Handelsrecht Flashcards
Rügeobliegenheit, § 377 HGB
Voraussetzungen der Rügeobliegenheit:
1. Beiderseitiger Handelskauf über Waren, §§ 343, 344
Rügeobliegenheit trifft auch den Scheinkaufmann als Käufer.
2. Ablieferung
Entscheidend ist die Möglichkeit der Untersuchung. Ablieferung liegt vor, wenn die Ware so in den Machtbereich des Käufers gelangt ist, dass dieser die tatsächliche Möglichkeit zu ihrer Untersuchung hat.
3. Schutzwürdigkeit des Verkäufers
§ 377 V. Auch bei krassem aluid, das noch nicht einmal einen Erfüllungsversuch darstellt, findet § 377 keine Anwendung (Arg.: Zusendung unbestellter Ware liegt vor).
Auch bei erkennbaren Mängeln ist eine Untersuchungsobliegenheit ausgeschlossen, wenn dem Verkäufer iRe langjährigen Geschäftsverbindung nicht nur schuldhafte Schlechtleistung, sondern eine Nebenpflichtverletzung wegen Nichtankündigung der verantwortlichen Produktionsänderung vorzuwerfen ist, § 242 BGB.
Entgegen des Wortlauts des § 377 I HGB genügt eine bloße Rüge ohne vorheriger Untersuchung (sog. Verdachtsrüge).
Bei unterlassener Rüge nicht ausgeschlossen sind Ansprüche aus Verletzung des § 241 II und aus Delikt.
Bei Durchlieferung:
Zwischenhändler ist von Untersuchungsobliegenheit befreit (Einverständnis des Erstverkäufers mit Durchliferung bedeutet gleichzeitig stillschweigender Verzicht auf Untersuchung seitens des Zwischenhändlers). Zwischenhändler muss jedoch den Abnehmer zur unverzüglichen Untersuchung und Rüge anhalten, sonst wird dem Zwischenhändler diese Obliegenheitsverletzung des Abnehmers analog § 278 BGB zugerechnet.
Rügeobliegenheit des Zwischenhändlers erschöpft sich darin, die empfangene Rüge unverzüglich an seinen Verkäufer weiterzuleiten. Trifft jedoch den Endkäufer (etwa mangels Kaufmannseigenschaft) keine Rügeobliegenheit, so hat der Zwischenhändler dafür zu sorgen, dass er möglichst bald und umfassend über etwaige Sachmängel unterrichtet wird, damit er seiner Rügeobliegenheit gegenüber dem Erstverkäufer nachkommen kann (sonst Haftungsfalle).
Bestimmungsrecht des Käufers, § 375 I HGB - Abgrenzung zum Wahlkauf
§ 375 I: Im Gegensatz zu § 315 I BGB wird dem Käufer nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht zur Bestimmung eingeräumt. Pflicht zur Bestimmung als Hauptleistungspflicht.
Abgrenzung zum Wahlkauf: Wahlkauf ist Wahlschuld iSd § 262 BGB, nach welcher der Schuldner zu verschiedenen Leistungen verpflichtet ist, und zwar in der Weise, dass nach späterer Wahl einer Partei nur eine dieser Leistungen zu bewirken ist. Gegenstand des Bestimmungskaufs ist eine Ware, deren besondere Eigenschaften noch festzulegen sind; dagegen sind beim Wahlkauf mehrere Leistungen zu erbringen, mit der Maßgabe, dass nur die eine oder die andere zu erbringen ist.
§ 366 HGB - Voraussetzungen
- Kaufmannseigenschaft des Verfügenden
Problem: Scheinkaufmann? Von OLG Düsseldorf verneint, da Rechtsnachteil nicht den Scheinkaufmann trifft, sondern den wahren berechtigten, der den Rechtsschein nicht veranlasst hat. Daher kommt der gutgläubige Erwerber auch über § 15 I nicht in den Genuss des Schutzes von § 366 I HGB. - Betriebsbezogenheit
- Gegenstände des Gutglaubenserwerbs:
Nur bewegliche Sachen. - Fehlendes Eigentum des verfügenden Kaufmanns
§ 366 I hilft nicht in sonstigen Fällen fehlender Berechtigung, etwa bei absoluten Verfügungsbeschränkungen oder bei gesetzlichen/behördlichen Veräußerungsverboten. - Redlichkeit des Erwerbers
§ 932 II BGB.
Nach dem Wortlaut ist der Erwerber nur geschützt, wenn der Kaufmann im eigenen Namen handelt. Str.: Ist § 366 I auf das Fehlen der Vertretungsmacht analog anzuwenden? Dies ist nach hM zu verneinen.
§ 366 III
Doppelter Vertrauensschutz für den Erwerber: Bezüglich des Eigentums und bezüglich einer Verfügungsbefugnis des Nichteigentümers. Damit geht § 366 III über den Redlichkeitsschutz des BGB hinaus, denn nach hM kommt ein Erwerb gesetzlicher Pfandrechte des bürgerlichen Rechts ein gutgläubiger Erwerb vom Nichteigentümer nicht in Betracht (erst recht nicht bei besitzlosen Pfandrechten wie das Vermieterpfandrecht); § 366 III kann mithin als Argument herangezogen werden bei dem Streit, ob der gutgläubiger Erwerb gesetzlicher Pfandrechte möglich ist.
Definition “Gewerbe”, § 1 II
Gewerbe i.S.d. § 1 II ist jede selbstständige und berufsmäßige (nicht künstlerische, wissenschaftliche oder freiberufliche) Tätigkeit, die von der Absicht dauernder Gewinnerzielung getragen ist, auf dem Markt erkennbar nach außen hervortritt und nicht gesetzes- oder sittenwidrig ist.
Bei Mischtätigkeiten Schwerpunkttheorie.
Absoluter Verkehrsschutz (Kaufmann kraft Eintragung), § 5
§ 5 ist keine Rechtsscheinnorm (greift auch, wenn anderer Teil die wahre Sachlage kennt und wirkt auch zu Ungunsten von Dritten).
Voraussetzungen: Eintragung in Handelsregister (greift auch, wenn Eintragung versehentlich erfolgt ist), Eingetragener muss Gewerbe betreiben.
Gem. § 5 wird nur das Merkmal der Handelsgewerblichkeit fingiert.
Str.: Wirkt § 5 auch iRv gesetzlich begründeten Rechtsbeziehungen (insbes. §§ 812 ff, 823 ff. BGB)? Nach hM ist die Norm nur im Zusammenhang solcher gesetzlicher Ansprüche anwendbar, die mit dem Rechtsverkehr zusammenhängen.
Der Scheinkaufmann
Subsidiarität der Lehre vom Scheinkaufmann (gereift also nur, wenn etwa § 15, §§ 2, 5 nicht einschlägig sind).
Voraussetzungen:
- Auftreten als Kaufmann (Rechtsscheintatbestand).
- Veranlassung des Rechtsscheintatbestandes durch eigenes Verhalten des Betroffenen (Verschulden irrelevant) oder Kenntnis und Duldung oder Kennenmüssen eines von einem anderen erzeugten Rechtsscheins.
- Gutgläubigkeit des Dritten bzgl der Richtigkeit des Rechtsscheintatbestandes (Redlichkeitsmaßstab des § 932 II BGB).
Rechtsfolgen: Gutgläubiger Geschäftsgegner kann sich sowohl auf Kaufmannseigenschaft, als auch auf die wahre Rechtslage berufen (Wahlrecht, Arg.: Verkehrsschutz als Zweck). Nach hM können auch zwingende Vorschriften zum Schutz von Nichtkaufleuten unanwendbar werden (str.).
Der “Schein-Nichtkaufmann”
Rechtsschein kann auch auf fehlende Kaufmannseigenschaft hindeuten (etwa bei Nichtführens der Bezeichnung nach § 19 I Nr.1 und bei fehlender Eintragung).
Kann der Geschäftspartner sich auf Nichtanwendbarkeit von Handelsrecht berufen, etwa von § 377? Nach zu bevorzugender Auffassung ist die Anwendung allgemeiner Rechtsscheinsgrundsätze auch auf fehlende Kaufmannseigenschaft zuzulassen. Zum gleichen Ergebnis kommt man mit § 15 I (negative Registerpublizität).
§ 362
Voraussetzungen des § 362 I 1:
- Antrag auf Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags gem. § 675 BGB.
- Antragsempfänger ist Kaufmann oder kaufmannsähnlicher Geschäftsteilnehmer (dann nach hM § 362 analog), dessen Geschäftsbetrieb die Besorgung von Gelschäften für andere mit sich bringt.
- Antrag i.R.e. bereits bestehenden und auf gewisse Dauer angelegte Geschäftsverbindung.
- Üblichkeit des Geschäfts für Antragsempfänger.
Voraussetzungen des § 362 I 2:
- Antrag auf Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags gem. § 675 BGB.
- Antragsempfänger ist Kaufmann oder kaufmannsähnlicher Geschäftsteilnehmer.
- Antrag als Reaktion auf invitatio ad offerendum an bestimmte Adressaten.
- Antrag im Rahmen der invitatio ad offerendum.
§ 663 BGB ist gegenüber § 362 subsidiär.
Voraussetzungen des § 663 BGB: Antrag auf Abschluss eines Geschäftsbesorgungsvertrags oder Auftrags; Antragsempfänger ist zur Geschäftsbesorgung durch öffentliche Erklärung bestellt oder hat sich hierzu öffentlich bzw. gegenüber dem Antragenden erboten; Antrag als Reaktion auf invitatio ad offerendum (auch bei unbestimmtem Adressatenkreis); Antrag im Rahmen der invitatio ad offerendum.
Unterschiedliche Rechtsfolgen des § 362 und des § 663 BGB:
a) Bei § 362 gilt Schweigen als Annahme des Vertrags mit dem Inhalt des Antrags, sofern nicht unverzüglich widersprochen wurde (nach h.L. Fiktion).
b) Bei § 663 BGB Pflicht zur unverzüglichen Ablehnung, anderenfalls lediglich Ersatz des Vertrauensschadens nach § 280 I BGB (gesetzlich geregelter Fall der c.i.c.).
Schweigen auf das kaufmännische Bestätigungsschreiben als Handelsbrauch iSd § 346
Deklaratorisches Bestätigungsschreiben: Bestätigung eines Vertragsschlusses ohne Ergänzungen oder Abweichungen. Konstitutives Bestätigungsschreiben: Bestätigung eines Vertragsschlusses mit Ergänzungen oder Abweichungen ODER Fehlen eines Vertragsschlusses (versteckter Dissens, Mängel der Vertretungsmacht).
Voraussetzungen:
a) Parteien nehmen ähnlich einem Kaufmann in größerem Umfang am Geschäftsverkehr teil, sodass ihre Kenntnis der Handelsbräuche unterstellt werden kann. Teilweise wird sogar für ausreichend gehalten, wenn lediglich der Empfänger kaufmannsähnlich im Geschäftsverkehr auftritt, der Bestätigende aber Privatmann ist, Arg.: § 345, Analogie zu § 362.
b) Es muss irgendeine Form Vertragsverhandlungen stattgefunden haben, die zumindest aus der Sicht des Bestätigenden scheinbar zu einem Vertragsschluss geführt haben. Abgrenzung zur Auftragsbestätigung, durch die erst der Vertrag zustande kommt. Ist aus Sicht beider Parteien noch kein wirksamer Vertrag zustande gekommen, so liegt kein kaufmännisches Bestätigungsschreiben vor (dann ggf. § 150 II BGB).
c) In dem Bestätigungsschreiben muss der behauptete konkrete Vertragsschluss eindeutig, endgültig und in seinem wesentlichen Inhalt wiedergegeben sein.
d) Bestätigungsschreiben muss dem Vertragspartner unverzüglich nach Abschluss der Vertragsverhandlungen zugehen.
e) Bestätigender muss schutzwürdig sein (er muss das Schweigen als Einverständnis auffassen dürfen, § 242 BGB). Nicht bei bewusst unrichtiger Widergabe. Auch bei redlichem Verhalten dürfen die inhaltlichen Abweichungen oder Ergänzungen des Bestätigungsschreibens gegenüber dem Ergebnis der Vertragsverhandlung nicht derart gravierend sein, dass der Bestätigende nach Treu und Glauben nicht mehr mit einer widerspruchlosen Hinnahme durch den Empfänger rechnen durfte. Ergänzende Einführung branchenüblicher AGB nach h.M. noch zulässig.
Kreuzendes Bestätigungsschreiben: Bestätigender darf nicht mit Einverständnis des Empfängers rechnen, da er aus den voneinander abweichenden Inhalten der Bestätigungsschreiben entnehmen kann, dass die Gegenseite mit dem eigenen Bestätigungsschreiben nicht einverstanden ist.
Ist bestätigter Vertragsschluss lediglich an fehlender Vertretungsmacht einer Hilfsperson des Empfängers des Bestätigungsschreibens gescheitert, so ist der Bestätigende nur schutzwürdig, wenn er das Schreiben ausdrücklich an den Kaufmann selbst, ein geschäftsführendes Organ oder den Prokuristen adressiert hat.
f) Empfänger darf nicht unverzüglich widersprochen haben.
Rechtsfolgen: Vertrag gilt als mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens zustande gekommen.
Problem: Anfechtbarkeit des Schweigens mit Erklärungswert (kaufmännisches Bestätigungsschreiben/§ 362)
Irrte Schweigender lediglich über rechtlich bindende Wirkung seines Schweigens: Anfechtung nicht möglich.
Irrte Schweigender über Inhalt des Antrags bzw. des Bestätigungsschreibens als solches, ist eine Anfechtung in analoger Anwendung der §§ 119 ff. und 142 ff. BGB nach h.M. möglich. Das Vertrauen des Geschäftspartners in das Schweigen darf keinen höheren Schutz genießen, als das Vertrauen in eine tatsächlich abgegebene Willenserklärung. Anfechtung ist nur zu versagen, wenn der Irrtum darauf beruht, dass der Anfechtende bei der Durchsicht des Bestätigungsschreibens die gebotene kaufmännische Sorgfalt nicht beachtet hat.
Wurde der Antragsempfänger nach § 362 von dem Antragenden arglistig getäuscht, ist er zur Anfechtung analog §§ 123 f., 142 ff. BGB berechtigt. Nach der Lehre vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben besitzt das Schweigen bei Arglist des Bestätigenden ohnehin keinen Erklärungswert, die Anfechtung ist entbehrlich.
Überblick über den Anwendungsbereich des § 15 I, II, III
§ 15 I, III kommt Dritten zugute; § 15 II schützt den Kaufmann, um dessen Rechtsverhältnisse es geht. Anknüpfungspunkt von § 15 I, II sind Eintragung und Bekanntmachung, wohingegen sich § 15 III nur auf letztere bezieht.
§ 15 I, II 2, III sind Rechtsscheintatbestände (nicht hingegen § 15 II 1!).
Wegen des Veranlasserprinzips ist § 15 III nicht anwendbar, wenn es sich bei dem Veranlassenden um einen Geschäftsunfähigen/beschränkt Geschäftsfähigen handelt.
Wegen des reinen Rechtsscheinsprinzips ist § 15 I hingegen auch auf Minderjähige anwendbar.
§ 15 I (negative Publizität des Handelsregisters)
Reines Rechtsscheinprinzip; keine Rolle spielt, ob das Unterlassen dem Anmeldepflichtigen zuzurechnen ist, da er die Verlautbarkeitslast trägt (Arg.: Dritter hat keinen Einfluss auf Registerverfahren, wohl aber der Anmeldepflichtige).
Voraussetzungen:
1. Eintragungspflichtige wahre Tatsache
Problem: Sekundäre Unrichtigkeit des Handelsregisters (korrespondierende Voreintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache fehlt). e.A.: § 15 I (-), da ohne Voreintragung in das Handelsregister kein Scheintatbestand vorliegt, der durch eine Folgeeintragung beseitigt werden müsste; Lösung der Fälle über die (für Dritte ungünstigere) allgemeine Rechtsscheinhaftung. Rspr., h.L.: § 15 I (+), Wortlaut; Ausnahme von dem Grundsatz ist lediglich dann zu machen, wenn die voreingetragene Tatsache nicht nach außen hervorgetreten ist (Bsp.: Prokura wird noch am selben Tag widerrufen, ohne dass der Prokurist im Rechtsverkehr aufgetreten ist).
2. Nichteintragung/Nichtbekanntmachung
Entgegen dem Wortlaut ist nicht erforderlich, dass Eintragung und Bekanntmachung fehlen; Bekanntmachung ist eigentlicher Publizitätsakt, § 10, sodass deren Unterbleiben genügt. Maßgeblicher Zeitpunkt: Anspruchsbegründender Vorgang.
3. Angelegenheit des Betroffenen
§ 15 I belastet denjenigen, in dessen Angelegenheit die Tatsache einzutragen ist. Die sog. Verlautbarkeitslast trägt, wer infolge der Eintragung/Bekanntmachung einen Vorteil haben würde.
4. Guter Glaube des Dritten in Bezug auf die einzutragende Rechtsänderung
Dritter kann nur Außenstehender sein. Schädlich ist nur die positive Kenntnis. Es spielt keine Rolle, ob der Dritte sein Verhalten tatsächlich auf die im Handelsregister eingetragene Rechtslage gestützt hat (Einsichtnahme ins Handelsregister muss nicht stattgefunden haben).
5. Handeln im Rechtsverkehr
Nach h.M. als ungeschriebenes Merkmal vorauszusetzen. Dritter muss ein Handeln im Geschäfts- oder Prozessverkehr vorgenommen haben. § 15 I greift im reinen Unrechtsverkehr nicht (aber: soweit unerlaubte Handlung im rechtsgeschäftlichen Verkehr stattgefunden hat, kommt Anspruch aus unerlaubter Handlung über § 15 I in Betracht, Bsp.: Betrug bei Vertragsverhandlung).
Rechtsfolgen
Wahlrecht (Dritter ist nicht gezwungen, sich auf Schweigen des Handelsregisters zu berufen, er hat Wahlrecht).
Rosinentheorie des BGH: Gutgläubiger Dritter kann sich innerhalb eines zusammenhängenden Sachverhalts teilweise auf die wahre Rechtslage und teilweise auf den Rechtsschein des Registers berufen. Kritik: Widersprüchliches Verhalten.
§ 15 II (Schutz bei richtig eingetragenen und bekannt gemachten Tatsachen)
§ 15 II normiert eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nämlich dass die wahre Rechtslage gilt. Bedeutung erlangt die Norm, wenn eine Änderung der bisherigen Rechtslage eingetragen und bekanntgemacht wird, da dies den Vertrauensschutz des § 15 I zerstört.
Voraussetzungen:
Eintragungspflichtige Tatsache; Richtigkeit der Tatsache; Eintragung und Bekanntmachung der Tatsache ist erfolgt.
Rechtsfolgen:
Derjenige, in dessen Angelegenheit die Tatsache einzutragen und bekanntzumachen war, kann sie einem Dritten gegenüber geltend machen. Er hat ein Wahlrecht, ob er sich auf § 15 II 1 berufen will.
Schonfrist, § 15 II 2:
Rechtsscheintatbestand. Hohe Anforderungen an Gutglaubensnachweis, §§ 276 BGB, 347 HGB.
Verhältnis des § 15 II 1 zu anderen Rechtsscheintatbeständen:
Nach hM kann § 15 II 1 im Einzelfall durch allgemeine Rechtsscheintatbestände verdrängt werden; dogmatische Begründung divergiert. Rspr.: Allgemeiner Rechtsscheintatbestand genießt gegenüber der richtigen Eintragung und Bekanntmachung im Handelsregister dann Vorrang, wenn durch die Schaffung eines außerhalb des Handelsregisters liegenden Vertrauenstatbestands eine Berufung auf den Registerinhalt rechtsmissbräuchlich wäre (§ 242). Literatur: Teleologische Reduktion des § 15 II 1 (dieser schließe nur den registerrechtlich begründeten Vertrauensschutz aus).
§ 15 III (positive Publizität des Handelsregisters)
Geschützt wird das Vertrauen des Dritten in unrichtig bekanntgemachte Tatsachen. Einführung des § 15 III durch das Gesetz zur Umsetzung der EG-Publizitätsrichtlinie. Bis zu der Einführung des § 15 III gab es zwei gewohnheitsrechtlich anerkannte Grundsätze: I. Derjenige, der durch eine unrichtige Anmeldung eine unrichtige Eintragung im Handelsverkehr veranlasst, muss sich diese Eintragung zugunsten eines redlichen Dritten entgegenhalten lassen. II. Betroffener muss sich auch dann eine unrichtige Eintragung entgegenhalten lassen, wenn er sie zwar nicht veranlasst hat, es aber schuldhaft unterlassen hat, die Unrichtigkeit beseitigen zu lassen. Diese Gewohnheitsrechtssätze werden nur teilweise von § 15 III verdrängt.
Voraussetzungen:
1. Abstrakt eintragungspflichtige Tatsache
Im Gegensatz zu § 15 I handelt es sich nur um eine abstrakt – ihre Richtigkeit unterstellt – eintragungspflichtige Tatsache.
2. Unrichtige Bekanntmachung
Fallgestaltungen, in denen nur die Eintragung unrichtig ist, die Bekanntmachung indessen unterblieb, regelt die Vorschrift nicht; sie werden über die allgemeinen Rechtsscheinsgrundsätze gelöst (siehe zwei Grundsätze oben).
Problem: Wann liegt eine Unrichtigkeit der Bekanntmachung vor? Würde man sich an Art.3 VI der EG-RL halten, so bedeutete Unrichtigkeit, dass eine Bekanntmachung von der Registereintragung abweicht. Ein solches Normverständnis würde zu einem stark begrenzten Anwendungsbereich führen. Dies wäre nicht mit dem Willen des Gesetzgebers vereinbar. Nach h.M. liegt eine unrichtige Bekanntmachung i.S.d. § 15 III dann vor, wenn eine Abweichung zwischen tatsächlicher Rechtslage und Bekanntmachung gegeben ist. Es gibt also folgende Fallgruppen des § 15 III: Eintragung ist richtig aber Bekanntmachung weicht davon ab; Handelsregistereintragung fehlt und es wird eine nicht eingetragene Tatsache bekanntgegeben; Eintragung und Bekanntmachung sind beide falsch.
3. Guter Glaube des Dritten
Keine positive Kenntnis von der wahren Rechtslage. Fahrlässige Unkenntnis schadet nicht.
4. Veranlassungsprinzip (str.)
Str. ist, ob derjenige, in dessen Angelegenheit die Tatsache einzutragen war, die unrichtige Bekanntmachung veranlasst haben muss. Dies verneint e.A. mit Hinweis auf den Wortlaut des § 15 III. Dass jedoch ein völlig Unbeteiligter haften müsste, ist im Unterschied zu § 15 I nicht zu rechtfertigen; daher ist nach h.M. notwendig, dass der Betroffene die unrichtige Bekanntmachung veranlasst hat. Eine Veranlassung liegt schon dann vor, wenn ein richtiger Eintragungsantrag erfolgt ist; dessen Vollzug hat der Betroffene zu überwachen (§§ 383 FamFG, 36 HRV).
Rechtsfolge:
Nach h.M. hat der Dritte ein Wahlrecht (Berufung auf Bekanntmachungsinhalt/wahre Rechtslage).
Ergänzung des § 15 durch die allgemeine Rechtsscheinhaftung:
Anwendbar sind die oben genannten zwei Gewohnheitssätze in folgenden Fällen: Falsche Eintragung aber richtige Bekanntmachung; falsche Eintragung aber noch keine Bekanntmachung; nicht eintragungspflichtige Tatsache. Gegen eine analoge Anwendung des § 15 III spricht der eindeutige Wille des Gesetzgebers und mangels planwidriger Regelungslücke. Haftung nach Gewohnheitsrechtssätzen setzt voraus, dass Dritter auch tatsächlich Kenntnis von dem Rechtsschein erlangt hat und die unrichtige Eintragung ursächlich für sein Verhalten war, er also das Handelsregister eingesehen hat.