Sozialpartnerschaft Flashcards

1
Q

Was ist Sozialpartnerschaft

A

= ein Muster von Interessensvermittlung & Interessenspolitik zwischen Regierung, und Verbänden der Arbeitgeber (AG) und Arbeitnehmer (AN) auf freiwilliger Basis (nicht gesetzlich geregelt)

->Konzertierung
-> Akkordierung

  • Wichtigste Geltungsbereiche: Lohnpolitik, Wirtschaftspolitik,
    Sozialpolitik, Arbeitsmarktpolitik
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2
Q

Konzertierung

A

= Einbindung der Sozialpartner (Dachverbände der AN- & AGOrganisationen) in politische Entscheidungen

Beispielsweise:
* Konsultation von Sozialpartnern beim Erstellen von Ministerialentwürfen
* Gemeinsame Arbeitsgruppen von Sozialpartnern & Regierung/Verwaltung
* Ladung von Sozialpartner-Experten in parlamentarische Ausschüsse
* Einfluss der Sozialpartner auf Politikinhalte über politische Parteien

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3
Q

Akkordierung

A

= Abstimmung von Interessen …
… zwischen Regierung und Sozialpartnern
… zwischen AN- und AG-Verbänden

Bipartistische Akkordierung:
* Regierung und AG-Verbände
* Regierung und AN-Verbände
* AG- und AN-Verbände

Tripartistische Akkordierung:
* Regierung, AN- und AG-Verbände

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4
Q

Korporatismus vs Pluralismus

A

Wie organisieren sich Interessen im politischen Prozess?

Korporatismus:
* Wenige, stark konzentrierte, hierarchisch organisierte Interessensorganisationen
(Dachverbände mit Repräsentationsmonopol), Akkordierung
* Privilegierung bestimmter Interessensorganisationen durch Staat/Politik (z. B. Pflichtmitgliedschaft, Konzertierung)
* Konsensorientierte Beziehungen, gesamtwirtschaftliche Interessen

Pluralismus:
* Viele heterogene Interessensorganisationen -> Wettbewerb
* Keine gesetzliche Privilegierung weniger Verbände
* Konfliktorientierte Beziehungen, Lobbying, Organisationsinteressen

Sozialpartnerschaft ist Form des Korporatismus („Austrokorporatismus“)

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5
Q

Geschichte der Sozialpartnerschaft

A

-1. Republik: keine dauerhafte, freiwillige Kooperation und Interessensabstimmung zwischen Verbänden und Regierung
-Nach 1945 erste Ansätze -> Lohn- und Preisabkommen (1947 bis 1951): Von Verbänden und Regierung festgesetzte Erhöhungen für Löhne und Preise
-> Eine Folge: Oktoberstreik 1950

-1957: Paritätische Kommission für Preis- und Lohnfragen (mit Vertretern von Verbänden und Regierung) -> quasi Geburtsstunde der Sozialpartnerschaft
-1963: Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen
-Im Verlauf der 1960er: breite Akzeptanz für Sozialpartnerschaft
-1960er bis 1980er: Hochblüte der Sozialpartnerschaft
-Regierungswechsel: bringen kaum Änderung im Einfluss der
Sozialpartnerschaft
-Vielzahl an Kommissionen, Beiräten, Arbeitskreisen, Foren, …
-Ab 1980ern: partieller Bedeutungsverlust

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6
Q

Warum Bedeutungsverlust der Sozialpartnerschaft

A

geringere Wahlbeteiligung bei Kammerwahlen, auch getrieben durch Erosion der betrieblichen Basis (Betriebsräte)

neue Akteure

Veränderungen in Wirtschaft & Politik
-Wandel des Arbeitsmarktes (mehr Teilzeitbeschäftigung, mehr prekäre Arbeitsverhältnisse (befristet, geringfügig, Leiharbeit)
-Wandel der Unternehmerlandschaft (mehr Ein-Personen-Unternehmen, neue Selbstständige)
-europäische Integration: weniger Spielraum für nationale Politik

neue Regierungskonstellationen
-Schüssel I + II und Kurz I -> Bisher geringstes Ausmaß an sozialpartnerschaftlicher Einbindung
-teilw. Wiederbelebung unter Türkis-Grün (Covid)

-> Sozialpartnerschaft heute stärker von Regierungszusammensetzung abhängig als früher

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7
Q

Wer sind Sozialpartner?

A

Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB)

Arbeiterkammern (AK)

Wirtschaftskammer Österreich (WKO)

Landwirtschaftskammern (LWK)

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8
Q

ÖGB

A

Dachverband mit 7 Teilgewerkschaften:
Privatangestellte, öffentlicher dienst, Produktionsgewerkschaften, Gemeindebedienstete etc

-als Verein organisiert -> freiwillige Mitgliedschaft
-Mitgliedsbeitrag = 1% vom Bruttoeinkommen
-Interessensvertretung der Arbeitnehmer

-Traditionell von der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG -> SPÖ-nahe) dominiert
* Ausnahme: GÖD (öffentl. Dienst): Dominanz der Fraktion Christlicher
Gewerkschafter (FCG -> ÖVP-nahe)
* Andere (deutlich kleinere) Fraktionen: Gewerkschaftlicher Linksblock (tw. KPÖ-nahe), Unabhängige GewerkschafterInnen (tw. Grün-nahe), Parteifreie GewerkschafterInnen Österreichs, Freiheitliche Arbeitnehmer (FPÖ-nahe)

Kernaufgabe des ÖGB: Verhandlung von Kollektivverträgen als Gegenüber der WKO (dzt. 850+ aufrechte Kollektivverträge)

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9
Q

Diskrepanz zwischen Mitgliederzahlen und Organisationsgrad

A

Diskrepanz zwischen einigermaßen stabiler Mitgliederentwicklung und stark sinkendem Organisationsgrad
erklärt sich durch …
* Steigende Zahl an unselbständig Beschäftigten im Zeitverlauf
* Steigende Zahl an nicht-aktiven ÖGB-Mitgliedern ( in Pension)

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10
Q

Arbeiterkammern

A

= Gesetzliche Interessensvertretung der ArbeitnehmerInnen
-> Pflichtmitgliedschaft für alle unselbständig Beschäftigten
(Ausnahmen: öff. Dienst, Freiberufler, Landwirtschaft, leitende
Angestellte)
-Finanzierung der AK über Kammerumlage (0,5 % vom Bruttoeink.)
-AK traditionell von der FSG (SPÖ-nahe) dominiert
-Arbeitsteilung ÖGB und AK:
* ÖGB: Kollektivverträge; Arbeit in Betrieben (Betriebsräte)
* AK: Expertise in sachpolitischen Fragen (Begutachtungen etc.), Beratungen

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11
Q

Wirtschaftskammer

A

= Gesetzliche Interessensvertreung der ArbeitgeberInnen
-> Pflichtmitgliedschaft für alle gewerblich Wirtschaftstreibenden
(Ausnahmen: Landwirtschaft, freie Berufe, tw. neue Selbständige)
-Finanzierung: Grundumlage, Kammerumlage 1 und 2 -> richten sich tw. nach Umsatz, tw. nach Dienstgeberbeiträgen

Struktur der WKO:
* 9 Landeskammern + Bundeswirtschaftskammer
* Jeweils Gliederung in 7 Sparten (nach Wirtschaftsbranchen)
* Sparten gliedern sich wiederum in Fachgruppen/Fachverbände
* WKO wird traditionell vom Wirtschaftsbund (ÖVP-Teilorg.) dominiert

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12
Q

Landwirtschaftskammern

A

=Zuständigkeit für Landwirtschaftspolitik -> Landesebene, daher: 9 Landeskammern + Präsidentenkonferenz (PRÄKO) als
Dachorganisation
-Als Präsident der PRÄKO wird einer der Landes-Präsidenten gewählt
-In der PRÄKO ist auch der Raiffeisenverband vertreten
-Finanzierung: Kammerumlage (Grundsteuer!), öff. Zuwendungen
-Traditionell werden die LWK vom Bauernbund (ÖVP-Teilorg.) dominiert,
einzelnen Bundesländern sind auch andere Gruppen relevant zb Unabhängige Bauern, Freiheitliche Bauern etc

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13
Q

internationaler Vergleich

A

-Sozialpartnerschaft gibt es nicht nur in Österreich – aber Österreich ist ein Extremfall im internationalen Vergleich

-Andere Länder mit ausgeprägtem Korporatismus: Schweden, Norwegen (sehr starke Gewerkschaften!), Niederlande („Poldermodell“)

-EU-Ebene: European social dialogue -> bestimmte AN- und AGVerbände als „social partner“ anerkannt (dzt. 88 Org.), z. B.: Europäischer Gewerkschaftsbund, BUSINESSEUROPE, CEEP (öff.
Wirtschaft), EUROCADRES, CEC-European managers, UEAPME (KMUs), …

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14
Q

Voraussetzungen für die Sozialpartnerschaft

A

-Hoher Konzentrationsgrad der Verbände (= wenige, umfassend
organisierte Verbände)
-Hoher Zentralisierungsgrad der Verbände (= starke Dachverbände)
-Politische Privilegierung der großen Dachverbände (Pflichtmitgliedschaft, privilegierter Zugang zu Entscheidungsträgern)
-Orientierung an gesamtwirtschaftlichen Zielen (nicht nur Partikularinteressen)
-Hoher Verflechtungsgrad zw. Verbänden und Parteien (SPÖ, ÖVP)
-Hohe Akzeptanz in der Bevölkerung

enorme Unterschiede bei Ausmaß der Sozialpartnerschaft über die Zeit & über Politikfelder
* Spätestens seit 2000 (Schüssel I) ist Ausmaß von Konzertierung und
Akkordierung von Regierungszusammensetzung abhängig

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15
Q

Kritik an Sozialpartnerschaft

A

Ökonomisch:
* Verhinderung „notwendiger“ Strukturreformen (Flexibilisierung und
Öffnung des Arbeitsmarktes)
* Fehlende Vertretung atypischer Beschäftigung/neuer Selbständiger

Politisch:
* „Nebenregierung“ -> Entmachtung des Parlaments
* Verhinderung von „notwendigen“ Reformen (Bildungspolitik,
Gewerbeordnung, Arbeitszeitflexibilisierung, Sozialversicherung …)
* Verkrustete Strukturen (Privilegien für Funktionäre)
* „Verlängerter Arm der Parteien“ (oder umgekehrt?)
* Geringe Accountability (z. B. extreme komplexes & tw. willkürliches
Wahlsystem der WKO)

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16
Q

Was bringen Sozialpartnerschaften?

A

niedriges Streikniveau

Folgen von Lohnkoordinierung (durch Kollektivverträge):
-Geringere Arbeitslosigkeit
-Beschäftigung: ev. U-förmige Beziehung (sinkt erst mit höherer Lohnkoordination, steigt dann wieder an)
-Produktivitätswachstum: ev. U-förmige Beziehung (sinkt erst mit höherer Lohnkoordination, steigt dann wieder an)
-Geringeres Reallohnwachstum
-Geringere Einkommensungleichheit (starke Evidenz!)
-Keine/geringe Evidenz für Einfluss auf Inflation
-> Entscheidend für die Auswirkungen auf Löhne/Wachstum/Beschäftigung
etc. ist nicht Organisationsgrad der Gewerkschaften, sondern
Kollektivvertrag-Abdeckungsgrad (bargaining coverage)!
-> Effekte auf makroökonomische Performance können in kleinen, offenen
Volkswirtschaften (wie z. B. Österreich) geringer ausfallen
-> Effekte hängen auch v. Zentralbank-Politik ab (koordinierte Lohnverhandler können antizipieren, wie Zentralbank auf
ausverhandelte Lohnerhöhungen reagiert)

17
Q

Fazit

A

-Österreich hat im internationalen Vergleich extrem hohes Korporatismus-Niveau (weltweit Nr. 1 nach den meisten Quellen)
-Dachverbände sind stark zentralisiert und konzentriert, werden vom
Gesetzgeber privilegiert (Zugang, Pflichtmitgliedschaft)
-Kammern und Gewerkschaften eng mit SPÖ und ÖVP verflochten
-Einfluss der Sozialpartner in der Gesetzgebung …
… variiert aber stark über Politikbereiche
… hat in jüngerer Zeit stark abgenommen
… hängt mittlerweile stark von Regierungszusammensetzung ab
- Sozialstaat ist in Österreich nicht zuletzt aufgrund der Sozialpartnerschaft noch immer extrem stark ausgebaut