente eine alte Anpassungsleistung dazu, eine neue Anforderung zu befriedigen: „Übertragung“ der (Mechanismen der) Mutter-Kind-Bindung auf (Mechanismen der) Paar-Bindung
- Auch Erfordernis einer verlängerten Kindheit könnte hier treibende Kraft gewesen sein, sodass diese Mechanismen vor 1,5 bis 2 Millionen Jahren, vermutlich beim Homo erectus, entstanden sein könnten.
Welche Überschneidungen und Implikationen gibt es für Nicht-Partnerwahl-Bereiche?
- Partnerwahl, Nahrungssuche, andere Ressourcen, aber auch Schutz und soziale Beziehungen stehen beim Homo sapiens in Zusammenhang
- Zusammenhang von Selbstkonzept und Bindung
- „Grooming“ bei Primaten –> Bsp. für Domänen-übergreifenden Mechanismus
- Sehr spekulative Daten zur Domänen-Spezifität bei unseren Vorfahren –> weisen eher darauf hin, dass es Funktionalität über Domänen hinweg kaum gegeben hat
- Annahmen zur Kovariation zwischen kultureller Evolution und sexueller Selektion
Wie variabel sind Partnerwahl-Regeln und -Normen?
- Universalien in der menschlichen Partnerwahl, aber auch mehr kulturelle Eigenarten als bei jeder anderen Spezies
- Kontinuum zwischen Monogamie und Polygynie: viele unterschiedliche Ausprägungen in verschiedenen Gesellschaften, vereinzelt auch polyandrische Kulturen
- Einige wenige Anzeichen von (geringfügigen) „kulturellen“ Besonderheiten bei verschiedenen Affenarten
- Insgesamt aber wohl eine der Besonderheiten des Homo sapiens, dass kulturelle Unterschiede so groß sein können
Wie lassen sich die Erkenntnisse auf Selbstkontrolle anwenden?
- Eigentlich Freud‘sches Thema (Es versus Über-Ich, Wollen versus Sollen)
- Autor stellt v.a. bewusste und wohlüberlegte Formen der Selbstkontrolle in den Mittelpunkt
- Erst wenige Studien zum Zusammenhang von Selbstkontrolle und Partnerwahl, obwohl mögliche Zusammenhänge eigentlich offensichtlich sind
- Konzept wie „Belohnungsaufschub“ bei verschiedensten Spezies
- Andererseits: Bischof-Köhler-Hypothese –> selbst Menschenaffen sind in vielerlei Hinsicht zur Selbstkontrolle unfähig – nämlich dann, wenn motivationaler Zustand nicht aktuell spürbar ist
Was brauchen wir, um diese Domänen zu erforschen?
- Bsp. und Daten, die für eine Existenz des Merkmals sprechen
- Daten, die Anhaltspunkte für deren phylogenetische Einordnung geben
Welche Beispiele haben wir für mögliche Voraussagen?
- Testosteron-Level bei Männern in Abhängigkeit von der Paar-Bindung
- Weibliches Verhalten (Selbstbericht) in Abhängigkeit von der Paarbindung
- Partnerschaftliches Verhalten und Selbstkontrolle
Was sind die Befunde für TL bei Männern?
- Bei Eingehen einer Bindung sinkt bei Männern der TL, bei Trennung steigt er an
- Konkurrenzorientiertes und risikoreiches Verhalten wird nach Eingehen einer Bindung unwahrscheinlicher
- Insbesondere (hohe) Qualität einer Bindung / Beziehung ist der beste Prädiktor für einen niedrigeren TL –> hoher negativer Zusammenhang (r = -.50 bis -.65)
Was sind die Befunde für Weibliches Verhalten?
- Qualität der Bindung / Beziehung sagt für
Frauen Selbst-Aussagen vorher, die Verlangen nach einem Partner des anderen Geschlechts betreffen (jenseits der eigenen Beziehung) - Folgenden Zusammenhänge finden Easwick & Finkel (2009) für jeweiliges fruchtbare Zeitfenster im monatlichen Zyklus der befragten Frauen:
1. Je besser die Beziehung, desto geringer die berichtete Motivation, andere Partner zu treffen
2. Je besser die Beziehung, desto höher die Motivation, physischen Kontakt zum eigenen Partner zu haben.
Was sind die Befunde für Partnerschaftliches Verhalten und Selbstkontrolle?
- In einigen Kulturen dieser Welt gibt es eine Tradition von arrangierten Heiraten, die zumindest die letzten Jahrhunderte überdauerten –> anzunehmen, dass solche kulturellen Varianten Bestand haben können
- Eigene Wünsche bezüglich romantischer Liebe müssen u.U. unterdrückt werden
- Befunde zur Zufriedenheit von Partnerin und Partner in arrangierten Heiraten gemischt / unklar –> Vermutlich zwei Faktoren Prädiktoren für große Schwierigkeiten: (a) große Armut und (b) sehr frühe Arrangements (wenn bereits Kinder in andere Familien gegeben werden)
Welche Implikationen ergeben sich aus der Studie?
**Frage 1: Kurzfristige oder langfristige Partnerwahl?
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Es mag viel weniger entscheidend sein, wie dauerhaft Beziehung ist (was oftmals behauptet wird), sondern ob Set-1 oder Set-2 Mechanismen am Werke sind
**Frage 2: Was ist nun adaptiv?
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Phylogenetische Erklärungen bringen zusätzlich Licht ins Dunkel: wir verstehen möglicherweise weibliches Verhalten über monatlichen Zyklus so besser
**Frage 3: Es scheint, als seien die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht so groß?
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Ja, zumindest Phylogenese des Homo sapiens legt nahe, dass diese keinesfalls so groß sein sollten (und es auch nicht sein können) wie bei unseren Primaten-Vorfahren