10. anhaltende Trauerstörung Flashcards
Diagnose der pathologischen Trauer
1993 Pathologische Trauer Horowitz et al. 1993, 1997 Trauer als Stresserleben 1995 Inventory of Complicated Grief Am häufigsten genutztes Mess- instrument 1999 Traumatische Trauer Trennungs- schmerz und Trauma Umbenennung in komplizierte Trauer nach 9/11 2009 Anhaltende Trauerstörung Consensus Criteria Horowitz, Prigerson Komplizierte Trauer, Shear 2011 2013 Persistierende komplexe Trauerstörung DSM-5 Forschungs- diagnose Beinhaltet Symptome der komplizierten Trauer und anhaltenden Trauerstörung 2018 Anhaltende Trauerstörung ICD-11 WHO Tritt am 1.1.2022 in Kraft
Diagnose der anhaltenden Trauerstörung (ICD-11)
- Anhaltende Trauerreaktion nach dem Tod einer nahestehenden Person
- Ausgeprägte Sehnsucht nach der verstorbenen Person, welche begleitet wird durch starke emotionale Schmerzen (z.B. Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut, Verleugnung, Schwierigkeiten, den Tod anzunehmen, das Gefühl,
einen Teil des eigenen Selbst verloren zu haben, die Unfähigkeit eine positive Stimmung zu erleben, emotionale Taubheit, Schwierigkeiten bei der Beschäftigung mit sozialen oder anderen Aktivitäten) - Die Trauerreaktion persistiert über einen atypisch langen Zeitraum nach dem Verlust (mindestens mehr als 6 Monate)
- Die Trauerreaktion übersteigt die erwarteten sozialen, kulturellen oder religiösen Normen für die Kultur und den Kontext des Einzelnen.
Latent Class Analysis (DSM-5-Forschungsdiagnose, Boelen et al., 2019)
Langzeit-Follow-up:
6 Monate ->
3 Jahre nach dem Verlust N= 251
Wievielt haben wirklich hohe Belastungen ung
T1:
• Resilient: 50%
• Trennungsschmerz: 36.1%
• Hohe Belastung: 13.9 %
Kritik an der anhaltenden Trauerstörung als Diagnose
• Cut-off von 6 Monaten nicht für alle Trauernden repräsentativ
• Validierungsstudie wurde mit Verwitweten durchgeführt
(verwaiste Eltern, Suizidangehörige?)
• Normaler Trauerverlauf kann bei Subgruppen länger und intensiver dauern
• Es gibt keine qualitativen Unterschiede der Symptomatik der anhaltenden Trauerstörung und der normalen Trauer (z.B. Trennungsschmerz)
Vorteile an der anhaltenden Trauerstörung als Diagnose
• Frühe Identifizierung
• verbesserte Hilfsangebote (z.B. Psychotherapie;
Selbsthilfegruppen)
• Verbesserung der Diagnostik
• Anerkennung durch Gesundheitssystem (z.B. AU-Tage)
Wie ist die Akzeptanz der Diagnose in den verschiedenen Berufsgruppen? anhaltende Trauerstörung
N = 2088
(Psychologen, Trauerbegleiter, Ärzte, Mitarbeiter in der Palliativ- und Hospizversorgung)
Ergebnis:
25% befürworteten den ICD-11 Diagnosevorschlag
60% würden eine Alternative bevorzugen
Psychologen und Psychotherapeuten 8-10% dafür , die meisten sagen langer gleich 12 Monate
Trauertheorien (Biologisches Modell)
- Erhöhte Mortalitätsrate von Witwern gegenüber nichtverwitweten Männern in den ersten 6 Monaten nach dem Tod (40% höher)
- Erhöhte Herzrate und Blutdruck in der Akutphase
- Erhöhte Freisetzung von Kortisol in den ersten 10 Tagen bis 6 Monate nach dem Tod (Gerra et al., 2003)
- Immunbiologische Reaktion: 2-8 Wochen nach dem Tod niedriges Niveau an T- Zellen (O‘Connor, 2013)
Trauertherorien
- Biologisches Modell
- Kübler-Ross (1974): Die 5-Phasen der Trauer
- Aufgabenmodell
Kübler-Ross (1974): On Death and Dying (Phasenmodell)
(1) Nicht-wahr-haben-wollen („Das ist nicht mein Kind…..) (2) Wut
(3) Feilschen „ Wenn….dann…“
(4) Depression
(5) Akzeptanz
Annahme:
• Stadien voneinander abgegrenzt
• Müssen nacheinander durchgearbeitet werden, bevor die nächste „Stufe“ erreicht werden kann.
Empirische Validierung (Phasenmodell)
Einzelnen Phasen sehr stark überlappen sind alle haben Höhepunkt bis 6 Monate im durchschnitt aber nicht klar angreifbar
Aufgabenmodell WORDEN
- Verlust als Realität realisieren
- Trauerschmerz erfahren/Trauer gefühle durchleben
- Anpassung an die Umwelt ohne die verstorbene Person
- Verstorbenen neuen Platz geben
Duales Prozessmodell der Trauerbewältigung
1.Verlust-orientiert
• Trauerarbeit
• Intrusionen
• Auflösung der Bindungen
• Verleugnung/Vermeidung von Veränderungen
2.Wiederherstellungs- orientiert
•Veränderungen aufmerksam •Verfolgen
•Neue Dinge unternehmen •Sich von Trauer ablenken •Trauer vermeiden
•neue Rollen, Identitäten, Beziehungen aufnehmen
Trauer Anamnese
Erfassung der Todesumstände
Beziehung zur verstorbenen Person
Vermeidungsverhalten
Dysfunktionale Kognitionen
Erfassung der Todesumstände
§ Was ist genau passiert?
§Wo waren Sie als Sie die Todesnachricht erhielten? §Haben Sie den Mensch um den Sie trauern gesehen? Was ging dem Tod voraus?
Beziehung zur verstorbenen Person
§Unerfüllte Wünsche und ungelöste Konflikte -> hohes Risiko für anhaltende Trauerstörung (Holland et al. 2018)
§Unerfüllte Wünsche:
n „Ich wünschte, ich hätte mich von ihr/ihm verabschieden können.“
n „Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen, als sie/er gestorben ist.“ §Ungelöste Konflikte:
n „Meine Beziehung zu ihr/ihm war eine große Enttäuschung, die jetzt nicht mehr geändert werden kann“
n Ich konnte nie meinen Frieden bezüglich eines Konflikts mit ihr/ihm finden.“
Bedauern über die Beziehung zur verstorbenen Person (Holland et al. 2013)
§4-jährige Langzeitstudie mit verwitweten Frauen/Männern (N= 201)
§„Ist etwas zwischen Ihnen und Ihrem/ihren Partner/-in geschehen, was Sie
heute bedauern?“
§17% zeigten starkes Bedauern und verschlechterten sich über die 48 Monate -> hohe Symptomatik der anhaltenden Trauerstörung
Bedauern über die Beziehung zur verstorbenen Person
- Regret in allen Klassen
- Worsening High regret -> Anhaltende Trauerstörung: GEHT NICHT VON ALLEINE WEG WIRD SCHLIMMER ODER BLEIBT STABIL – BEZIEHUNG THERAPEUTISCH AUFArbeiten
Vermeidungsverhalten:
Ø Traumabezogene Inhalte
Ø Vermeidung des Trauerschmerzes
Ø Nicht Akzeptanz des Todes an sich
Dysfunktionale Kognitionen Trauer
§ „Wenn ich mich anders verhalten hätte, dann wäre meine Tochter noch am Leben.“
§ „Wenn ich meiner Trauer freien Lauf lassen würde, dann würde ich die Kontrolle verlieren.“
§ „Ich muss mich zusammenreißen, sonst werde ich verrückt“
§ „Wenn ich nicht mehr um meine Tochter trauere, dann vergesse ich sie.“
Trauergrafik
mit Pat zsm machen
Traurigkeit am Anfang nicht so sehr weil Gefühl von Wut dominant erste 6 Monate
dann im laufe der Therapie Traurigkeit und Schuldgefühle im Vordergrund
Stepped-Care Modell der Versorgung von Trauernden (Wagner, 2019)
Step 1 (>1 Monat)
1•Unterstützung durch soziales Netzwerk
2•Bei akuter Suizidalität: Krisenintervention, Hausärzte, Fachärzte
3•Trauerbegleitung (bei fehlendem sozialem Netzwerk)
Step 2 (2-5 Monate)
Ergänzend zu den Basis-Interventionen aus Step 1:
1•Selbsthilfegruppen (z.B. Trauercafés)
2•Psychoedukation
3•Bibliotherapie
4•Internetbasierte Interventionen
Step 3 < 6 Monate
Ergänzend zu den niedrigschwelligen Interventionen aus Step 2:
1.Psychotherapie (spezifisch für Trauernde)
2•Einzel- oder Gruppentherapie
3•Ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung von
komorbiden Störungen (z.B. PTBS, Depression, Substanzmissbrauch)
–> Verlauf Screenings
Interventionen für Trauernde
Johannsen et al. (2019)
PTSD-> g=0.53
Trauer-> g = 0.41
Depression -> g = 0.35
Complicated Grief Treatment (Shear et al., 2005)
1.Diagnostik/Beziehungsgeschichte 2Psychoedukation 3. Exposition in sensu 4. Verhaltensveränderung 5.Imaginiertes Gespräch mit der verstorbenen Person (IRRT)
Integrative kognitive Verhaltenstherapie (Rosner et al., 2015)
§ Diagnostik/ Beziehungsaufbau § Psychoedukation § Exposition in sensu § Verhaltensveränderung § Arbeit mit dysfunktionalen Kognitionen § Thema Akzeptanz § Zukunft
Vermeidungsverhalten:
Ø Traumabezogene Inhalte
-> Konfrontation mit dem traumatischen Erlebnis
Ø Vermeidung des Trauerschmerzes ->
Gespräch über verstorbene Person fördern
Ø Nicht Akzeptanz des Todes an sich ->
Konfrontation mit der Realität des Verlustes
Schuldgefühle bei Trauernden
• 30% -60% aller Trauernde erleben Schuldgefühle (Li et al. 2014)
• Risikofaktor für anhaltende Trauerstörung und Depression (Field et al., 2001)
• Persistierend
• Schwierig zu behandeln
Positiver Zusammenhang zwischen Schuld und
Psychopathologie (PTBS, Trauer, Depression)
• Schuld ist ein signifikanter Prädiktor für Depression, PTBS, anhaltende Trauerstörung
Arbeit mit Schuldgefühlen (Paul, 2012)
Welche Funktion hat die Schuld?
Welchen Sinn machen die Schuldgefühle für den Patienten?
1) Schuld gibt Erklärung für das Unfassbare („Warum ist das passiert?“)
-> Übernahme von Schuld macht oft den größten Sinn für das Unbeschreibbare.
-> z.B. Vermittlung von Psychoedukation und Wissen zu den Todesumständen (z.b. Suizid)
2) Gefühl von Macht („ich hätte es verhindern können“)
Der Tod wird als Kontrollverlust erlebt
Hinterfragen von eigenem Einfluss
3) Schuld stellt gefühlsmäßige Bindung zur verstorbenen Person her
Förderung von positiven Erinnerungen
Förderung der Akzeptanz des Todes
Förderung von Ritualen
1) Schuld gibt Erklärung für das Unfassbare („Warum ist das passiert?“)
- > Übernahme von Schuld macht oft den größten Sinn für das Unbeschreibbare.
- > z.B. Vermittlung von Psychoedukation und Wissen zu den Todesumständen (z.b. Suizid)
2) Gefühl von Macht („ich hätte es verhindern können“)
Der Tod wird als Kontrollverlust erlebt
Hinterfragen von eigenem Einfluss
3) Schuld stellt gefühlsmäßige Bindung zur verstorbenen Person her
Förderung von positiven Erinnerungen
Förderung der Akzeptanz des Todes
Förderung von Ritualen
Unvollendete Beziehung zur verstorbenen Person
§ Gespräche, die nicht stattgefunden haben
§ Themen, welche vermieden wurden
§ offenen Fragen, die nie gestellt wurden
§ „undelivered communication“ -> Kommunikation, die nicht stattfand (James und Kollegen 1998) da sie zu Lebzeiten entweder nicht möglich oder nicht gewünscht waren.
§ Das Bedauern über ungeklärte Konflikte
IRRT-anhaltender Trauer (Schmucker & Köster, 2019)
- Trauernde Person führt ein imaginatives Gespräch mit der verstorbenen Person
- Inneres Bild, das für Hinterbliebenen emotional und bewegend ist und aktuelle Trauerproblematik darstellt
„Leerer Stuhl Dialog“
§ Entschuldigungen
§ Verzeihen gegenüber der verstorbenen Person
§ Emotional bedeutsame Äußerungen: Gespräche, die nicht stattgefunden haben („ ich bedanke mich dafür, dass Du immer versucht hast in den schwierigen Zeiten unsere Familie zu versorgen“ oder „ich bereue es Dich geheiratet zu haben“)
Leere Stuhl Technik- Perspektivenwechsel
„Versuchen Sie sich in Ihren Mann hineinzuversetzen. Was würde Ihr
Mann nun antworten?
Patient setzt sich auf den Stuhl der verstorbenen Person und antwortet auf das vorangegangenen Gespräch
BETROFFENE NACH EINEM SUIZID
•
Bisherige Schätzungen: 6 Menschen sind unmittelbar betroffen durch einen Suizid (Shneidman, 1972)
135 Menschen sind nach einem Suizid betroffen (Cerel et al., 2018)
Jemanden kennen -> betroffen sein -> um jemanden trauern
• N= 1.702
• „Kennen Sie jemanden der durch einen Suizid verstorben ist?“
• Zustimmung: 47%
SUIZID EINES ELTERNTEILS
• N=7.302033 • Schweden, Dänemark, Finnland • Eltern (Suizid) IRR: 3.44 • Eltern (non-Suizid) IRR: 1.76 • Höchstes Risiko -> Kind zwischen 0-6 Jahre bei Suizid • Risiko bleibt über 25 Jahre bestehen
SUIZID EINES GESCHWISTER- MORTALITÄT
Tod eines Geschwisters durch Suizid:
Schwester: 3.1 höheres Risiko durch Suizid zu sterben Brüder: 2.1 höheres Risiko durch Suizid zu sterben
QUALITATIVE AUSWERTUNG DER FOKUSGRUPPEN Hilfe nah Suizid
Stigmatisierung Sinn- und Warum- Frage Schuldgefühle Unzureichende professionelle Unterstützung Rolle der Selbsthilfegruppen
Unzureichende professionelle Unterstützung durch
Psychotherapeuten/ Psychiater/Rehakliniken
- Thema Suizid wird vermieden
- Keine Erfahrung mit dem Thema Suizid
- Falscher Fokus in der Therapie
STIGMATISIERUNG NACH EINEM SUIZID
- 31-87% der Suizidhinterbliebenen erfahren Stigmatisierung in ihrem sozialen Umfeld (Hanschmidt et al., 2016)
- 44% erhielten nur eine unzureichende soziale Unterstützung (Pitman et al., 2017)
- 76% der Trauernden nach Unfalltod erleben sozialen Kontaktals positiv (vs. 27% Suizidangehörige) (Range & Calhoun, 1990)
- 44% verheimlichten Suizid als Todesursache(Range&Calhoun, 1990)
Abschiedsbriefe
- Bevölkerungsbasierte Studie (N= 2.936 Suizide)
- 18% hinterließen Abschiedsbrief (Cerel et al., 2015)
- kein Zusammenhang mit soziodemografischen Eigenschaften oder Suizidart
- Japanische Langzeitstudie (N= 5161 Suizide) über 21 Jahre: 23%-36% hinterließen Abschiedsbriefe
BEWEBEWERTUNG VON ABSCHIEDSBRIEFEN (N=122)
43% positiv
28% negativ