österreichische Literatur in den 1980er und 1990er Jahren Flashcards
Was ist der Kontext zur Literatur in den 1980er und 1990er Jahren
Anfang der 80er: Ende der Ära Kreisky: ernüchternde Auswirkungen des ‘deficit spending’
Skandale: AKH (Bauskandal um Kostenexplosion und Schmiergeldaffäre), Lucona (Udo Proksch), Noricum (Waffenlieferung an Irak und Iran), Subventionierung der Verstaatlichten
1983 Nationalratswahl: SPÖ Verlust der Mehrheit, Rücktritt Kreiskys, Bundeskanzler Sinowatz, Koalition mit FPÖ unter Norbert Steger, Aufstieg des Populisten Jörg Haider, Besetzung der Hainburger Au zur Kraftwerksverhinderung, Beginn der Grünen-Bewegung
1986: Bundespräsidentenwahl: Kurt Waldheim (ehemaliger SA-Offizier und UN-Generalsekretär), Ablöse Sinowatz durch Franz Vranitzky, Steger durch Haider
Neuwahlen: große Koalition unter SPÖ-Führung, Grüne im Parlament
verstärkte Aufarbeitung der Vergangenheit im Gedenkjahr 1988, Vorbereitung für einen EU-Beitritt Österreichs
1989 inszenierte Öffnung des Eisernen Vorhangs
symbolisches Ende des Kalten Kriegs durch Fall der Berliner Mauer
1991 Beginn der Jugoslawienkriege (Unabhängigkeitserklärungen,
Belagerung Sarajevos, Massaker von Srebrenica etc.)
große Fluchtbewegungen → ‚Nachbar in Not‘, Aufbauhilfen, Integrationsmaßnahmen
1993 erstarkender Rechtspopulismus: Volksbegehren ‚Österreich zuerst‘, Gegenreaktion:
Lichtermeer, Gründung Liberales Forum (ab 1994 5. Parlamentspartei)
1995 EU-Beitritt nach Volksabstimmung im Vorjahr
rassistisch und völkisch motivierter Bombenterror durch Franz Fuchs (Vierfachmord in Oberwart)
1997 nach Rücktritt Vranitzkys Viktor Klima Bundeskanzler
1999 nach Nationalratswahlen Koalition der drittplatzierten ÖVP unter Wolfgang Schüssel mit FPÖ
→ ‚Sanktionen‘ der übrigen EU-Staaten, Donnerstagdemonstrationen
Wie wurde die NS-Vergangenheit in der Lyrik in Österreich aufgearbeitet
Durch Konkrete Poesie
Wer schrieb “nachschrift” und “nachschrift2”
Heimrad Bäcker
Fakten zu “nachschrift” und “nachschrift2”
Dokumente der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie als verfügbares Sprachmaterial
Ergebnis jahrzehntelangen Sammelns bürokratische Aufzeichnungen: Verbote, Befehle, Daten, Todesstatistiken, Namen von Exekutionslisten, ideologische Phrasen etc.
Präsentation mit Methoden der konkreten Poesie, um Ausmaß des Geschehen zu vermitteln: Montage, Arrangement, Isolation, Auslese, Kombination, Entkontextualisierung etc.
“Es genügt, die Sprache der Täter und der Opfer zu zitieren. Es genügt, bei der Sprache zu bleiben, die in den
Dokumenten aufbewahrt ist. Zusammenfall von Dokument und Entsetzen, Statistik und Grauen. (H. Bäcker)”
Autor als objektiver Arrangeur garantiert mit Quellenangaben und Anmerkungen Authentizität –> legitime Form der Ästhetisierung der Gräuel?
Wer schrieb “Das bessere Altern”, Strömung
Friederike Mayröcker
Assoziationsmontage
Fakten zu “Das bessere Altern”
Poetik des Fragments als Reaktion auf Komplexität der Realität: “Literatur der Zersplitterung”
herausfordernde Entschlüsselungsaufgaben bruchstückhafter, vieldeutiger Bildbereiche
“Ich lebe in Bildern. Ich sehe alles in Bildern, meine ganze Vergangenheit, Erinnerungen sind Bilder. Ich mache
die Bilder zu Sprache, indem ich ganz hineinsteige in das Bild. Ich steige solange hinein, bis es Sprache wird.” –> autofiktionale Verwandlung der Welt in Sprache über (v.a. visuelle) Wahrnehmung alltäglicher Begebenheiten (Werk nicht autobiographisch, aber allein aus dem Leben gespeist)
Leserirritationen durch Bildbrüche, erratische Metaphorik, fehlende Interpunktion, unerwartete Enjambements, typographische Eigenheiten etc.
Vergänglichkeitstopoi (vgl. Titel)
Wer schrieb “Burgtheater”, Gattung
Elfride Jelinek
Drama zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
Fakten zu “Burgtheater”
Schlüsselstück zur verehrten Schauspielerfamilie Hörbiger/Wessely und ihrer Rolle bzw. jener des gesamten Kulturbetriebs während der NS-Diktatur
frühe Auseinandersetzung mit Mitschuld Österreichs am Nationalsozialismus –> Skandalisierung als “Nestbeschmutzerin”, Kampagne der Kronenzeitung
Dialoge groteske Collage aus Filmzitaten, Klassikerphrasen, Kalauern, steter Wechsel der Stillagen, turbulente Effektszenen
in Figurenrede allgegenwärtige Hetze gegen Juden, Russen, Kommunisten, sprachliche und körperliche Gewalttätigkeiten, zur Schau gestellte Vitalität etc.
forcierter Kunstdialekt im Wechsel mit Hochstilelementen und Umgangssprachlichem wirkt als Signal der Uneigentlichkeit und Rollenhaftigkeit –< ‘esterreichisch’ als aufgesetzte Haltung
Wer schrieb “Heldenplatz”
Thomas Bernhard
Fakten zu “Heldenplatz”
Drama der Erinnerung als Reaktion auf die Wahl Waldheims (Stück zum Gedenkjahr 1988), Abrechnung mit der “politischen und sittlichen Niedertracht” der österreichischen Welt
Skandalaufführung: Medien nahmen zugespielte Textpassagen als Aussagen des Autors z.B: Sozialisten als “Ausbeuter”, “Haben Österreich auf dem Gewissen”, “Totengräber dieses Staates” etc.
Stil: zirkelhafte Wiederholungen, Übertreibungen, Triade als Form der Dialogzerstörung
Anleihen am barocken, absurden und existenzialistischen Theater (Sinnlosigkeit allen Seins)
topologische Anlage: Zuschauerraum wird zum Heldenplatz mit Blick auf Burgtheater –> Die Welt ist die Bühne, Österreich steht für die verkommene Welt schlechthin
Inhalt:
nach Suizid des ehemaligen Emigranten und Oxford-Professors Josef Schuster, der sich im Gedenkjahr
aus dem Fenster seiner Wohnung am Heldenplatz stürzte, kann Familie nicht vergessen, weder die
düsteren Zeitdiagnosen des misanthropischen Geistesmenschen noch die Mitschuld Österreichs am
Nazi-Faschismus, der nicht nur in den Halluzinationen Frau Schusters noch immer präsent ist.
Wer schrieb “Kein schöner Land”
Felix Mitterer
Fakten zu “Kein schöner Land”
Theaterstück in 13 Bildern, Handlung zwischen 1933 und 1944
historisches Vorbild der Hauptfigur Adler: ÖSV-Pionier Rudolf Gomperz, ‘Vater des Fremdenverkehrs in St. Anton’ (–> Glazigbahn), Arbeitsverbot nach Anschluss, Schikanen, Verhaftung, Tod 1942 im KZ Maly Trostinec
Antisemitismus und Faschismus am Land, Mitläufertum, Opportunismus, Kirche
Rezeptionsgeschichte belegt Fortwirken nationalsozialistischer Ideologeme in einer konservativ-intoleranten selbstgerechten Gesellschaft, vgl. auch Skandal um Bernhards “Heldenplatz”-Stück
Inhalt:
Viehhändler Stefan Adler wird illegales NSDAP-Mitglied wie sein Sohn Hans, dem er nach einem
Waffenschmuggel zur Flucht verhilft, während dessen Freund, der Bürgermeistersohn Erich, verhaftet
wird. Nach dem Anschluss will Erich Adlers Tochter Anna heiraten; als Adler (sich) eingesteht, dass er
Jude ist, kommt es zum Bruch mit der Familie: seine Frau täuscht vor, die Kinder wären von anderen
Vätern und zieht zum Ortsgruppenleiter und dessen retardiertem Sohn. Erich fällt im Krieg, Adler wird
deportiert und kommt in ein Lager, wo er Hans als SS-Mann trifft; dieser tötet ihn und sich.
Wer schrieb “Die Präsidentinnen”, Gattungen
Werner Schwab
Postdramatisches Volksstück
Fakten zu “Die Präsidentinnen”
Radikalkomödie, knüpft mit Tabubrüchen und Provokation an orgiastische Tradition an:
“Die im gemeinsamen Gespräch geäußerten Wunschprojektionen der bigotten Erna, der
lebenslustigen Grete und der einfältigen ‚Abortkönigin‘ Mariedl enden in einer (für Mariedl)
tödlichen Desillusionierung”
Dialoge in Kunstsprache (‘Schwabisch’) mit Anklängen an Bürokratiesprache und Dialekt, irritierende Zuordnung von Prä- und Suffixen, assoziativen Neologismen, metaphorischen Verfremdungen, Katachresen, Passivkonstruktionen, Wortsynthesen und stilistischen Kapriolen –> komisierend und entlarvend
Denken und Vorstellung der Figuren von ‘Kunstdialekt’ überlagert, den sie nicht behrerrschen, der sie beherrscht –> als Alltagssprache einzige Form der Verständigung (vgl. Ödön von Horvàths ‘Bildungsjargo’)
Wer schrieb “New York. New York”
Marlene Streeruwitz