5. Sitzung Buddhistische Reformer, Endzeitlehren, Laienfrömmigkeit Flashcards
Politische und religiöse Dynamiken der Kamakura-Zeit (1185–1333)
**- kriegerische Auseinandersetzungen rivalisierender Familien (insb. Minamoto, Taira, ferner Fujiwara und Tachibana), militärischer Sieg der Minamoto im Genpei-Krieg (1180- 85)
- Machtgewinn des Kriegsadels gegenüber dem Hofadel und dem Tennō (Autorität des Hofes ist zwischenzeitlich reduziert auf repräsentative Funktionen)
- Kontrollverlust der Verwaltung in den Provinzen
- faktische Entmachtung des Tennō durch Einrichtung des Shogunats und damit Gründung einer neuen Herrschaftsordnung.
Militärisch geprägte Herrschaftsordnung: Das Shogunat
Shōgun ist ein Militärtitel (将軍, vollständiger Titel: Seii taishōgun 征夷大将軍 „Barbaren bezwingender großer General“); im Jahr 1192 wurde Minamoto no Yoritomo (1147–1199) vom Tennō zum Seii Taishōgun ernannt. Der Titel des Shōgun wurde an seine Nachfolger vererbt, und Kamakura wurde Residenzstadt des Shōgunats und Sitz der Zentralverwaltung. Der Tennō vertritt damit gegenüber dem Shōgun nominell die zwar ursprünglich legitimierende Autorität, verfügt aber nicht mehr über faktische Herrschaftsmacht.
Entwicklungen des religiösen Lebens
allmähliche Loslösung der buddhistischen Institutionen und Autoritäten vom Hof statt, zugleich eine stärkere Ausrichtung auf Belange der breiten Bevölkerung und Angebote für entsprechende religiöse Bedürfnisse:
- Aufkommen einer buddhistischen Volksfrömmigkeit, vor allem geprägt durch die Jōdo (浄土)-Lehre: „Reines-Land“-Frömmigkeit.
- Bildung von Reformbewegungen um charismatische Lehrer wie bspw. Shinran 親鸞 (1173-1263) und Nichiren 日蓮 (1222-1282), die sich gegen die bestehende institutionelle Ordnung der buddhistischen Religion und ihre Normen wenden und ihrerseits Einfluss auf das Shogunat zu entfalten suchen.
- Diese Tendenzen werden durch populäre Vorstellungen vom „Niedergang des
Dharma“ (Jap. mappō 末法) bestärkt; dies korrespondiert mit der Wahrnehmung politischer Instabilität (Zerfall der alten Herrschaftsordnung, ökonomischer Niedergang, Kriege) als Korrelat eines unabwendbaren „Niedergangs des Dharma“.
- Erste Blüte des Zen 禪 (Chin. chan von 禪那, chan’na für Sanskrit dhyāna, „Meditation“): Eine stark ritualisierte Form mönchischer Disziplin, die einerseits Rückzug von der Welt anstrebt, andererseits zum Kriegerethos anschlussfähig ist: Zen entwickelt sich als buddhistische Praxis für Samurai, die sich vom Kriegshandwerk zurückgezogen haben.
- Jōdo 浄土 „Reines-Land“-Frömmigkeit
In Japan mit Hōnen 法然 (1133-1212) und dessen Schüler Shinran 親鸞 (1173-1263) verbundene Form der Amida-Frömmigkeit. Gegenstand ihrer Lehre ist das unbedingte Grundvertrauen in die
- Erlösungshilfe/überweltliche Gnade des Buddha Amitābha (Jap. Amida 阿弥陀) und die
- Hoffnung auf eine Wiedergeburt in seinem „Reinen Land“ (Jap. jōdo 浄土, Skt. Sukhāvati, „Land des Segens“).
Damit verbunden ist der Anspruch, potentiell alle Lebewesen erlösen zu können, und zwar vor allem auch jene, die hierzu aus eigener Kraft (bspw. durch buddhistische Praxis) nicht mehr im Stande sind.
- Ein wesentliches Element der bewusst einfachen bzw. massentauglichen, zudem individuell durchführbaren religiösen Praxis ist das nembutsu 念仏 , eine rituell- kontemplative Anrufung des Buddha Amitābha als Bitte um und Dank für die Gewährung der Befreiung aus Not und Leiden.
- Diese Form der Andachtsfrömmigkeit steht auch im Zusammenhang mit der Vorstellung vom „Niedergang des Dharma“: Buddha Amitābha gewährt mit universalem Mitgefühl allen Lebewesen Erlösungshilfe aus Gnade, da sie in der Endzeit des Dharma allein aus eigener Kraft nicht mehr erlösungsfähig sind.
Dieser „Trostbotschaft“ entspricht das letztlich auf Ängste und Untergangserwartungen zugeschnittene Dispositiv der Doktrin von Shinran:
- Verstärkung von Ängsten in der breiten Bevölkerung, in Zeiten der Not und Unruhe nicht mehr das in der buddhistischen Praxis vorgegebene Heilsziel der Befreiung vom Leiden erreichen zu können.
- Lehre Shinrans, dieser Angst zu begegnen durch unbedingtes Grundvertrauen in die Gnade des Buddha Amitābha, alle Lebewesen zu befreien.
- Das nembutsu 念仏 ist für Shinran insofern vor allem Ausdruck tiefster Dankbarkeit gegenüber Amitābha (also im strengen Sinn keine Bitte um Befreiung von Leiden, da dieses von Amitābha bereits garantiert wird).
- Positionierung der buddhistischen Andachtspraxis als Ausdruck der unbedingten Zuversicht auf die Befreiung aller Lebewesen, d.h. als ultimative „religiöse“ Wahrheit (vgl. Religionsbegriff von N. Luhmann).
Wichtig: Die auf Shinran zurückgehende Denomination Jōdo shinshū 浄土真宗 (“Wahre Lehre vom Reinen Land”) bildet sich erst nach seinem Tod heraus. Shinran versteht sich vielmehr als Schüler von Hōnen 法然 (1133-1212).
- Der „Niedergang des Dharma“: Jap. mappō, Chin. mofa 末法
Shinrans Doktrin stützt sich auf die Vorstellung vom unausweichlichen „Niedergang des Dharma“ (mappō). Die mappō-Lehre ist eine buddhistische Endzeitvorstellung, welche davon ausgeht, dass nach einer bestimmten Periode nicht nur buddhistische Lehre und Praxis, sondern auch die Lebensumstände und geistigen Fähigkeiten der Menschen sich unabwendbar verschlechtern.
Die Welt befindet sich im steten Niedergang und die Menschen verfügen nicht mehr über die Fähigkeit, so zu praktizieren, dass sie (durch eigene Kraft) aus dieser befreit werden könnten. Die mappō-Lehre hängt mit der buddhistischen Vorstellung der „Drei Perioden“ zusammen, welche im Kern eine Periodisierung dieses Niedergangs und schließlich Verschwindens des buddhistischen Dharmas aus der Welt vorstellt:
1. Der vollständig korrekte Dharma (Skt. samyag-dharma), Jap. shōbō, Chin. zhengfa 正法 : Bis 500 oder 1000 Jahre (je nach Modell) nach dem Nirvāṇa des Buddha werden Lehre und Praxis vollständig und korrekt überliefert, das Heilsziel ist erreichbar.
2. Der strittig überlieferte Dharma (Skt. saddharma-pratikṣepa), Jap. zōhō, Chin. xiangfa 像法: Die anschließenden 500 respektive 1000 Jahre nach dem samyag- dharma: Lehre und Praxis werden zwar noch formal und inhaltlich korrekt überliefert, doch gibt es darüber keine Gewissheit und insofern keine Einigkeit mehr. Lehre und Praxis reichen nicht mehr hin, das Erwachen (Skt. bodhi) aus eigener Kraft und damit Befreiung zu ermöglichen.
3. Der Untergang des Dharma (Skt. saddharma-vipralopa), Jap. mappō, Chin. mofa, 末法: Die an die 2. Periode anschließenden 10.000 Jahre. Die Lehre wird zwar noch (zunehmend lücken- und fehlerhaft) überliefert, doch befindet sich die Praxis in einem solchen Niedergang, dass das Erwachen (bodhi) grundsätzlich nicht mehr möglich ist und die Befreiung der Lebewesen von der Erlösungshilfe von den Bodhisattvas und Buddhas abhängt.
Schließlich verschwindet auch die buddhistische Lehre vollständig, bis der künftige Buddha Maitreya auf die Welt herniedersteigt und das „Rad der Lehre“ erneut „in Drehung versetzt“.
Nichiren (日蓮 1222-1282)
Unter den buddhistischen Reformern fällt Nichiren als eine ebenso eigenständige wie charismatische Figur auf, deren Lehren und Einfluss bis in die Gegenwart wirksam geblieben sind.
- Nichiren wendet sich von der Amida-Praxis ab und entwickelt sich zum charismatischen Prediger; er mobilisiert zahlreiche Laienanhänger.
- Nichiren propagiert das Lotos-Sūtra als die alles übertreffende Lehre, die den von ihm diagnostizierten Zerfall der Herrschaftsordnung abwenden kann.
- Grundelement der von Nichiren gelehrten Andachtspraxis ist die mantrische Rezitation des Titels des Lotos-Sūtras, „namu myōhō renge kyō“ (南無妙法蓮華經): „Gepriesen sei das Sūtra vom wunderbaren Gesetzeslotos“.
- Sein reformatorischer Anspruch richtet sich verstärkt an Frauen, denen er das „Erwachen“ (bodhi) in Aussicht stellt.
Zugleich äußert Nichiren direkte Kritik am Zustand der buddhistischen Institutionen:
- Nichiren verurteilt die miteinander konkurrierenden Schulen wegen ihrer angeblichen Manipulation von Laienanhängern und ihrem Bemühen, dadurch ihre eigene Bedeutung und ihren Einfluss zu erweitern.
- Er bemängelt den moralischen Zustand der buddhistischen Institutionen unter Bezug auf ihr Unvermögen, das Wohlergehen des Landes zu gewährleisten. Der Anspruch aber müsse sein, „das Land zu schützen“ (kogoku 護國) und ggf. dem Shogunat Korrekturen vorzuschlagen.
- Zen-shū 禪宗 (Chin. chan 禪, für Sanskrit dhyāna, „Meditation“)
Die beiden Hauptrichtungen des Zen-Buddhismus in Japan sind:
- Rinzai 臨済宗, beruft sich auf die chin. Linji-Überlieferungslinie, 1191 nach Japan eingeführt,
- Sōtō 曹洞宗, beruft sich auf Dōgen 道元 (1200-1253) und die vorangehende chin. Caoshan-Dongshan-Überlieferung (Chin. Cao-Dong 曹洞).
Später außerdem: Ōbaku 黄檗宗 , 1654 von Ingen (Yinyuan) 隱元 (1592-1673) begründet, welche eine synkretistische Zen-Praxis lehrt.
Danach erfolgt eine zunehmende Ausdifferenzierung in zahlreiche patrilineare Traditionslinien seit der Kamakura-Zeit („Zen-lineages“) und die Entfaltung der vielfach verzweigten Genealogie des Zen-Buddhismus.