7. Sitzung: Shintō (1): Allgemeine Einführung Flashcards

1
Q

Zu den Begriffen shintō und kami:

A

Das Wort shintō ist mit unterschiedlichen Bedeutungen seit der Heian-Zeit (794-1185)
belegt:
- shintō 神道 : „Weg der (ritenkonformen Behandlung der) Gottheiten“
- kami 神 : allgemeine Bezeichnung für „Gottheiten“, gelegentlich auch für nicht
autochthone (bspw. buddhistische, indische usw.).

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2
Q

kami

A

Der Begriff kami bezieht sich auf Wesenheiten im weitesten Sinn, welche
- bezüglich ihrer Kraft oder Wirkmacht überlegen sind,
- Figuren der Mythologie sind,
- als Geister, oft von einflussreichen Vorfahren (bspw. ujigami 氏神, clanspezifische
Gottheiten, denen eine Schutzfunktion zugeschrieben wird) gelten.
Der gängige deutsche Übersetzungsbegriff „Gottheit“ ist problematisch, weil kami viele wichtige Eigenschaften von Gottheiten nicht oder nur in abgeschwächter Form besitzen.

Kami sind bspw.
- nicht allwissend,
- nicht unsterblich,
- nicht allmächtig,
- nicht omnipräsent,
- nicht transzendent.
Kami werden u.a. in Schreinen verehrt, d.h. einzelne kleine Gebäude aber auch große Gebäudekomplexe mit teils palastartigen Dimensionen, die einem oder mehreren kami gewidmet sein können. Je nach Geschichte, Funktion und Größe werden im Japanischen unterschiedliche Bezeichnungen verwendet:
- jingū 神 Tennō-Genealogie (vor allem Schrein von Ise, 伊勢神宮),
- mikoshi 神輿: „Kami-Sänfte“, tragbarer Schrein für Prozessionen.
Zentraler Gegenstand der Verehrung in einem Schrein ist der shintai 神体 – der „Körper der Gottheit“, der sowohl ihre materielle Form, ihren Sitz bzw. Ort aber auch ihre symbolische Repräsentation darstellen kann.

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3
Q
  1. Shintō 神道 als Oberbegriff einer religiösen Praxis:
A

Das Wort Shintō wird als Oberbegriff einer religiösen Praxis u.a. in Abgrenzung zum Buddhismus vor allem seit dem 17. Jh. und dann im Rahmen der traditionellen „Landeskunde“ (国学 kokugaku) verwendet. In diesem engeren Sinn ist es ab dem 19. Jh. auch im allgemeinen Sprachgebrauch geläufig. Diese Verwendung war u.a. motiviert von einem restaurativen Streben der kokugaku-Gelehrten nach einer „Rückbesinnung“ auf den (vorbuddhistischen und nicht-chinesischen) kulturellen bzw. nationalen „Ursprung“ Japans.

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4
Q
  1. Historische Entwicklung im Verhältnis zum Buddhismus
A

Anfänglich, d.h. seit dem 7. Jahrhundert und v.a. in der Heian-Zeit (794–1185), liegt oft eine Identifizierung von kami mit buddhistischen Gottheiten vor, bspw.:
- 天照 Amaterasu (repräsentiert Ursprung der Tennō-Genealogie) identifiziert mit
- 大日如来 Dainichi Nyōrai (Zentralbuddha, Ursprung der Kosmogenese)

Dabei wird ihre isomorphe („gleichförmige“) Übereinstimmung als Erweis der Vereinbarkeit entsprechender ritueller Praxis und der Identität von lokalen und clan-spezifischen Gottheiten mit buddhistischen Gottheiten betont. Dies gilt insbesondere für Hachiman (s.u.).

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5
Q

kodifizierte Paarbildungen von buddh. und Shintō-Gottheiten

A

Kami gelten daher auch als lokale Manifestationen buddhistischer Gottheiten

ikonologischen Aneignungen nieder, bspw.:
- Amaterasu 天照 („Himmelsleuchten“, Sonnengottheit) und Dainich Nyōrai 大日如来 („Der große Sonnengleiche So-Gekommene“ bzw. Buddha Vairocana)
- Sōgyō Hachiman 僧形八幡 : “Hachiman in Gestalt eines Mönchs”

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6
Q

Ab dem 13. Jh. (v.a. späte Kamakura- und Muromachi-Zeit) „Emanzipation“ von Shintō- Institutionen

A
  • durch neue Interpretationen der buddhistischen und daoistischen Aspekte,
  • schließlich auch Umkehrung des Inklusionsverhältnisses: Buddhas und bodhisattva werden als Manifestationen von kami gedeutet.
  • Daraus folgen v.a. ab dem 15. Jh. Konflikte um Deutungshoheit, Hierarchisierung der
    kami und rituelle Zuständigkeiten der einflussreichen Schreine („Priester-Familien“).
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7
Q

Vereinbarkeit und Anschlüsse (Synkretismus und Inklusivismus):

A

Idee einer grundsätzlichen Anschlussfähigkeit von Shintō, Konfuzianismus und Buddhismus unter dem Primat des Shintō und etabliert dabei in Abgrenzung zu Konfuzianismus und Buddhismus den Begriff des Shintō als Oberbegriff shintōistischer Praxis und Lehre. Die von Yoshida Kanetomo und seinen Nachfolgern vertretene Doktrin speist sich jedoch auch aus buddhistischen u. konfuzianischen Vorstellungen (Yoshida-Shintō). Der Yoshida-Shintō wird schließlich seit Beginn der Edo-Zeit von der Regierung durch Vergabe wichtiger Schrein- Ämter an die Yoshida- und Yoshikawa-Familien gefördert.

Einflussreiche Shintō-Institutionen stehen oft in politischen Konkurrenzverhältnissen im Wettstreit um meist erbliche Ämter und Funktionen am Hof bzw. für die Regierung,
Die Hauptschreine Naikū (Sitz von Amaterasu als Ahnengottheit der Tennō-Dynastie) und Gekū (Sitz von Toyouke, eine Reisgottheit, die u.a. für die Speisung der Amaterasu zuständig ist) sind nur für die Priester und die Tennō-Familie im Rahmen von Riten zugänglich, nicht aber für die Öffentlichkeit. Im Naikū wird eines der drei Herrschaftsinsignien, der Yata no kagami 八咫鏡 („Acht-Handspannen-Spiegel“) aufbewahrt.

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8
Q
  1. Entwicklungen der Edo-Zeit (1603–1868):
A

Wichtig für die Deutungshoheit über Shintō-Belange wird das Jingikan 神祇官 (Amt für Schreinwesen), das erblich ist und die Yoshida-Familie mit dem Vorrecht ausstattet, Priester zu ernennen und ihre Ränge festzulegen. Dadurch wird eine mehr oder weniger autonome Formation von Autorität im Shintō institutionell verankert:

  • Zunehmende Bekanntheit der Doktrin und des Yoshida-Schreins (Kyōto) u.a. in Folge des Einsatzes der Yoshida-Familie für die
  • Konsolidierung der institutionellen Grundlagen für den sg. Yoshida-Shintō, der vom Tokugawa-Shogunat gefördert wird;
  • privilegierte Assoziierung von Shintō- und neokonfuzianischen Lehren verbindlich für die Eliten.
  • Der Buddhismus verliert an ideologischer Relevanz, bleibt jedoch institutionell (bspw. auf der lokalen Ebene für Verwaltungsangelegenheiten und rituelle Dienstleistungen) weiterhin wichtig.
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9
Q
  1. Wichtige Kami und ihre „Werdegänge“
A

Kami durchlaufen „Karrieren“, ihre Identität ist geprägt von den wechselnden historischen Kontexten ihrer Verehrung und daher nicht immer eindeutig:

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10
Q
  1. Tenjin 天神 „Himmelsgottheit“, teilweise als identisch mit Raijin 雷神, „Donner- Gottheit“, verehrt:
A

Historische Ebene: Sugawara no Michizane (845–903), ein einflussreicher Adliger, Literat und Gelehrter, wird Opfer einer Hofintrige des Fujiwara-Clans und stirbt in der Verbannung. In der Folge wird der Hof von heftigen Unwettern heimgesucht,

Religiöse Ebene: Legendenbildung setzt ein – die Unwetter werden am Hof als Rache des zornigen Geistes Sugawara no Michizanes interpretiert. Dies wird dann auf einer symbolisch- administrativen Ebene aktualisiert, es erfolgt die Institutionalisierung Michizanes als kami:

Der Tennō rehabilitiert Michizane, setzt ihn postum in seine früheren Ämter ein und ordnet seine Verehrung als Tenjin an. D.h. der Tennō verleiht einem Toten den Status eines kami im Sinne eines Titels quasi per Erlass.

Institutionelle Umsetzung: Zur Verehrung Tenjins wird in Kitano ein Schrein errichtet und von der Regierung als Schrein „ersten Ranges“ unterstützt. Tenjin fungiert u.a. als Adressat von Bittgesuchen bei anstehenden Prüfungen u.ä., kami der Gelehrten etc. Tenjin wird heute landesweit in ca. 14.000 Schreinen verehrt.

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11
Q
  1. Hachiman 八幡, „Gottheit der Acht Banner“,
A

seit der Heian-Zeit als Inkarnation des quasi mythologischen Ōjin-Tennō 応神天皇 (200-310 n.Chr.) betrachtet, zu Beginn des 8.
Jh. aber noch ein unbedeutender Lokalgott in Kyushu. In der Folge wird Hachiman sowohl im buddhistischen Kontext als auch als Shintō-Schutzgottheit verehrt.
Hachiman äußert sich durch Orakel. Darstellungen des 9.–10. Jh. zeigen ihn als buddhistischen Mönch, ihm gewidmete Shintō-Schreine fungieren als Schutzschreine für wichtige buddhistische Tempel (insbesondere beim Tōdai-ji).
Weitere historische Entwicklung: Ab dem 12. Jh. wird Hachiman eine Clan-Gottheit der Minamoto-Familie, buddhistische Kontexte verlieren an Bedeutung.
- kriegerische Attribute treten in den Vordergrund.
- Entwicklung zum Schutzpatron des Kriegerstandes (bushi 武士).
- Prominente Kriegerfamilien beziehen sich auf Hachiman als ihre Ahnengottheit.
In Folge des Regierungserlasses zur Trennung von Shintō und Buddhismus (shinbutsu bunri, ab 1868) erfolgt ein amtliches Verbot der Verwendung des buddhistischen Attributs Daibosatsu („Großbodhisattva“). Die neue offizielle Bezeichnung lautet Hachiman Daijin (八 幡大神; „Großkami Hachiman“). Seit der Zeit des Militarismus wird Hachiman vor allem als „Kriegsgott“ dargestellt. Heute wird Hachiman in ca. 25.000 Schreinen verehrt.

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12
Q
  1. Kategorisierung seit der Meiji-Zeit (1868–1912)
A

in institutioneller Hinsicht:
- Schrein-Shintō: Jinja shintō 神社神道 - v.a. im Unterschied zu den Riten am Hof der Tennō-Familie.
- Staatsshintō: Kokka shintō 国家神道 - ideologisches System seit der Meiji-Zeit; Ausdruck der Bestrebung, Shintō-Ritus und staatliche Gewalt institutionell zu verbinden; 1945 aufgelöst.
- Sekten-Shintō: Kyōha shintō 教派神道 - seit Mitte des 19. Jahrhunderts; im Jahr 1882 wurden bspw. 13 “Sekten” staatlich anerkannt, andere wurden den “Neuen Religionen” shinshūkyō 新宗教 zugerechnet.

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