2. Sitzung: ältesten Formen religiöser Praxis in Japan Flashcards

1
Q
  1. Quellenlage: Historische Textquellen
A

Problematik: Es fehlen historische schriftliche Quellen, vor Einführung des Buddhismus in Japan. Die ältesten historischen Chroniken stammen bereits aus dem 8. Jh. n. Chr., das Kojiki (712 n. Chr.) und das **Nihon shoki **(720 n. Chr.). Die Einordnung und Interpretation von älteren und ältesten archäologischen Zeugnissen in religionshistorische Zusammenhänge ist daher problematisch.

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2
Q
  1. Kojiki 古事記
A

“Aufzeichnungen der Begebenheiten des Altertums”
Kompiliert um 712 n. Chr., Geschichte Japans von mythologischen Anfängen bis ins 7. Jh. n. Chr. im Sinne der damaligen Herrschaftsverhältnisse am Hof dar. Das Kojiki wurde überwiegend in klassischer chinesischer Schriftsprache verfasst, stellenweise außerdem in Altjapanisch.

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3
Q
  1. Nihon shoki 日本書紀
A

“Chronik Japans in seinen Schriften”
Kompiliert um **720 n. Chr
., handelt es sich hierbei zwar ebenfalls um eine Geschichte Japans von den mythologischen Anfängen bis ins frühe 8. Jh. n. Chr., im Unterschied zum Kojiki ist es jedoch a
usschließlich in der klassischen chinesischen Schriftsprache und nach dem Modell der chinesischen Hofgeschichtsschreibung** verfasst. . historisch nicht verifizierbar und sich vermutlich im großen Umfang aus Stereotypen und Legendenbildungen speisen.

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4
Q

Keine Vorbuddhistische religiösen Quellen

A

Sofern der Buddhismus laut Nihon shoki im Jahr 552 n. Chr. von einer koreanischen Gesandtschaft nach Japan eingeführt wurde, gibt es also keine vorbuddhistischen originär japanischen Textquellen zur religiösen Praxis in Japan.
Die Darstellung religiöser Vorstellungen und Praxis in den oben genannten und späteren Quellen (hier v.a. Familienchroniken) ist daher immer auch dem Kontext ihrer Relation zum Buddhismus und damit einer zumindest impliziten Wertung unterworfen, die – wegen der Bedeutung des Buddhismus am Hof im 7. und 8. Jh. – tendenziell eher probuddhistisch ausfällt beziehungsweise auf die wechselvolle Geschichte der Etablierung des Buddhismus am Hof fokussiert.

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5
Q

Quellen in Klass. Chin.

A

einzelne ältere Texte in der klassischen chinesischen Schriftsprache aus dem 7. Jh. n. Chr. in Japan überliefert, dabei handelt es sich jedoch vor allem um buddhistische Texte und amtliche Erlasse.
3. Wei zhi 魏志 “Chronik der Wei” (297 n. Chr.)
Die älteste schriftliche Beschreibung religiöser Vorstellungen in Japan gibt, eine chinesische Chronik, die in den Sanguo zhi 三國志 “Aufzeichnungen aus den drei Königreichen” enthalten ist. Laut dem Wei zhi herrschte in Japan eine Priesterkönigin namens Himiko 卑弥呼 (ca. 170–248 n. Chr.), die sich zwecks Sicherung ihrer Herrschaftsmacht und der Befriedung des Landes magischer bzw. schamanischer Fertigkeiten bediente. (Ähnlichkeit zu Amatersau Kult)

Unter anderem auf solche strukturellen Indizien stützt sich auch die religionshistorische These, dass im frühen japanischen Altertum die Clangesellschaft von Herrscherpaaren geprägt gewesen sein soll: Männer hätten politisch-administrative und Frauen religiös- schamanische Aufgaben wahrgenommen. Noch vor dem Aufkommen des Buddhismus in Japan scheint jedoch die Bedeutung der schamanischen Praxis offenbar zurückgegangen zu sein, zumindest hat sie in den frühen historischen Quellen in Japan kein besonderes Gewicht.

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6
Q
  1. Archäologische Zeugnisse
A

Von besonderer Bedeutung sind Grabhügel (kofun 古墳, wörtl. alter Grabhügel), teils großangelegte Grabanlagen nach chinesischem Vorbild aus der Zeit zwischen dem späten 3. und frühen 7. Jh.

Aufwändiger angelegte Grabhügel wurden für Angehörige des Hofes errichtet, nicht nur Ausweis der Macht ihrer
Besitzer, sondern waren auch Orte einer rituellen/zeremoniellen Bestätigung der legitimen (patrilinear-genealogischen) Herrschaftsnachfolge, für deren Durchführung Priester
zuständig waren.

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7
Q
  1. Sozialer Kontext der vorbuddhistischen religiösen Praxis
A

Die Gesellschaft des japanischen Altertums war geprägt von instabilen Bündnissen miteinander konkurrierender Familien bzw. Clans (uji 氏). Grundbesitz, Macht, Autorität und personenbezogene Funktionen waren bis ins 7. Jh. weitgehend erblich innerhalb einer Familie festgelegt. Dies betraf auch Funktionen, die mit der religiösen Praxis zusammenhängen, wie bspw. Bestattungsriten, Riten zur Ahnenverehrung, Wahrsagung, etc. Im Zentrum der religiösen Vorstellungen standen Clangottheiten (ujigami 氏神). Clangottheiten sind oft prominente Ahnengeister, auf die sich eine Clangenealogie in ihrem (mythischen) Ursprung bezieht. Ujigami sind aber oft auch mit einer angestammten Region
und ggf. bestimmten landschaftlichen Markern (bspw. Fels, Wasserfall, Wald usw.) verbunden, wodurch eine Verknüpfung zwischen Genealogie und Herrschaftsterritorium zum Ausdruck kommt.
Der Verehrung und rituellen Aufwartung von ujigami waren Hallen und Gebäudeteile in den Familien-Residenzen gewidmet.

Später haben sich daraus auch Shintō-Schreine entwickelt, die – aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst – teilweise bis in die Gegenwart Zentren religiöser Praxis sind (bspw. der Kasuga taisha 春日大社, der Kasuga-Schrein in Nara, der ursprünglich als Schrein der mächtigen Fujiwara-Familie galt).
Über das religiöse Leben der breiten Bevölkerung dieser Zeit ist indessen kaum etwas bekannt. Wahrscheinlich waren jedoch lokale Kulte und schamanistische Praxis (clan- oder gruppenspezifischer Medien) und damit verbundene Behandlungen von Naturphänomenen, Geisterglaube, Ahnenverehrung u.ä. verbreitet.

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8
Q
  1. Abgrenzung zum Shintō (aus historischer Sicht)
A

Wenn heute Shintō (wörtl. „Weg der Gottheiten“) als die älteste indigene Form von Religion in Japan betrachtet wird, muss berücksichtigt werden, dass es sich hierbei nicht nur um einen Anachronismus handelt, sondern auch, dass die Entwicklung des Shintō mit der Entwicklung des Buddhismus in Japan unlösbar zusammenhängt.
Die oben behandelten Aspekte religiöser Praxis können, gemäß der ältesten Quellen, nicht einfach als frühe „shintōistische“ Elemente betrachtet werden. Es gab im frühen Altertum weder eine spezifisch als Shintō bezeichnete Praxis noch ein allgemeines Verständnis von Shintō, mit dem solche und spätere Elemente in einen direkten Zusammenhang gebracht werden können.

Dabei ist zu beachten, dass der heute gepflegte Shintō eine unter dem Eindruck des Buddhismus institutionalisierte und eingeschränkt systematisierte Formation einer Vielzahl unterschiedlicher, durchaus heterogener religiöser Praktiken, Bräuche, Mythen etc. darstellt.
Shinto im Lauf der Zeit und unter dem Einfluss des Buddhismus entwickelt, wobei hier die Nähe bzw. Abgrenzung zum Buddhismus oft im Vordergrund stehen.

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9
Q

Für die ursprünglichen (vorbuddhistischen) Formen der lokalen Kulte und Clankulte kann man indessen annehmen, dass folgende Elemente eine Rolle gespielt haben dürften:

A
  • Naturverehrung, animistische Vorstellungen
  • Tabus (vor allem gegen Unreinheit, kegare 穢れ)
  • Fehlen einer systematischen oder übergreifenden, integrativen Doktrin
  • Toten- und Ahnenverehrung
  • Verehrung der Genealogie (hier auch der Tennō-Genealogie, die auf die Gottheit
    Amaterasu Bezug nimmt)
    Außerdem waren verschiedentlich und lokal variable Bezüge zu Legenden, Mythen und Brauchtum von Bedeutung.
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10
Q

„historistische“ (nicht: historische) Verständnis von Shintō…

A

… „historistische“ (nicht: historische) Verständnis von Shintō als einer ursprünglichen, die japanische Kultur prägenden Tradition u.a. auf die ethnozentrischen und nativistischen Auffassungen der sg. „nationalen Gelehrsamkeit“ (kokugaku 國學) stützt.
Diese **„nationale Gelehrsamkeit“ **war eine proto-nationalistische Strömung unter japanischen Gelehrten im **18. und 19. Jh., die eine „Reinigung“ der japanischen Traditionen von
„Fremdeinflüssen“ **(hier vor allem aus Indien, China, Korea, später auch dem Westen) anstrengten und daher u.a. durch Quellenstudien die Restauration eines vorbuddhistischen Shintō anstrebten. Diese Bemühung um eine Restauration (im Grunde handelt es sich um eine Konstruktion des Shintō von Gelehrten des 18. und 19. Jhs.) war auch von antibuddhistischen, antikonfuzianischen und antichinesischen Ressentiments motiviert.
Aus einem kritischen historischen Verständnis ist der Anspruch einer solchen Restauration (oder „Rekonstruktion“) schon deshalb wenig plausibel, weil selbst die ältesten Quellen nachbuddhistischen Ursprungs sind und die Entwicklung und Ausdifferenzierung der Shintō- Praxis im Lauf ihrer Geschichte stets in einer komplexen Wechselbeziehung mit der Entwicklung und Ausdifferenzierung des Buddhismus stand.

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