Vollzug des Unionsrechts Flashcards

1
Q

Wer ist für den Vollzug des Unionsrechts grundsätzlich zuständig? Was gilt ausnahmsweise? Welche Beispiele gibt es für den Ausnahmefall?

A
  • Sowohl gem. Subsidiaritätsprinzip (EUV 5 III) als auch nach allgemeiner Kompetenzordnung: Grds. die MS
    Selbst in Bereichen, in denen die Union eine ausschliessliche Rechtsetzungskompetenz hat, wie im Zollwesen und in der Landwirtschaft.
    • Die MS müssen alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte erforderlichen Massnahmen nach innerstaatlichem Recht erlassen (AEUV 291 I)
    • Auch die Unionsorgane können Durchführungsbestimmungen erlassen, wo dies für den korrekten und einheitlichen Vollzug erforderlich ist (AEUV 291 II)
  • Anders nur dort, wo die Unionsorgane ausdrücklich mit Vollzug betraut werden
    • In diesem Fall ist die Union zuständig für den Erlass von Vollzugsregelungen, Verfahren und Rechtsschutz richten sich nach Unionsrecht
    • Z.B. im Wettbewerbs- und Beihilferecht (AEUV 105 und 108)
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2
Q

Schematisierte Darstellung beim Vollzug durch a) Unionsorgane | b) MS:

  • Vollzugsregelungen
  • Verwaltungsverfahren
  • Rechtsschutz
    • Gegen Vollzugshandlungen
    • Gegen Untätigkeit
A
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3
Q

Worin besteht der Unterschied zwischen Delegierten Rechtsakten und Durchführungsrechtsakten?

A

Vgl. den Gesetzeswortlaut.

  • Delegierte Rechtsakte ergänzen oder ändern die Bestimmungen des delegierenden Rechtsakts (Verordnung oder Richtlinie) (AEUV 290 I)
  • Durchführungsrechtsakte präzisieren die Regelungen des zugrundeliegenden Rechtsakts, sofern es für die Umsetzung einer unionsrechtlichen Regelung einheitlicher Bedingungen bedarf (AEUV 291 II)
  • Bei Durchführungsrechtsakten besteht somit gewissermassen weniger Spielraum, dafür sind auch die Voraussetzungen zu ihrem Erlass tiefer
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4
Q

Was sind die Voraussetzungen für einen delegierten Rechtsakt und wo sind sie geregelt?

A

Die Voraussetzungen ergeben sich detailliert aus AEUV 290.

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5
Q

Was sind die Voraussetzungen für den Erlass von Durchführungsrechtsakten und wo sind sie zu finden? Wo ist das Verfahren zur Kontrolle der Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die MS geregelt?

A
  • Die wesentlichen Voraussetzungen finden sich in AEUV 291 II und IV
  • Gem. AEUV 291 III ist im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren eine Verordnung über die Kontrolle der Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die MS zu erlassen; Parlament und Rat haben dies in Form der Komitologieverordnung getan
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6
Q

Worum handelt es sich bei der Komitologie? Welche verschiedenen Verfahren umfasst sie?

A
  • Komitologie bezeichnet das Verfahren mit Verwaltungsausschüssen (comités), welche den Erlass von Durchführungsrechtsakten durch die Kommission begleiten
  • Die Verwaltungsausschüsse sind aus Vertretern der MS und einem Kommissionsvertreter zusammengesetzt
  • Je nach Materie kommt ein anderes Verfahren zur Anwendung:
    • Beratungsverfahren → Ausschuss hat lediglich beratende Funktion
    • Prüfverfahren → Ausschuss entscheidet, wenn er ablehnt kann die Kommission:
      • dem Ausschuss einen abgeänderten Entwurf präsentieren
      • den unveränderten Entwurf einem Berufungsausschuss unterbreiten; gibt auch dieser eine negative Stellungnahme ab, darf die Kommission den Rechtsakt nicht erlassen
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7
Q

Welche Bedeutung hat die Komitologie für den Erlass von Durchführungsrechtsakten der Union?

A
  • Mit diesen Verwaltungsausschussverfahren können die Erfahrungen der Fachleute der MS fruchtbar gemacht werden
  • Damit wird die Vollzugstauglichkeit der Regelungen sichergestellt
  • Die Verwaltungsausschüsse spielen eine sehr grosse Rolle beim Vollzug von Unionsrecht
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8
Q

Wonach richtet sich die Haftung der Union für Schädigungen, die im Rahmen des Vollzugs des Unionsrechts durch Unionsorgane verursacht wurde?

A

Sog. Amtshaftung:

  • Vertragliche Haftung: Nach dem Recht, welches auf den betreffenden Vertrag Anwendung findet (AEUV 340 I)
  • Ausservertragliche Haftung: Haftung nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der MS gemeinsam sind (AEUV 340 II; vgl. auch GRC 41 III)
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9
Q

Was sind die Voraussetzungen der ausservertraglichen Amtshaftung?

A

Vgl. auch AEUV 340 II

  • Organe der Union:
    Organe i.S. dieser Bestimmung sind nicht nur die in EUV 13 aufgezählten Organe, sondern auch alle weiteren Einrichtungen der Union (EuGH, Société générale, 1992)
    Wie die beratenden Ausschüsse, die EIB sowie die selbständigen Verwaltungsagenturen.

Weitere Voraussetzungen gem. ständiger Rechtsprechung des EuGH (z.B. EuGH, Cato, 1992):

  • Schaden
  • Widerrechtlichkeit (vgl. EuGH, Camar, 2002):
    Verletzte Rechtsnorm muss dem Einzelnen Rechte verleihen und der Verstoss muss hinreichend qualifiziert sein (Ermessensspielraum muss offenkundig und erheblich überschritten worden sein)
  • Kausalzusammenhang zwischen dem rechtswidrigen Verhalten und dem Schaden

Ein Verschulden ist nicht erforderlich, es handelt sich somit um eine Kausalhaftung.

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10
Q

Was für ein schadenverursachendes Verhalten ist (im Unterschied zum Schweizer Recht) ebenfalls erfasst?

A
  • Gem. Praxis kann das schadenverursachende Verhalten auch in dem Erlass generell-abstrakter Regelungen bestehen
  • Das Unionsrecht kennt damit (im Gegensatz zum Recht der Schweiz) eine Haftung für normatives Unrecht (vgl. EuGH, Schöppenstedt, 1971)
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11
Q

Wie funktioniert der Vollzug des Unionsrechts durch die MS?

A
  • Der Vollzug richtet sich nach den Bestimmungen des mitgliedstaatlichen Rechts:
    • Zuständige Behörden
    • Massgebende Verfahrensregelungen
    • Rechtsschutz durch nationale Gerichte
  • Die Vorgaben des (primären, teils sekundären) Unionsrechts müssen beachtet werden, insb.:
    • die unionsrechtlichen Grundrechte
    • die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit (EUV 4 III)
      Dies gilt bspw. selbst dann, wenn sich ein rechtskräftiges Gerichtsurteil im Nachhinein als unionsrechtswidrig erweist; ein solches Urteil muss ggf. aufgehoben werden, wenn kein Vorabentscheidungsverfahren durchgeführt wurde (EuGH, Kühne & Heitz, 2004).
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12
Q

Welche Grenzen sind dem Vollzug des Unionsrechts durch die MS gesetzt?

A

EuGH, Milchkontor, 1983:

  • Das Effizienzgebot verbietet eine Beeinträchtigung der Tragweite und der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts durch die Anwendung nationalen Rechts und verlangt, dass die volle Wirksamkeit (effet utile) zum Tragen kommt
  • Das Diskriminierungsverbot verbietet es, bei der Anwendung nationalen Rechts Unterschiede zu machen zu Verfahren, in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden wird
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13
Q

Welche Behelfe stehen für die Durchsetzung des korrekten Vollzugs von Unionsrecht durch die MS offen?

A
  • Bei Nichtumsetzung von RL ist das nationale Recht (soweit möglich) richtlinienkonform auszulegen
  • RL können u.U. unmittelbar angewendet werden
  • Nat. & jur. Personen können einen nationalen Hoheitsakt, der das Unionsrecht nicht richtig vollzieht, vor den nationalen Gerichten anfechten; diese können (oder müssen ggf.) ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH einleiten (AEUV 267)
  • Die Kommission und die anderen MS können bei mangelhaftem Vollzug ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden MS einleiten (AEUV 258 ff.)
  • Nat. und jur. Personen, denen durch den mangelhaften Vollzug von Unionsrecht ein Schaden entsteht, können ggf. vom betreffenden MS Schadenersatz verlangen
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14
Q

Unter welchen Voraussetzungen kann ein MS für die Nicht-Umsetzung einer Richtlinie haftbar gemacht werden?

A

EuGH, Francovich, 1991:

  1. Die Richtlinie wurde nicht rechtzeitig / korrekt in das nationale Recht umgesetzt und kann auch nicht unmittelbar angewendet werden
  2. Die Richtlinie hatte die Verleihung von Rechten an Einzelne zum Inhalt
    Diese können sich - anders als bei der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien - sowohl gegen den Staat als auch gegen Private richten.
  3. Der Inhalt dieser Rechte kann auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden
  4. Es liegt ein Schaden vor
  5. Es besteht ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoss gegen die Verpflichtung des MS und dem dem Geschädigten entstandenen Schaden
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15
Q

Wurde die Haftung gemäss den Voraussetzungen aus dem Francovich-Entscheid auf weitere Bereiche ausgedehnt? Was sind die allgemeinen Voraussetzungen?

A
  • EuGH, Brasserie du Pêcheur/Factortame, 1996: Haftung für die Verletzung von Pflichten, die sich unmittelbar aus den Verträgen (d.h. aus dem Primärrecht) ergeben
  • EuGH, British Telecommunications, 1996: Haftung für die mangelhafte Umsetzung einer Richtlinie
  • Allgemeine Voraussetzungen:
    • Rechtsnorm, gegen die verstossen wurde, verleiht dem Einzelnen Rechte, welche infolge des Verstosses nicht ausgeübt werden können
    • Verstoss ist hinreichend qualifiziert
      Es muss gestützt auf einen konkreten Entscheid oder eine gefestigte Rechtsprechung des EuGH klar sein, dass da nationale Recht nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
    • Es besteht ein Schaden
    • Zwischen der Pflichtverletzung des MS und dem Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang
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16
Q

Wie werden unionsrechtliche Haftungsansprüche durchgesetzt?

A
  • Durchsetzung der Staatshaftungsansprüche ggü. den MS richtet sich nach deren innerstaatlichem Recht
  • Die MS dürfen die Erlagung einer Entschädigung aber nicht verunmöglichen oder übermässig erschweren (Vereitelungsverbot) und die Voraussetzungen dürfen nicht weniger günstig sein als bei Ansprüchen gestützt auf das nationale Recht (Diskriminierungsverbot; EuGH, Traghetti, 2006)