6. Sitzung: Vielfalt und Kontrolle religiöser Praktiken. Religion in der Muromachi- und Edo-Zeit. Flashcards
- Politisch-historische Voraussetzungen der Muromachi-Zeit
Das Shōgunat wird zu Beginn der Kamakura-Zeit zwar als Zentralregierung (1147–1199) eingesetzt, zuletzt übt aber die Hōjō-Familie die faktische Herrschaftsmacht aus.
Weitere Bemühungen, die Herrschaft der Tennō-Dynastie zu restaurieren, scheitern aber u.a. wegen Differenzen zwischen dem Tennō und den mit ihm verbündeten Familien Ashikaga und Nitta. Im Weiteren bleibt der Hofadel vom politischen Geschehen weitgehen ausgeschlossen und beschränkt sich auf repräsentative Funktionen. Die kaiserliche Verwaltung geht im Verwaltungssystem des Shōgunats auf.
- Herrschaftsordnung der Muromachi-Zeit im 14. Jh. und Niedergang
Die Ashikaga kontrollieren die instabilen Bündnisse der politisch-militärisch einflussreichen Familien.
wird von China durch die noch junge Ming-Dynastie (1368–1644) anerkannt. Ab 1470 kann ein Zerfall dieser Herrschaftsordnung festgestellt werden, unter anderem als Resultat von Rebellionen und (damit zusammenhängend) einem anhaltenden wirtschaftlichen Niedergang. Die zunehmend verfeindeten Familien verlieren in der Folge Macht und Einfluss. Damit beginnt die hundertjährige „Zeit der kämpfenden Länder“ (戰國 時代 Sengoku-jidai, 1467-1573).
- Zunehmende Ausdifferenzierung des religiösen Lebens in der Muromachi-Zeit
Das religiöse Leben der Muromachi-Zeit ist geprägt von teils buddhistisch inspirierten Bauernaufständen. In einigen Fällen gelingt es den aufständischen Bewegungen, vorübergehend auch eigene Verwaltungsbezirke zu errichten.
- Wanderprediger betätigen sich u.a. bei der Rekrutierung von (bewaffneten) Aufständischen, vor allem innerhalb der Bevölkerung auf dem Land.
- Alte Menschen und Frauen bilden außerdem religiös begründete Gemeinschaften und verbreiten insbesondere in der Landbevölkerung buddhistisch inspirierte Heils- und Endzeitlehren (vgl. mappō).
- Die populären Formationen buddhistischer Lehren sind zunehmend von sektiererischen und messianischen Vorstellungen geprägt, die von charismatischen Wanderpredigern und Mönchen verbreitet werden.
Im Ergebnis treten die in der Kamakura-Zeit schon prominenten Richtungen Nichiren, Reines-Land und Zen stärker in Erscheinung.
Zen:
Ikkyū (一休, 1394-1481) vertritt eine „transgressive“ Zen-Praxis, etwa indem er mit einem Skelett hausieren geht, Selbstaufgabe predigt, erotische Gedichte und Schmähschriften auf
den buddhistischen Klerus verfasst und weitere, wohl kalkulierte Normverstöße begeht, wie bspw. den Verkehr mit Prostituierten als Element religiöser Übung zu behaupten u.ä.
Nichiren:
Nisshin (日親, 1407-1488) wendet sich als Angehöriger der Nichiren-Bewegung gegen die „Vulgarisierung“ und Instrumentalisierung der Lehren Nichirens (1222–1282) durch
einflussreiche buddhistische Laien (bspw. um die Bevölkerung zur Unterstützung ihrer politischen Ambitionen zu bewegen); er sucht dagegen dem Vorbild Nichirens zu folgen und direkt Unterstützung und Einfluss auf Seiten der Regierung zu gewinnen, u.a. durch Eingaben an das Shōgunat, wird aber zurückgewiesen.
Reines Land:
Rennyo (蓮如, 1415-1499), 8. Patriarch der Reinen-Land-Schule, vertritt die Vereinbarkeit des Buddhismus mit der konfuzianischen Sittenlehre und kommt damit den Bedürfnissen der Laien und den Präferenzen der nicht-buddhistischen Eliten entgegen; er verteidigt sich gegen (bewaffnete) Angriffe von Seiten der Tendai-Schule und Konkurrenz aus der buddhistischen Priesterschaft.
Edo-Zeit (Edo jidai 江戸時代, 1603-1868)
Buddhismus Einbindung
Kontrolle durch Einbindung buddhistischer Institutionen in die legistisch-konfuzianische Verwaltung und ständische Gesellschaftsordnung:
Nach dem Zerfall des Ashikaga-Shōgunats gelingt es der Tokugawa-Familie, die Herrschaftsordnung wieder zu stabilisieren.
Dies ist vor allem auf Grundlage der gewaltsamen/militärischen Konsolidierung der Zentralgewalt möglich.
verlegt 1603 die Hauptstadt an die Küste, auch um den Einfluss des Tennō und der Hofaristokratie in Kyōto weiter zu neutralisieren: Hauptstadt wird Edo (heute: Tokio).
Edo Zeit:
- Politisch-ökonomische Voraussetzungen:
Mit der Errichtung und umfassenden Durchsetzung eines legistischen Systems der sozialen Kontrolle und funktionalen Abhängigkeiten zwecks Sicherung der Herrschaftsordnung beginnt eine hast 250 Jahre währende Friedensperiode:
Die Fürsten werden per Gesetz (1635 bis 1862 in Kraft) verpflichtet, die Hälfte des Jahres in Edo zu verbringen, ihre Familienangehörigen sind dort quasi zu Geiseln der Regierung.
Die damit verbundenen hohen Kosten für die aufwändige Hofhaltung insbesondere der mächtigen Familien reduzieren deren finanziellen Spielraum, ökonomische Unabhängigkeit zu erlangen und eigene militärische und politische Ambitionen auf den Weg zu bringen.
Die gesamte Bevölkerung wird in vier Stände (absteigend) klassifiziert:
(1) Samurai (nun de facto als Verwaltungsbeamte tätig)
(2) Bauern
(3) Handwerker
(4) Händler (mitunter wohlhabend, aber lt. konfuzianischer Normen ohne Ansehen)
Über diesen vier Ständen stehen die Angehörigen des Hofes in Kyōto. Deren Status hängt im Wesentlichen von ihrer Pflege der angestammten zeremoniellen und repräsentativen Funktionen ab, sie besitzen aber keine politische oder militärische Macht.
Kontakte ins Ausland sind eingeschränkt den Angehörigen der Herrschaftselite erlaubt, in der Regel über Vertreter Chinas und der Niederländischen Ostindien-Kompanie; Ausländern wird der Zutritt auf japanisches Hoheitsgebiet untersagt.
Ein reger Binnenhandel begünstigt die soziale Aufwärtsmobilität des Händlerstandes und eine zunehmende Urbanisierung der Handelszentren. Es entsteht ein lokales Kreditwesen und ein proto-industrielles, arbeitsteiliges Manufakturwesen. Dieses finanziert auch die Schuldenwirtschaft des Adels und seine politische Abhängigkeit etwa von den Schuldenerlassen der Regierung.
Edo Zeit:
Religiöses Leben
Das religiöse Leben der Elite ist von der Förderung der konfuzianischen Sitten- und Herrschaftslehre gegenüber den buddhistischen Institutionen geprägt.
Die Vorstellung einer grundsätzlichen Vereinbarkeit von Shintō, Buddhismus und konfuzianisch geprägter Lebensführung findet Zustimmung, stößt aber auch auf Ablehnung zu Gunsten von nativistischen Vorstellungen.
Buddhistische Institutionen reduzieren weitgehend ihre Kontakte nach Korea und China und werden strenger staatlicher Aufsicht unterstellt (Mönchsregistratur).
Im Gegenzug werden buddhistische Tempel mit untergeordneten Verwaltungs- und Kontrollaufgaben auf der Lokalebene betraut. Dies führt zu einer institutionellen Stärkung des Buddhismus auf der Lokalebene und seine Einbindung in die ständische Herrschaftsordnung (Führung der Melderegister usw.).
Die Maxime zum Verhältnis von Staat und Buddhismus lautet: „Herrschergesetz und Buddhalehre hängen voneinander ab.“
ōbō buppō sōi 王法仏法相依.
Daneben kann eine „Veralltäglichung“ (Max Weber) sowie Ritualisierung des religiösen Lebens beobachtet werden: Anknüpfend an die Zen-Praxis werden spezifische Professionen zum „Weg“ (dō 道) einer unablässigen Übung auf die Vervollkommnung hin stilisiert: Bspw. „Tee-Weg“ (sadō 茶道). Darüber hinaus wird **handwerkliche Meisterschaft im Sinne einer spirituellen Übung ritualisiert, oft verbunden mit dem Anspruch, durch diese Praxis Vervollkommnung zu erlangen. **Alltag, Beruf und religiöse Selbstkultivierung (Vollkommenheitsideal) bilden idealerweise eine Einheit, und in letzter Konsequenz ist der so gelebte Alltag kaum mehr von buddhistischer Laienpraxis unterschieden.
- Christliche Mission und Christenverfolgung im frühen 17. Jh.:
Im Jahr 1614 wird das Christentum (es handelt sich um eine kleine Gruppe von Konvertiten in Folge der portugiesischen Mission) verboten und gesetzlich verfügt, dass sich die gesamte Bevölkerung bei den jeweils lokal zuständigen buddhistischen Tempeln registrieren lassen muss. Dies ist in erster Linie und zunächst nur eine Verwaltungsmaßnahme. Die japanischen Christen werden jedoch im Rahmen dieser Maßnahme identifiziert und gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören. sie dient gezielt der Repression:
Im Tretbild-Ritual (fumie 踏み絵 - Kreuzigungsbild oder Marienbild, i.d.R. aus Materialien wie Stein- und Bronzereliefplatten hergestellt) wird der mutmaßliche Konvertit aufgefordert,
öffentlich auf das Bild zu treten. Weigert er sich, ist er als Christ überführt und in der Folge mit dem Tod zu bestrafen (so orientiert sich die Hinrichtung an den Idealformen des christlichen Martyriums, bspw. Kreuzigung).
Widerstand gegen die Christenverfolgung:
1637-38: Shimabara-Rebellion (島原の乱): Ein Aufstand auf der Shimabara-Halbinsel, wo unter der Verwaltung der Arima-Familie bis 1614 die katholische Mission gestattet war. Der Aufstand erhob sich u.a.
- in Folge einer hohen Abgabenlast und auch der
- Verfolgung des Christentums.
Erst nach der Niederschlagung der Rebellion (die vom Shogunat als Versuch europäischer/christlicher Einflussnahme gewertet wurde) findet eine systematische und flächendeckende Repression der christlichen Religion in Japan statt. Die Rebellion liefert hierfür eine historische Legimitationsgrundlage.